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19 23
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morgenlaͤndiſchen und abendlaͤndiſchen Berichten.
Von
Dr. Friedrich Wilken,
Königl. Oberbibliothekar und Profeſſor an der Univerſität zu Berlin, Hiftorios
graphen des Preußiſchen Staats, R. d. R. A. O., Mitgliede der Königl. Preuß.
Akademie der Wiſſenſchaften, ſo wie der aſiatiſchen Geſellſchaft zu Paris,
Correſpondenten der Königl. Franzöſ. Akademie der Inſchriften und ſchönen
Wiſſenſchaften, Ehrenmitgliede der märkiſchen ökonomiſchen Geſellſchaft
und des Vereins für naſſauiſche Alterthumskunde u. ſ. w.
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2 Kreuzzug des Kaiſers Heinrich des Sechsten und die Eroberung
von Conſtantinopel.
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Leipzig, 1829
bey Fr. Chriſt. Wilh. Vogel.
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77
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Die, welche in dem ſechsten Buche dieſes
Werks dargeſtellt wird, gehoͤrt zu den merkwuͤrdigſten
Ereigniſſen des Mittelalters; und daß die von den Rittern
des Kreuzes unternommene Begründung eines Kaiſer—
thums am Bosporus mißlang, weil die Wichtigkeit dieſes
Reichs in jener durch zahlloſe Streitigkeiten und Fehden
bewegten Zeit kaum von den Stiftern deſſelben und
nur von den Paͤpſten und den Venetianern in gewiſſen
beſchraͤnkten Beziehungen erkannt wurde, war nicht nur
fur jene herrlichen Gegenden, ſoldern fuͤr ganz Europa
von ſehr entſcheidenden Folgen. Wenn in Conſtantinopel
eine weſteuropaͤiſche Verfaſſung Dauer und Feſtigkeit
gewonnen hätte, welchen bedeutenden Autheil würde dann
ein ſolches Reich an den großartigen Entwickelungen
genommen haben, welche in den abendlaͤndiſchen Reichen
und Staaten gerade zu derſelben Zeit begannen, als die
0 * 2
_
IV Vorrede.
geſegneten Laͤnder am Bosporus und dem ſchwarzen Meer
in die Gewalt morgenlaͤndiſcher Horden fielen, welche
jeder Fortbildung und Entwickelung mit ſtarrem Sinne
widerſtrebten!
Der ſchoͤne, eben ſo einfache als umſtaͤndliche Bericht
des Marſchalls der Champagne, Gottfried Villehardouin,
von der Eroberung von Conſtantinopel, erleichterte in 5
jeder Hinſicht die Darſtellung dieſer Begebenheit; und je
wichtiger dieſer Bericht iſt, um ſo nothwendiger ſchien es
mir, ihn fo vollſtaͤndig, als es nur möglich war, mit
andern vorhandenen Nachrichten, beſonders des Ricetas,
zu vergleichen, wovon die Ergebniſſe in den Anmerkungen,
welche die nachfolgende Erzaͤhlung begleiten, dargelegt
worden ſind. Der Text der Schrift des Villehardouin
bedarf aber noch ſehr einer befriedigenden kritiſchen
Bearbeitung, welche dieſes merkwuͤrdige Denkmal der
franzoͤſiſchen Sprache, in jeder Beziehung, ſowohl wegen
der Wichtigkeit des Inhalts als der anziehenden Natuͤr⸗
lichkeit der Darſtellung, in hoͤchſtem Maße verdient. Zwar
iſt die histoire de la prise de Constantinople in den
letzten Jahren mehrere Male in den verſchiedenen Samm⸗
lungen franzoͤſiſcher Memoiren und Chroniken aufs neue
herausgegeben worden, uͤberall aber nur nach der Recen⸗
ſion von Ducange. Daß dieſer gelehrte Mann, ungeachtet
der allerdings zahlreichen und trefflichen Erlaͤuterungen,
welche ſeine Anmerkungen auch zu dieſem Werke darbieten,
ſelbſt durch feine, Bearbeitung des Villehardouin ſich nicht
Bor ve d e. *
befriedigt fuͤhlte, beweiſen ſeine Vorbereitungen zu einer
neuen Ausgabe, welche in dem handſchriftlichen Schatze
der Koͤniglichen Bibliothek zu Paris aufbewahrt werden.
In der Darſtellung des Kreuzzugs der Deutſchen in
den Jahren 1196 bis 1198 (oder wenn man nur die
Dauer der eigentlichen Wallfahrt beruͤckſichtigt, 1197
und 1198) iſt eine handſchriftliche arabiſche Chronik,
die Fortſetzung der Rudatain oder beiden Gaͤrten des
Schehabeddin Abu Schamah, benutzt worden. Dieſe Fort⸗
ſetzung, wovon, ſoviel mir bekannt iſt, außer der Bodleya⸗
niſchen, nur die hieſige koͤnigl. Bibliothek eine Handſchrift
(Ms. orient. fol. 78) beſitzt, iſt ebenfalls von Abu Schamah
verfaßt worden, enthaͤlt die Geſchichte der Nachfolger Sa⸗
ladin's bis zum Jahre d. H. 665, und fuͤhrt den Titel:
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dem Titel ebenfalls genannte Abſchreiber (Abulnumma,
genannt Altatarumi, wenn ich richtig leſe, da die diakri⸗
tiſchen Punkte faſt alle fehlen, und dieſe Namen überhaupt
undeutlich gefchrieben ſind), welcher dieſes etwas nachlaͤſſig
geſchriebene Manuſcript (207 Blaͤtter in Folio) im
Monate Radſcheb des Jahres d. H. 1008 (alſo im
Anfange des Jahres 1600 der Chriſtlichen Zeitrechnung)
vollendete, fuͤgt hinzu, daß der Verfaſſer im Jahre 699
d. H. geboren worden ſey, was ein Schreibfehler iſt;
denn Abu Schamah wurde im Jahre 599 geboren, wie
er ſelbſt (fol. 31 A) alſo berichtet: e u Al, A
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| #) D. i. er wurde begraben auf dem Kirchhofe des Thors (von)
’ . Ohne Zweifel iſt der Name des Thors ausgefallen,
was um ſo leichter geſchehen konnte, als die vordere Seite
des Blatts 31 mit = ſich ſchließt, und mit st, eine neue
Seite anfaͤngt. Vielleicht wird derſelbe Kirchhof gemeint,
welcher auf der folgenden Seite bezeichnet wird als der
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Kirchhof ile dem oͤſtlichen Thore und dem n 8
(Thomas). Vgl. Abulfed. Ann. mosl. Tom. IV. v. 158.
) Vielleicht iſt = zu leſen. *
150
VIII Vorrede.
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G ee u Nach dieſer
merkwuͤrdigen Erzählung gehörte Abu Schamah alſo einer
angeſehenen Familie an; ſein Großvater, Abu Bekr,
ſtammte aus Jeruſalem, und deſſen Vater, Ibrahim,
gehörte zu den Ajans (Stadtaͤlteſten) daſelbſt. Moham⸗
med, der Vater dieſes Ibrahim, war wahrſcheinlich der
Abu Bekr Mohammed, Imam der Moſchee Sachra zu
Jeruſalem, welcher nach dem in der Chronik des Hafız
Abulkeſim mitgetheilten Berichte des Alakfani von den
Franken getoͤdtet wurde, als dieſe im Monate Schaban des
Jahres 492 (Julius 1099) der Stadt Jeruſalem ſich
bemaͤchtigten *); denn unſerm Abu Schamah erzaͤhlte
ſein Vater Ismail, daß ſein Großvater einer von den
zu jener Zeit in Jeruſalem zum Maͤrterthum gelangten
Muſelmaͤnnern geweſen ſey, und zwar einer von denen,
deren Haͤupter in der von Pilgern beſuchten Gruft auf
einem Kirchhofe **) zu Jeruſalem ſich befaͤnden. Nach
dieſem unglücklichen Schickſale der Stadt Jeruſalem begab
ſich Abu Bekr, der Sohn des getoͤdteten Mohammed,
nach Damaskus, wo auch ſeine von unſerm Verfaſſer
) Vgl. Abulfedae Annal. mosl. Tom. III. p. 318.
*] Der Zuſatz im Texte: LL GL), falls er richtig
geſchrieben iſt, kann nichts anders als Ort der Hoffnung
bedeuten, und iſt der Name des Kirchhofs.
Vorrede. IX
ausführlich aufgezaͤhlte Nachkommenſchaft, welche ſehr
zahlreich wurde, ihren Sitz behielt und in der Naͤhe des
öftlichen Thors wohnte. Abu Schamah wurde alſo auch
zu Damaskus und zwar im Anfange der Straße Darb
elfawachir innerhalb des oͤſtlichen Thors an einem Frey-
tage, 23. Rabi elacher 599 (10. Dec. 1202), geboren.
Den Beynamen Abu Schamah erhielt er wegen eines
großen Mahls (Schamah) über den linken Augenbrauen.
Außerdem führte er auch die Namen Abulkaſem und Abu
Mohammed (des Beinamens Schehabeddin erwaͤhnt er
nicht). Schon in ſeiner Jugend lernte er den Koran
auswendig und beſchaͤftigte ſich uͤberhaupt aus eignem
Antriebe, ohne daß ſein Vater davon wußte, mit den
Wiſſenſchaften; er gab feinem Vater erſt dann von feinen
Fortſchritten Nachricht, als er ihm melden konnte, daß
er den Koran vollſtaͤndig inne haͤtte. Hierauf beſchaͤftigte
er ſich mit der Auslegung der ſieben erſten Suren des
Korans, der Arabiſchen Philologie, der Theologie,
Jurisprudenz, der Tradition, der Geſchichte (ſowohl im
allgemeinen, als insbeſondre mit der Geſchichte berühmter
Maͤnner) und andern Wiſſenſchaften, und verfaßte auch
mehrere Schriften. Im Jahre 621 (vom 24. Januar
1224 bis 12. Jan. 1225) unternahm er mit ſeinem Vater
eine Wallfahrt nach Mekka, wiederholte dieſe Wallfahrt
im naͤchſtfolgenden Jahre, pilgerte im Jahre 624 (vom
21. Dec. 1226 bis 11. Dec. 1227) nach Jeruſalem,
beſuchte im Jahre 628 (vom 8. Nov. 1230 bis 27. Oct.
x Vorrede.
1231) Aegypten und lernte die damals zu Misr, Kahira,
Damiette und Alexandrien lebenden Scheiche kennen.
Nach feiner Ruͤckkehr von dieſer letzten Reiſe blieb er beſtaͤn⸗
dig in Damaskus, beſchaͤftigte ſich, wie zuvor, mit den
Wiſſenſchaften und der Verfertigung von Schriften, las,
obwohl noch im jugendlichen Alter, in der Hauptmoſchee
zu Damaskus den Koran vor, war gegenwaͤrtig, wenn die
Gelehrten ihre Antworten auf vorgelegte Fragen (Fetwa's)
ertheilten, und nahm ſich beſonders den Scheich Fachreddin,
welcher damals ſowohl wegen ſeiner Gelehrſamkeit als ſeiner
Froͤmmigkeit und der Verachtung jedes äußern Prunks
eines beſonders hohen Anſehens genoß und von Vielen
beſucht und befragt wurde, zum Muſter, indem er die
Stufe, auf welcher dieſer Scheich in Hinſicht feiner
Gelehrſamkeit und der Achtung bei den Menſchen ſtand,
zu erreichen wuͤnſchte. „Gott gab ihm“ (dem Verfaſſer),
ſetzt Abu Schamah hinzu, „in dieſer Beziehung mehr als
er wuͤnſchte; in ſeinem fuͤnf und zwanzigſten Jahre zeigten
ſich ſchon graue Haare in ſeinem Barte und auf ſeinem
Haupte, und Gott beſchleunigte ihm den Eintritt des
Alters nach dem Scheine und der Wahrheit.“ Der Ver⸗
faſſer, welcher dieſe Notiz, wie er weiter unten (fol. 33, B)
bemerkt, im Jahre 659 (vom 6. Dec. 1260 bis 26. Nov.
1261), alſo im ſechszigſten Jahre ſeines Alters, nieder⸗
ſchrieb, erzähle hierauf mehrere gluͤckliche Träume, welche
ihm ſelbſt, fo wie feiner Mutter und andern Perfonen zu
Theil wurden, und laͤßt darauf ein Verzeichniß ſeiner bis
1 Vorrede. xl
zu dieſer Zeit herausgegebenen, theologiſchen, grammati⸗
ſchen, poetiſchen und hiſtoriſchen Schriften folgen, deren
mehr als dreyßig ſind, indem er bemerkt, daß er außer
dieſen noch viele andre Werke zwar angefangen habe, aber
noch nicht habe vollenden konnen. Unter den aufgezaͤhlten
vollendeten Schriften nehmen die Rudatain oder zwey
Gärten (in zwey Baͤnden) die vierte Stelle ein, der
vorliegenden Fortſetzung dieſes Werks dagegen, als unvoll⸗
endet, geſchieht keine Erwaͤhnung. Außer dieſen beiden
hiſtoriſchen Buͤchern ſchrieb der Verfaſſer noch folgende
geſchichtliche Werke: 1) eine große Chronik von Damaskus,
in funfzehn Baͤnden; 2) eine kleine Chronik derſelben Stadt
in fuͤnf Baͤnden; 3) eine Abkuͤrzung der Rudatain in
einem kleinen Bande; Y ein Werk über die Nachkommen
des Obeid d. i. der Fathimiten ) (Ass & ).
Die Proben ſeines poetiſchen Talents, welche der Verfaſſer
mittheilt, ſo wie die ebenfalls hier und da eingeſchalteten
Verſe, womit er ſelbſt oder ſeine Schriften von andern
verherrlicht wurden, koͤnnen an dieſem Orte fuͤglich uͤber—
gangen werden; merkwuͤrdig aber iſt folgende Nachricht,
welche ſich fol. 35, B findet: Se O zus O
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L ( e Ch; d. i. „ Es kamen zu on
(dem Abu Schamah) in die Hauptmoſchee und das
Grabmal des Aſchraf viele vorneßime und angefehene Maͤu⸗
n
*) S. d’Herbelot Biblioth. or. sub voce Obeidallah.
XII Vorrede.
ner, um die Vorleſung ſeiner Chronik (von Damaskus),
der Rudatain und andrer feiner Werke anzuhören.” .
Aus dieſer biographiſchen Nachricht über Abu Scha⸗
mah geht hervor, daß dieſer Schriftſteller gerade in der
Zeit lebte, in welche die Begebenheiten fallen, die wir in
den folgenden Buͤchern darzuſtellen haben. So wie ſeine
beiden Gaͤrten uns ſchon fuͤr die vorigen Baͤnde dieſes Werks
viele wichtige Nachrichten dargeboten haben: eben ſo
enthaͤlt auch die Fortſetzung der Rudatain manchen ſehr
ſchaͤtzbaren Bericht uͤber die Kaͤmpfe der Chriſten und
Muſelmaͤnner.
Das ſiebente Buch dieſer Geſchichte der Kreuzzuͤge,
deſſen Druck bereits begonnen iſt, wird die Geſchichte der
heiligen Kriege bis zum Jahre 1250 enthalten, und mit
dem achten Buche dieſes Wen hach werden.
Berlin am 4. October 1829.
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Der Kreuzzug der Deutſchen zur Zeit des Kaiſers Heinrich des
Sechsten in den Jahren 11964198, und die Eroberung von
Conſtantinopel.
70 * 196
— —-—
Erſtes Kapitel.
Verwirrungen in dem von Saladin geſtifteten Reiche. Malek
al Afdal S. 1. 2. Malek al Aſis, Malek al Adel, 2. Be—
herrſcher von Jeruſalem, 3. Zuſtand der Chriſten im gelobten
Lande, 3 — 5. Streitigkeiten des Fuͤrſten Boemund von An⸗
tiochien mit dem armeniſchen Fuͤrſten Leo in Cilicien, 5 — 7.
Gefangenſchaft des Fuͤrſten Boemund, 7. 8. Reiſe des Gras
fen Heinrich (Königs von Jeruſalem) nach Cilicien, Befreyung
des Fuͤrſten Boemund, 8. 9. Koͤniglicher Titel des Fuͤrſten
Leo, 9. Reiſe des Grafen Heinrich in das Land der Aſſa⸗
finen, 9. 10. Theilnahme der abendlaͤndiſchen Chriſten an
den Angelegenheiten des gelobten Landes, Papſt Coeleſtin III.,
10 — 12. Vergebliche Bemühungen des Erzbiſchofs Hubert
von Canterbury in England (im J. 1196), 11. 12. Die
Ermahnungen zur Kreuzfahrt finden Eingang bey den Deuts J Chr.
ſchen, Kaiſer Heinrich VI., 13 — 15. Verſammlungen der N
deutſchen Fuͤrſten zu Gelnhauſen und Worms, 15. 16. Viele
Deutſche nehmen das Kreuz (im J. 1196), der Markgraf
Otto von Brandenburg wird von ſeinem Geluͤbde entbunden, 17.
Auszug der deutſchen Pilger, Aufenthalt in Apulien, 18. 19. 0
J. Ehe.
1197:
J. Chr.
1188.
xi Inhalt.
Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein, der Reichskanzler
Konrad, 19. Erzbiſchof Konrad von Mainz, Anfuͤhrer des
Pilgerheeres, Ankunft der Pilger im gelobten Lande, 20.
Koͤnigin Margarethe von Ungarn, 21. Betragen der Kreuz—
fahrer im gelobten Lande, Aufkuͤndigung des Waffenſtill—
ſtandes mit den Saracenen, Walram von Brabant, 22. Miß—
helligkeiten der Pilger mit dem Grafen Heinrich und den geifts
lichen Ritterorden, Ruͤſtungen der Saracenen, 23. Erobe—
rung von Joppe durch die Saracenen, 24. 25. Tod des
Grafen Heinrich, 26. 27. Ankunft des Kanzlers Konrad in
Ptolemais, Streit über die Nachfolge im Königreiche Jeru—
ſalem, 28. Wahl des Koͤnigs Amalrich von Cypern zum
Koͤnige von Jeruſalem, Vermaͤhlung deſſelben mit der Prin—
zeſſin Eliſabeth, und meuchleriſcher Angriff auf das Leben des
neuen Koͤnigs, 29. Deſſen Verordnung wegen der Zinslehen,
Ruͤckkehr der franzoͤſiſchen Pilger, 30. Die Chriſten beſchlie—
ßen, die Stadt Berytus zu belagern, 31. 32. Wichtigkeit
dieſer Stadt, 32. 33. Schlacht zwiſchen Tyrus und Sid on,
33. 34. Die Pilger zu Sidon, 35. Uebergabe von Bery⸗ *
tus, 35. 36. Aufenthalt der Pilger daſelbſt, 37 — 40.
Kroͤnung des Koͤnigs Amalrich daſelbſt, 39. Eroberung von
Dſchabalah und Laodicea durch den Fuͤrſten Boemund, 40.
Eitle Hoffnungen der Kreuzfahrer, Abzug aus Berytus nach
Tyrus, als der Sultan Malek al Adel dieſe Stadt bedroht, 41.
Der Sultan Adel entlaͤßt einen Theil ſeiner Truppen, 41. 42.
Belagerung der Burg Toron, 42 — 53. Uneinigkeit der
Pilger, Tod des Kaiſers Heinrich VI., 42 — 44. Unter-
handlungen mit den Tuͤrken, welche durch die Kreuzfahrer
ſelbſt vereitelt werden, 46 — 49. Schlechte Sitten der Pils
ger, 50. Schimpfliche Aufhebung der Belagerung von To—
ron, 52. Ruͤckkehr der Kreuzfahrer, 33 — 55. Der Erz
biſchof von Mainz kroͤnt den König von Armenien, 53. Tod
des Herzogs Friedrich von Oeſtreich, 54. 55. Folgen dieſer
Kreuzfahrt fuͤr Deutſchland, 56. Widerwille der Pullanen
gegen die fremden Pilger, 56. 57. Unbeſonnene Zuſage des
Inhalt. XV
Herzogs Heinrich von Brabant wegen Anfiedelung deutſcher 5189.
Auswanderer in Syrien, 57. Erneuerung des Waffenftill;
ſtandes mit den Unglaͤubigen, 57. 58. Wallfahrt des Marks
grafen Otto von Brandenburg, 58.
Zweytes Kapitel.
Verminderte Theilnahme der abendlaͤndiſchen Chriſten an den I; gr.
Angelegenheiten des heiligen Landes, 59. Innocenz III. be;
ſteigt den paͤpſtlichen Stuhl, 60. Schilderung feines Cha⸗
rakters, 61 — 63. Seine Thaͤtigkeit für das heilige Land
in den Jahren 1198 — 1200, S. 63 — 91.
Drittes Kapitel.
Vergebliche Verſuche des Papſtes, den allgemeinen Frieden in der
Chriſtenheit zu bewirken, 92. Haͤndel deſſelben mit dem
Könige Philipp Auguſt, 92. 93. Kreuzprediger in Frank—
reich, beſonders der Meiſter Fulco in den Jahren 1198 —
1202, S. 93 — 105. Tod des Meiſters Fulco, 105. Ver—
wendung der von ihm für das heilige Land geſammelten Als
moſen, feine Schüler, 106. Andere A in Frank⸗
reich und England, 107. Der Abt Martin des Cifterzienfers
kloſters Paris (im J. 1198), S. 108. 109.
Viertes Kapitel.
Wirkungen der Aufforderungen des Papſtes und der Ermahnun⸗
gen der Kreuzprediger, 110. 111. Turnier zu Eery, die 2. 8
Grafen Thibaut von Champagne und Brie, und Ludwig von
Blois und Chartres, 111. Begeiſterung fuͤr das heilige Land
in Frankreich, 112. Namen der franzoͤſiſchen Kreuzfahrer, J. hr.
Graf Balduin von Flandern und Hennegau, 113. Die
uͤbrigen flandriſchen Pilger, Graf Hugo von St. Paul u. a.,
Verſammlung zu Soiſſons, 114. Verſammlungen zu Com-
piegne, Geſandtſchaft nach Venedig, 115. Unterhandlungen
zu Venedig, 116 — 121. Ausfertigung der Urkunde des N
Vertrags mit den Venetianern 121. 122. Benachrichtigung
des Papſtes Innocenz III., 122. Anleihe zu Venedig, Ruͤckkehr
der Abgeordneten, 12 3. Graf Walther von Brienne, 123. 724.
XVI Inhalt.
Fuͤnftes Kapitel.
ebe. Unzufriedenheit der Pilger und des Papſtes Innocenz III. mit
dem zu Venedig geſchloſſenen Vertrage, 125. 126. Tod des
Grafen Thibaut von Champagne, des oberſten Fuͤhrers der
Kreuzfahrer (am 25. Mai 1201), S. 126 — 128. Wahl
eines neuen Oberhauptes und vergebliche Anträge, 128 —130.
Berathung zu Soiſſons, der Markgraf Bonifaz von Monts
ferrat wird in Vorſchlag gebracht, 130. 131. Wahl deſſel—
ben, 131. Ankunft deſſelben zu Soiſſons, 132. Bezeich—
nung deſſelben mit dem Kreuze und Ruͤckkehr nach Italien,
133. Kapiteltag zu Citeaux, 133. 134. In der Lombardey
und andern italieniſchen Laͤndern nehmen Viele das Kreuz, 134.
Tod des Grafen Gottfried von Perches, 134. 135.
Sechstes Kapitel.
Aer Auszug der Pilger, manche begeben ſich nicht nach Venedig,
ſondern nehmen andere Wege, der Graf von St. Paul zu
Venedig, der Graf von Blois und Chartres wird bewogen.
nach Venedig zu kommen, 138. Andere franzoͤſiſche Pilger
ſetzen ihren Weg nach Apulien fort; die Kreuzfahrer auf der
Inſel St. Nikolaus bey Venedig, 139. Verlegenheit ders
ſelben, 140. Widerſpenſtigkeit mancher Pilger, 140. 141.
Bezahlung eines Theils der den Venetianern zugeſagten Geld—
ſumme, 141. Mißhelligkeiten mit den Venetianern, 142.
Charakter des Dogen Heinrich Dandulo, 142 — 144. Vor⸗
ſchlag wegen der Eroberung von Zara, 145. Heinrich Dans
dulo und viele Venetianer nehmen das Kreuz, 145 — 147.
Abgeordnete des byzantiniſchen Prinzen Alexius, 147. By—
zantiniſche Angelegenheiten, Entfernung des Iſaak Angelus,
und Ufurpation des Alexius, feines Bruders, 137 — 149.
Regierung des Alexius Comnenus, und ſein Verfahren gegen
Iſaak, 149 - 150. Flucht des juͤngern Alexius nach Italien,
151. Sein Aufenthalt zu Rom, und feine Reiſe nach Deutſch—
land, 151. 152. Verhandlungen der Geſandten des Alexius
mit den Kreuzfahrern, 152 — 154. Die Kreuzfahrer ſenden
Botſchafter nach Deutſchland, 154. Ankunft des Biſchofs
Inhalt. XVII
Conrad von Halberſtadt und des Grafen Berthold von Katzen r.
ellnbogen zu Venedig 154. 155, ſo wie des Abts Martin mit
feinem Pilgerheere, 155 — 157. Mißvergnuͤgen vieler Pilger
uͤber die Verhandlungen wegen des Zugs gegen Zara, ſie
wuͤnſchen, die Fahrt nach Aegypten anzutreten, 157 — 159.
Unzufriedenheit des Papſtes, vergebliche Abmahnung der Ve;
netianer von dem Zuge gegen Zara durch den Cardinal Peter,
159. Mißvergnuͤgen der deutſchen Pilger und des Abts Mar—
tin, 159. 160. Erneuete Abmahnung der Venetianer von dem
Kriege gegen Zara durch paͤpſtliche Briefe und den Abt Ogier
von Lucedio, 161. Einige franzoͤſiſche Pilger trennen ſich
von dem Heere, und auch der Markgraf Bonifaz haͤlt ſich
fern, 162. 163.
Siebentes Kapitel.
Abfahrt der Pilger von Venedig, 164. 165. Zuͤchtigung der 3
Staͤdte Trieſt und Muggia, 166. Eroberung von Zara,
167 —- 171. Aufenthalt der Pilger daſelbſt und Streitig—
keiten mit den Venetianern, 172 — 174. Ankunft des Mark
grafen Bonifaz, Matthias von Montmorency und anderer
Pilger zu Zara, 174. Ruͤckkehr der nach Deutſchland ges
ſendeten Botſchafter, 174. 175. Vortrag derſelben in der
Verſammlung der Pilger, 175. 176. Neue Verathung, 177.
178. Vollziehung der Urkunden des Vertrags mit dem Prin—
zen Alexius, 178. 179. Unzufriedenheit der Pilger, viele ac
verlaſſen das Heer, 179. 180. Geſandtſchaft an den Papſt,
180 - 182. Vorlaͤufige Losſprechung der Pilger von dem
auf ihnen ruhenden kirchlichen Banne, 181. Antwort des Pap⸗
fies, 182 — 184. Die Venetianer werden mit dem Banne
belegt, 182; welchen der Markgraf Bonifaz und die uͤbrigen
Barone verheimlichen, 184, 185. Innocenz III. fordert
die Verkuͤndigung des Bannes und gibt den Pilgern guten
Rath in Hinſicht ihres Betragens gegen die Venetianer, 185.
186. Auch ermahnt er fie, nicht in die byzantiniſchen Ans
gelegenheiten ſich zu miſchen, 187. 188. Die Pilger befolgen
dieſe Ermahnung nicht, 188 — 190. Der Graf Simon
V. Band. .
EN |
XVIII In halt.
* von Montfort und andere verlaſſen das Heer der Pilger,
190. 191.
Achtes Kapitel.
3.0 Ankunft des Prinzen Alexius zu Zara, 192 (vgl. 188). Die Pil,
gerflotte fährt über Spalatro und Dyrrachium nach Corfu, 192.
Lagerung der Pilger und des Prinzen Alexius vor der Stadt
Corfu, 193. Zwietracht der Pilger, 194. 195. Verſoͤh—
nung, 195 —- 197. Abfahrt von Corfu, 197. Fahrt bis
an die Meerenge von Seſtus und Abydus, 197 — 199. Forts
ſetzung der Fahrt bis zur Propontis, 199 - 202. Lager bey
Chalcedon, 202. 203, und bey Scutari, 203 — 210. Gorgs
loſigkeit des Kaiſers Alexius, 204. 205. Kampf am Berge
Damatrys, 206. 207. Nikolaus Roſſi, Botſchafter des
Kaiſers Alexius, 208. 209. Kriegsrath der Barone, 208 —
210. Der Prinz Alexius wird den Einwohnern von Con:
ſtantinopel gezeigt, 210. Ueberfahrt des Pilgerheeres nach
der thraciſchen Kuͤſte, 211 — 216. Eroberung von Galata,
217— 220. Sprengung der großen Hafenkette, 218. Kriegs;
rath und Anordnung der Belagerung, 220. Die Belagerung
von Conſtantinopel wird begonnen, 221. Stellung der Kreuz;
fahrer, 222. Befeſtigung des Lagers und Aufſtellung der
Belagerungsmaſchinen, 223. 224. Belagerung, 224— 226.
Allgemeine Beſtuͤrmung, 226 — 229. Die Venetianer ers
obern 25 Thuͤrme am Petrion, Verbrennung eines Theils
von Conſtantinopel (erſte Feuersbrunſt), 229. 230. Ausfall
der Griechen (am 17. Julius), 230—233. Flucht des Kaiſers
Alexius (am 18. Jul.) und Wiedereinſetzung des Kaiſers Iſaak,
233 — 235. Geſandtſchaft der Barone an Iſaak, 235 — 237.
Einfuͤhrung des Prinzen Alexius in Conſtantinopel, 237. Die
Pilger errichten ihr Lager bey Pera, 237. 238.
Neuntes Kapitel.
2.25 ex. Freundliches Verhaͤltniß der Kreuzfahrer zu den Griechen, 239
— 241. Kroͤnung des jungen Alexius (am 1. Auguſt), 240.
Iſaak und Alexius wuͤnſchen die Verlaͤngerung des Aufenthalts
*.
Inhalt, xıx
der Kreuzfahrer, 244. 245. Vertrag mit den griechiſchen Kaiſern,
245. Der Markgraf Bonifaz u. a. begleiten den Kaifer: Ale;
xius auf feinem Zuge durch die Länder am Bosporus und an
der Propontis, 246. Aenderung des Zuſtandes der Dinge
in Conſtantinopel, zweyte Feuersbrunſt in Conſtantinopel, 246
— 248. Erbitterung der Griechen wider die Lateiner, 249.
250. Pluͤnderung der Kirchenſchaͤtze durch den Kaiſer Iſaak,
250. Tod des Abtes von Los und des Ritters Matthias von
Montmorency, 251. Fernere Mißverhaͤltniſſe der Kreuz:
fahrer und der Griechen, der juͤngere Alexius bricht den freund—
ſchaftlichen Verkehr mit den Pilgern ab, 251 — 256. Zer⸗
truͤmmerung des Standbildes der Athene auf dem Markte des
Conſtantinus, 253. Uneinigkeit der Kaiſer Iſaak und Ale—
rius, 253 — 256. Kriegserklaͤrung der Barone, 256 — 258.
Feindſeligkeiten, die Griechen verſuchen die Flotte der Kreuz—
fahrer zu verbrennen, 258 — 260. Ankunft des Abts Martin
aus Syrien und des Vogts Conrad von Schwarzenberg, als
Botſchafter der dortigen Chriſten, 261. 262. Berathungen
zu Conſtantinopel wegen der Wahl eines neuen Kaiſers, 262.
263. Wahl des Nikolaus Kanabus, 264. Alexius Ducas
Murtzuflos erſcheint im Lager der Pilger als Abgeordneter
des juͤngern Alexius, 264. 265. Murtzuflos benutzt dieſe
Unterhandlungen, um ſich ſelbſt des Thrones zu bemaͤchtigen,
265 — 267. Tod des Kaifers Iſaak, und Gefangenſchaft des
Nikolaus Kanabus, 267. Erneuerung der Feindſeligkeiten,
267. 268. Tapferkeit des Murtzuflos, 268. Kampf bey
Philea, 269 — 271. Die Chriſten erobern ein wunderthaͤ—
tiges Bild der Mutter Gottes, 270. Neuer Verſuch der
Griechen, die Flotte der Pilger zu verbrennen, 272. Haͤuſige
Gefechte, 272. 273. Unverſtaͤndiges Betragen des Alexius
Murtzuflos, 272. 273. Unterhandlungen deſſelben mit den
Kreuzfahrern, 273 — 277. Ermordung des jungen Alexius
(am 8. Februar 1204), 277. 278. Die Kreuzfahrer ruͤſten
ſich zur Belagerung von Conſtantinopel, 278 - 280.
J. Chr.
1203.
J. r.
1 204.
J. Chr.
1204.
Inhalt.
Zehntes Kapitel.
Vertrag der Kreuzfahrer und Venetianer, 281 — 285. Anfang
der Belagerung, 285. 286. Mißlungene Beſtuͤrmung, 286.
287. Kriegsrath, 287 — 289. Wiederholte Beſtuͤrmung,
die Mauer von Conſtantinopel wird erſtiegen, 289 — 291.
Tod des Pietro Alberti, 291. Peter von Braiecuel u. a.
dringen in die Stadt ein und bemaͤchtigen ſich derſelben (am
12. April 1204), 29 — 295. Schonung der Griechen an
dieſem Tage, 295. Dritte Feuersbrunſt in Conſtantinopel,
296. 297. Flucht des Alexius Murtzuflos, 297. Theodorus
Ducas und Theodorus Lascaris ſtreiten um den Thron, Er—
waͤhlung des Letztern zum Kaiſer, 298. Flucht des Theodorus
Laskaris, 299. Die Kreuzfahrer bemaͤchtigen ſich des Palas
ſtes der Blachernen, 299, und des Bukoleon, 300. Große
Beute und Gewaltthaͤtigkeiten, 300 — 303. Gebot der Bas
rone, die Keuſchheit der Frauen zu achten, 303. Pluͤnderung
und Entheiligung der Kirchen, 304. 305. Geraubte Reli:
quien, 306 — 308. Verſpottung der Griechen, 309. 310.
Schilderung des Nicetas von den durch die Franken veruͤbten
Graͤueln, 310 — 312. Schickſale und Flucht des Geſchicht—
ſchreibers Nicetas, 312 317.
Elftes Kapitel.
2. ‚Sir‘ Theilung der Beute, 318 — 320. Wahl eines Kaiſers, 320 —
326. Erwählung des Grafen Balduin, 326. 327. Ders
maͤhlung des Markgrafen Bonifaz mit der Kaiſerin Marga—
rethe, Tod des Ritters Odo von Chamlite, 327. Kroͤnung
des Kaiſers Balduin, 328. 329. Wahl eines lateiniſchen
Patriarchen von Conſtantinopel (Thomas Moroſini), 330 —
332. Ankunft der Legaten Peter und Suffried in Conſtanti—
nopel, 332. 333. Verſoͤhnung der Venetianer und uͤbrigen
Pilger mit Innocenz III., 333 — 347. Unzufriedenheit des
Papſtes mit den kirchlichen Anordnungen zu Conſtantinopel,
Beſtaͤtigung des Thomas Moroſini als Patriarchen, 340 —
341. Der Papſt fordert Geiſtliche der abendlaͤndiſchen Kirche
Inhalt. xxl
auf, ſich in die Laͤnder des neuen Kaiſerthums zu begeben,
341 — 343. Stiftung eines conſtantinopolitaniſchen Colle—
giums zu Paris, 343. Kirchliche Streitigkeiten zu Conſtan⸗
tinopel, 344. Der Legat Benedict von St. Suſanna, 345.
Eroberungen der Kreuzfahrer, 347. Belehnung des Mark;
grafen Bonifaz zuerſt mit den Laͤndern jenſeits des Meeres,
dann mit Theſſalonich, 348. Alexius Angelus zu Moſyno⸗
polis, 349. Alexius Murtzuflos zu Tzurulos, Graf Heinrich
von Flandern erobert Adrianopel, 350. Flucht des Murtzuflos
zu Alexius Angelus in Moſynopolis und Blendung des Murtzu—
flos, 351. Der Kaiſer Balduin legt Beſatzungen in Adrias
nopel, Didymoteichon und Philippopolis, Flucht des Alexius
Angelus, Uebergabe von Moſynopolis an den Kaiſer Balduin,
352. Streitigkeiten des Kaiſers Balduin und des Mark—
grafen Bonifaz, 352 — 357. Bonifaz erobert Theſſalonich,
358. 359. Eroberungen der Kreuzfahrer in Kleinaſien, 359
— 361. Belehnung des Ritters Reinhard von Trit mit Phi—
lippopolis, 361. 362. Eroberungen der Venetianer, 363.
Ob die Eroberung von Conſtantin opel die Bildung der Abend—
länder in Wiſſenſchaft und Kunſt befoͤrderte, 362 — 365.
Die Venetianer benutzen ihre Eroberungen beſſer, als die
J. Chr
1204.
Franzoſen, 365 — 367. Innere Einrichtungen des neuen
lateiniſchen Kaiſerthums, 367 — 369. Beſchraͤnkte Macht
des Kaiſers, 369. Behandlung der Griechen, 369 — 372.
Den Griechen bleiben ihre Rechte und Gewohnheiten, 372.
373. Venetianiſcher Senat zu Conſtantinopel, 373. 374.
Einfuͤhrung der Aſſiſen von Jeruſalem, 374. 375. Vertrag
der Franzoſen und Venetianer wegen der Lehenverhaͤltniſſe,
376 — 377. Die Kreuzfahrer zu Conſtantinopel erwarten
vergeblich Verſtaͤrkungen aus der Heimath, 377. 378. Bal⸗
duin ſucht den Koͤnig von Frankreich durch Geſchenke ſich ge—
neigt zu machen, 378. 379, ſo wie auch den Papſt, 379.
Der Papſt muntert die abendlaͤndiſchen Chriſten auf zur Unter—
ſtuͤtzung des neuen Kaiſerthums, 379. 380. Die Venetianer
bringen Pilger mit Liſt und Gewalt nach Griechenland und
J. Chr.
1204.
J. Chr.
1205.
xXxxII Inhalt.
Creta, die Thore von Conſtantinopel und ein Stuͤck der Hafen,
kette werden nach Ptolemais geſandt, 381. Pilger, welche
aus Syrien nach Conſtantinopel kommen, 382. 383. Ver—
minderung der Macht des neuen Kaiſerthums, 384 — 387.
Tod der Grafen Hugo von St. Paul und Ludwig von Blois,
des Dogen Heinrich Dandulo von Venedig und des Mark—
Ducas Murtzuflos, 387. 388. Letzte Schickſale des Alexius
Angelus, 389. 390. Theodorus Laskaris, 390. 391. Die
Comnenen zu Trapezunt, Leo Sgurus in Corinth und Nauplia,
Michael in Epirus, Uneinigkeit der Griechen, 391. Be
druͤckungen, welche jene Emporkoͤmmlinge üben, 391. 392.
Krieg der Kreuzfahrer gegen den Koͤnig Johann der Walachen
und Bulgaren, 392 — 396. Schlacht bey Adrianopel (am
14. April 1205), Gefangenſchaft des Kaiſers Balduin und
Tod des Grafen Ludwig von Blois, 395. Tod des Kaiſers
Balduin, 396. Kroͤnung des Kaiſers Heinrich, 396. 397,
und deſſen beſchraͤnkte Wirkſamkeit, 398.
renn
I. Verträge der Kreuzfahrer und Venetianer, in Beziehung auf
ihre Eroberungen in den Laͤndern des griechiſchen Kaſerthums,
S. 3.
II. Zerſtoͤrung der Kunſtwerke zu Conſtantinopel (nach Nicetas),
S. 12.
grafen Bonifaz, 384. 385. Hinrichtung des Kaiſers Alexius
Geſchichte der Kreuzzüge
hes Du ch.
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Sechstes Buch.
Der Kreuzzug der Deutſchen zur Zeit des Kaiſers Heinrich des
Sechsten in den Jahren 1196 bis 1198, und die Eroberung
von Conſtantinopel. 8
„ee, Rote.‘
Saladin hatte die Thronfolge in dem von ihm gegruͤn—
deten Reiche nicht beſtimmt; und darum hatte ſein Reich
das gewoͤhnliche Schickſal morgenlaͤndiſcher Reiche. Die
Huldigung, welche die Emirs in den letzten Tagen der
Krankheit ihres großen Sultans dem aͤlteſten ſeiner Soͤhne,
Malek al Afdal, geleiſtet hatten, war von vielen mit
Widerſtreben, von andern mit Beſchraͤnkungen und unter
verſchiedenen Bedingungen geleiſtet worden; die aͤgypti—
ſchen Emirs waren damals gar nicht zur Huldigung auf—
gefordert worden *); und Malek al Afdal, welcher mit
ſeinem großen und edeln Vater nicht immer in gutem
Vernehmen geſtanden hatte, beſaß weder ausreichende
Kraft noch hinlaͤngliche Geſchicklichkeit, um ſein Recht
der Erſtgeburt zu behaupten. Er gab die Geſchaͤfte der
Regierung in die Haͤnde ſeines Vezirs, Dajaeddin Ebn
1) Bohaeddin Leben Saladins Cap. 180. S. 274. 273.
V. Band. A
2 Gebſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
al Athir, des Bruders des Geſchichtſchreibers, uͤberließ
ſich einem uͤppigen und ausſchweifenden Leben, und dem
Genuſſe des Weins, und verbrachte Tage und Naͤchte
unter Saͤngerinnen; und als ihn endlich Ueberdruß und
Reue anwandelte, ſo ſuchte er in moͤnchiſchen Uebungen
der Andacht Beruhigung und fing an, den Koran ab—
zuſchreiben 2). Mittlerweile befeſtigte ſich der zweyte
Sohn Saladins, Malek al Aziz, in dem Beſitze von
Aegypten mit dem Beyſtande der alten Truppen ſeines
Vaters, welche Malek al Afdal auf den Rath ſeines
Vezirs aus ſeinem Dienſte entlaſſen hatte; und der Krieg,
welcher zwiſchen den beyden Bruͤdern ſich entzuͤndete,
wurde zwar, nachdem Malek al Aziz zweymal Damascus
belagert hatte, durch die Vermittelung ihres juͤngern
Bruders Malek addaher, Fuͤrſten von Haleb, und ihres
Oheims, Malek al Adel, beygelegt, erneute ſich aber bald,
als Malek al Adel mit Malek al Aziz ſich verband, und
nahm erſt im Jahre 1196 damit ein Ende, daß Malek al
Afdal, welchem, da er ſelbſt unthaͤtig und traͤge blieb,
die Willkuͤhrlichkeit, womit ſein Vezir, Ebn al Athir,
verfuhr, viele Feinde erweckt hatte, dem Reiche entſagte
und mit dem Beſitze der Burg Sarchod ſich abfinden ließ,
Malek al Aziz Titel und Rechte als Sultan und das Reich
Aegypten erhielt, Malek al Adel aber zu ſeiner bisherigen
Herrſchaft uͤber Krak, Schaubek und die Laͤnder am Eu—
phrat noch Damascus empfing, Malek addaher im Fürs
ſtenthume Haleb, und andere Emirs und Verwandte des
Saladin'ſchen Geſchlechts in dem Beſitze der zinsbaren
Herrſchaften beſtaͤtigt wurden, welche ihnen der Sultan
Saladin verliehen hatte 2). Jeruſalem und die übrigen
2) Abulf, Ann, mosl, T. IV. 3) Abulfeda I. c. p. 15%
P. 142. 182.
Zuſtand des Morgenlandes. 3
ſyriſchen Städte, welche Saladin den Chriſten entriſſen
hatte, gehoͤrten nach dieſer Theilung der Herrſchaft des
großen Sultans zu dem Reiche von Damascus; und die
Stadt Jeruſalem insbeſondere, welche nach dem Tode
Saladin's von Malek al Afdal dem Emir Azzedin Dſchordik
als Lehen war uͤbertragen worden, wechſelte in wenigen
Jahren mehrere Male ihre Beſtitzer.
Von dieſer Aufloͤſung der durch Saladin gegruͤndeten
Macht in kleinere Reiche und Herrſchaften und den
Kriegen, welche die Nachfolger Saladin's mit einander
fuͤhrten, konnten aber die Chriſten im gelobten Lande
keinen Vortheil ziehen, nachdem der mit Saladin ge—
ſchloſſene Waffenſtillſtand abgelaufen war; denn es ge—
brach ihnen an einer hinlaͤnglichen Kriegsmacht, weil das
Land, welches nach der Abreiſe des Koͤnigs Richard in
ihrer Gewalt blieb, wie der Großmeiſter des Hoſpitals
damals den Beamten ſeines Ordens im Abendlande mel—
dete, meiſtens veroͤdet war und ohne Bewohner ); und
der Graf Heinrich von Champagne, an der Möglichfeit
einer dauernden Behauptung der chriſtlichen Herrſchaft
im gelobten Lande verzweifelnd, dachte daher nur auf
baldige Rückkehr in feine Heimath ). Nur die Burg
Gibelet, zwiſchen Berytus und Antiochien gelegen, kam
in dieſer Zeit der Verwirrung im Reiche Saladin's wie—
der in den Beſitz der Chriſten durch die Untreue des dor—
tigen Emirs, der ſich durch Geld bewegen ließ, mit ſeiner
4) „Terra, quam tenet Christia-
nitas in treugis, manet fere peni-
tus habitatoribus destituta,“ fchrieb
am Ende des Aprils 1193 Gottfried,
Großmeiſter des Hoſpitals, an feinen
Ordensbruder W. von Vileruns
(praecej tori ultramarino), S. An-
selmi Gemblac. Auctar. Aquicin-
ctinum (in Fistorii Scriptor. rer.
Germ. Tom. I.) P. 1006.
5) „Comes vero Henricus, licet
cum Regina contraxisset, Accon et
Tyri dominium adeptus, coronari
tamen et Rex fieri recusavit; nam
A 2
4 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. I.
Beſatzung dieſe Burg zu verlaſſen ). Die Vertheidigung
des heiligen Landes hing meiſtens ab von den drey Rit—
terorden, vorzuͤglich den Hoſpitalitern und Templern,
welche durch weitlaͤufige und reiche Beſitzungen in allen
Reichen des Abendlandes in den Stand geſetzt waren,
eine bedeutende Kriegsmacht zu unterhalten '); aber es
war auch fuͤr dieſe ſchwierig, Soͤldner fuͤr den Waffen—
dienſt im gelobten Lande zu finden, und die Orden waren
unter einander faſt in beſtaͤndigen Streitigkeiten, welche
ihre Kraͤfte von dem Kampſe mit den Unglaͤubigen ab—
lenkten. Unter dieſen Umſtaͤnden ließen ſich die Chriſten
gern die Verlaͤngerung des Waffenſtillſtandes gefallen,
welche der Sultan Malek al Aziz ihnen antrug; aber von
Seiten der Muſelmaͤnner wurden die Bedingungen des
erneuerten Waffenſtillſtandes nicht mit Gewiſſenhaftigkeit
erfüllt. Der Emir Aſſamah von Berytus ließ durch aus—
von Gibelet war ein Kurde, und die
Verlaſſung der Burg durch die muſel—
männiſche Beſatzung geſchah ſchon im
Anfange des Monats Safar 390;
d. i. gegen das Ende des Januars
1193, alſo über vier Wochen vor dem
Tode Saladin's, wenn die Angabe
der Fortſetzung der Chronik des Abu
Scham (Handſchrift der königt.
Bibliothek zu Berlin, Ms. or, fol.
N. 78.) richtig iſt.
sicut alii, ad reditum
aspiraba Jac. de Vitr, hist.
Hieros. p. 1123.
et ipse,
t “ss
6) „Damals, als Saladin ſtarb,
war eine vornehme Frau (Iſabelle,
die Tochter des Dalian von Ibelin,
vgl. Lignages d’Outremer ch. 19.)
zu Tripolis, welche Gebieterin über
Gibelet (bey den Arabern Dſchobail
genannt) geweſen war. Dieſe wußte
bey den Saracenen, welchen Saladin
die Vertheidigung von Gibelet über—
tragen hatte, es dahin zu bringen,
daß ſie auszogen; worauf dieſe Frau
mit ihren Rittern einzog, und die
Burg und Stadt beſetzte.“ Hugo
Plago S. 644. Vgl. Jacobi de Vi-
triaco hist. Hieros. P. 1124. Gibelet
(ſprich Oſchibelet) iſt das alte Byblus;
fo nennt es auch Jacob von Vitry
(ogl. hist, Hieros, p. 1072). Der Emir
7) Im Jahre 1244 beſaßen (nach
Matth. Paris historia Anglicana ed.
Wats p. 544), außer vielen andern
Einkünften, die Hoſpitaliter 19000, -
und die Templer 9500 Manarien Lan—
des in verſchiedenen Reichen; und
der Ertrag jedes Manarium war hin—
länglich zureichend zur Unterhaltung
Eines Ritters im Dienſte des heiligen
Landes.
#
Streitigk. des Fürft. v. Antiochien m. dem arm. Fuͤrſt. Leo. 5
geſandte Schiffe den Verkehr der chriſtlichen Haͤfen an der
Kuͤſte von Syrien ſtoͤren, und die Klagen, welche die
Chriſten ſowohl bey dem Sultan als bey deſſen Oheim,
Malek al Adel, erhoben, bewirkten nicht die Abſtellung
dieſes Frevels; alſo daß ſie ſich genoͤthigt ſahen, ihre
Glaubensgenoſſen im Abendlande um Huͤlfe anzurufen ®).
Mittlerweile beſchaͤftigten den Grafen Heinrich die
Händel des Fuͤrſten Boemund des Dritten von Antio—
chien mit dem armeniſchen Fuͤrſten Leo, dem ſogenann—
ten Fuͤrſten vom Berge. Dem Fuͤrſten von Antiochien
hatte der ſchwere Kampf, in welchen Saladin ſeit dem
Anfange der Belagerung von Ptolemais mit den Kreuz—
fahrern verwickelt wurde, nicht geringen Vortheil ge—
bracht, indem der Sultan dadurch gehindert worden war,
die Eroberung des Fuͤrſtenthums zu vollenden; und Boe—
mund hatte überhaupt die Anweſenheit der abendlaͤndi—
ſchen Pilgerheere in Syrien mit großer Thaͤtigkeit und
Geſchicklichkeit zu ſeinem Vortheile zu benutzen gewußt.
Obgleich er von den Koͤnigen von Frankreich und Eng—
land, ſo wie von dem Herzoge Friedrich von Schwaben,
anſehnliche Verſtaͤrkung ſeiner Ritterſchaft ſich erwirkt
hatte “), fo hatte er gleichwohl an dem Kriege wider
den Sultan nicht mehr Antheil genommen, als zur Ver—
theidigung ſeines Landes noͤthig war. Nachdem der von
Richard und Saladin geſchloſſene Waffenſtillſtand den
Krieg beendigt hatte, fo bemühte ſich Boemund um die
Gunſt des Sultans, und Saladin, wie im vorigen Buche
berichtet worden iſt, vergalt die Achtung, welche ihm der
8) Ebn al Athir (in Michaud Auguſt, überließ im J. 11e dem Fürs
Bibliographie des Crois. T. II.) ſten von Antiochien hundert Ritter
P. 532. 553. und fünfhundert Knechte (sexvientes).
9) Sowohl Richard, als Philipp Beued. Petiob. p. 670.
5 >
2
6 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
Fuͤrſt bewies, mit Geſchenken. Zu derſelben Zeit aber
wurde die Thaͤtigkeit des Fuͤrſten von Antiochien durch
eine langwierige Fehde mit dem benachbarten armeniſchen
Fuͤrſten in Cilicien in Anſpruch genommen.
Die Streitigkeiten und Fehden des Fuͤrſten Boemund
mit dem Fuͤrſten Leo von Cilicien hatten, wie es ſcheint,
keinen andern Grund, als den unruhigen Sinn beyder
Fuͤrſten und ihr Beſtreben, ihre Beſitzungen, Einer auf
Koſten des Andern, zu erweitern. Im Jahre 1186 war
es dem Fuͤrſten Boemund gelungen, durch Lift der Perſon
des Rufinus, eines Bruders des Fuͤrſten Leo, ſich zu bemaͤch—
tigen; und, obwohl Leo ſein Land gegen den Fuͤrſten von
Antiochien, als dieſer nach der Gefangennehmung des
armeniſchen Prinzen in Cilicien einfiel, tapfer verthei—
digte: ſo erlangte Rufinus doch ſeine Freyheit erſt gegen
ein Loͤſegeld von dreyßig Tauſend Goldſtuͤcken und die
Abtretung der Staͤdte Mopsveſtia und Adana. Kaum
aber war Rufinus in Freyheit, ſo bemaͤchtigte er ſich wie—
der der beyden abgetretenen Staͤdte; wovon eine wieder—
holte Verheerung des Landes von Cilicien durch den Fürs
ſten Boemund die Folge war *°), Mehrere Jahre hernach
(im J. 1191) gab die Veſte Bagras in der Naͤhe von
Antiochien, welche Saladin dem Fuͤrſten Boemund ent
riſſen hatte, Veranlaſſung zu einer neuen Fehde der bey—
den Fuͤrſten. Da Saladin zu der Zeit, in welcher er
Askalon und mehrere andere Staͤdte und Burgen in Sy—
rien zerſtoͤrte, auch die Burg Bagras ſchleifen ließ, ſo
ſetzte ſich Boemund, indem er die mit der Niederreißung
dieſer Burg beſchaͤftigten Tuͤrken verjagte, in den Beſitz
derſelben, und erbeutete daſelbſt einen großen Vorrath
von Weizen, welcher nach Antiochien gebracht wurde;
10) Abulfarag. Chron. Syr. p. 597.
Streitigk. des Fuͤrſt. v. Antiochien m. dem arm. Fürft. Leo. 7
tach wenigen Tagen aber kam der Fuͤrſt Leo, vertrieb die
antiochiſche Beſatzung und bemaͤchtigte ſich der Burg,
welche er in kurzer Zeit wieder herſtellte und mit einer
ſtarken armeniſchen Beſatzung verſah *). Boemund ließ
es unverſucht, die Burg wieder mit Gewalt zu nehmen;
Bagras blieb unter der Herrſchaft der Armenier vierzig
Jahre und kam dann in die Haͤnde der Templer.
Ueber die Weiſe, wie der Fuͤrſt Boemund im Jahre
1193 in die Gefangenſchaft des Fuͤrſten Leo kam, wird
auf verſchiedene Art berichtet. Nach Einer Erzaͤhlung
wurde er von dem armeniſchen Befehlshaber von Bagras
uͤberliſtet. Dieſer ließ dem Fuͤrſten melden, daß er mit
ſeinem Herrn in Mißverhaͤltniſſe gerathen ſey, daher die
Burg Bagras in die Haͤnde ihres ehemaligen Beſitzers
gern übergeben und feine Wohnung zu Antiochien neh—
men wuͤrde. Boemund ſoll hierauf, als er unter dem
Vorwande, mit der Jagd ſich zu beluſtigen, in Begleitung
ſeiner Gemahlin und ſeines Sohns, bis zu einer Quelle
bey Bagras gekommen war, von dem Armenier, welcher
ihn und ſein Gefolge an jener Quelle mit Speiſe und
Wein reichlich bewirthete, aufs Neue die Zuſage erhalten
haben, daß er ihm die Burg uͤberliefern wuͤrde, falls der
Fuͤrſt am Abende mit einigen Rittern nach Bagras kom—
men wuͤrde. Boemund fand, als er zur verabredeten Zeit
eintraf, das Thor der Burg geoͤffnet; der armeniſche Be—
fehlshaber vertroͤſtete ihn auf den andern Morgen und
hieß ihn, mit ſeiner Gemahlin, ſeinem Sohne und ſeinen
uͤbrigen Begleitern in Ruhe dem Schlafe ſich uͤber—
laffen, In der Nacht aber wurde Leo, welcher in der
Naͤhe ſich verborgen gehalten hatte, benachrichtigt, daß
Boemund zu Bagras war, worauf er ſogleich mit einer
11) Abulfarag, Chron. Syr, p. 401. Ebn al Athir S. 489,
*
8 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI Kap. I.
zahlreichen armeniſchen Schar herankam, den Fürfter
Boemund mit feiner Gemahlin und feinem Sohne in Feffelt
legen ließ, und die Gefangenſchaft feines Bruders Rufinus
an dem Fuͤrſten durch harte Behandlung raͤchte *?), Nach
einer andern Erzählung veranlaßte Boemund ſeine Ge
fangennehmung auf folgende treuloſe Weiſe. Er lud den
Fuͤrſten Leo zur Unterredung an einem Orte ein, welchen
er beſtimmte; und da Leo, in der Beſorgniß, daß ihm
ein ähnliches Schickſal, wie feinem Bruder Rufinus, bevor—
ſtehen moͤchte, zu kommen ſich weigerte: ſo verſprach
Boemund, nur von zehn Mann begleitet, zu erſcheinen.
Dieſes Verſprechen bewog den armeniſchen Fuͤrſten, der
wiederholten Einladung zu folgen; er legte aber zwey—
hundert Reiter und Fußknechte in einen Hinterhalt und
begab ſich, nur von drey Dienern, wovon Einer ein
Horn trug, begleitet, zur Unterredung. Nachdem die
beyden Fuͤrſten einige Zeit mit einander ſich beſprochen
hatten, ſo ließ Boemund den armeniſchen Fuͤrſten feſt—
nehmen, worauf der Diener, welcher das Horn trug,
mit aller Gewalt daſſelbe zu blaſen begann. Sogleich
kamen die armeniſchen Bewaffneten aus ihrem Hinterhalte
herbey, befreyten ihren Herrn, und fuͤhrten dagegen den
wortbruͤchigen Fuͤrſten von Antiochien als Gefangenen Bin;
weg. Der Fuͤrſt Leo fiel hierauf mit ſeiner Heeresmacht
in das Fuͤrſtenthum Antiochien ein, verwuͤſtete das Land
und eroberte mehrere Burgen *).
Boemund wandte aus ſeinem Gefaͤngniſſe ſich an den
Grafen Heinrich mit der Bitte, durch ſeine Vermittlung
re) Abulfar. Chron, Syr. p. 426. Nach dieſem Schriftſteller war der
427. Fürſt Leo damals Vaſall des Fürſten
13) Hugonis Plagon continuatio Boemund. i
historiae belli sacri p. 648. 649.
*
Streitigk. des Fuͤrſt. v. Antiochien m. dem arm. Fuͤrſt. Leo. 9
ihn zu befreyen; Heinrich begab ſich auch ohne Verzug
zu dem Fuͤrſten Leo, welcher ihm entgegen kam und an
der Graͤnze ſeines Landes mit großen Ehren ihn empfing,
und brachte den Vertrag zwiſchen Leo und Boemund un—
ter folgenden Bedingungen zu Stande: der Fuͤrſt Boe—
mund erhielt ſeine Freyheit, ſprach dafuͤr den Fuͤrſten Leo
von der Verbindlichkeit des Leheneides, welchen er fruͤher
von ihm empfangen hatte, los, leiſtete ihm dagegen den
Eid der Treue, und verzichtete auf das Land, welches
während feiner Gefangenſchaft von dem armeniſchen Fürs
ſten war erobert worden. Auch wurde zur Befeſtigung
des Friedens die Vermaͤhlung des aͤlteſten Sohns von
Boemund mit Alix, der Nichte des armeniſchen Fuͤrſten
und Tochter des Prinzen Rufinus, verabredet. Da nun
nach dem Abſchluſſe dieſes Friedens Graf Heinrich im
Begriffe ſtand, nach Ptolemais zuruͤckzukehren, ſo ſoll der
Fuͤrſt Leo alſo zu ihm geredet haben: Gnaͤdiger Herr,
ich habe Landſchaften, Staͤdte und Burgen genug, um
Koͤnig zu ſeyn; auch iſt der Fuͤrſt von Antiochien nun—
mehr mein Lehenmann; bewilligt mir die koͤnigliche Wuͤrde.
Der Graf gewaͤhrte ihm gern ſein Anliegen, und Leo und
ſeine Nachkommen fuͤhrten ſeit dieſer Zeit den koͤniglichen
Zitel: ).
Während der Graf Heinrich in Eilicien die Befreyung
des Fuͤrſten Boemund betrieb, ſandte an ihn der Fuͤrſt
der Ismaeliten oder Aſſaſinen auf dem Libanon und ließ
ihn einladen, ſein Land zu beſuchen; und auf ſeiner
Ruͤckkehr folgte Heinrich dieſer Einladung. Er beſah,
14) Hugo Plagon S. 69. Vgl. Die Krönung des Königs Leo geſchah
Bernard, Thesaurar. C. 181. Abul- im Jahre rigs durch den Erzbiſchof
farag. Chron. Syr. p. 427. Die des Conrad von Mainz. S. das Ende
freyung des Fürſten Boemund fällt dieſes Kapitels.
wahrſcheinlich erſt in das Jahr 1194.
4:
10 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
von dem ismaelitiſchen Fuͤrſten geleitet, alle Schlöffer und
Burgen der Aſſaſinen; und der ismaelitifhe Fuͤrſt fühlte
ſich ſehr geehrt durch den Beſuch eines chriſtlichen Fuͤrſten,
welcher fuͤr einen treuen Freund der Muſelmaͤnner galt,
und ſuchte den Grafen mit allen Eigenthuͤmlichkeiten und
Merkwuͤrdigkeiten ſeines Landes und ſeiner Unterthanen
bekannt zu machen. So kamen ſie an eine mit ſtarker
Beſatzung verſehene Burg, und ſahen an jeder Zinne eines
hohen Thurms dieſer Burg zwey weiß gekleidete Maͤnner
ſtehen. Herr Graf, ſprach der Fuͤrſt der Aſſaſinen, was
meine Leute fuͤr mich thun, geſchieht fuͤr Euch nicht von
den Eurigen. Das mag wohl ſeyn, gab der Graf zur
Antwort. Ploͤtzlich ſtuͤrzten ſich auf den Zuruf ihres Fuͤr—
ſten zwey Maͤnner von einer Zinne herab in das Thal
und fielen zerſchmettert nieder. Daſſelbe, ſagte hierauf
der Fuͤrſt, wuͤrden alle thun, wenn ich es ihnen geboͤte;
der Graf Heinrich bat ihn aber, ſolches nicht zu fordern.
Als der Graf das ismaelitiſche Land verließ, fo gab ihm
der Fuͤrſt das Geleit bis an ſeine Graͤnze, beſchenkte ihn
mit koſtbaren Kleinoden, verſicherte ihn ſeiner beſtaͤndigen
Freundſchaft und bot ihm ſeine Dienſte an gegen alle
Feinde und Widerſacher *°), ö
In den Reichen des Abendlandes hoͤrte man alle
Nachrichten, welche aus dem gelobten Lande von der Lage
der dortigen Chriſten und den Streitigkeiten in dem Ge—
ſchlechte Saladins gebracht wurden, mit großer Theil—
nahme; und viele der Pilger, welche dem letzten großen
Kreuzzuge beygewohnt hatten, und von ihrem Geluͤbde
nicht waren entbunden worden, ſahen in jenen Ereigniſſen
eine dringende Aufforderung zur Wiederholung der Meer—
fahrt. Auch der Papſt Coeleſtin der Dritte, obgleich ein
15) Hugo Plagon S. 630.
Bemühungen des Papſtes Coeleſtin. 11
achtzigjaͤhriger Greis, nahm ſich der Sache des gelobten
Landes mit großem Eifer an und ließ es an dringender
Ermahnung zur Annahme des Kreuzes nicht fehlen. Schon
in dem Briefe, welchen er im Jahre 1193, dem zweyten
Jahre feines Papſtthums, zur Zeit der Ruͤckkehr des Koͤ—
nigs Richard, an die engliſchen Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe
ſchrieb, druͤckte er die Hoffnung aus, daß durch einen
neuen Kreuzzug die Schande des Mißlingens der vorigen,
allgemeinen Bewaffnung der Chriſten für das gelobte Land
würde getilgt werden koͤnnen, wenn die vielfältigen Süns
den, welche den letzten Kreuzfaͤhrern die Ungnade Gottes
zugezogen haͤtten, vermieden, und die innern Streitigkei—
ten der chriſtlichen Voͤlker und Fuͤrſten, von welchen alles
Ungluͤck der vorigen Wallfahrten ausgegangen waͤre, durch
kraͤftige Mittel unterdruͤckt wuͤrden. Coeleſtin forderte alſo
alle Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe der chriſtlichen Kirche auf,
mit ihm gemeinſchaftlich jede Stoͤrung des Friedens durch
Bann und Interdict zu ſtrafen; und, indem er die Turs
niere und andre Luſtkaͤmpfe ernſtlichſt unterſagte, wies er
diejenigen, welche in den Waffen ſich zu uͤben berufen
waͤren, nach dem gelobten Lande, wo im heilſamen
Kampfe die Kraft des Koͤrpers und der Seele erprobt
werden koͤnnte ). Im Januar *) des Jahrs 1196 gab
er dem Erzbiſchof Hubert von Canterbury, als Legaten des
apoſtoliſchen Stuhls, den Auftrag, diejenigen, welche das
Kreuz genommen hatten, durch Androhung kirchlicher Stra—
fen zur baldigen Erfüllung ihres Geluͤbdes anzuhalten;
auch machte Coeleſtin den Bekreuzten, welche durch koͤrper⸗
liche Schwäche unfaͤhig waͤren, die Meerfahrt zu unter;
nehmen, es zur Pflicht, nach Maßgabe ihres Vermoͤgens
16) Roger, de Hov. fol, 411. 17) Secundo idus Januaxii. Roger.
412, de Hov, Fol. 434 B.
12 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J.
und nach der Beſtimmung des Legaten Einen oder mehrere
tuͤchtige Stellvertreter nach dem heiligen Lande zu ſenden,
und daſelbſt Ein Jahr oder länger im Dienſte des Herrn
zu unterhalten. In Folge dieſes Auftrages ermahnte der
Erzbiſchof Hubert dringend die engliſchen Praͤlaten, das
Werk Gottes nach dem Willen des apoſtoliſchen Biſchofs
zu foͤrdern, und, indem er ihnen das paͤpſtliche Schreiben
mittheilte, gebot er, daß diejenigen, welche das Kreuz
abgelegt hätten, durch die Androhung des Banns und
der Ausſchließung von der Gemeinſchaft der Kirche gr
noͤthigt werden ſollten, vor dem naͤchſten Charfreytage
das Zeichen ihres Geluͤbdes wieder zu nehmen.
Obgleich Coeleſtin alle von ſeinen Vorfahren den
Kreuzfahrern bewilligten Vorrechte erneuete, denen, welche
zum Kampfe fuͤr den Heiland wider die Saracenen nach
dem gelobten Lande ſich begeben wuͤrden, Vergebung ihrer
Suͤnden, Erlaſſung der ihnen aufgelegten Bußen und die
ewige Seligkeit verhieß, fie wegen ihrer etwaigen Schul
den gegen ihre Glaͤubiger in Schutz nahm, und ihre Guͤter
und Beſitzungen unter die Obhut des apoſtoliſchen Stuhls
und aller Praͤlaten der katholiſchen Kirche ſtellte *): fo
blieben doch ſeine Ermahnungen ſowohl als die Bemuͤ—
hungen der Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe, welche er aufgefor—
dert hatte, die heilige Sache des Kreuzes zu befoͤrdern,
in England ohne große Wirkung. Der Koͤnig Richard
hinderte zwar die Thaͤtigkeit ſeiner Praͤlaten fuͤr das hei—
lige Land nicht; vielmehr ermahnte er ſelbſt ſeine Ritter
zur Annahme des Kreuzes **). Da er aber ſelbſt keine
18) Matth. Paris, historia Angli- welche der König Richard feine Rit⸗
cana major (ed. Wats, Lond. 1686 ter zur Annahme des Kreuzes (ram
fol.) ad a, 1196. p. 150. pro ipsius Regis salute, quam ec-
19) Matthaeus Paris (S. 150. 151) clesiae promotione et propriarum
tbeilt eine Erzählung mit, durch anuimarum salute) zu bewegen ſuchte,
* |
Der Eifer d. Kaiſers Heinrich VI. für d. heil. Land. 13
Luſt bewies, ſeine fruͤhere Zuſage wegen einer zweyten
Kreuzfahrt zu erfüllen 2°): fo hatte auch fein Zureden bey
der engliſchen Ritterſchaft keinen Erfolg.
Dagegen fanden die Ermahnungen zur Bewaffnung 23 Sr
fuͤr das heilige Grab damals wieder großen Eingang bey
den Deutſchen, obwohl die bisherigen großen Kreuzfahr—
ten fuͤr ſie nicht minder verderblich geweſen waren, als
für die Franzoſen und Engländer 2). Dem ruhmſuͤchti—
gen Kaiſer Heinrich dem Sechsten war jede Unternehmung,
welche eine Verherrlichung feiner Regierung verhieß, ans
genehm. Dazu kam, daß Heinrich durch die eifrige Be—
foͤrderung der Kreuzfahrt nicht nur die habſuͤchtige Er—
preſſung, welche er gegen den Koͤnig Richard geuͤbt hatte,
wieder gut zu machen, ſondern auch den noch immer auf ihm
laſtenden paͤpſtlichen Bann zu vereiteln hoffte. Auch ſchien
der verwirrte Zuſtand des von Saladin gegruͤndeten Reiches
einer damaligen Kreuzfahrt ein beſſeres Gelingen zu ver—
heißen, als den frühern Unternehmungen der abendläns
diſchen Chriſten zur Wiedereroberung des heiligen Grabes,
alſo daß man die Wiedereroberung ſelbſt der heil. Stadt
Jeruſalem fuͤr moͤglich halten durfte. Der Kaiſer Heinrich
nämlich von dem reichen uud geizigen
venetianiſchen Bürger Vitalis, wel—
cher ſeine Rettung aus einer Löwen—
grube, in welche er auf der Jagd ge⸗
fallen war, ſeinem Retter, dem armen
Sylvanus, mit Undank vergalt.
20) „Gex Richardus) de rever -
sione in Syriam, cui se inde re-
diens devoverat, nihil vel tepide
cogitans.“ Guil, Neubrig, V, 27.
21) Wie groß die Theilnahme an
den Angelegenheiten des gelobten
Landes in Deutſchland zur Zeit der
Kreuzfahrt Friedrichs I. war, beweiſt
des von Ruge Lied vom heiligen
Grabe, welches Docen mitgetheilt
hat (in Schelling's Zeitſchrift von
Deutſchen für Deutſche Th. 1. S. 432
folg.) und welches erſt gedichtet wurde:
„nachdem Gott ſein Gebot an dem
Kaiſer Friedrich erfüllt hatte.“ Gleich⸗
wohl ermuntert der Dichter ſeine
Zeltgenoſſen, das Kreuz zu nehmen,
indem er beſonders die Seligkeit der
Pilger preiſet, welche im Kampfe den
Tod finden und ihren Sitz bey Gott
erhalten.
J. Chr.
1195.
14 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI Kap. I.
befoͤrderte alſo mit großem Eifer die Bemuͤhungen des
Papſtes Coeleſtin für das heilige Land 22) und gewährte
ſogar die Hoffnung, daß er ſelbſt das Kreuz nehmen und
an die Spitze des Pilgerheeres ſich ſtellen wuͤrde. Auf
einem zu Bari, am Oſterfeſte des Jahrs 1195, gehaltenen
feyerlichen Hoftage machte er ſich verbindlich, auf eigene
Koſten funfzehnhundert Ritter und eben fo viele Knappen,
vom Maͤrz des naͤchſten Jahres an, Ein ganzes Jahr fuͤr
den Dienſt des gelobten Landes zu unterhalten und jeden
Ritter, wenn er das Schiff zur Fahrt nach dem Morgen—
lande beſtiege, mit dreyßig Unzen Goldes und fuͤr ein
ganzes Jahr hinreichenden Mundvorraͤthen zu verſehen.
Die in den Sold des Kaiſers tretenden Kreuzritter und
Knappen ſollten aber ſchwoͤren, denjenigen, welchen er
ihnen zum Anfuͤhrer beſtellen wuͤrde, als ihr Oberhaupt
anzuerkennen, demſelben in allen Dingen Gehorſam zu
leiſten, und ein ganzes Jahr in dem Dienſte des gelobten
Landes auszuharren. Auch ſollte es ihnen nicht frey
ſtehen, im Falle ihres Todes waͤhrend ihrer Kreuzfahrt
uͤber ihren Nachlaß an Geld und Vorraͤthen zu verfuͤgen;
ſondern die Verfuͤgung über ihre Nachlaſſenſchaft ſollte
zum Vortheile derer, welche an ihre Stelle ſich wuͤrden
werben laſſen, den Fuͤhrern des Kreuzheers zuſtehen. In—
dem Heinrich von dieſen Entſchließungen den ſaͤmmtlichen
Erzbiſchoͤfen und uͤbrigen Praͤlaten Nachricht gab, forderte
er ſie auf, ſeine und des Papſtes Bemuͤhungen fuͤr das
gelobte Land mit allen Kraͤften zu befoͤrdern, und ſeinen
kaiſerlichen Willen in ihren Sprengeln allen Rittern und
achtbaren Männern kund zu thun ?°),
22) „Qui licet publice cruce kfuisse signatum, non ambigimus.““
signatus non fuerit, per viscera Arnold. Lubec, V, 1. p. 703,
misericordiae spiritualiter tamen 23) Ep. Heinrici (data apud Tra-
**
Ic dr 4 8
2 *
. m
Der Eifer d. Kaiſers Heinrich VI. fuͤr d. heil. Land. 15
Als bald hernach der Papſt Coeleſtin zwey Cardinäle
ausgeſandt hatte, um in Frankreich und ſonſt uͤberall das
Kreuz zu predigen ?*): fo nahm Kaiſer Heinrich den Cars
dinal Gregor, welcher ihm zu Strasburg ein paͤpſtliches
Schreiben in der Angelegenheit des gelobten Landes uͤber—
reichte, mit allen Ehren auf und erneute die Zuſage thaͤtiger
Theilnahme an der Kreuzfahrt. Auch ertheilte er noch
von Strasburg aus dem Reichskanzler und Biſchof von
Würzburg Conrad, welcher damals in Apulien die kaiſer—
lichen Angelegenheiten beſorgte, den Auftrag, zum Behuf
der Kreuzfahrt, welche im naͤchſten Jahre vollzogen wer—
den ſollte, Gold, Schiffe, Wein, Getreide und was
ſonſt das heilige Unternehmen foͤrdern koͤnnte, zuſammen
zu bringen 25).
Dieſer Eifer des Kaiſers Heinrich fuͤr das heilige
Land verſchaffte den damaligen Kreuzpredigten großen
Eingang bey den Fuͤrſten, Rittern und dem Volke in
Deutſchland. In den Verſammlungen der deutſchen Fuͤr—
ſten, welche zu Gelnhauſen und von dem letzten Tage des
Novembers an zu Worms gehalten wurden 25), nahmen
viele der Anweſenden das Kreuz; zu Worns ſaß waͤhrend
acht Tage der Kaiſer ſelbſt mit dem paͤpſtlichen Legaten, dem
Cardinal Gregor, taͤglich mehrere Stunden in der Dom—
kirche, zur Annahme des Kreuzes ermahnend; und viele
beredte und fromme Maͤnner unterſtuͤtzten die Ermahnung
des Kaiſers und des Cardinal-Legaten durch Wort und
num II Id. April.) bey Godefrid Chron. Admontense in Pez Script.
Mon, ad a. 1195 (in Freheri Script. Austr. T. II. p. 192 ad a. 1194. Vgl.
rer. Germ. Tom. I.) p. 360. Chron, Augustense (in Freheri
ag) Godekr, Mon, I. « Script. rer, Germ. ed, Struve T. I.)
ad a. 1195 p. 515; wo der zu Geln⸗
25) Arnold. Lubec, I. o. haufen geſchehenen Beſprechung ge:
26) Guil. Neubrig. V. 23 (20), dacht wird.
*.
J. Chr.
1195.
*
16 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
ehr That 27), Es nahmen nach und nach das Kreuz die
Erzbiſchoͤfe Conrad von Mainz und Hartwich von Bremen;
die Biſchoͤfe von Halberſtadt, Zeiz, Verden, Wuͤrzburg,
Paſſau und Regensburg; die Herzoge von Oeſtreich,
Kaͤrnthen und Brabant; Walram, Graf von Limburg,
der Bruder des Herzogs von Brabant, der Pfalzgraf
Heinrich am Rhein, Sohn des Herzogs Heinrich des Eis
wen, der Landgraf Hermann von Thüringen, der Marks
graf Otto von Brandenburg, der Graf Adolf von Holſtein
und Schaumburg, der Marſchall Heinrich von Kelten
und viele andere Grafen und Herren, von welchen viele
ſchon an der großen Wallfahrt unter dem Kaiſer Friedrich
Rothbart Theil genommen hatten. Der Kaiſer Heinrich
war nicht abgeneigt, zu Worms auch fuͤr ſeine Perſon
das Kreuz aus den Haͤnden des paͤpſtlichen Legaten zu
empfangen; es wurde ihm aber vorgeſtellt, daß es der
heiligen Unternehmung foͤrderlicher ſeyn wuͤrde, wenn er
im Reiche bliebe und fuͤr die Nachſendung von Vor-
raͤthen und die Verſtaͤrkung des Pilgerheers durch neue
Mannſchaft Sorge truͤge 25). Bald hernach begab ſich
der Kaiſer nach Apulien, um dort die von dem Reichs—
kanzler Conrad, welcher ebenfalls die Kreuzfahrt gelobt
hatte, eingeleiteten Anordnungen zur Vollziehung der
Meerfahrt zu beſchleunigen. Die Fuͤrſten aber, welche
dem Heilande ſich geweiht hatten, nahmen in ihre Hei—
27) Guil. Neubrig. I. c. „circa
solemnitatem beati Andreae Apo-
stoli.“ (30. Nov.)
28) Arnold, Lubec. I. c. Otton.
de St. Blas. chron. c. 42. Chron.
Ursperg. (Argentor. 160g fol.) p. 132.
133. Historia terrae sanctae (in
Eccardi Corp. hist. medii aevi
T. II.) p. 1334. Oliverii Scholastici
historia regum terrae sanctae (eben-
daf.) p. 1394. 1395. Godefr, Mon.
p. 360. Auch der Biſchof Heinrich
von, Prag nahm das Kreuz, wurde
aber an der Ausführung ſeines Ge—
lübdes durch den Tod gehindert.
Pulkawae Chron, (in Dobneri Mo-
numentis historicis Boemiae T. III.)
p. 202.
Der Kreuzzug der Deutſchen. 17
math das Ermahnungsſchreiben des Legaten, welches ſie 1g.
uͤberall vorleſen ließen; und das Beyſpiel des Eifers
der Fuͤrſten fuͤr das heilige Land ermunterte unzaͤhlige
aus der Ritterſchaft und dem Volke, vorzuͤglich in Loth⸗
ringen, Schwaben und Sachſen, zur Nachfolge. In der
Stadt Luͤbeck allein weihten ſich ungefaͤhr vierhundert
kraftige Männer dem Dienſte des Heilandes 29). Ueberall
ruͤſteten ſich die deutſchen Pilger mit Vertrauen und
freudiger Zuverſicht zur baldigen Ausführung der gefahr⸗
vollen Unternehmung und brachten der heiligen Sache,
für welche ſie ſich bewaffneten, nicht geringe Opfer 39).
Wenn auch manche derer, welche durch das Zureden I, Chr.
des Kaiſers und den Eifer der damaligen Kreuzprediger |
bewogen waren, das Gelübde der Kreuzfahrt abzulegen,
in der Folge durch die Erinnerung an die unfäglichen
Muͤhſeligkeiten und Gefahren, welche alle fruͤhern Kreuz-
fahrer beſtanden hatten, in ihrem Entſchluſſe wankend
wurden, und die Vollbringung ihres Geluͤbdes unter
mancherley Vorwaͤnden verzoͤgerten s), und der Mark—
graf Otto von Brandenburg durch den Papſt ſelbſt von
feinem Geluͤbde entbunden wurde 32): fo war doch noch
29) Arnold. Lubec. p. 704. Auctar.
Aquicinct. (in Fistor. Script. rer.
Germ. T. I.) p. 100g.
30) So verpfändete der Pfalzgraf
Heinrich den drey Grafen Heinrich,
Albert und Gottfried von Sponheim
am 27. Mai 1197 (VI Kal. Jun.) zum
Behufe feiner Ausrüſtung zur Kreuz—
fahrt für 650 Mark die gräflichen
Rechte (Comitiam) in Mainfeld, ſo
wie für 550 Mark die Dörfer Engel
ſtatt und Hedenesheim, und für 100
Mark das Dorf Sickenbach. Vgl.
Scheidii oxigines guelf. T. III. p. 192.
V. Band.
31) Der Herzog von Brabant oder
Lothringen forderte in einem Schrei⸗
ben, welches er aus dem gelobten
Lande erließ, den Erzbiſchof Adolf
von Cöln auf, in. feinem Sprenges
diejenigen, welche das Kreuz genom:
men hätten und mit der Vollbrin⸗
gung ihres Gelübdes zögerten, zur
Antretung der Meerfahrt anzuhalten
(ut signatos in vestro Archiepisco-
patu ad persolvendum vota sua et
succurrendum Christianitati com-
pellatis). Godefr. p. 368. N
32) Arnold, Lubec. Lib. V. 2. p. 705,
B
J. Chr.
1197.
18 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
immer die Zahl der deutſchen bewaffneten Pilger ſehr bes
traͤchtlich ss). Im Fruͤhlinge und Sommer des Jahres 1197
zogen ſie theils, wie der Kanzler Conrad mit den Pilgern
aus Franken und den Rheinlaͤndern, der Herzog Friedrich
von Oeſtreich und andere, zu Lande nach Italien, um
aus den apuliſchen Haͤfen nach dem gelobten Lande zu
kommen; theils waͤhlten fie, wle der Erzbiſchof Hart⸗
wich von Bremen und andere norddeutſche Pilger, die
Seefahrt durch die Meerenge von Gibraltar ). Vier
und vierzig mit Pilgern angefuͤllte Schiffe landeten in
dem Hafen von Meſſina nach gluͤcklicher Fahrt und glor⸗
reicher Bekaͤmpfung der Saracenen in Portugals). Ueber⸗
haupt begann dieſe Pilgerſchaft ſehr gluͤcklich; auch den
Pilgern, welche zu Lande nach Italien kamen, begegnete
kein Unfall. Die Kreuzfahrer fanden in Apulien, vors
nehmlich in der Gegend von Benevent, anfangs freundliche
Aufnahme und einen reichlich verſehenen Markt der Lebens—
mittel; erſt ſpaͤterhin erregte ihre große Zahl, vielleicht
auch ihr rauhes und ſtolzes Betragen, bey den Einwohnern
den Verdacht, daß die Kreuzfahrer, anſtatt ihre Waffen
im Kampfe fuͤr den Heiland zu gebrauchen, nicht abgeneigt
ſeyn möchten, dem Kaiſer Heinrich zur Unterdruͤckung der
Rechte und Freyheiten des Reiches beyder Sicilien zu dienen
33) In der Chronik des Hermann
Corner (Eccardi Corp, hist. medii
aevi T. II. p. 808) wird ihre Zaht
zu 189% 00 angegeben. Der Kanzler
Konrad zog ſchon im Frühling nach
Italien, der Herzog Friedrich von
Oeſtreich im Sommer. Letzterer war
mit Heinrich, einem erlauchten Herrn
aus Oeſtreich, wie er in einem Briefe
des Kaifers Heinrich VI. heißt (in-
stris Dominus Austriae), am 9. Jul.
M
Garstensis in Hansizii Germania
sacra T. I. p. 343. Ludwig Reli -
quiae msstorum T. XI. p. 602.
54) Alberti Stadensis Chronicon
(in Schilteri Scriptoribus rer. Germ.
Argentor. 1702 fol.) p. 298.
35) Sie eroberten die Stadt Liſſa⸗
bon (Silviam), zerſtörten fie aber,
damit ſie nicht aufs Neue in die Ge⸗
walt der Saracenen gerathen möchte.
Rog. de Hov. fol. 439 A.
Der Kreuzzug der Deutſchen. 19
und a Lande zu pluͤndern. Die Aeußerungen dieſes 117.
Verdachtes waren den deutſchen Pilgern ſo kraͤnkend, daß
viele ſchon mit ſich zu Rathe gingen, ob ſie nicht ihr Ges
luͤbde aufgeben und in ihre Heimath zuruͤckkehren ſollten.
Die Verzeihung aber, welche nach vollzogener grauſamer
Strafe an den Anſtiftern der apuliſchen Unruhen der
Kaiſer auf dem Hoftage zu Palermo fuͤr die uͤbrigen
Theilnehmer ausſprach, beruhigte die Gemuͤther der Apu—
lier und Sicilianer; und die deutſchen Pilger, als fie
von den Italienern nicht mehr mit Argwohn behandelt
wurden, blieben ihrem Geluͤbde getreu, und vereinigten
ſich mit den ſchon in Sicilien befindlichen Pilgern.
Der Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein,
welcher den uͤbrigen Pilgern in dle italieniſchen Laͤnder
des Kaifers vorangegangen war, freute ſich ſehr der Ans
kunft einer fo großen Zahl kampfluſtiger deutſcher Kreuz
fahrer, ging den Ankommenden entgegen, und begruͤßte
ſie freundlich in dem fremden Lande; auch der Kaiſer
freute ſich der großen Zahl der deutſchen Kreuzfahrer,
welche ſein Eifer fuͤr das heilige Land bewogen hatte,
dem Dienſte des Heilandes ſich zu weihen. Heinrich hatte
zur unterſtützung der Pilger große Geldſummen zuſammen
gebracht, welche er dem Reichskanzler Conrad zur Ver⸗
wendung anvertraute; und auch der wohlhabende Kanzler,
deſſen ſilbernes und goldenes Tiſchgeraͤth, welches er mit
ſich fuͤhrte, zu tauſend Mark Silbers geſchaͤtzt wurde,
brachte ſein Vermoͤgen dem heiligen Lande zum Opfer.
Durch die reichliche Belohnung, welche unter dieſen Um—
ſtaͤnden die Kreuzfahrer hoffen durften, fo wie die freu⸗
dige Zuverſicht, welche die ankommenden Pilger belebte,
wurden viele, ſowohl der Hausritter des Kaiſers, als der
Krieger, welche der Kaiſer aus Schwaben, Baiern und
. B 2
20 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
2 2 Franken zur Daͤmpfung der apuliſchen Unruhen nach Ita—
lien geſandt hatte, bewogen, nach dem Beyſpiele des
Kanzlers, das Kreuz zu nehmen. Für Schiffe zur weitern
Fahrt ſo zahlreicher Pilger nach Syrien war von dem
Kaiſer und dem Kanzler geſorgt worden 85). Den Befehl
uͤber dieſes Pilgerheer uͤbertrug der Kalſer Heinrich vor—
laͤufig dem Erzbiſchofe Conrad bon Malnz 5).
Nachdem ſchon manche einzelne Schiffe vorangegangen
waren, ſo beließ erſt am Tage des heiligen Aegidius,
dem erſten September des Jahrs 1197, die Flotte der
Pilger den Hafen von Meſſina und landete nach glück
licher Fahrt am 22. September, dem Feſte des heiligen
Mauritius, in dem Hafen von Ptolemais. Der Reichs—
kanzler Conrad aber, der Graf Adolf von Schaumburg
und Holſtein und andere deutſche Pilger verweilten einige
Zeit in Cypern, wo der Kanzler dem Koͤnige Amalrich,
welcher ſeinem Bruder Veit nachgefolgt war, die Krone
aufſetzte, welche der Kaiſer Heinrich dem Koͤnige von
Cypern überſandte; die Pilger wurden in Cypern hoch
geehrt, und ſowohl der Kanzler, als ſeine Begleiter, jeder
ſeinem Stande gemaͤß, von dem Koͤnige Amalrich mit
Geſchenken erfreut ?). Dieſe Pilger kamen alſo erſt fps
ter nach dem gelobten Lande.
+ ige
22. Sept.
36) Arnold. Lubec. Lib. V, 2. p. 724.
706. Nach der Angabe des Otto von
St. Blaſien (Chron. c. 40.) ſtelite
der Kaiſer Heinrich für die Kreuz⸗
fahrt nur fünfhundert von ihm be⸗
ſoldete Ritter ſtatt der früher ver⸗
ſprochenen funfzehnhundert (ſ. oben
S. 14).
37) Wahrſcheinlich nur für die Zelt
der Fahrt nach dem gelobten Lande.
Bgl. Auctar, Aquicinct. p. 1008.
Nach dem Berichte des Eon al Athik
(Michaud bibliographie des Croisa-
des T. II.) S. 333 führte dieſe Pilger ein
Prieſter mit Namen Hosker (Hasker)
oder Haudeker. Nach Abulfaradſch
(Chron. Syr. p. 450 war der Kanzler
Konrad der Anführer. %
38) Arnold. Lubec. p. 705. Nach
dieſem Schriftſteller erkannte Amalrich
bis zu ſeiner Krönung die Hoheit des
byzantiniſchen Kalſers an (was aber
Der Kreuzzug der Deutſchen.
21
Zu den deutſchen Pilgern, welche damals nach Sys
rien ſich begaben, hatte auch die Königin Margarethe
von Ungarn, des Koͤnigs Philipp von Frankreich Schwe⸗
ſter, ſich geſellt, welche, da ihr Gemahl, der Koͤnig Bela
der Dritte, im J. 1196 zu der Zeit, als das Kreuz in
Deutſchland gepredigt wurde, ſtarb, ihr Witthum ver⸗
kaufte, um Ritter fuͤr den Dienſt des heiligen Landes in
Sold nehmen und nach Paläftina führen zu koͤnnen; ſie
ſtarb aber ſchon am achten Tage nach ihrer Ankunft zu
doch wohl nicht im ganz ſtrengen
Sinne der Fall war) und achtete ſich
erſt, nachdem er die Krone empfangen
hatte, als König von Cypern. Arnold
berichtet bey dieſer Gelegenheit, daß
der Kanzler während der Pilgerfahrt
die biſchöfliche Würde erlangte: „Ipse
Cancellarius in eadem profectione
(wie es ſcheint, noch in Sicilien)
ordinatus Sacerdos et Episcopus.“
Daß er vor ſeiner Ernennung zum
Bifchofe von Würzburg dem Bis⸗
thume Lübeck vorgeſtanden, Biſchof
von Hilbesheim aber nur während
Eines Jahrs geweſen ſey, erzählen
andere Chroniken (z. B. Chron. Ep.
Hildes! in Leibnit, Script. Brunsv.
T. I. p. 794). Von dem Capttet zu
Würzburg wurde er, nach dem Tode
des Biſchofs Gottfried II., im J. 1198,
alſo während ſeiner Kreuzfahrt, zum
Biſchofe poſtulirt (ogl. J. P. Ludwig
Geſchichtſchreiber von dem Bisthume
Würzburg, Frankf. #713. Fol. S. 539),
und brachte ſich dadurch, daß er ohne
päpſtliche Senehmigung dem Bisthume
Hildesheim den biſchöflichen Sitz von
Würzburg vorzog, weil ſeiner Eitelkeit
die herzogliche Würde von Franken,
welche mit letzterm verbunden war,
ſchmeichelte, in heftigen Streit mit In⸗
nocenz dem Dritten, dem Nachfolger
des Papſtes Coeleſtin. Ep. Innocent
tii III. Lib. I. ep. 335. 874. UI. 54.165.
901. 204. 216. Früher (nämlich ſchon
im J. 1183) ernannte ihn der Kalſer
Friedrich I. zum Biſchof von Lübeck,
und der Erzbiſchof von Bremen er:
theilte ihm die Beſtätigung; Conrad
nahm aber die biſchöfliche Weihe
nicht, und verzichtete auf das Bis⸗
thum, weil der Graf Adolf von Hol⸗
ſtein und Schaumburg ſein Feind
war (Chron. Lubec. in Meibomii
Scriptores rer. Germ. Tom. II.
p. 396). Ob er zum wirklichen Be
fine "des, Bisthums Hildesheim ges
langte, ſcheint zweifelhaft zu ſeyn;
denn die Zeit feiner dortigen Wahl
fäut in die Zeit feiner Kreuzfahrt, in
das Jahr 1197. Indeß die magde:
burgiſche Schöppenchronik (Manu⸗
ſeript der königl. Bibliothek zu Ber⸗
J. Chr.
1107.
lin, Ms. ber. fol. 171 a) ſagt bey dem
Jahre 1198 und bey Gelegenheit des
Hoftages zu Magdeburg am Weih⸗
nachtfeſte, welchen der Kanzler ord—
nete: „De bisschop van hildensem
was do Kentzeler.““ Conrad war
übrigens aus dem fränkiſchen Ge—
ſchlechte der Freyherren von Rabens—
purg, oder, nach andern Nachrichten,
ein Herr von Querfurt. Vgl. Lud—
wig a. g. O.
22 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
3,89%. Tyrus, nachdem ſie den Grafen Heinrich von Champagne,
ihren Schweſterſohn, zum Erben ar beer baer eee
laſſes eingeſetzt hatte nie renn mod
Im Mo: enlande fanden die deutſchen Kreuzfahrer
nicht die nahme. melde, fi ie erwartet hatten. Dieſe
Täuſchung ihrer Erwartung veranlaßten ſie aber ſelbſt
durch ihr unberſtändiges Benehmen. Obwohl ihre Tapfer⸗
keit und treue Ergebenheit gegen ihre Anfuͤhrer alles Lob
verdiente, und ihr verſchwenderiſcher Aufwand ſie den
Einwohnern von Syrien angenehm machen konnte: ſo er⸗
regten gleichwohl ihr Trotz und Eigenſinn, indem ſie ihren
Willen als Geſetz geltend machen, wollten „ihr Mißtrauen
gegen Jeden, welcher nicht Deutſcher war, und ihre Haͤrte
und Grauſamkeit die heftigſte Unzufriedenheit e ra; |
abendlaͤndiſchen Fuͤrſten in Syrien war ohnehin die Ans
kunft eines ſo zahlreichen, bloß aus deutſchen Kreuzfahrern
beſtehenden Heers nicht angenehm, „ weil fie fuͤrchteten, in
eine ihnen laͤſtige Abhaͤngigkeit von dem deutſchen Kaiſer
zu gerathen.
Die einzelnen deutſchen pilger, welche fruͤher als die
große Flotte nach Syrien kamen, nach Gelegenheit, ihre
Tapferkeit an den Saracenen zu erweiſen, begierig, kuͤn—
digten ſogleich nach ihrer Ankunft den Tuͤrken den, von
dem Koͤnige Richard geſchloſſenen und bis dahin verlaͤn⸗
gerten, Waffenſtillſtand auf und begannen die Feindſelig⸗
keiten; zuerſt Walram, der Bruder des Herzogs von
39) Hugo Plagon p. 643. Vincen- tes, voluntatem pro jure habentes,
tii Bellovacensis speculum histo- ensibus invicti, in nullis nisi ho-
riale Lib. XXIX. cap. 39. minibus suae gentis confidentes,
2 dueibus suis Adelissimi, et quibus
40) „Alemanni in terram promis-_ vitam potius quam fidem possis au-
rionis venerunt, bellicosi, crudeles, ferre.“ Thron. Ursp. p. 132. Hist.
expo usarum prodigi, rationis exper- terrae sanctae ap, Eccard, p. 1564.
— —
Der Kreuzzug der Deutſchen. 23
Brabant, welcher fruͤher als die übrigen Pilger mit ſei—
—
nen Leuten nach dem gelobten Lande gekommen war. Die
J. Chr.
1197.
kalte Aufnahme, welche dleſe Pilger bey dem Grafen
Heinrich und den von der fruͤhern großen Wallfahrt zu
Ptolemais zuruͤckgebliebenen engliſchen, franzoͤſiſchen und
italieniſchen Kreuzfahrern fanden, war ſicherlich nicht ohne
Antheil an dieſem raſchen Entſchluſſe, indem ſie dadurch
Achtung zu erzwingen hofften. Auch war ihnen die, Vers
traulichkeit, in welcher die Templer und Hofpitaliter „jo
wie die Barone von Syrien mit den Unglaͤubigen damals
ſtanden, aͤrgerlich; ſo daß es den Pilgern raͤthlicher fehlen,
gänzlich für ſich zu handeln und aller Gemeinſchaft, mit
den Ritterorden ſowohl als den Baronen, zu entfagen
Walram veranlaßte aber dadurch, daß er zur Unzeit den
Krieg leichtſinnig begann, einen großen Verluſt fuͤr die
chriſtliche Herrſchaft in Syrien, und den Untergang einer
nicht geringen Zahl feiner Waffenbruͤder h).
Nach der Aufkuͤndigung des Waffenſtillſtandes durch
die Chriſten ſaͤumte Malek al Adel nicht, ſowohl ſeinen
Neffen Malek al Aziz, den Sultan von Aegypten, als
die muſelmaͤnniſchen Fuͤrſten jenſeit des Euphrats zum
heiligen Kriege aufzufordern; und beſtimmte ihnen zum
Sammelplatz die Gegend von Ain Dſchalut, unſern von
der aͤgyptiſchen Graͤnze 2). Dieſer Aufforderung zufolge
ſammelten ſich dort ſchon nach der Mitte des Monats
41) Otto de St. Blas. chron. C. 42.
Chron, Ursp. I. c. Roger. de Hov.
fol. 439 a.
42) Ebn al Athir (bey Michaud)
S. 534. Des Ortes Ain Dfchalut ge:
ſchieht noch Erwähnung in de Gui-
gnes Histoire des Huns. T. IV. p. I4Ar,
wo aus der dort mitgetheilten Erzäh⸗
lung des Abulmahaſen hervorgeht,
daß er an dem Wege von der ägyptl⸗
ſchen Gränze nach Cäſarea lag,
wahrſcheinlich dicht bey Gaza; denn
Abulfeda (Annal. mosl. T. IV. p. 162)
giebt als Sammelplatz des mufel:
männiſchen Heers Tell alodschul oder
den Kälberhügel, eine Anhöhe bey
Gaza, an (vgl. Annal. mosl. T. IV.
P. 540).
3
1b»
a
24 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J.
220%. Julius 1197 die muſelmaͤnniſchen Scharen; und im fol
Augun genden Monate, als Malek al Adel das Heer für Hins
reichend zahlreich achtete zum Kampfe wider die Kreuz⸗
fahrer, fuͤhrte er es gegen Joppe 3). Die deutſchen
Wallfahrer, welche in dieſer Stadt ſich befanden, da die
erwuͤnſchte Gelegenheit zum Kampfe wider die Heiden er⸗
ſchien, zogen den Feinden zwar muthig entgegen und
begannen den Streit; aber ihre Zahl war zu gering, um
den Sieg erringen zu koͤnnen, fo daß fie gezwungen wur
den, nach hartem Kampfe die Flucht zu ergreifen. Als
fie aber an das Thor von Joppe kamen, heftig verfolgt
von den Unglaͤubigen, fanden ſie es verſchloſſen; und
die in der Stadt zuruͤckgebliebenen Kreuzfahrer, in der
Beſorgniß, daß die Heiden die Gelegenheit benutzen moͤch⸗
ten, der Stadt ſich zu bemaͤchtigen, oͤffneten das Thor
nicht, ſondern gaben ihre muthigern Waffenbruͤder, welche
den Kampf gegen die Unglaͤubigen gewagt hatten, den
feindlichen Schwertern preis; ſie befreyten aber dadurch
gleichwohl die Stadt Joppe nicht von dem grauſamen
Schickſale der Eroberung und Pluͤnderung durch die Tuͤrken.
So wie vor den Thoren von Joppe nur deutſche Walk
fahrer erſchlagen wurden, ſo waren es auch innerhalb der
Stadt meiſtens deutſche Pilger, welche das Schwert der
Tuͤrken traf; und dadurch wurde, ſowohl unter den da—
maligen Pilgern als auch in Deutſchland der Verdacht
geſtaͤrkt, als ob die engliſchen und italieniſchen Pilger,
welche zu Joppe waren, durch ſchaͤndliche Verraͤtherey das
Ungluͤck angeſtiftet haͤtten, welches doch nur durch die
43) „Ils y restérent pendant le J. 393 fiel auf den 17. Jul. 1197, und
mois de rämadhan et une partie du der erſte Schawal deſſelben Jahres
mois de schowal.““ Ebn al Athir auf den 17. Auguſt 1197.
3. a. O. Der erſte Ramadan des 74 600 An
8
m
Doe Kreuzzug den en iche bsh 2’
eigene: Unbefonnenheit der deutſchen Pilger war veranlaßt u] 3, Chr.
worden. Ohnehin retteten die: übrigen‘ Pilger in Joppe
zwar ihr Leben, aber nicht ihr Eigenthum *). Malek al
Adel aber, nachdem er zuerſt der Stadt Joppe ſich bes
maͤchtigt, dann auch die dortige Burg im Sturm erobert
hatte, ließ die Burg ſchleifen und die Steine der zer⸗
fiörten Mauern und Gebaͤude in das Meer werfen ).
Der Graf Heinrich würde auf die Unternehmungen
des Sultans Malek al Adel erſt dann aufmerkſam, als
* Arnold. Lubec. Ca. a. 9.) ‚
welcher die Plünderung des Eigen:
thums dieſer Pilger durch die Türken,
als die gerechte Strafe der von ihnen
verübten Verrätherey betrachtet.
ger von Hoveden giebt die Zahl der
zu Joppe erſchlagenen Wallfahrer zu
mehr als 20000 an. Otto von St.
Blaſien (e. 42.) ſpricht ebenfalls ganz
unumwunden die Beſchuldigung aus,
daß von den abendländifchen Chriſten
in Syrien die deutſchen Pilger an
die Ungläubigen ſeyen verrathen wor:
den: „Videntes itaque compatriotae
militiam peregrinorum alacriter in-
cedere eisque pro voto cuncta suc-
cedere, sicut ab his, qui eidem ex-
peditioni interfuerunt, audivimus,
plus eorum industriam, quam pa-
ganorum malitiam metuentes, in-
sidias parant, peregrinosque omnes
dolo occidendos, in conspiratione
cum paganis, deliberant, -Heiurico,
rege eorum, ut fertur, in id ipsum
consentiente.““ Dieſe Beſchuldigung
ſcheint ſich zunächſt auf das Schickſal
der Pilger zu Joppe zu beziehn.
45) Hugo Plagon p. 643. Fort⸗
ſezung der Chronik des Abu Schamah
(Handſchrift der königl. Bibliothek
Ro-
Mate M ta ya
1 x 7 F Ing Ir
zu zu Berlin „Ms. orient. Fol. No. 78.)
Fol. g a. In dieſer Chronik wird noch
Folgendes erzählt: „Zu den ech
würdigkeiten, welche ich von dieſer
Begebenheit erfahren habe, gehört,
daß vierzig abendländiſche fränklſche
Ritter, als die Burg von den Muſel⸗
männern wirklich war erſtürmt wor⸗
den, in die dortige Kirche ſich be⸗
gaben, und, nachdem ſie die Thür
verſchloſſen hatten, mit ihren Schwer⸗
tern gegenſeitig ſich tödteten, ſo daß
keiner übrig blieb; als die Muſel⸗
männer die Thür der Kirche erbrachen,
ſo ſahen ſie, was geſchehen war, mit
Erſtaunen.“ Vgl. Ebn al Athir a. a.
O. Die Eroberung und Zerſtörung
von Jafa geſchah, nach den arabiſchen
Chroniken, im Monate Schawal des
Jahrs 893, alſo nach dem 17. Auguſt
1197. Jacob von Vitry (hist. Jeros.
p. 1124) erzählt dieſe Eroberung von
Joppe als geſchehen erſt nach der Ein⸗
nahme von Berytus durch die: Chri-
ſten. Merkwürdig iſt, daß dieſelbe
falſche Stellung der Begebenheiten
dieſes Kreuzzugs in dem Briefe des
Papſtes Junocenz III. (Ep. Lib. I.
336) an den Erzbiſchof und die
Prälaten der Diöceſe von Narbonne
ſich findet.
‘
20 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
3,568. er vernahm, daß die Stadt Joppe in Gefahr ſchwebte;
worauf er ſeine Macht ſammelte, um der bedraͤngten Stadt
zu helfen ); aber ſein ploͤtzlicher Tod vereltelte fein
Unternehmen. Denn an dem Abende des Tages, au
welchem die Ritterſchaft aus Ptolemais nach Chaifa auf
dem Wege nach Joppe gezogen war, ſtuͤrzte der Graf
Heinrich kurz vor dem Abendeſſen aus einem ſchlecht vers
wahrten Fenſter in dem obern Stockwerke ſeines Palaſtes
berab in die Tiefe und wurde unten kodt gefunden;
viele deuteten dieſen plöglichen Tod des Grafen Heinrich
als goͤttliche Strafe für die unrechtmaͤßige Ehe, welche
er mit der Prinzeſſin Iſabelle oder Eliſabeth geſchlo
hatte *), die deutſchen Pilger aber meinten, daß ei
dadurch an dem Grafen die Geringſchaͤtzung geahndet habe,
welche fie von ihm erfahren hatten Ber
46) Arnold. Lubec, d. a. O.
47) Dieſe Deutung gab Innocenz II.
in einem Schreiben aus dem Jahre
1109 an den Erzbiſchof von Compoſtella
dem Tode des Grafen Heinrich, und
nicht minder betrachtete er die Ermor⸗
dung des Markgrafen Conrad als eine
Strafe Gottes für deſſen ungebühr⸗
liche Vermählung mit Iſabelle. Epist.
Lib. II. Ep. 75: (ed Baluze T. I.
p. 379). Dieſelbe Anſicht hat auch
der Verfaſſer der Lebens beſchreibung
von Innocenz dem Dritten ſich an⸗
geeignet: „Volens autem Deus ma-
jus peccatum vindicare celerius et
a similibus alios deterrere, tam
Conradum Marchionem Montis fer-
rati, qui Beginae Jerosolimitanae
prius adhaeserat per incestum, oc-
eidit gladio, quam Henricum, Cam-
paniae comitem, qui ei in culpa
quodammodo et in poena successit,
dejeeit praecipitio, utrumque vero
Der aus Ptole⸗
morte impraevisa interemit.“ Ge-
sta Innocentii III. c. 58.
45) „Dicunt quidam, eum a Deo
plagatum, eo quod de adventu
Teutonicorum dolucrit, et eis libe-
rationem terrae sanctae, si sic Deo
placuisset, inviderit.“ Arnold, Lu-
bec. I. . Die nähern Umſtände ſei⸗
nes Todes werden von Hugo Plagon
alſo erzählt: „Als der Graf die (ihm
von den Belagerten gemeldete) Nach⸗
richt (von der Bedrängung der Stadt
Joppe) vernahm, ſo bot er ſein Heer
und die Deutſchen auf, und ließ ſie
bis nach Calfa (Cayphas), vier Mei⸗
len von Ptolemais, vorrücken, indem
er verſprach, am folgenden Tage nach⸗
zufolgen, weil er zuvor mit ſeinen
Leuten abzurechnen und feine Ange:
legenheiten zu ordnen hatte. Das
Heer ſetzte ſich alſo in Bewegung,
der Graf aber blieb zurück, und rech⸗
nete mit ſeinen Leuten, was bis zum
1 9.7 N +
Dier Kreuzzug der Deut ſche ' 7,
mals vorangezogenen Ritterſchaft wurde hieräuf, zugleich 311.
mit der Nachricht von dem unerwarteten Tode des Grafen
Heinrich, von denen, welche der Leitung der Angelegen⸗
heiten des Landes ſich unterzogen, die Aufforderung kund
Ie
Meme
e en
og. Man ſandte hierauf zu dem
Abende dauerte. u ließ er den 1985
Tiſch zum Abendeſſen decken 5 ere die Aufforderung, zurückzukel⸗
forderte Waſchwaſſer, welches mam
ihm brachte, und ſtellte ſich gerade
an ein Fenſter, welches oben in dem
Thurme war, wo er wohnte. Wäh⸗
ſich vorwärts, fiel dom Fenſter herab
und ſtarb durch dieſen Fall. Der
Diener, welcher das Handtuch hielt,
ſtürzte ihm ſich nach, weil er fürch⸗
tete, man möchte ihn beſchuldigen,
daß er den Grafen herabgeſtoßen
hätte; dieſer Diener aber ſtarb nicht
dadurch, ſondern zerbrach nur Ein
Bein; Einige behaupten, daß der
Graf nicht würde geſtorben ſeyn,
wenn der Diener ſich nicht herabge⸗
ſtürzt hätte. Der Diener fiel zwiſchen
zwey Mauern herab und ſchleppte
ſich bis zu einer Hinterthür; wo er
zu ſchreyen anfing, als außerhalb
Leute vorbeygingen. Dieſe kamen
heran, als ſie ſein Geſchrey hörten,
und fragten, was ihm begegnet ware;
er aber bat ſie um Gottes willen,
Ritter herbeyzurufen, damit ſie den
Grafen wegtragen möchten, welcher
dort todt läge; worauf die Diener
und Knappen (Serjans) des Grafen
kamen und ihn todt fanden; fie teu:
gen ihn dann hinweg und begruben
ihn im Münſter (au mostier). Der
Graf hatte mehrere Male befohlen,
daß man dieſes Fenſter, der Kinder
wegen, mit Gittern verſehen ſollte;
denn fein Herz ſagte ihm, daß da:
durch Schaden entſtehen würde. Die
Trauer über den Grafen war ſehr
ren, weit der Graf geſtorben wäre;
das Heer kehrte alſo zurück, und der
Graf wurde im Münter des heit.
Kreuzes begraben.“ u Dieſelbe Erzäh⸗
rend er ſeine Hände wuſch, legte er
lung theilt auch Bernardus Theſau⸗
rarius mit (cap. 181) als abweichende
Nachricht eines Echriftitelterd , wel:
chen er nicht näher bezeichnet („alibi
*
legitur“ etc.) / nachdem er bon dem
Tode des Grafen auf dieſelbe Weiſe
berichtet hat, wie oben im Texte ge:
ſchehen iſt; nämlich: „Dum ipse in
superiori coenaculo palatii sui, fe-
mestrae cuidam innitendo se appli-
caret, miserabili praecipitio eolli-
sus exspirat.“ Auf eben dieſe Weiſe
erzähten den Tod des Grafen Heinrich
Vincentii Bellovacensis speculum
historiale Lib. XXIX. cap, 59. Ja-
cobi de Vitriaco hist. Jerus. p. 1124,
Oliverius Schol. p. 1394 C, Hinricus
Campaniae per fenestram loriculis
carentem ex improviso cadens ex-
spiravit“) und Marini Sanuti Se-
creéta fidel. crucis p. 201. Nach der
gewiß unrichtigen Nachricht des
Arnold von Lübeck verließ Heinrich
wirklich Ptolemais, um der Stadt
Joppe zu Hülfe zu kommen, und
ſtarb auf die erzählte unglückliche
Weiſe erſt, nachdem er auf die Nach⸗
richt von der Eroberung der Stadt
durch die Ungläubigen zurückgekehrt
war: „dum solus cum solo super
exedras (welches Wort hier nichts an⸗
deres, als Fenſter, vielleicht ein Fenſter
in einem Ausbau oder ſogenannten
28 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I
a gemacht, zukückzukehren; und ihre Hülfe waͤre auch zu fpät
gekommen; denn die Ungläubigen waren bereits von Joppe
nach ihrem fruͤhern Lagerplatze bey Ain Dſchalut zuruͤck⸗
gekehrt, die Pilger, welche zu Joppe in ihre Gewalt ge⸗
fallen waren, als Sclaven mit ſich fuͤhrend.
So fanden denn der Kanzler Conrad und die uͤbrigen
Pilger, welche in Eypern einige Zeit verweilt hatten, als
fie endlich nach Ptolemais kamen, dort große Verwirrung,
indem über die Nachfolge in der Herrſchaft über die ges
ringen Ueberbleibſel des Koͤnigreichs Jeruſalem Streit und
Parteyung obwaltete; denn Hugo von Tiberias empfahl
feinen Bruder Rudolph ) zum Gemahl der Prinzeſſin Eli
ſabeth und Nachfolger des Grafen Heinrich womit einige
.:
Erker, zu bedeuten ſcheint) pro W
do aëre staret, subito cecidit et fracta
cervice expiravit. Ebu al Athir
(a. a. O.) berichtet, daß der Tod des
Grafen (, qui etait tombé dans
Acre d'un lieu eleve “) den Auszug
des chriſtlichen Heers verzögert habe,
und daß die chriſtlichen Ritter, nach⸗
dem fie endlich ſich in Bewegung ge:
fest hatten, zu Cäſarea das Schickfat
der Stadt Joppe erfuhren, und hier⸗
auf ohne Verzug nach Ptolemais zu:
rückkehrten. Nach Roger von Dove
den (Fol. 439 A.) wurde der Sturz
des Grafen dadurch veranlaßt, daß
die Säule eines Fenſters, an welche
er ſich gelehnt hatte, während er zu
dem Volke (ad turbas) redete, zer:
brach. Matthaeus Paris (S. 189)
ſetzt in ſeinem kurzen Berichte den
Tod des Grafen Heinrich noch in das
J. 1196. Eine eigenthümliche Nachricht
über den Tod des Grafen Heinrich
findet ſich in der Chronik des Albert
von Stade (p. 298), welche den Tod
des Grafen nach der Eroberung von
Berytus ſtellt: „Rex Jerusalem no-
cte surrexit, ut urinam projiceret,
et de fenestra cadens fractis cervi-
cibus exspiravit, et cliens similiter,
qui eum retraliere curabat.‘“ Ganz
unchronologiſch ift die Erzählung des
Abulfaradſch (Chron. Syr. p. 430)
von dem Tode des Grafen Heinrich
und den übrigen Ereigniſſen dieſer
Kreuzfahrt. Der Tod des Grafen
Heinrich ſcheint zufolge der, aus der
Chronik des Ebn al Athir im Texte
gegebenen, Zeitbeſtimmung der Erobe—
rung von Joppe in den Anfang des
Septembers 1197 geſetzt werden zu
müſſen.
40) Hugo und Rudolph (Raoul)
waren die Söhne der Eſchive, Toch⸗
ter des Hugo von St. Omer, wel⸗
chem König Balduin der Erſte Dibe—
rias und das Fürſtenthum Galiläa
verliehen hatte, und des Eonnetable
von Jeruſalem, Wilhelm de Buris.
Rudolph vermählte ſich ſpäter mit
Agnes, Tochter des Rainald von
Sidon. Lignages d'Outremer ch. 7,
Der Kreuzzug der Deutfhen. 29
ſehr wohl zufrieden waren; die beyden Großmeiſter der 7.0.
Orden des Tempels und Hoſpitals aber widerſetzten ah
dieſer Wahl hartnaͤckig, indem fie: behaupteten, daß Rus
dolph keinesweges die gehörigen Mittel beſaͤße, um die
Wuͤrde des Reichs wieder herſtellen zu koͤnnen. Sie em⸗
pfahlen dagegen den Koͤnig Amalrich von Cypern als den⸗
jenigen, von welchem, fallt er ſich entſchließen würde, die
Regierung eines von allen Seiten bedrängten Reiches zu
uͤbernehmen, am meiſten fuͤr die Wohlfahrt des Landes ſich
erwarten ließe. Als dieſe Wahl auch von dem Kanzler
Conrad gebilligt wurde: ſo traten ihr auch diejenigen
bey, welche bis dahin fuͤr Rudolph von Tiberias ſich ver⸗
wandt hatten. Es begaben ſich hierauf Abgeordnete nach
Cypern, um dem Koͤnige Amalrich den Wunſch der Ba—
rone des Koͤnigreichs Jeruſalem vorzutragen; dieſer kam
ſehr bald nach Ptolemais und nahm die Prinzeſſin Eliſa⸗
beth zur Gemahlin, welche endlich durch ihre vierte Vers
maͤhlung zur Würde einer Königin von Jeruſalem ges
langte ). Hugo von Tiberias aber empfand es ſehr
uͤbel, daß ſein Wunſch, ſeinen Bruder Rudolph auf den
Thron von Jeruſalem zu erheben, nicht in Erfüllung ges
gangen war; und als Amalrich bald nach ſeiner Ankunft
außerhalb der Stadt Tyrus, da er von zwey Rittern be—
gleitet umherritt, von zwey Männern zu Pferde angefals
ten und ſchwer verwundet wurde: ſo war der Verdacht
allgemein, daß Hugo dieſen meuchleriſchen Angriff auf
80) „Lors a primes fust- elle
roine.“ Hugo Plagon p. 645. Vgl.
Bern. Thesaurar. c. 182. Jac, de Vitr.
1. c. Nach Arnold von Lübeck (S. 707)
fanden ſowohl die Berathungen we—
gen des Throns von Jeruſalem, als
die Wahl Amalrichs erſt Statt zu
VBerytus nach der Einnahme dieſer
Stadt. Wir haben der Erzählung
der andern Schriftſteuer, als der
wahrſcheinlichern, den Vorzug ge—
geben; ſchwerlich wurde unter den
damaligen Umſtänden jene Berathung
ſo lange verſchoben.
30 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J.
3,9 den König veranſtaltet habe, obgleich von den beyden
Verbrechern, ſelbſt nicht durch die Folter, welche man
gegen ſie anwendete, das Geſtaͤndniß erzwungen werden
konnte, wer ſie zu ſolcher Frevelthat gedungen habe *).
Eine der erſten Verordnungen, welche Amalrich als
Koͤnig von Jeruſalem machte, betraf das Verhaͤltniß der
Ritter, welche Zinslehen beſaßen. Alle dieſe Ritter wur—
den von ihm nach Ptolemais beſchleden und aufgefordert,
zwey aus ihrer Mitte zu waͤhlen, welche zugleich mit den
königlichen Amtleuten die Einziehung der Gefaͤlle, aus
welchen die Geldlehen beſtritten wurden, beſorgen und
einem jeden Ritter ſo viel zutheilen ſollten, als ihm in
dem damaligen bedraͤngten Zuſtande des Landes von dem
Grundſtuͤcke, auf welches ſeine Rente in gluͤcklichern Zei⸗
ten war angewieſen worden, nach billiger Beurtheilung
gewaͤhrt werden konnte. Dabey erklaͤrte Amalrich aus⸗
druͤcklich, daß er die Einkünfte der Krone bloß zu feinem
und ſeiner Ritter Unterhalte verwenden wuͤrde, und die
Ritter mit dem in billigem Verhaͤltniſſe vertheilten Ertrage
der Grundſtuͤcke, auf welche ihre Renten angewieſen waͤren,
fi begnügen müßten °?).
Während der König Amalrich mit dieſen Anordnungen
ſich beſchaͤftigte, erlitt das chriſtliche Reich in Syrien
einen großen Verluſt durch die Abfahrt der franzoͤſiſchen
Kreuzfahrer, welche von dem vorigen großen Kreuzzuge
bis dahin zuruͤckgeblieben waren und nach dem Tode des
Grafen Heinrich zur Ruͤckkehr in ihre Heimath ſich ent
ſchloſſen, fo daß nunmehr die Vertheidigung des gelob;
ven Landes ganz allein den deutſchen Pilgern uͤberlaſſen
war )
en
31) Hugo Plag. p. 645. 53) Diefe Nachricht brachten in
52) Hugo Plag. p. 645. 646. Toscana dem Biſchofe von Troyes,
—
AR, Der Kreuzzug der Deusfhen. N 31
Die drohende Stellung, in welcher Malek al Adel 5.95.
mit ſeinem Heere noch immer ſtand, lenkte ſehr bald die
Aufmerkſamkeit des neuen Koͤnigs von den innern Anger
llegenheiten des Reichs auf die Vertheidigung deſſelben
gegen die Unglaͤublgen; und die große Zahl der zu Pos
lemais und in andern Haͤfen der ſyriſchen Kuͤſte vereinigs
ten bewaffneten Pilger machte in vielfaͤltiger Beziehung
es nothwendig, auf deren baldige Beſchaͤftigung zum
Nutzen des Reichs zu denken. In dem Rathe, zu wel⸗
chem Amalrich, außer dem Großmeiſter des Tempels und
Hoſpitals und den Baronen des Landes, den Kanzler Con⸗
rad berief, wurde alſo gemeinſam beſchloſſen, die Wieder⸗
eroberung des von Saladin den Chriſten entriſſenen Landes
ohne Verzug zu unternehmen und zuvoͤrderſt die Stadt
Berytus zu belagern! *). Der Herzog Heinrich von Bra⸗
bant oder Lothringen wurde zum Anfuͤhrer des Heeres für
dieſe Unternehmung und Heinrich von Kelten zum Mars
ſchall erwaͤhlt ?). Es erging hierauf an alle diejenigen,
welche zum Waffendienſt verpflichtet oder geweiht waͤren,
die Mahnung, in Tyrus ſich zu verſammeln ).
Malek al Adel aber, ſobald er vernahm, daß die
Chriſten ihre Macht vereinigten, um angriffsweiſe zu ver
fahren, beſchloß, nach der in aͤhnlichen Fällen ſchon von
Saladin befolgten Weiſe, die unhaltbaren Plaͤtze zu ſchlei—
fen, und die Einwohner mit Allem, was einem feindlichen
welcher gerade damals auf dem Wege
nach dem gelobten Lande war, einige
Pilger aus der Champagne, welche
ebenfalls aus dem gelobten Lande au:
rückkamen. Innocentii III. Epistol.
Lib, I. 69.
54) Hugo Plag. p. 646. Bernard,
Thes, c. 183 p. 817,
55) Siehe den Brief des Herzogs
Heinrich von Brabant an den Erz⸗
biſchof von Cöln in“ Godefridi Mon-
achi annalibus p. 362. Vgl. Arn⸗
old. Lubec. Lib. IV. c. 5. p. 710.
Oliverii Scholastici historia regum
terrae sanctae p. 1398.
56) Arnold. Lubec. Lib. V. c. 8.
P- 706, 5
32 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I
Tics. Heere dlenlich ſeyn konnte, in entferntere Gegenden zu
fuͤhren. Er fuͤhrte alſo ſein Heer durch die Ebene der
Quellen ) in die bedrohte Gegend, um alle nöthigen
Vorkehrungen ſogleich zu treffen, und ſandte eine Schar
nach Berytus, dieſe Stadt zu verwuͤſten; aber nur die
Mauern wurden niedergeworfen. Die weitere Zerſtoͤrung
der Stadt und die Schleifung der Burg hinderte Aſſamah,
der Emir von Berytus, welcher verſprach, die Stadt ſo⸗
wohl als die Burg gegen die eee zu behaupten ).
Mittlerweile verſammelten die chriſtlichen Streiter ſich in
Tyrus, wo ausgemacht wurde, daß, wahrend die Ritter⸗
ſchaft von dort zu Lande nach Berytus zoͤge, der Kanzler
Conrad das Fußvolk dahin auf den Schiffen fuͤhren ſollte,
welche die Pilger nach dem mern Lande e
hatten Po
Die Eroberung bon Berytus, einer damals durch
Handel belebten und reichen Stadt, war zu dieſer Zelt
den Chriſten beſonders deswegen wichtig, weil von dort
aus, wie ſchon oben berichtet worden iſt, die Schifffahrt
und der Handel der Chriſten durch die Ungläubigen auf
die nachtheiligſte Weiſe geftört wurde; denn die beyden
hohen Landſpitzen, welche in der Naͤhe dieſer Stadt in
das Meer in betraͤchtlicher Laͤnge ſt ſich erſtrecken, dienten
den Schiffen, welche auf die chriſtlichen Fahrzeuge lauerten,
zu Schlupfwinkeln, und von deren Hoͤhe erſpaͤhten die dort
aufgeſtellten Wächter jedes von der kleinaſiatiſchen Kuͤſte
und von Antiochien oder Tripolis kommende und nach Tyrus
oder Ptolemais fahrende Schiff in weiter Ferne, und gaben
davon durch verabredete Zeichen Nachricht den im Linie
57) Mardſch als Djun, in der Nähe 88) Ebn al Athir S. 334.
von Schakif Arnun (vgl, Abulfedae ) Arnold. Lubec. I. e.
Annal. ad a. 585. T. IV. p. 96). ‚a *
>
Der Kreuzzug der Deutſchen. 33
halte lauernden Schiffen des Emirs. Auf dieſe Weiſe Jr.
ſollen allein durch die ſteten Nachſtellungen der beyden
Galeen, welche im J. 1188, als der Markgraf Conrad
von Tyrus die Flotte des Sultans Saladin uͤberwand,
nach Berytus entkommen waren ), ſeit jener Zeit bis zu
dieſem Zuge der Chriſten gegen dieſe Stadt, mehr denn
vierzehn Tauſend Pilger in die Sclaverey der Unglaͤubigen
gerathen ſeyn, ohne diejenigen, welche in verſchiedenen
Gefechten mit dieſen beyden Schiffen waren getoͤdtet wor—
den »). Auch der treffliche Hafen von Berytus machte
den Beſitz dieſer Stadt ſehr wichtig.
Das Heer des Malek al Adel war, waͤhrend die
Chriſten zu Tyrus ſich ſammelten, herangezogen, um dieſe
wichtige Stadt zu vertheidigen, und hatte am Gebirge,
laͤngs dem Wege zwiſchen Tyrus und Sidon, ſich aufge—
ſtellt; und auch der Emir Aſſamah fuͤhrte den Chriſten
ſeine ganze Macht entgegen; nachdem er alle diejenigen,
welche nicht faͤhig waren, an der Vertheidigung Theil zu
nehmen, die Schwachen und Kraͤnklichen, ſo wie die Weiber
und Kinder, aus der Stadt entfernt hatte. Die Chriſten
aber, welche in wohlgeordneten Scharen und mit aller
nöthigen Vorſicht von Tyrus gegen Sidon zogen, als fie
in der Nacht vor dem Tage des heiligen Severinus der 23. Oct.
Heiden anſichtig wurden, ordneten ſich unverdroſſen zur
Schlacht; der Graf Adolf von Schaumburg und Holſtein
60) Siehe Geſch. der Kreuzz. Th. IV.
S. 233. Hugo Plag. p. 623.
61) Dies behauptet Hugo Plagon
(S. 647) zufolge einer ſchriftlichen
Nachricht, welche in der Burg von
Berytus bey deren Eroberung fol ge: |
funden worden ſeyn. Vgl. Bernard.
Thes. p. 818 (wo die Zahl der von
V. Band.
den Seeräubern zu Berytus gefange—
nen Chriſten zu dreyhundert Taufen:
den angegeben wird). Arnold von
Lübeck behauptet, daß ſeit dem Ver⸗
Suite des heil. Landes (a Syriar exci-
dio, d. i. ſeit der Schlacht bey Hittin
und deren Folgen) neunzehntauſend
chriſtliche Selaven aus Beiytus an
den Hof Saladin's geliefert wurden.
E
J. Chr.
1197.
34 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. J.
uͤbernahm es, aus einem Hinterhalte den Gang des Kam—
pfes zu betrachten und, wie es die Umſtaͤnde erfordern
wuͤrden, zur gluͤcklichen Entſcheidung mitzuwirken; die
übrigen Fuͤrſten und Ritter, nachdem fie durch frommes
Gebet den Beyſtand Gottes erfleht hatten, unterwanden
ſich ſogleich des Streites. Lange war der Kampf unent—
ſchieden; denn die Unglaͤubigen bedraͤngten die Chriſten
von allen Seiten, im Ruͤcken ſowohl, als vorn und an
der Seite des Gebirgs, überall fie umringend und ihnen
den Weg verlegend. Vornehmlich der Emir Aſſamah hielt
durch ſeine perſoͤnliche Tapferkeit die Kraft und den Muth
der Muſelmaͤnner aufrecht; endlich erſah der Graf Adolf
die Gelegenheit, in Begleitung ſeines tapfern Waffen—
gefährten, Bernhard von Horſtmar, wider den Emir,
welchen ſchon die Hoffnung, den Sieg zu gewinnen,
erfreute, mit ſo gewaltiger Kraft zu rennen, daß Roß
und Reiter zu Boden geworfen wurden. Drey Mal ver—
ſuchte der Emir ſich wieder zu erheben; als er zum drit—
ten Male, nach Beyſtand vergeblich ſich umſehend, mit
ſtarkem Arme das Pferd umfaßte und mit demſelben ſich
aufzurichten ſuchte, ſo durchbohrte ihn in der Gegend des
Nabels, wo ſein Panzer ſich geoͤffnet hatte, des Grafen
Lanze. Dieſe gluͤckliche Waffenthat des tapfern Grafen
von Schaumburg entſchied den Ausgang der Schlacht.
Der unermuͤdeten Anſtrengung der Muſelmaͤnner gelang
es zwar, endlich den ſchwer verwundeten Emir aus dem
Gedraͤnge zu retten; aber zwey Emirs fielen, kaͤmpfend
für die Befreyung ihres Waffengefaͤhrten, in die Gefangen⸗
ſchaft der Chriſten. Malek al Adel, an der Möglichfeit,
den Sieg zu erringen, verzweifelnd, zog nach einem fuͤr
beyde Heere gleich ruͤhmlichen Kampfe ſeine Scharen zu—
ruͤck; das Feld den Chriſten raͤumend, welche an dem
Der Kreuzzug der Deutſchen. 35
unfern von Sidon in das Meer ſich ergießenden Fluſſe
ſich lagerten *) und dann in die von Saladin größten,
theils zerſtoͤrte Stadt Sidon einzogen: wo mit Verzie—
rungen von Cedernholze geſchmuͤckte Haͤuſer ihren Roſſen
als Staͤlle dienten, und am Feuer, welches von duftendem,
aus den zerſtoͤrten Gebaͤuden geſammeltem Cedernholze ge—
naͤhrt wurde, die Pilger ihre Speifen bereiteten »).
Die Unglaͤubigen, welche aus der in der Ebene von
Sidon verlorenen Schlacht nach Berytus flohen und dort
Schutz zu finden hofften, ſahen ihre Hoffnung getaͤuſcht,
und waren genoͤthigt, in dem benachbarten Gebirge Sicher—
J Chr.
1197.
heit zu ſuchen; denn von den
Aſſamah, als er gegen die
62) In der Darſtellung dieſes Ge⸗
fechts und der Beſtimmung des Orts
und der Zeit deſſelben bin ich im
Ganzen der Nachricht gefolgt, welche
davon der oben (Anm. 55) erwähnte
Brief des Herzogs von Brabant gibt.
Nach Arnold von Lübeck ereignete es
ſich zwiſchen Sidon und Berytus;
was ohne Zweifel eben ſo unrichtig
iſt, als daß die Chriſten, wie eben
dieſer Schriftſteller erzählt, über Si⸗
don nach Sarepta zogen; denn Sa⸗
repta liegt zwiſchen Tyrus und Sidon.
Ebn al Athir ſagt zwar, daß der
Kampf Statt gefunden habe, nach⸗
dem die Chriſten zu Sidon angekom⸗
men wären; dieſes widerſpricht aber
der Erzählung des Herzogs nicht,
welche das Gefecht in die Nähe von
Sidon ſetzt. Den Kampf zwiſchen
dem Grafen Adolph und dem Emir
Aſſamah erzählt Arnold von Lübeck,
und deſſen Erzählung findet ſich wie—
derholt in der Chronik des Hermann
Cornerius (Eccardi Corpus histor.
med. aevi T. II. p. 809}, Sowohl
chriſtlichen Sclaven, welchen
Pilger auszog, mit großem
der Herzog Heinrich von Brabant,
als Arnold, berichten, daß der Emir
umgekommen ſey; nach Ebn al Athir
Ca. a. O.) aber entkam er durch die
Flucht. Auch darin find die Nach:
richten abweichend, daß nach dem
Briefe des Herzogs von Brabant der
Kampf beſtanden wurde gegen die
ganze Macht des Malek al Adel, nach
Arnold von Lübeck aber und Hermann
Cornerius nur gegen die Miliz von
Berytus, womit auch Ebn al Athir
übereinſtimmt, welcher der Theil⸗
nahme des Malek al Adel an dieſem
Kampfe nicht erwähnt; die Angabe
des Herzogs hat aber nach den von Ebn
al Athir berichteten Bewegungen des
Malek al Athir alle Wahrſcheinlichkeit.
Nach der von Roger von Hoveden
(Fol. 4396) überlieferten übertriebes
nen Nachricht wurde Malek al Adel
(Saphadinus) ſelbſt in dieſer Schlacht
ſchwer (lethaliter) verwundet, und
zwey Söhne Saladin's und mehr als
ſechszig Emire wurden gefangen.
63) Arnold. Lubec. I. c.
C 2
36 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
J. Chr.
1197.
um naͤhere Kundſchaft einzuziehen.
Unverſtande die Behuͤtung der Stadt uͤbertragen hatte,
war Berytus ſchon der chriſtlichen Flotte, welche indeß
vor dem Hafen erſchienen war, uͤbergeben worden. Denn
als fie die chriſtlichen Zeichen der Schiffe erblickten),
riefen ſie den bekannten Schlachtruf: Helfe uns Gott und
das heilige Grab, erſchlugen ihre muſelmaͤnniſchen Auf
ſeher und oͤffneten die Thore der Stadt und Burg den
Pilgern, welche anfaͤnglich Betrug und Argliſt beſorgten,
und daher zuerſt nur zehn Knappen in die Stadt ſchickten,
Sie hatten aber ihre
Bereitwilligkeit ſehr zu bereuen; denn die Pilger, nicht
befriedigt durch die Menge von Lebensmitteln ſowohl, als
Waffen aller Art, welche ſie in der Stadt fanden, ſpann⸗
ten zwey derjenigen, welchen ſie den ſchnellen Beſitz dieſer
wichtigen Stadt verdankten, auf die Folter, um die Ent
deckung verborgener Schaͤtze zu erpreſſen, und marterten
ſie ſo lange, bis ſie den Geiſt aufgaben. Dieſe Grau—
ſamkeit hatte zur Folge, daß der Kanzler Conrad nicht
in den Beſitz der ganzen Burg kam; ſondern der feſteſte
Thurm derſelben wurde ihm vermittelſt der eiſernen und
von innen wohl verwahrten Thür deſſelben “) verſchloſſen,
und diejenigen, welche ihn inne hatten, erklaͤrten, daß
ſie Jeden, welcher es verſuchen wuͤrde, die Pforte zu er—
brechen, mit Steinen zu Boden werfen und den Thurm
nur dem Koͤnige Amalrich oder 5 Bevollmaͤchtigten
öffnen würden ).
64) Sie erkannten die chriſtlichen
Schiffe an den viereckigen Segeln;
„Qui, videntes vela quadrangula,
Christiana intellexerunt agmina.““
Arnold. Lubec.
65) „La maistre porte de la tor
estoit de fer et bien barr&e dedens.“
Hugo Plagon p. 647. a
66) Die Nachrichten über die Art
der Uebergabe von Berytus find wie:
derum ſehr abpeichend. In der fran⸗
zöſiſchen, von Hugo Plagon verfaß⸗
ten Fortſetzung der Geſchichte des
Wilhelm von Tyrus (S. 646. 647)
findet ſich folgende Erzählung: „Es
blieben, als die Muſelmänner gegen
Der Kreuzzug der Deutſchen. 37
Waͤhrend diefes in Berytus geſchah, kam das fiege Archer.
reiche Pilgerheer im Jubel heran und hielt feinen Einzug geler.
die Chriſten auszogen, nur drey chrift:
liche Sclaven in Berytus, wovon
Einer ein Zimmermann (charpentier)
war, deſſen Weib und Kinder, um
feiner Treue ficher zu ſeyn, die Un-
gläubigen in das Innere ihres Landes
(en paienime) geſandt hatten. Dieſer
Zimmermann war der Auſtifter der
Uebergabe der Stadt an die Pitger,
indem er die beyden andern mit ihm
in Berytus gebliebenen chriſtlichen
Sclaven beredete, ihm zur Ausfüh⸗
rung ſeines Plans behülflich zu ſeyn
dann den Einen aufforderte, das Thor
der Burg zu erklettern und, falls die
Saracenen zurückkommen ſollten, ſie
durch Herabwerfung von Steinen ab⸗
zuwehren; den andern anwies, den
Thurm am Meere zu beſteigen, wenn
er die chriſtlichen Schiffe erblicken
würde, denſelben durch das Zeichen
des heiligen Kreuzes und den Ruf:
„Helfe Gott und das heilige Kreuz
(Dex aide et S. Sepulcre) “ kund zu
thun, daß nur Chriſten in Berytus
wären, und dann herabzuſteigen und
den Pilgern das Thor zu öffnen. Der
Zimmermann felbft begab ſich auf
den Hauptthurm (maistre tor) neben
dem Thore der Burg, um die Ver⸗
theidigung dieſes Thors zu unter⸗
ſtützen. Als nun die Saracenen zu⸗
rückkehrten (von der Schlacht bey
Sidon findet ſich in dieſer Chronik
keine Erwähnung), ſo fanden ſie die
Stadt verſchloſſen und wurden von
den Chriſtenſclaben, welche auf dem
Burgthore und dem Haupthurme ſich
befanden, mit Steinwürfen und dem
Rufe: Helfe Gott und das heilige
Grab, empfangen und nahmen in
Verwirrung die Flucht, weil das
chriſtliche Heer ihnen auf dem Fuße
nachfolgte. Die Pilger aber trauten
dem Zeichen und der Einladung deſſen,
welcher auf dem Thurme am Meere
ſich befand, nicht / und ſelbſt, als er
ihnen das Thor an der Seeſeite der
Stadt öffnete, ſchickten ſie nur zehn
Knappen Gerjans) in die Stadt, um
nähere Kundſchaft einzuziehen; dieſe
Knappen aber gaben dem Könige
Amalrich die Nachricht, daß die Burg
von Berytus in ihrer Gewalt ſey,
und luden ihn ein, baldigſt zu kom⸗
men.““ Hierauf wird die gegen die
beyden Chriſtenſelaven geübte Grau:
ſamkeit berichtet und wie der Zim⸗
mermann dadurch veranlaßt wurde,
zu erklären, daß er nur dem Könige
den Thurm übergeben werde; was in
die Erzählung des Textes aufgenom:
men iſt. Um dieſer Erzählung (welche
auch Bernardus Theſaurarius c. 182.
P- 817. 818 faſt in denſelben Worten, wie
Hugo Plagon, mittheilt) einige Wahr:
ſcheinlichkeit zu geben, muß man an⸗
nehmen, daß jene drey Sclaven nur
die Häupter der zurückgebliebenen
Beſatzung waren; denn wie wäre es
glaublich, daß der Emir Aſſamah eine
ganze Stadt nebſt der dazu gehörigen
Burg in der Gewalt von nicht mehr
als drey Menſchen gelaſſen hätte?
Roger von Hoveden (Fol. 439 b) be:
richtet, daß in der Burg ſich fünf
chriſtliche Selaven in Feſſeln (com-
pediti) befanden, welche, als der
Kanzler, den Roger fälſchlich Erzbi⸗
ſchof von Mainz nennt, ankam, die
Thore der Burg ſchloſſen, den farace:
niſchen Pförtner, der ſie bewachte,
erſchlugen, dann von der Höhe herab
dem chriſtlichen Heere den vorhin er:
1
J. Chr.
1197.
38 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
in die, von den zur See gekommenen Pilgern am Tage
zuvor beſetzte, Stadt. Worauf der Koͤnig Amalrich den
chriſtlichen Selaven, welcher fuͤr ihn den Thurm der Burg
bewahrte, durch einen Ritter zu ſich rief, ihn mit ſo
vielem Gelde beſchenkte, daß er ſein Weib und ſeine Kin—
der aus der tuͤrkiſchen Sclaverey loͤſen konnte, und ihm
fo viele Einkuͤnfte in Berytus anwies, als zu feinem und
feiner Familie Unterhalte erforderlich waren 7). Von
Waffen, beſonders Bogen und Armbruͤſten, wurde in der
wähnten Erkennungsruf zuriefen und
es in die Burg eintießen — eine Er⸗
zählung, welche noch unwahrſchein⸗
licher iſt, als die Nachricht des fran⸗
zöſiſchen Erzählers. Nach Arnold von
Lübeck (a. a. O.) beſtand zwar die in
der Stadt Berytus zurückgebliebene
Beſatzung nur aus chriſtlichen Ge
fangenen (in qua tantum captivi
Christiani remanserant); aber der
Hauptthurm (turris quae ceteris
excelsior erat et fortior) war von
Saracenen beſetzt;
Sclave öffnete in der Stille mit
einem Werkzeuge das Thor dieſes
Thurms, erſtieg denſelben mit leiſem
Tritte und erſchlug die Wächter, wel
che er ſchlafend fand (repentino in-
teritu soporem illorum morti so-
ciat); worauf er die Pilger der Flotte
durch Zeichen einlud, der Burg ſich
zu bemächtigen. Dieſe Erzählung des
Arnold von Lübeck iſt auch in die
Chronik des Hermann Corner (in
Eccardi Corpore Scriptorum medii
aevi T. II. p. 8°9. 810) aufgenommen,
wo dieſer Kreuzzug irrig in das Jahr
1200 geſetzt worden iſt. Mit der Er:
zählung des Arnold ſtimmt auch der
Bericht des Oliverius Scholaſticus
(9.1395) im Weſentlichen zuſammen:
ein chriſtlicher
„Berithenses Sarraceni desperantes
de eivitatis defensione se recepe-
runt in castro munitissimo, et cum
naves Christianorum adventarent,
egressi sunt communiter ad classem
considerandam et numerandam.
Pauei vero Christiani captivi,
qui remanserunt intus, obsera-
tis portis ascenderunt in arcem et
signo Christianitatis suae dato in
specula, venientem exercitum ter-
restrem properare fecerunt. Quo
viso Sarraceni fugerunt omnes
et sic Dominus Berithum Servis
suis restituit repletum victualibus
et armis anno MCXCII (wofür
MCOXCVI zu leſen iſt).“ In dem
mehrmals erwähnten Briefe des Her—
zogs Heinrich von Brabant findet
ſich keine nähere Nachricht über die
Umſtände der Einnahme von Bery—
tus; ſondern es wird nur berichtet,
daß von den Saracenen, als ſie die
ankommenden Pilgerſchiffe erblickten,
die ſehr feſte Burg verlaſſen worden
und am folgenden Tage ohne Schwies
rigkeit in die Gewalt des chriſtlichen
Heers gekommen ſey.
67) Hugo Plagon und Bernard,
Thesaur. I. c.
Der Kreuzzug der Deutſchen. 39
Burg von Berytus ein ſolcher Vorrath gefunden, daß duch
zwey Schiffe damit hätten befrachtet werden koͤnnen; und
Weizen, Wein und andere Lebensmittel waren in ſolcher
Menge vorhanden, daß ſie fuͤr eine anſehnliche Beſatzung
auf mehr als drey Jahre hinreichten »). Die Pilgers
fürften uͤbergaben dieſe Stadt, als zum Koͤnigreiche Je
tufalem gehörig, dem Könige Amalrich 60).
Die Pilger benutzten, aber nicht den errungenen Vor⸗
theil, was auch von ihren Vorgaͤngern zu großem Nach—
theile der chriſtlichen Herrſchaft im gelobten Lande ſo oft
war unterlaſſen worden; und zogen von dem allgemeinen
Schrecken, welchen ihr Sieg bey Sidon und der Fall von
Berytus unter den Unglaͤubigen hervorgebracht hatten,
keinen Nutzen. Ohne an die Verfolgung der Feinde oder
an irgend eine weitere Unternehmung zu denken, vers
weilten ſie zwanzig Tage faſt in voͤlliger Unthaͤtigkeit zu
Berytus, nur mit der Wiederherſtellung der zerſtoͤrten
Mauern ſich beſchaͤftigend, und erfreuten fi ſich an dem Ge⸗
danken, daß, da nunmehr, nach der Wiedereroberung von
Berytus, die ganze ſpyriſche Kuͤſte mit allen ihren feſten
Städten wieder in dem Beſitze der Chriſten fey, das ganze
heidniſche Land ihnen offen ſtehe 7°), Sie ergoͤtzten ſich
durch Feſtlichkeiten und Gelage, womit die Kroͤnung des
Koͤnigs Amalrich und deſſen Vermaͤhlung zu Berytus be—
gangen wurde; denn Berytus wurde damals, weil Jeru—
68) Arnold. Lubec, I. o. Nach ſagt der Herzog Heinrich von Bra⸗
Hugo Plagon reichten die Lebens⸗
mittel auf fünf Jahre hin. „Tot
arma arbalistariorum et sagittario-
xum in illo castro invenimus, quod
vix XX plaustra ferre possent, et
tot victualia, quot quingentis ho-
minibus vel VII aunis sufficerent,“
bant in ſeinem Briefe an den Erz⸗
biſchof von Cöln. Godekridi Mon-
achi annales p. 362.
69) Hugo Plagon p. 647.
70) Epist. Henrici apud Godefr.
Mon, I. c. Arnold. Lubec. I. 6.
J. Chr.
1197.
40 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
ſalem in der Gewalt der Ungläubigen war, als die Kr;
nungsſtadt betrachtet r*). Zu dieſen Feſtlichkeiten fand
ſich auch der Fuͤrſt Boemund von Antiochien mit einer
zahlreichen Ritterſchaft ein, welcher, ſeinen Vortheil wahr—
nehmend, durch Brieftauben?) ſchleunig feine zu Antiochien
zuruͤckgebliebene Ritterſchaft von der Lage der Dinge bes
nachrichtigte und ſie anwies, den Krieg gegen die Unglaͤubigen
ohne Verzug zu beginnen. Als Boemund, nach kurzem
Aufenthalte in Berytus, zu Schiffe in feine Haupt
ſtadt zuruͤckkehrte: ſo nahm er auf dem Wege dahin die
Städte 3 Dſchabala und Laodicea, welche bey feiner Ans
kunft von den Unglaͤubigen verlaſſen wurden, fuͤr f ch in
Beſitz und verſah ſie mit Beſatzungen 152
71) „Civitas Baruth, sine qua
Rex Jerosolymitanus coronari non
potest.“ Radulſi Coggeshale Chron.
Angl. p. 822. „Habet etiam talem
n eadem civitas, ut
omnes Reges illius terrae ibi coro-
nentur.“ Arnold. Lubec, I. c.
Arnold erzählt bey dieſer Gelegenheit,
daß auch Saladin zu Berytus ſich
habe krönen und als König von Je⸗
ruſalem und Babylonien begrüßen
laſſen, was nichts als ein Mährchen
iſt. Roger von Hoveden nennt ſogar
(Fol. 465 B) den König Amalrich:
König von Berytus (rex de Barhud).
Nach den Assises de Jerusalem ſollte
die Krönung des Königs von Jeruſa⸗
lem zu Tyrus geſchehen, wenn ſie
nicht in Jeruſalem ſelbſt Statt finden
konnte (Geſch. der Kreuzz. Th. I.
S. 317), was erſt in der Folge der Zeit
als Gewohnheit angenommen zu ſeyn
ſcheint. Vgl. Rog. de Ho v. fol. 430 b.
72) Es iſt merkwürdig, daß Arnold
von Lübeck (S. 707), als er dieſes
Umſtandes erwähnt, in der Meinung
fieht, daß er etwas ganz Unglaub⸗
liches erzähle, und es daher nothwen⸗
dig findet, folgende Nachricht über
die Brieftauben, deren Gebrauch doch
damals nicht ganz unbekannt in Eu⸗
ropa ſeyn konnte, mitzutheilen: „Hio
quidquam dicturus sum non ridi-
culum, sed ridicule a gentilibus
tractum; qui quoniam sapientiores
Hliis lucis in generatione sua sunt,
multa excogitant, quae nostrates
non noverunt, nisi forte ab eis di-
dicerint. Solent enim exeuntes ad
quaclibet negotia secum asportare
columbas, quae domi aut ova aut
pullos noviter habent creatos; et
si in via forte accelerare volunt
nuncium, scriptas litteras sub um-
bilico columbae subtiliter ponunt
et eam avolare permittunt. Quae
cum ad suos foetus properat, cele-
riter amicis desideratum nuncium
apportat.“
73) Gebal und Lystris bey Arnold
von Lübeck (a. a. O); Laliche (wo:
für vielleicht Latiche zu leſen iſt) und
Der Kreuzzug der Deutſchen. 41
Ungeachtet ihrer Unthaͤtigkeit traͤumten die Pilger
von glänzenden Eroberungen, welche in kurzer Zeit zu
Stande kommen ſollten. Selbſt der Herzog Heinrich von
Brabant, der damalige Feldherr des Pilgerheeres, mel—
dete in einem Schreiben an den Erzbiſchof von Coͤln,
indem er die große Eintracht der Pilger ruͤhmte, daß
die Unglaͤubigen von jedem Widerſtande abgeſchreckt waͤ—
ren, und nunmehr die Eroberung von Jeruſalem keinen
großen Schwierigkeiten unterlaͤge 2); einige Pilger
ließen ſich bereden, zu glauben, daß Malek al Afdal, der
Sohn des großen Saladin, geſchreckt durch die Waffen
der Pilger, ſich entſchloſſen habe, zu dem chriſtlichen
Glauben ſich zu bekehren, und dieſer Entſchluß ſchon von ihm
durch Botſchafter den Fuͤrſten kund gethan worden ſey ?).
Die Kreuzfahrer wurden aus dieſer Unthaͤtigkeit das
durch aufgeſchreckt, daß Malek al Adel mit ſeinem Heere
wieder in ihrem Ruͤcken erſchien, die Zerſtoͤrung von
Sidon vollenden ließ, die Felder verheerte und zugleich
vor Tyrus ruͤckte 7°). Eiligſt verließen fies, als dieſe
Kunde gebracht wurde, Berytus und zogen, das Land,
welches ſie beruͤhrten, verwuͤſtend, zuruͤck nach Tyrus;
worauf Malek al Adel ſein Heer nach der Burg Honain
auf dem Berge Amilah, unfern von Tyrus, fuͤhrte und
in der Ueberzeugung, daß die Kreuzfahrer nichts Erheb—
liches unternehmen wuͤrden, zumal da der Winter einges
treten war, die Scharen aus Meſopotamien in ihre Hei—
magnum Gebal bey Rog. de Hov.
1. c. „Alii Sarraceni adventum
nostrum metuentes castrum, quod 75) Dieſes Gerüchtes erwähnt Roger
dicitur Gibel, et aliud casırum ſir- von Hoveden a. a O.
missimum, quod Lieche dicitur,
reliquerunt.“ Ep. Ducis Lotharing. 76) Ebn al Athir S. 534.
ap. Godefr. Mon. I. c.
74) Godefr, Mon. ann. 1. c.
J. Chr.
1197.
9. Chr.
45
42 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
math entließ 77). Auch war er ſchon entſchloſſen, die
aͤgyptiſchen Truppen gleichfalls zu entlaſſen, als ihn die
Nachricht uͤberraſchte, daß die, fünf Meilen oͤſtlich von
Tyrus, auf dem Wege nach Tiberias, gelegene, Burg Toron
oder Thebnin 's) von den Chriſten berennt werde. a
Dias heer der Pilger, als es am 11. December 1197
vor der Veſte Toron ſich lagerte 75%, war keinesweges in
einer fuͤr ſchwlerige Unternehmungen guͤnſtigen Stim⸗
mung. Die deutſchen Pilgerfürſten welchen, waͤhrend
ihres Aufenthalts zu Berytus, die Nachricht von dem,
am Tage vor St. Michaelis erfolgten Tode des Kaiſers
Heinrich 8°) war gebracht worden, ſehnten fi ch nach bal
27) Ebn al Athir a. a. O. Ueber
Honain vgl. Schult. ind. geogr. ad
Bohaed, vitam Saladini v. Honain,
78) Hugo Plag. p. 648. Bernard,
Thes. p. 818, wo die Entfernung der
Burg Thebnin von Tyrus zu fünf
Meilen (d. i. zehn Stunden) ange⸗
geben wird. Vgl. Schult. ind. geogr.
ad vitam Saladini V. Tebnin. Der
Name Toron kommt nur bey den
abendländiſchen Schriftſtellern vor,
ſo wie Thebnin nur bey den morgen⸗
ländiſchen. Arnold von Lübeck (Lib.
V. C. 4. p. 707) nennt dieſe Burg
Chorutum und ſagt, ſie ſey Eine Tage⸗
reiſe von Tyrus entfernt geweſen; bey
Albert von Stade (S. 298) heißt fie
Thurim, und bey Otto von St. Bla⸗
ſien (S. 42) Torolts. Im Chronicon
Urspergense (p. 304) iſt ſtatt Teto-
num zu leſen Teronum oder Toro-
num. Jacob von Vitry (hist. Hieros.
p- 1072) giebt folgende Beſchreibung
dieſer Burg: „Vir nobilis Hugo de
St. Aldemaro, Tyberiadensium do-
minus, inter civitatem suam et
Tyrum in montibus excelsis urbi
Tyrensi praeeminentibus ad decem
miliaria castrum munitissimum di-
ctum Toronum aedificavit, ut inde
Tyrenses quasi e vicino amplius
coarctare posset et molestare et
eorum subsequentium impetus de-
clinare; est autem inter mare et
Libani montem quasi in medio
constitutum, arboribus et vineis
et agriculturae commodissimum.““
Die Erbauung geſchah nicht lange
vor der Eroberung von Tyrus, alſo
vor dem Jahre 1124. (Vgl. Geſch.
der Kreuzz. Th. II. S. 501 folg.) Nach
Arnold von Lübeck: „locus ille prae-
ruptus erat nimis et inaccessibilis.““
Oliverius Scholaſticus (S. 1391)
nennt dieſe Burg: Turonem castrum
munitissimum in terra Zabulon et
Naphtalim. Wahrſcheinlich iſt der
auf der Arrowſmith'ſchen Charte
von Syrien ſich findende Ort Tiron
einerley mit Toron.
79) Am erſten Safar des Jahrs d.
H. 594. Ebn al Athir a. a. O., wo
unrichtig 593 gedruckt worden iſt.
80) Raumer, Geſch. der Hohenſtaufen
Belagerung von Toron. 43
9190 Ruͤckkehr in ihr Vaterland, indem der Eine bon de
den Verwirrungen, welche damals von der Erledigung
des deutſchen Throns unzertrennlich waren, Gefaͤhrdung
ſeines Eigenthums oder ſeiner Lehen beſorgte; ein Anderer
die Erfuͤllung ehrgeiziger Hoffnungen ſich verſprach; andere
wenigſtens dem Geluͤbde, welchem ſie damals ſich geweiht
hatten, die Ruͤckſicht auf die Vortheile der Partey, wel—
cher ſie angehoͤrten, vorzogen, und keinem von ihnen der
Ausgang der Wahlverhandlungen in Deutſchland gleichs
guͤltig war. Diejenigen, welche zwar dem Hauſe der
Hohenſtaufen eifrigſt ergeben, doch es fuͤr unvertraͤglich
mit der Ehre der deutſchen Ritterſchaft achteten, daß die
Kreuzfahrt ſchon damals für beendet erklaͤrt würde, und
den Vorwurf der Unbeſtaͤndigkeit fuͤrchteten *) hatten nur
dadurch die Gemuͤther einigermaßen beruhigt, daß ſie den
gemeinſamen Beſchluß der Pilgerfuͤrſten bewirkten, keinen
andern fuͤr ihren Koͤnig anzunehmen, als Friedrich, den
Sohn des verſtorbenen Kaiſers Heinrich 82). Viele Pilger
fanden es hoͤchſt aͤrgerlich, daß von der Eroberung der
heiligen Stadt Jeruſalem gar nicht die Rede war; ſon—
dern dagegen die eigennuͤtzigen Abſichten der gewinnſuͤch—
tigen Pullanen befoͤrdert wurden, welchen der Beſitz der
Staͤdte und Burgen an der Seekuͤſte, ſowohl wegen des
Th. 3. S. 72. Nach Albert von Stade
(a. a. O.), Hugo Plagon und Bern—
ardus Theſaurarius erfuhren die
Deutſchen den Tod des Kaiſers erſt
während der Belagerung von Toron.
81) Welchen der Papſt Innocenz III.
ihnen gleichwohl hernach machte, in:
dem er an den Erzbiſchof von Nar—
bonne ſchrieb (Ep. Lib. I. Ep. 356):
„Verum Teuthonici, rumoribus de
morte Imperatoris acceptis, non
exspectato passagii tempore, naves
reduces ascenderunt.“ Dieſelben
Worte wiederholt Innocenz in einem
Schreiben an den König Philipp von
Frankreich (Rymer foedera, Hag.
Comitum 1745 fol. T. I. P. I. p. 32)
und auf ähnliche Weiſe drückt er ſich
über die frühzeitige Rückkehr der
Deutſchen aus in Briefen an die ge—
ſammte franzöſiſche und engliſche Geiſt⸗
lichkeit (Ep. Lib. I. Ep. 346. Roger.
de Hov. fol. 447 B).
82) Arnold, Lubec, p. 706, 707.
4 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
I, Handels als der groͤßern Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit
des Kuͤſtenlandes, wichtiger ſchien, als der Beſitz von
Jeruſalem, wo nur die Froͤmmigkeit andaͤchtiger Pilger
Genuß und Befriedigung fand 88).
Die Burg Toron lag auf einem hohen und ſteilen,
faſt unzugaͤnglichen Berge, welcher faſt in der Mitte der
an Wein, Getreide und Fruͤchten reichen Gegend ſich er—⸗
hebt, welche von dem Libanon an der einen und dem
Meere an der andern Seite eingeſchloſſen wird; fuͤr
Tyrus war die Naͤhe dieſer Burg, welche das ganze nahe
liegende Land beherrſchte, ſo lange fie im feindlichen Bes
ſitze war, hoͤchſt laͤſtig. Hugo von St. Omer, Herr von
Tiberias, die Vortheile der Lage dieſes Berges wohl erz
kennend, hatte zur Zeit des Koͤnigs Balduin des Andern,
bevor Tyrus den Unglaͤubigen abgewonnen war, auf dem—
ſelben dieſe treffliche Burg erbaut, und die Burgmaͤnner,
welchen die Beſchirmung derſelben war uͤbertragen worden,
hatten den Tuͤrken oftmals großen Schaden zugefuͤgt, bis
fie nach der Schlacht bey Hittin, zugleich mit vielen an;
dern von den Chriſten auf den Hoͤhen des Libanon er—
bauten Veſten, in die Gewalt Saladin's fiel.
Die Belagerung der Burg wurde, ungeachtet der
Unluſt, welche der meiſten Pilger ſich bemaͤchtigt hatte,
eben ſo raſch als kuͤhn begonnen; und der Herzog von
Brabant, Feldherr des Heeres, traf die zweckmaͤßigſten
Anordnungen. Nachdem jedem Fuͤrſten fuͤr ſich und ſeine
Schar der Lagerplatz war angewieſen worden, ſo wurde das
83) „Nam quae sua sunt, non quae pulcrumque Domini parvi penden-
Jesu Christi quaerentes, regionem tes: idcegue tanto tempore tantis
maritimam, quae fertilissima est exercitibus parum proficientibus,
propter rerum ubertatem, tantum Jerusalem conculcatur a gentibus.““
obtinere delectantur, Jerusalem se- Otton, de St. Blasio Chron. c. 42.
Belagerung von Toron. 45
Lager durch Wall und Graben hinlaͤnglich befeſtigt; und,
J. Chr.
1197.
da es unmöglich war, Mauerbrecher und andere Belag
rungsmaſchinen an die, auf einer ſteilen Höhe liegende,
Burg zu bringen, ſo wurde die Untergrabung derſelben
begonnen; wobey die ſaͤchſiſchen Pilger, welchen aus den
Gruben des Rammelsberges bey Goslar ſolche muͤhevolle
und ſchwierige Arbeit nicht unbekannt war, beſonders
treffliche Dienſte leiſteten 82). Weil Malek al Adel die
Kreuzfahrer in ihren Unternehmungen nicht ſtoͤrte, ſo
ſchien die Belagerung einen gluͤcklichen Ausgang zu vers
heißen. Wiewohl die Belagerten es nicht unterließen,
die Untergrabungen der Chriſten zu ſtoͤren, ſo viel ſie es
vermochten, ſo gewannen ſie doch durch ihre Vorkehrun—
gen keinen Vortheil über die Geſchicklichkeit und Beharr⸗
lichkeit der chriſtlichen Werkleute; Ausfaͤlle aber machte
ihnen die Wachſamkeit der chriſtlichen Ritterſchaft un⸗
moͤglich. Erſt vier Wochen waren ſeit dem Anfange der
Belagerung verfloſſen, als ſchon die unterirdiſchen Werke
der Belagerer den Grundbau der Burg beruͤhrten; und
da das Holzwerk, welches ihnen zur Stuͤtze gegeben war,
zu rechter Zeit und an den geeigneten Stellen durch
Feuer zerſtoͤrt wurde, ſo ſtuͤrzte die Mauer ein an meh—
reren Orten; und die Beſatzung der Burg wurde da—
durch in Angſt und Verzweiflung gebracht s).
84) „Fuerunt sane ibi nonnulli
de Saxonia, quibus erat notum,
qua arte excavatur mons argenta-
zius, qui apud Goslariam multis
est cognitus,‘ Arnold, Lub. Lib. v.
c. 4. p. 707. Daß dieſe Pilger wirf:
liche Bergleute waren, läßt ſich aus
dieſen Worten nicht ſchließen. Das
Untergraben der Burg war indeß den
Muſelmännern keine ſo unbekannte
und überraſchende Erſcheinung, als
Arnold von Lübeck glaubt; denn es
war bey der Belagerung von Ptole—
mais und andern Belagerungen ſchon
in Anwendung gebracht worden.
85) Arnold. Lubec. p. 707, 708.
Oliver. Schol. p. 1395. Ebn al Athir
S. 834: „Quand les musulmans
virent les breches faites au chateau,
ils demanderent à capitules,“
46 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
Jeb Die Waffenruhe aber, welche den Fortſchritt dieſer
a Werke ſo ſehr beguͤnſtigte, naͤhrte und ſtaͤrkte nicht weni—
ger die Zwietracht, welche ſchon laͤngſt in dem Heere der
Pilger herrſchte und auf die aͤrgerlichſte Weiſe ſich offen
barte, ſobald Unterhandlungen mit der Beſatzung von
Toron begannen. Mit dieſen e berhlelt
es ſich auf folgende Weiſe.
Eines Tages riefen die Tuͤrken von der Mauer den
chriſtlichen Wachtpoſten zu, daß ſie wuͤnſchten, mit ihnen
zu reden, und als die Waͤchter herankamen, ſprachen die
Tuͤrken: „beantwortet uns, was wir in redlicher Abſicht
von euch fragen; wer iſt euer Herr, und weſſen iſt das
Kriegslager, welches wir erblicken?“ Die Chriſten erwie⸗
derten: „das Kriegslager, welches ihr ſehet, iſt das
Kriegslager des Pfalzgrafen Heinrich, und wir ſind deſſen
Knechte.“ Hierauf eroͤffneten ihnen die Tuͤrken, daß ſie
wuͤnſchten, mit dem Pfalzgrafen zu reden, weil ſie nicht
abgeneigt waͤren, unter billigen Bedingungen den Chriſten
die Burg zu uͤbergeben. Dieſelbe Abſicht thaten ſie auch
dem Pfalzgrafen kund, als dieſer bald hernach heranfam,
und baten ihn zugleich, daß er Abgeordneten aus ihrer
Mitte Gehör im Kriegsrathe der chriſtlichen Fuͤrſten vers.
ſchaffen moͤchte, welches er ihnen auch zuſagte. Hierauf
beſtimmte Herzog Heinrich von Brabant, welchem der
Pfalzgraf das Anſuchen der Tuͤrken vortrug, die Zeit,
in welcher ihre Antraͤge gehoͤrt werden ſollten. Es er—
ſchienen dann ſieben tuͤrkiſche Hauptleute und brachten
folgende Bedingungen in Vorſchlag: die Burg ſollte den
Chriſten uͤbergeben und der tuͤrkiſchen Beſatzung der freye
Auszug geſtattet werden, jedoch keinem der ausziehenden
Muſelmaͤnner erlaubt ſeyn, etwas Anderes als die noth—
duͤrftigſte Kleidung mit ſich zu nehmen; wer edles Metall,
Belagerung von Torom hl ch
Edelſteine, kostbare Kleidung oder irgend etwas Anderes 3, a
mit ſich zu nehmen verſuchen würde, follte das Leben vers
wirkt haben; die ſieben Abgeordneten ſollten Gefangene
der Chriſten ſeyn und gegen chriſtliche Gefangene, welche
noch in der Gewalt der Muſelmaͤnner ſich befaͤnden 8),
ausgewechſelt werden. Dieſer Antrag gefiel den anweſen—
den chriſtlichen Fuͤrſten ſehr wohl, und es wurde beſchloſ—
ſen, den Kanzler Conrad, welcher nicht gegenwaͤrtig war,
um Genehmigung der vorgeſchlagenen Bedingungen zu er⸗
ſuchen; der Kanzler aber entſchuldigte ſich mit Unpaͤßlich⸗
keit. Dadurch wurde zwar die Annahme des Antrages
der Muſelmaͤnner nicht gehindert; als aber im Lager der
Gang der Verhandlungen ruchtbar wurde, ſo fehlte es
nicht an ſolchen, welche daruͤber murrten und ihre Un—
zufriedenheit auch Andern mittheilten. Denn, ſprachen
fie, da die Mauern ſchon untergraben worden find, wars
um werfen wir nicht die ganze Burg nieder und ſchrecken
dadurch die Heidenſchaft ſo, daß Allen die Ohren klingen
und Niemand mehr uns zu widerſtehen wage!
Die Pilgerfuͤrſten beachteten indeß dieſe Rede nicht,
welche keinen andern Grund hatte als nur die Sucht,
dasjenige zu tadeln, was von Andern geſchehen war; und
der Graf Adolf von Schaumburg fuͤhrte die Abgeordneten
der Beſatzung, um ſie in ihrer Furcht vor den chriſtlichen
Belagerungsanſtalten zu erhalten, und ſie zu beſtaͤrken in
dem Entſchluſſe, die Burg den Chriſten zu übergeben 8),
86) „Defensores castrum dedere
volebant sub pactione vitae et re-
stitutione quingentorum captivo-
rum.“ Oliv. Schol. I. c.
87) Was Arnold von Lübeck (S. 70g)
alſo ausdrückt: „Comes Adolfus,
tersere volens animos adversario-
rum, ipsos, qui haec inter princi-
pes loquebantur, ad fossata dedu-
cebat, ut plenarie perspicerent,
quae parata eis supplicia immine-
rent.“ Arnold von Lübeck theilt aus⸗
führlich die Reden mit, welche dieſe
Abgeordneten an die Fürſten gehalten,
48 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
Zig; in dem Lager umher und zeigte ihnen deſſen Verſchan—
zungen. Ploͤtzlich aber griffen die Unzufriedenen zu den
Waffen, und fingen an, mit Baliſten und anderem Bela;
gerungszeuge die Burg zu beſtuͤrmen, fanden aber hefs
tigen Widerſtand, indem die Belagerten mit Pfeilen und
Steinen manche der ungeſtuͤmen Pilger verwundeten oder
toͤdteten. Den Fuͤrſten gelang es nur durch muͤhſame
Anſtrengung, durch Bitten, Ermahnungen und Drohun—
gen, dem unbeſonnenen Kampfe ein Ende zu machen;
worauf die Unterhandlungen mit den Abgeordneten der
Beſatzung von Neuem begannen, und erſt nach mehrern
Tagen der Vertrag zu Stande kam, unter der Bedingung,
daß einige der Abgeordneten bis zur Erfuͤllung der von
ihnen uͤbernommenen Verbindlichkeiten als Geiſel in der
Gewalt der Chriſten zuruͤckbleiben ſollten. Nachdem dieſe
Bedingung war angenommen worden, ſo gab endlich der
Kanzler Conrad zu dem Vertrage feine Zuſtimmung 8).
Diejenigen Pilger, welche aus Neid oder durch den
Geiſt des Widerſpruchs getrieben, dieſen Vertrag mißs
billigten und die Unterhandlungen ſo viel als moͤglich
erſchwert hatten, wurden aber durch jene Bedingung
noch nicht befriedigt und unterließen es auch fernerhin
nicht, der, Erfüllung des Vertrages entgegen zu wirken;
und die ſyriſchen Franken, ſo wichtig auch fuͤr ſie der
Beſitz von Toron geweſen waͤre, unterdruͤckten, zu eigenem
Schaden, ihren Widerwillen gegen die fremden Pilger
und worin ſie beſonders an die Liebe,
welche das Chriſtenthum gebietet, er⸗
innert haben ſollen; daß dieſe Reden
aber bloß rhetoriſche Verſuche des
Schriftſtellers ohne beſtimmte hiſtori⸗
ſche Grundlage ſind, dieſes unterliegt
keinem Zweifel.
88) Arnold von Lübeck (S. 709)
ſagt: „hoc dispensante Cancellario.“
Conrad ſcheint auch zu denen gehört
zu haben, welche mit den Unterhand:
lungen, wenigſtens anfangs, unzu—
frieden waren. Oliverius Scholafti:
cus erzählt dieſe Begebenheiten ſehr
unvollſtändig und unklar.
Belagerung von Toron. 9 0
nicht einmal ſo welt, daß ſie der heimlichen Aufwiegelung
der Muſelmaͤnner gegen das Heer der Pilger ſich enthiel—
ten. „Trauet nicht dem Kanzler,“ ſprach nach glaubwuͤr—
diger Nachricht 8) ein ſyriſcher Franke zu den Abgeord—
neten der Beſatzung, während fie ſich im Lager der Pilger
befanden, „denn ſobald ihr ihm die Burg werdet übers
liefert haben, ſo wird er euch in Feſſeln legen und toͤdten.“
Auf ſolche Weiſe vereitelten die Chriſten ſelbſt den
Erfolg dieſer Unterhandlungen. Denn als die muſel⸗
maͤnniſchen Abgeordneten, fo viele ihrer wieder zurück
kehrten, wiewohl ſie, ihrer den chriſtlichen Fuͤrſten gege⸗
benen Zuſage gemaͤß, zur Uebergabe der Burg riethen,
gleichwohl die Uneinigkeit nicht verſchwiegen, welche fie
im Lager der Pilger bemerkt hatten: fo faßten die Vers
theidiger von Toron wieder Muth und beſchloſſen, die
Geißeln, welche in der Gewalt der Chrlſten ſich befanden,
ihrem Schlckſale zu uͤberlaſſen, und die Vertheidigung
der Burg fortzuſetzen ?). In den Gemüthern derjenigen,
welche die Unterhandlungen mit den Unglaͤubigen betrle—
ben und mit Sicherheit gehofft hatten, daß der Befig
von Toron auch die Wiedererwerbung von Beaufort und
anderen benachbarten wichtigen Burgen zur Folge haben
wuͤrde, erregte dieſe Vereitelung ihrer Bemuͤhungen und
Hoffnungen den heftigſten Verdruß.
Aus dieſer Uneinigkeit der Pilger, welche durch dle
Verſchledenheit der Anſichten uͤber die Unterhandlungen
mit der Beſatzung von Toron neue Staͤrke gewonnen
hatte, entwickelten ſich, als die Belagerung wieder bes
80) Ebn al Athir a. a. O. tes, sive Babyloniorum adventum
90) Arnold, Lubec, I. c. cap. 5. audientes Sarraceni, relictis obei-
p. 709. Ebn al Athir a. a. O. „sive dibus, mutaverunt coneilium, **
severitatem Teutonicorum metuen- Oliv. Schol. I. c.
V. Band. D
J. Chr.
14194
J. Chr.
1198.
_
50 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. I.
Ac, gonnen werden mußte, bald die verderblichſten Folgen;
fo daß Alles verloren wurde, was bis dahin durch bes
wundernswuͤrdige Kunſt und faſt unglaubliche Anſtrengung
war errungen worden, und die Kreuzfahrt, welche mit
großen Erwartungen und nicht ohne Glanz begonnen hatte,
auf eine Weiſe ein Ende nahm, welche unter andern Ums
ſtaͤnden unbegreiflich ſeyn wuͤrde. Die Kreuzfahrer ſetzten
zwar mancherley Maſchinen in Bewegung; aber deren
Wirkung, da die ſteile Lage der Burg ihre Aufſtellung
ſehr erſchwerte, war von geringer Bedeutung, und der
Groll, welchen die Pilger wider einander ſelbſt trugen,
hinderte jede ruhige Berathung und Vereinigung fuͤr
zweckmaͤßigere Unternehmungen, und bewirkte uͤberhaupt
Fahrlaͤſſigkeit und Unachtſamkeit. So geſchah es, daß
den Belagerten es gelang, die Verſchanzung des chriſt—
lichen Lagers zu zerſtoͤren, mehrere der chriſtlichen Streiter
in dem Graben durch Schwert und Feuer zu toͤdten, und
andere gefangen zu nehmen, deren Koͤpfe hernach durch die
Wurfmaſchinen der Belagerten von der Mauer in das
chriſtliche Lager geſchleudert wurden. Nach der gewoͤhn—
lichen Weiſe dieſes Zeitalters betrachtete man dieſes Un⸗
gluͤck als goͤttliche Strafe der Ruchloſigkeit, welche auch
unter dieſe Pilger gekommen war, beſonders ihrer Aus—
ſchweifungen in der Wolluſt, wozu die Weiber ſich miß⸗
brauchen ließen, welche unter dem Vorwande, die noth—
wendige Bedienung der Pilger zu beſorgen, in das Lager
gekommen waren; man klagte uͤber die Selbſtſucht, den
Uebermuth und die Unvertraͤglichkeit der Pilger, welche,
obgleich fie gern Knechte des Heilandes ) ſich nennen
ließen, ſich gleichwohl nicht beſtrebten, durch ihren Wandel
gi) Servi Christi. Arnold. Lubec. p. 706.
51
dieſen Namen zu berdlenen; aber dieſe Klagen bewirkten
keine Beſſerung 5). f
Die Belagerung wurde indeß furtgeſett; und, da
die Lebensmittel den Belagerern zu mangeln anfingen, ſo
ward es nothwendig / einen großen Theil des Heers nach
Tyrus zu ſenden, um mit hinlaͤnglicher Sicherheit neue
. Vorräthe zu holen 50. Mittlerweile aber verbreitete ſich
die Nachricht, daß Malek al Adel im Anzuge ſey, um
Toron zu entſetzen; Malek al Aſis, der Sultan von Ae—
gypten „war mit feinen Truppen nach Asfalon gekommen,
und hatte bald hernach mit dem Heere ſeines Oheims,
N Malek al Adel, ſich vereinigt 54), und die Chriſten bes
f ſorgten daher mit Recht große Gefahr. Um deſto groͤßer
und allgemeiner war daher die Freude, als im Lager des
Kanzlers Conrad unter dem Schalle von Trompeten kund
gethan wurde, daß die Caravane aus Tyrus wohlbehalten
zurückgekommen ware. Es wurde hierauf am Tage vor
dem Feſte Maria Reinigung °°) ein Kriegsrath gehalten
Belagerung von Toron.
n 0 74 190.
92) Unter den heftigen Vorwürfen, fen gekommen, welche ihnen nicht
welche Arnold von Lübeck dieſen
Kreuzfahrern wegen ihres Betragens
während der Belagerung von Toron
macht, kommt auch folgende Aeuße⸗
rung vor: „Quanti,illic specie recti
decipiebantur, qui, navium sua-
rum pretio ditati, plus avaritiae
quam Christi militiae studebant!“
Es ſcheint aber ſehr unwahrſcheinlich
zu ſeyn, daß von den Pilgern viele
der Schiffe, auf welchen ſie nach
Syrien gekommen waren, verkauft
wurden; es mag indeß von einem
Theile der Pilger, welche durch die
Meerenge von Gibraltar gekommen
waren, geſchehen ſeyn. Die übrigen
Pilger waren auf italieniſchen Schif⸗
gehörten. Arnold ſchließt feine Straf:
predigt mit folgenden Worten: „Sed
veniam peto: non enim, ut quem-
quam confundam, haec scribo, sed
dilectos in Christo moneo.““
93) „Propter timorem hostium,
non paucorum fuit hae legatio,
sed plurimorum ; dimidiabant ergo
exercitum, cum alii irent, qui
carvani dicebantur, alii vero in
excubiis remanerent. “ Arnold,
Lub. p. 709.
94) Ebn al Athir a. a. O.
95) „In vigilia purificationis b.
Mariae virginis,* Arnold, Tubes.
Oliv. Schol. I. c.
D 2
J. Chr.
1198.
1. Febr ·
J Chr
52 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. I.
1108. und beſchloſſen, an dem folgenden feſtlichen Tage einen
allgemeinen Sturm gegen die Burg zu unternehmen, um
dieſelbe vor der Ankunft des feindlichen Heeres zu übers
waͤltigen; worauf ſogleich im Lager bekannt gemacht 2212
daß alle fuͤr den folgenden Tag zum Kampfe ſich berei en
ſollten. Wenn wir den Nachrichten glauben durfen vo,
welche über diefe, Begebenheit ten uns überliefert worden
ſind: ſo erregte dieſe Kundmachung große Freude; und
ſelbſt die Eintracht kehrte wieder unter di e Pilger zuruck,
ſo daß ſie ſich einander gegenfeitig ermahnten, in dem
bevorſtehenden entſcheidenden Kampfe für Chriſtum ent
weder zu fiegen, oder zu ſterben. In dieſer Stimmung
aber wurden die Pilger von der unerwarteten Nachricht
uͤberraſcht / daß die Dienerſchaft des Kanzlers Conrad und
der andern Fuͤrſten mit deren ganzem Gepaͤcke auf dem
Wege nach Tyrus abgezogen ſey. Dieſem Beyſpiele fol
gend, luden ſogleich alle übrigen pilger ihr Gepaͤck auf
die Laſtthiere und eilten zu Fuß und zu Pferde den Abs
ziehenden nach, indem ſie das Lager in ſolcher Eile und
Verwirrung verließen, daß nicht nur viele ihr Gepaͤck
verloren, ſondern auch die Kranken und Verwundeten zu
ruͤckgelaſſen wurden; und ein heftiges, mit gewaltigem
Sturm, Hagel und Regen begleitetes Gewitter vermehrte
die Aengſtlichkeit der Pilger auf dieſer ſchimpflichen
Flucht ??). Auf ſolche unbeſonnene Weiſe hob das chriſt⸗
6) Bey Arnold von Lübeck, dem
einzigen Geſchichtſchreiber, welcher
mit einiger Ausführlichkeit von die⸗
ſem Kreuzzuge berichtet; denn der
ſpätere, erſt dem funfzehnten Jahr⸗
hunderte angehörige Mönch Corner
hat ſeines Landsmannes Arnold Er⸗
zählung meiſtentheils nur abge⸗
ſchrieben.
97) Arnold. Lubec. p. 710. Vgl.
Oliv. Schol. I. o. Von dieſem letz⸗
tern Schriftſteller wird die Furcht vor
dem Heere der Ungläubigen, welches
zum Entſatze anzog, als die einzige
Urſache der ſchimpflichen Flucht des
chriſtlichen Heeres angegeben. Was
er aber ſich gedacht habe, bey der
hinzugefügten Nachricht, daß die
RNuͤckkehr der deutſchen. Pilger.
liche Heer die Belagerung von Roron auf, welche ſaſt ©
zwey Monate gewahrt hatte ?°). ö
Im folgenden Märzmonate ſchifften die Pilgerfürften
mit dem ‚größten Theile ihres Gefolges, theils zu Ptole⸗
mais, theils zu Tyrus ſich ein, um in ihr Vaterland zuruͤck⸗
zukehren, nachdem ſie unter die duͤrftigen Pilger, welche in
Syrien zurückblieben, die Waffen und Lebensmittel, deren
fie ſelbſt nicht mehr bedurften, vertheilt hatten. Der
Erzbiſchof Conrad von Mainz, die Biſchöfe von Verden
und paſſau, der Herzog Friedrich von Oeſtreich und eis
nige wenige andere angeſehene Pilger blieben noch im
Morgenlande zuruͤck; und der Erzbiſchof von Mainz,
welcher an der Belagerung von Toron keinen Antheil
genommen hatte, beſchäftigte fi, eifrigſt mit der Ord⸗
nung der Verhaͤltniſſe des Fuͤrſten von Antiochien zu dem
Koͤnige von Armenien, und kroͤnte auch den Koͤnig von
Armenien, nachdem dieſer den roͤmiſchen Kaiſer als ſeinen
Oberherrn anerkannt hatte. Der Erzbiſchof hatte, als
die Fuͤrſten noch zu Berytus ſich aufhielten, dieſen Auf
53
Saracenen in derſelben Nacht auf et:
nem andern Wege flohen, iſt nicht
einzuſehen; denn die Burg Toron
wurde unter den damaligen Umſtän⸗
deu ſicherlich nicht verlaſſen. In der
von Johann Herold verfaßten Fort
ſetzung der Geſchichte des Wilhelm von
Tyrus (Basil. 1560. fol. p. 79) wird
behauptet, daß die Nachricht von
dem Angriffe des Malek al Adel auf
Berytus die Aufhebung der Belage—
rung von Toron veranlaßt habe; auch
wird daſelbſt erzählt, daß den Chri-
ſten, da fie von Toron abzogen, die
Beſatzung von Berytus begegnet ſey,
welche die ſchlimme Botſchaft brachte,
daß jene Stadt in die Gewalt der
ungläubigen gefallen und von ihnen
zerſtört worden ſey. Wir wiſſen nicht,
aus welchen Quellen Johann Herold
dieſe Nachrichten geſchöpft hat.
98) Vom 11. December 1197 bis zum
x. Februar 1198. Nach der Stelle des
Dito von St. Blaſien Kap. 42: „Sed
ut ad digressa redeamus“ eto hat es
den Anſchein, als ob nach der Aufs
hebung der Belagerung von Toron
noch Kämpfe der Pilger wider die
Ungläubigen Statt gefunden haben;
ich zweiſte aber nicht, daß dieſe Nach:
richt auf die Zeit des erſten Aufent⸗
halts der Pilger zu Ptolemais vor
dem Zuge gegen Berytus ſich be:
zieht.
J. Chr.
1108.
„*
4
54 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
Chr.
3
trag übernommen, welchen der Kanzler Conrad eigentlich
vollziehen ſollte, und begab ſich nunmehr von Berytus
unmittelbar nach Antiochien und Armenien 0), und kam, |
weil er auf der Rückkehr in Italien und beſonders zu
Rom einige Zeit fi ich aufhielt, nicht ohne Wirkſamkeit
fuͤr die Angelegenheiten des heiligen Landes, erſt im
J. 1200 wieder in ſein Erzſtift, wo er bald hernach um
ter eifrigen Bemühungen, 7 die Deutſchen zu einer neuen
Kreuzfahrt zu bewegen, ſein Leben endigte 100). Der Her⸗
zog Frledeich von Oeſt reich aber ſtarb noch im gelobten
Lande am 16. April 1198, mitten unter den Vorbereitun⸗
gen zur a in 15 Vaterland, AB. einer e
BEN Arnold. Lubec. I. c. Von der
durch den Erzbiſchof von Mainz ge⸗
ſchehenen Krönung des Königs von,
Armenien gab der Katholicus von
Armenien dem Papſte Innocenz III.
Nachricht
Lib. IL. ep. 217): „Novexitis, Do-
mine, quod ad nos venit nobilis,
sapiens et sublimis Archiepiscopus
Maguntinus, qui nobis attulit ex
parte Dei et ex parte sublimitatis
Ecclesiae Bomanae et ex parte ma-
gni Imperatoris Romanorum, su-
blimem coronam, et coronavit Re-
gem nostrum Leonem,:et nobisred-
didit coronam, quam nos perdidi-
mus a longo tempore, unde nos
fuimus elongati a vobis, et nos
recepimus eam libenter et cum
magno gaudio, et inclinamus et
‘regratiamus Deo, et sanctae Roma -
nae Ecclesiae et alto Imperatori
Nnomanorum.“ Man erfährt übri⸗
gens aus dem Fortgange dieſes Brie⸗
fes, ſo wie aus einem Schreiben des
Königs Leo ſelbſt an den Papſt (vom
53. Mai 1109. Lib. II. ep. 219), die
(Epist. Innocentii III.
e welche den liefen
König und deſſen Geiſtlichkeit zu fo
großer Ehrerbietung bewogen gegen
die römiſche Kirche, daß der Katholi⸗
cus dieſelbe als Mutter aller Kirchen
anerkannte (quae est mater omnium
Ecclesiarum) und im Namen der
ganzen armeniſchen Geistlichkeit ihr
allen Gehorſam verſprach; die Ar⸗
menier bedurften nämlich des Bey:
ſtandes der Abendländer, um gegen
die Türken ſich zu behaupten. „Et
nos vos rogamus,“ ſchreibt der Ka⸗
tholicus weiter, „ut oretis Deum
Pro nobis, quia nos sumus in ore
draconis et in medio inimicorum
crucis, et inter eos, qui sunt natu-
zaliter inimici nostri. Et nos vos
rogamus per Deum, quatenus nobis
mittatis tale adjutorium et tale con-
silium, quod nos possimus conser-
vare honorem Dei et Christianitatis
et vestrum.““
100) Godefr. Mon. p. 365. Chro-
nicon Admontense ad a. 1200. p. 194.
Vgl. Gesta Innocentii III. ed, Balu-
zius p. 7.
Nüdkehr der deutſchen Pilger. 55
Krankheit, im vier und zwanzigſten Jahre feines Al, I,"
een |
Als die deutſchen Pilger, auf ihrer Rückkehr zum
Theil von den Siciliern und Apuliern ausgeplündert “?),
in ihre Heimath zuruͤckkamen, entſchuldigten fie den ſchlech⸗
ten Ausgang ihrer Kreuzfahrt damit, daß der Kanzler
Conrad und einige andere Pilgerfuͤrſten von den Templern,
welche fuͤr eine bedeutende Geldſumme bey den Unglaͤu—
bigen die Verpflichtung uͤbernommen haben ſollten, den
Unternehmungen der Kreuzfahrer entgegen zu wirken, durch
Beſtechung zu der ſchimpflichen Aufhebung der Belagerung
von Toron waͤren verleitet worden; indem ſie behaupteten,
daß das Gold, welches die Templer von den Unglaͤubigen
empfangen und zur Verfuͤhrung der Pilgerfuͤrſten zum
Theil angewendet haͤtten, falſch und nichts anderes, als
ſolches ſchlechtes, nur auf der Oberfläche vergoldetes Mes
or) Als den Todestag des Herzogs
Friedrich von Oeſtreich, welcher der
Katholiſche genannt wird, giebt ein in
der Abtey Heiligenkreuz bey Wien
vorhandener Leichenſtein XVI Kal.
Maji — 16. April an; eben ſo auch
das Necrologium Mellicense und
Claustro-Neoburgense; ſ. Martin
Hergott Taphographia principum
Austriae Pars I. Lib. I. cap. IV. p. 46.
47. Dagegen ſetzt der Catalogus prin-
cipum in Capitulo Crucis sepulto-
rum (vgl. Annales Austrio- Clara-
vallenses sive Zwetlenses Bernardi
Linck T. I. p. 236) den Tod des
Herzogs um Einen Tag früher, alſo
XVII Kal. Maji — 13. April 1198.
Eben ſo auch einige Chroniken. Vgl.
Chron, Admont. und Ortilonis No-
tulae (letztere in Hanthaler fastis
Campililiensibus) ad a. 1798. Von
den Pilgern, welche als Zeugen gegen⸗
wärtig waren, da Friedrich auf ſel⸗
nem Sterbebette die Abtey zum heili⸗
gen Kreuze zur Ruheſtätte im Tode
erwählte und derſelden den ort
Wegeldorf ſchenkte, werden genannt:
Wolfger, Biſchof von Paſſau, Eber—
hard, Graf von Dörenberg, Mein
hard, Graf von Görz, Ulrich Graf
von Epan und die Freyherren Conrad
von Ahauſen und Rapoto von Stain.
Vgl. den Brief Leopold des Siebenten
an die Mönche vom heil. Kreuze in
Hergott Monumentis austriacis. T. I.
de Sigillia p. 205, und Calles Ann.
austr. T. II. p. 160. 161. Walther von
der Vogelweide (Ausg. von Lach⸗
mann S. 19, Vers 30) fagt vom
Herzoge Friedrich: „dex an der sele
genas uud im der lip exstaxp.““ Wo
der Herzog ſtarb, ob zu Tyrus oder
Ptolemais, wird nirgends geſagt.
102) Alberti Stad. Chron. p. 298.
56 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
2,86%. tall geweſen ſey 03), womit in der Zeit der Kreuzzuͤge
dle Chriſten bey mehreren aͤhnlichen, nicht für fie ehren
vollen Gelegenheiten von den Ungläubigen pigii gr
wurden. ‚NY
Außer einigen Reliquien, womit einer oder der an
dere der ruͤckkehrenden Pilger ſeine heimathliche Kirche
ſchmuͤckte «q, gewann Deutſchland von dieſer Wallfahrt
eines großen Theils feiner tapferſten und edelſten Ritters
ſchaft nichts anderes, als neue Beſtaͤtigung der Wahrneh⸗
mung, daß im gelobten Lande weder Vortheil noch Ehre
zu gewinnen war, und den ſyriſchen Franken, den ſoge⸗
nannten Pullanen, die Stoͤrung des Friedens mit den
Unglaͤubigen, welchen fie ihrerſeits durch jede Nachgie—
bigkeit und Unterwerfung zu erhalten ſuchten, durch die
Ankunft eines kampfluſtigen Pilgerheeres nichts weniger
als erwuͤnſcht war. Daß aber der Widerwille der Pul⸗
lanen gegen fremde Pilger noch heftiger wurde als zuvor,
war die nothwendige Folge der Unbeſonnenheit, Plan—
loſigkeit und Unbeſtaͤndigkeit », welche die deutſchen
Pilger auf dieſer Kreuzfahrt bewieſen hatten; und je
weniger den damaligen deutſchen Pilgern es gelang, im
gelobten Lande ſich ihren Glaubensgenoſſen angenehm und
den Unglaͤubigen furchtbar zu machen: um fo mehr mußten
103) Dieſe Erzählung, welche nur
auf Argwohn und Vermuthung be⸗
ruhen mag, findet ſich in der Chronik
des Otto von St. Blaſien.
103) Der Erzbiſchof Heinrich von
Bremen brachte von dieſer Wallfahrt,
918 er über Venedig zurückkehrte, nach
Bremen Reliquien der heillgen Anna
und das Schwert, womit Petrus dem
Malchus das Ohr abgehauen hatte.
Aldertus Stad. l. o.
105) Vgl. oben S. 22. Anm. zo. Ye
berhaupt gefiehen die deutſchen Zeitbü⸗
cher es ein, daß dieſe Wallfahrt den
Deutſchen mehr Schande als Ehre
brachte. Das Chronicon Urspergen-
se, nachdem es p. 304 die Namen
einiger Fürſten, welche daran Theil
nahmen, angeführt hat, fährt fort:
„et plures alii, quos memorare non
curo. Nulla est enim ambitio me-
morandi, quos constat plurimos
fuisse et nullos. Nihil valet, nisi
subsequatur effeotus,“*
Waffenſtillſtand mit den Muſelmännern. 57
manche anmaßliche Verfuͤgungen ihrer Fuͤrſten, welche / age
weil die Gewalt in ihren Haͤnden war, als Herrn des
Landes ſchalten zu duͤrfen glaubten, die Unzufriedenheit
und Gegenwirkungen derer erwecken, welche durch fruͤhern
Beſitz ein begruͤndeteres Recht zu haben glaubten. Unter
dieſen Umſtaͤnden wuͤrde der Herzog Heinrich von Bra—
bant ſeiner zuverſichtlichen Zuſage, welche er nach der
Eroberung von Berytus in einem Schreiben an den
Erzbiſchof von Coͤln gab, daß er im Stande wäre, im ge⸗
lobten Lande Viele reichlich zu verſorgen , nicht leicht
haben entſprechen koͤnnen; und die armen Deutſchen,
welche, dadurch verleitet, es haͤtten unternehmen wollen,
in einem Lande, wo Franzoſen und Italiener die Ober⸗
hand hatten, wenn kein deutſches Heer anweſend war,
ihr Unterkommen zu ſuchen, wuͤrden ſicherlich bald Urſache
gefunden haben, ihre Leichtglaͤubigkeit zu bereuen. Es
ſcheint aber auch jene Zuſicherung des Herzogs von keiner
erheblichen Wirkung in Deutſchland geweſen zu ſeyn; denn
es wird uns von einer Wanderung deutſcher an edler
nach Syrien nichts berichtet.
Unmittelbar nach dem ſchimpflichen Abzuge der deut;
ſchen Pilger von Toron knuͤpfte der Koͤnig Amalrich Un—
terhandlungen wegen Erneuerung des Waffenſtillſtandes
mit Malek al Adel und dem aͤgyptiſchen Sultan Malek
al Aſis an; und, da Unruhen, welche in Aegypten von den
dortigen Emirs angeſtiftet worden waren, die ſchleunige
Ruͤckkehr des Sultans in fein Reich, noch vor Beendigung
der Unterhandlungen, nothwendig machten, und Amalrich
bei den Muſelmaͤnnern in der Achtung ſtand, daß er ein
106) „Si qui etiam in terra pro: assignari faciemus,““ Godefr, Mon.
missionis remanere voluerint, re- p. 362.
ditus eis sufficientes in eadem terra
58 Geſch. d. Kreuzz. B. VI. K. I. Waffenſtillſt. m. d. Mufelm.
Ex ehr. perſtaͤndiger Mann waͤre, und den Frieden liebte, ſo kam
der Waffenſtillſtand unter der für die Chriſten ſehr vor—
theilhaften Bedingung zu Stande, daß die Stadt Bery—
tus in ihrem Beſitze bleiben ſollte. “““)
Die deutſchen Pilger, welche erſt nach der vuti
lichen Beendigung des Kriegs wider die Unglaͤubigen
nach dem gelobten Lande kamen, um ihr Geluͤbde zu er—
fuͤllen, wie der Markgraf Otto von Brandenburg und
andere 18), begnuͤgten ſich, die heiligen Oerter zu befus
chen, zu welchen den Pilgern die Wallfahrt geſtattet war,
und kehrten, nach vollbrachten Uebungen der Andacht, in
Frieden zuruͤck in ihre Heimath. -
107) Ebn al Athir S. 555. Nach
Hugo Plagon S. 648 wurde auch
der Beſitz von Gibelet den Chriſten
in dem Waffenſtillſtande beſtätigt.
Ueber die Dauer des Waffenſtillſtan—
des ſind die Nachrichten verſchieden.
Nach abendländiſchen Nachrichten
wurde er für ſechs Jahre geſchloſſen
(Roger. de Hov. fol. 466 B. nach
Albert von Stade p. 298 auf ſechs
Jahre, ſechs Monate und ſechs Tage);
auf fünf Jahre und acht Monate nach
der Erzählung der handſchriftlichen
Fortſeßzung der Chronik des Abu
Schamah oder Schahabeddin, deren
Nachricht von den letzten Begebenhei⸗
ten dieſer Kreuzfahrt ich in wörtli⸗
cher Ueberſetzung mittheite: „Im
Jahre 594 zogen die Franken gegen
Thebnin, worauf Malek al Adel den
Kadi Mohideddin Ebn as Saki zum
Malek al Aſis nach Aegypten ſandte,
um Hülfe zu begehren; und Malek
al Aſis ſchickte nicht nur ſein Heer,
ſondern kam auch ſelbſt. Die Fran⸗
ken aber, als ſie die Stärke der Scha⸗
ren des Islam erfuhren, zogen ab,
ohne ihre Abſicht erreicht zu haben,
nachdem ſie die Burg zwei Monate
und ſieben Tage mit großer Begierde,
ihrer ſich zu bemächtigen, belagert
hatten. Malek al Aſis kehrte hierauf
zurück nach Aegypten, und Malek al
Adel nach Damaskus, nachdem der
Waffenſtillſtand mit den Franken zu
Stande gekommen war auf fünf
Jahre und ſechs Monde, anfangend
vom 14 Schaban 594. (31. Jun. 1198).“
108) Pulkawae Chronicon (in Do-
bneri Monumentis historicis Boe-
miae T. III.) ad a. 1200 p. 204. Der
Markgraf Otto, welcher früher von
feinem Gelübde war entbunden worden
(ogl. oben S. 17), unternahm die Wall⸗
fahrt nach dem gelobten Lande aus
dem ſonderbaren Grunde, weil ſeine
Gemahlin ihm keine Kinder gebar.
59
zwepntes Kapitel.
7
Der unruͤhmliche Ausgang der deutſchen Kreuzfahrt ber- J. 100
minderte bey den chriſtlichen Voͤlkern des Abendlandes
die Theilnahme an dem Schickſale des gelobten Landes;
obwohl die Betrachtung id aufdraͤngte, daß die deutſchen
Wallfahrer ſich ſelbſt die Schuld des Mißlingens ihrer
Unternehmungen beizumeſſen Hätten, Auch waren in allen
den Ländern, wo bisher der Eifer für das heilige Land
am lebendigſten geweſen war, die Fuͤrſten und Ritter
durch vielfältige andere Händel beſchaͤftigt. In Deutſch—⸗
land kaͤmpften, nach dem Tode des Kaiſers Heinrich,
Philipp von Hohenſtaͤufen und Otto von Braunſchweig
um den Thron; und die Fuͤrſten dachten nur darauf, in
ſolcher Verwirrung des Reichs fuͤr ſich oder ihre Partey
ſo viel als moͤglich zu gewinnen. Die Waffen der eng—
liſchen und franzoͤſiſchen Ritter wurden durch den Krieg
in Anſpruch genommen, welchen die Koͤnige Richard und
Philipp Auguſt ſeit ihrer Ruͤckkehr aus dem gelobten
Lande wider einander mit großer Erbitterung fuͤhrten.
Unter ſolchen unguͤnſtigen Umſtaänden aber wurden die
Angelegenheiten des heiligen Landes ein Hauptgegenſtand
der Thaͤtigkeit des Oberhauptes der Kirche.
In derſelben Zeit, in welcher die deutſchen Kreuz—
fahrer die Burg Toron belagerten, naͤmlich im Anfange
des Jahres 1198, war der hochbetagte Papſt Coͤleſtin der
Dritte geſtorben *), und der Cardinal Lothar, Sohn des
Grafen Traſimund von Segni und der Claricia, einer
1) Cöleſtin ſtarb am 8. Januar (VI Epist. Lib. I. 11. Baronii Annales
Idus Jan.) 1198. Innocentii III. eccles. ad h. a.
J. Chr.
1198.
60 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
edlen Roͤmerin, war durch faſt einſtimmige Wahl der
Cardinale auf den Stuhl des heiligen Petrus erhoben 2),
und Innocenz der Dritte genannt worden. Obgleich
Innocenz, nachdem er zuerſt zu Rom, dann zu Paris und
endlich zu Bologna des Unterrichts der beruͤhmteſten Leh—⸗
rer ſeiner Zeit genoſſen hatte, durch mehrere Schriften
für ſich den Ruhm eines f ſcharfſinnigen und nach der Weiſe
ſeiner Zeit tief denkenden Gelehrten begruͤndet hatte: ſo
war er doch, als er die väpfliche Krone erlangte, nicht
älter als fieben und dreyßig Jahre; im neun und zwan⸗
zigſten Jahre feines Alters war er von Clemens dem
Dritten ſchon zum Cardinal; Diaconus erhoben und die
Kirche der heiligen Sergius und Bacchus ihm verliehen
worden 9). Von vielen Seiten wurde zwar anfangs
große Klage darüber. geführt, daß die Cardinale in fo
gefahrvoller Zeit einen jungen Mann zum Oberhaupte der
8) Die Wahl Innocenz des Dritten.
geſchah nach den Gestis c. 3: „ad
septa solis monasterii Clivisauri.““
Dafür iſt aber zu leſen: ad septem
solia monasterii clivi Scauri. Dieſe
septem solia waren ein thurmähn⸗
liches Gebäude mit vielen Säulen
und von ſieben Stockwerken (soliis),
welches zwiſchen dem palatiniſchen
Berge und dem Clivus Scauri dem
Monasterium clivi Scauri gegen:
über lag. In dem oberſten Raume
deſſelben befand ſich eine Kirche der
heiligen Lucia ad septem solia.
Schon der Kaiſer Heinrich IV. be
ſchädigte dieſes Gebäude, welches
damals, wie die moles Hadriani, be⸗
feſtigt war und von einem Neffen des
Papſtes Gregor des Siebenten be—
wohnt wurde, ſehr bedeutend, als er
daſſelbe nach der Einnahme von Rom
im J. 1084 belagerte; ſpäterhin litt
es viel durch wiederholte Feuers⸗
brünfte, und Sixtus der Fünfte ließ
es zu großem Verdruſſe der Freunde
des Alterthums gänzlich zerſtören,
um die Steine deſſelben auf andere
Weiſe zu benutzen. Auch der Papſt
Gregor der Neunte wurde im J. 1227
in dieſem Gebäude erwählt. Vgl.
Baronii annales eccles, ad a. 1084.
H. 5. Rainaldi ann, eccles. ad a.
1227. H. 13. Das Monasterium clivi
Scauri iſt das jetzige Kloſter des hei⸗
ligen Gregorius, ehemals des heil.
Andreas, welches in früherer Zeit
jen en erſten. Namen führte (ogl. Die,
von Mabillon im Iter Italicum p. 16
aus einer alten Lebensbeſchreibung
des Papſtes Gregor des Großen,
welcher Mönch in dieſem Kloſter
war, angeführte Stelle ). Die Wahl
Innocenz des Dritten geſchah an dem
Tage, an welchem Cöleſtin begraben
wurde (ipso die depositionis), alſo
nicht ſchon am g. Januar, dem
Todestage Cöleſtin's, wie in den
Gestis Innocentii III. c. 7 und ei⸗
nigen andern Chroniken angegeben
wird. Innoc. Epist. Läb. I. 11.
3) Gesta Innoc, c. 3.
Der Papſt Inunocenz III. „
Kirche erwaͤhlt haͤtten ); aber Innocenz der Dritte ent, Jg. ‚ehr.
fernte bald nicht nur jede wegen feiner Jugend >. e
Beſorgniß, ſondern gewann fogar allgemeine Bewundes
rung und unbeſchraͤnktes Vertrauen durch die eben ſo
umſichtige und wohl berechnende Klugheit und Beſonnen—
heit, als raſche und kraftvolle Thaͤtigkeit und Beharr—
lichkeit, womit er in allen Angelegenheiten der Kirche und
des paͤpſtlichen Stuhls durchgreifende Anordnungen traf
und durchfuͤhrte. Diejenigen, welche Gelegenheit hatten,
das in jeder Hinſicht kluge und beſonnene Benehmen des
Papſtes in der Nähe zu beobachten, urtheilten, er wäre
zwar ein Juͤngling an Alter, aber ein Greis an Erfah—
rung und Klugheit “).
Mit einem uͤberaus angenehmen Aeußern verband
Innocenz einen Ernſt und eine Wuͤrde, welche Vertrauen
und Achtung einfloͤßten; er war von mittlerer Geſtalt,
ſeine Geſichtszuͤge waren gefaͤllig und edel, ſeine Haltung
kraͤftig und maͤnnlich. Seinen durchdringenden Verſtand
unterſtuͤtzte ein aͤußerſt treues Gedaͤchtniß. In ſeinen
Grundſaͤtzen war er feſt und unerſchuͤtterlich; ſtrenge gegen
Halsſtarrige, leutſelig und ſanft gegen Demuͤthige; gerecht,
aber auch milde; freimuͤthig und offen; den Kampf zwar
fuͤr das, was er als gut, richtig und wahr erkannte, nicht
ſcheuend, aber auch vertraͤglich und friedliebend; jeder
3) In dieſe Klage ſtimmte Walther
von der Vogelweide (nach der Aus⸗
gabe von Lachmann S. 9) alſo ein:
ich hörte verne in einer klus
vil michel ungebäre:
da weinte ein kloſenäre.
er klagete gote finiu leit:
owe der babeſt iſt ze jung, hilf
herre diner kriſtenheit.
5) „Erat vir multae discretionis
et gratiae, juvenis quidem aetate
sed canus prudentia, maturus ani-
mo, morum honestate compositus,
clarus genere, forma conspicuus
amator aequi et boni, inimicus au-
tem nequitiae et malitiae, adeo ut
non tam forte quam merito Inno-
centius vocaretur.“ Guntheri hi-
storia Constantinopolitana (in Ca-
nisii Lectionib. antiquis ed. Jac.
Basnage T. IV) o. 9. p. IX.
62 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Cap. II.
** 3 Ungerechtigkeit und Unredlichkeit feindſelig und fern von
der Begierde nach unrechtmaͤßigem Gewinn; zwar nicht
verſchwenderiſch, aber auch nicht karg und in Almoſen
freygebig, geneigt zu Aufwallungen des Zorns, aber auch
verſoͤhnlich; weltklug und vorſichtig, aber auch groß⸗
muͤthig. Sowohl in der lateiniſchen als in der welſchen
Sprache war er beredt, und ein Freund der Kuͤnſte, bes
ſonders der Muſik und Baukunſt. Im Kirchengeſange
war er ſehr erfahren und geübt; die Baukunſt und die
ihr dienenden Kuͤnſte ſchaͤtzte er als nothwendige Mittel
zur Erhaltung des aͤußern Glanzes der Kirche, und mes
nige Paͤpſte haben Rom durch ſo viele herrliche Gebaͤude
geſchmuͤckt als Innocenz der Dritte. Schon als Cardinal
gab er mit großen Koſten der ihm zugewieſenen Kirche
der heiligen Sergius und Bacchus ein wuͤrdigers An ſehen
durch den Bau eines neuen Daches und eines neuen
Hauptaltars und die Errichtung neuer Gitter vor dem
Chore; und als er auf den paͤpſtlichen Stuhl war erho—
ben worden, ſo ſchmückte er von dem Gelde, welches er
als Cardinal ſich erſpart hatte, das Aeußere dieſer Kirche
mit einer Saͤulenhalle Sy
So wie wegen dieſer Eigenſchaften, welche felten
ſich vereinigen, Innocenz zur Herrſchaft uͤber ſein Zeit⸗
alter geboren war und dieſe Herrſchaft ſicherlich behaup—
tet haben wuͤrde, auch wenn ihm von der Vorſehung
ein anderer Wirkungskreis waͤre beſchieden worden: ſo
erhielt ſeine Thaͤtigkeit als des Oberhauptes der Kirche ihre
Richtung durch die hohe Meinung von der Wuͤrde des
Prieſterthums und beſonders von der Herrlichkeit des
6) Gesta Innocentii III c. 1 4. Vgl. beſonders Er: Lib. I. 176. und
viele andere Briefe.
Der Papſt Innocenz III. Be
paͤpſtlichen Stuhls, welche ihn durchdrang und begeifenter reg
„Am Firmamente des Himmels, das iſt, der allgemeinen
Kirche,“ ſchrieb er dem byzantiniſchen Kaiſer Alexius, “ ſchuf
Gott zwey große Lichter, das iſt, zwey hohe Würden,
das prieſterliche Anſehen und die koͤnigliche Gewalt. Das
erſtere, welches uͤber die Tage, das iſt uͤber die geiſtigen
Dinge, herrſcht, iſt das hoͤhere, und die letztere, welche
über fleiſchliche Dinge herrſcht, iſt die geringere; und
daher iſt auch zwiſchen Prieſtern und Koͤnigen derſelbe
Unterſchled, wie zwiſchen Sonne und Mond ).“
Die chriſtliche Herrſchaft in Syrien war ſeit länger
als hundert Jahren ein zu wichtiger Gegenſtand der paͤpſt—
lichen Sorgfalt, als daß ein Papſt, welcher entſchloſſen
war, nicht nur die früher erworbene Gewalt des Stuhls
Petri in ihrem ganzen Umfange zu behaupten ſondern
wo moͤglich noch zu erweitern, nicht auf ſie vorzuͤglich
feine Aufmerkſamkeit hätte richten ſollen. Wenn die abends
laͤndiſche Kirche als die allgemeine Kirche gelten ſollte,
ſo war es vor Allem nothwendig ’ daß fi ie in dem Lande
ſich behauptete, welches das Urland der chriſtlichen Lehre
war; und außerdem war nichts geeigneter als eine Kreuz⸗
fahrt, um der paͤpſtlichen Thaͤtigkeit durch Ertheilung
von Pribilegien der Kreuzfahrer, allgemeinen Ablaß fuͤr
die mit dem Kreuze Bezeichneten, und mancherley Eins
wirkungen in die Angelegenheiten der Fuͤrſten, welche
das Kreuz nahmen, einen glaͤnzenden Wirkungskreis zu
eröffnen.
Obwohl die Thaͤtigkeit Innocenz des Dritten fogleich
im Beginne ſeiner Regierung auf vielfache Weiſe ſowohl
durch die bedraͤngte Lage der weltlichen Herrſchaft des
) Gesta Innoc. III. cap. 62.
64 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Cap. II.
3. e roͤmiſchen Stuhls, welche eine Folge der kraftloſen Regie⸗
rung des alten Papſtes Coleſtin war, als durch die Vers
wirrungen in Apulien und Sicilien und durch viele andere
wichtige Angelegenheiten in Anſpruch genommen wurde:
ſo lenkte ſich gleichwohl unmittelbar nach ſeiner Erhebung
auf den paͤpſtlichen Stuhl ſeine Aufmerkſamkeit auch auf
das gelobte Land, wo damals noch das Heer der deut—
ſchen Pilger ohne großen Erfolg den Krieg wider die Un—
glaͤubigen fuͤhrte. Eines der erſten Schreiben, welche
Innocenz als Papſt erließ, war an den Patriarchen von
Jeruſalem und deſſen Suffraganbiſchoͤfe gerichtet, und
enthielt die eindringlichſte Ermahnung, die Geißel Gottes,
wovon die Kirche des heiligen Landes und mit ihr die
allgemeine Kirche heimgeſucht worden, mit Geduld und
Ergebung zu tragen, und durch frommes Gebet, Faſten
und andere Kaſteyungen des Fleiſches, fo wie durch
andere Werke ungeheuchelter Froͤmmigkeit und ernſte Be
reuung der begangenen Suͤnden den goͤttlichen Zorn zu
verſoͤhnen und die ihrer geiſtlichen Obhut anvertrauten
Chriſten zur Buße und ernſten Sinnesaͤnderung anzu—
halten, damit Gott nicht ferner ſein Erbtheil der Schmach
bei den Voͤlkern preis gaͤbe; auch verſprach er ihnen,
ſoviel in ſeinen Kräften fände, für die Errettung des hei—
ligen Landes aus der Knechtſchaft der Heiden zu wirken.
In gleihem Sinne ſchrieb er an den Erzbiſchof Conrad
von Mainz und die uͤbrigen deutſchen Biſchöfe, welche
als Pilger im gelobten Lande waren, ſie ermahnend, mit
dem Schilde des Glaubens und dem Helme des Heils,
und im Vertrauen auf die Huͤlfe des Himmels und die
Unterſtuͤtzung des oberſten Biſchofs der Chriſtenheit den
Kampf wider die Heiden kraͤftig und nachdruͤcklich fort—
zuſetzen. Eben ſo legte er dem Herzoge von Brabant,
Der Papſt Innocenz III. 65
dem Landgrafen von Thuͤringen und den übrigen deutſchen To
Pilgerfuͤrſten es ans Herz, durch Reinheit des Herzens
und Unſtraͤflichkeit ihres Wandels ſich des goͤttlichen Bey⸗
ſtandes in dem heiligen Kampfe, welchem ſie ſich geweiht
haͤtten, wuͤrdig zu machen, und nicht zuzugeben, daß in dem
Lande ihrer Pilgerſchaft, wo einſt die Fuͤße des Heilandes
geſtanden, unter ſie von den boͤſen Engeln der Saame der
Gottloſigkeit gebracht und dadurch von ihnen die Gnade
deſſen abgewandt wuͤrde/ ohne welchen ſie weder das
Vaterland des Herrn behaupten, noch überhaupt der Ge
walt der Feinde würden widerſtehen koͤnnen; auch er⸗
mahnte er ſie, nicht auf ihre Zahl, ſondern auf Gott zu
vertrauen 3). Dieſe wohlgemeinten Ermahnungen des
Papſtes kamen aber zu ſpaͤt. Eben ſo war auch die Er⸗
mahnung, welche er an Andreas, den Sohn des Koͤnigs
Bela von Ungarn, richtete, die Kreuzfahrt zu vollziehen,
welche er ſeinem Vater auf deſſen Sterbebette zugeſagt
hatte ?), ohne Erfolg.
Die Fruchtloſigkeit dieſer erſten Ermahnungen min
derte den Eifer des Papſtes fuͤr die Angelegenheiten des
heiligen Landes nicht; vielmehr fuhr Innocenz fort, bey
jeder Gelegenheit, in lebhaften Schilderungen den Gläus
bigen die ungluͤckliche Lage des heiligen Landes vorzu—
halten *°), und die Kreuzfahrt nach dem gelobten Lande
als ein hoͤchſt verdienſtliches und Gott wohlgefaͤlliges Uns
ternehmen mit aller Kraft feiner Beredſamkeit zu empfeh⸗
len. Mit dem größten Eifer beſchuͤtzte er diejenigen,
8) Epist. Lib. I. 11 — 18. findet ſich auch in den Reden des
9) Epist. Lib. I. 10. Papſtes Innocenz des Dritten (de
10) Eine ſehr dringende und be: Apostolis Sermo II in communi
redte Ermahnung zur Befreyung der Apostolorum, Opp. Colon. 1575 fol.
heiligen Stadt Jeruſalem von der Tom. I. p. 164. 165).
ſchimpflichen Herrſchaft der Heiden a
v. Band. E
J. Chr.
1:98.
65 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IL.
welche das Kreuz genommen hatten, gegen Beſchaͤdigungen
und Verfolgungen. Indem er bey dem Herzoge Philipp
von Schwaben und dem Herzoge Friedrich von Oeſtreich
keine Ermahnungen ſparte, um ſie zur Zuruͤckgabe des
Loͤſegeldes, welches der Kaiſer Heinrich und der Herzog
Leopold von dem Könige Richard erpreßt hatten, zu be⸗
wegen **), nahm er die deutſchen Pilger, welche mit dem
Erzbiſchofe von Mainz und dem Kanzler Conrad nach,
Syrien gezogen waren, in Schutz gegen diejenigen, welche
der Guͤter und Beſitzungen der Abweſenden ſich zu be⸗
maͤchtigen ſuchten; dem Erzbiſchofe von Magdeburg und
deſſen Suffraganbiſchoͤfen gebietend, ſolchen Frevel zuerſt
durch Ermahnungen, und falls dieſe fruchtlos blieben,
durch kirchliche Strafen, gegen welche keine Appel—
latlon an den paͤpſtlichen Stuhl zulaͤſſig ſeyn ſollte, zu
ſteuern *. ;
Vornehmlich nahm er für das bedraͤngte Heilige Land
die thätige Huͤlfe der Geiſtlichen in Anſpruch, von ihnen
nicht nur die eifrige Ermahnung der Layen zur Kreuz—
fahrt und zur Unterſtuͤtzung derer, welche die Waffen, für
den Heiland zu nehmen ſich entſchloſſen, ſondern auch
eigne Beyſteuer aus den Einkuͤnften ihrer Pfruͤnden und
kirchlichen Aemter fordernd. Die deutſchen Pilger hatten
nach der zuvor berichteten unruͤhmlichen Beendigung ihres
Kampfes gegen die Unglaͤubigen noch nicht Syrien ver—
laſſen, als Innocenz im Sommer des Jahres 1198 die
Biſchoͤfe und geſammte Geiſtlichkeit von Toscana, Apulien,
Calabrien und Sicilien aufforderte, das Kreuz zu predigen
und, Staͤdte, Burgen und Doͤrfer durchziehend, Adel,
Buͤrger und Volk durch nach druͤckliche Ermahnungen zur
in) Ep. I. 230, 236. 232. Vgl. Geſch. 12) Ep. L. 300.
der Kreuzz. Th. IV. S. 618. 1 . 124 3
u.
Der Papſt Innocenz III. 67
ſchleunigen Bewaffnung wider die Feinde des chriftlis a
chen Glaubens und des heiligen Landes zu bewegen 23).
Bald darauf erließ Innocenz ein Schreiben an alle
Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Praͤlaten, ſo wie die Grafen
und Barone und das ganze chriſtliche Volk der Koͤnig⸗
reiche Frankreich, England, Ungarn und Sicilien, die
bedraͤngte Lage des gelobten Landes, welche durch den
letzten Kreuzzug der Deutſchen mehr verſchlimmert als ge—
beſſert worden, mit Kraft und Beredſamkeit ſchildernd.
Er meldete in dieſem Schreiben, daß er, um durch das
Beyſpiel der unmittelbaren Theilnahme des apoſtoliſchen
Biſchofs und des Clerus der roͤmiſchen Kirche an dieſem
heiligen Unternehmen die Glaͤubigen zum Beyſtande des
heiligen Landes zu ermuntern, mit eigner Hand den
Cardinal-Legaten Suffried und Petrus *), zwey eben
ſo redlichen und gottesfuͤrchtigen als gelehrten und be—
redten Praͤlaten, das Kreuz ertheilt habe, mit dem Auf—
trage, dem Heere der bewaffneten Kreuzfahrer auf Koſten
der roͤmiſchen Kirche, und ohne den Beyſtand fremder
Mildthaͤtigkeit, voranzugehen und den Chriſten des hei—
ligen Landes die ihnen von dem heiligen Stuhle zuge—
dachte Unterſtuͤtzung zu uͤberbringen. Beyde Legaten aber
ſollten, wie in eben dieſem Schreiben gemeldet wurde,
bevor ſie die Meerfahrt nach Syrien antraͤten, andere
13) Eine ſolche Aufforderung erhiel:
ten von Innocenz III. insbeſondere
der Erzbiſchof von Syracus und der
Abt von Sambucino. Epist. I. 302.
Den letztern entfchuldigte der Papſt
bei dem allgemeinen Capitel des
Ciſterzienſerordens, welchem er, be—
ſchäftigt durch die Kreuzpredigten,
nicht beywohnen konnte. Ep. I. 358.
P. 210. E
14) „Stephano tit. S. Praxedis Pres-
bytero et Petro tit. S. Mariae in via
lata Diacono, Cardinalibus, manu
propria crucis signaculum impo-
nentes.““ Epist. I. 336. In den ge-
stis Innocentii III. c. 46. p. 19. und
einem ſpätern Briefe des Papſtes an
den König von Frankreich (I. 355.)
wird der erſtere dieſer beiden Cardi⸗
näle Soffridus genannt.
E 2
E72
Bar
0
68 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. II.
wichtige Aufträge für die Wohlfahrt des gelobten Landes
vollziehen; der Cardinal Peter wurde mit einer Sendung
an die Koͤnige von Frankreich und England beauftragt,
um zwiſchen ihnen einen beſtaͤndigen Frieden oder doch
wenigſtens einen fünfjährigen Waffenſtillſtand zu ſtiften,
und die Voͤlker dieſer beyden Koͤnige zum Dienſte des
Gekreuzigten aufzufordern; der Cardinal Suffried aber
begab ſich nach Venedig, um dort das Kreuz zu predigen,
waͤhrend die Cardinaͤle Peter, Presbyter der heiligen
Caͤcilia, und Gratian, Diaconus der heiligen Cosmas und
Damianus, zu Piſa und Genua, jedoch ohne Erfolg, zur
Bewaffnung fuͤr das heilige Land das Volk ermahnten.
In Folge dieſes von dem heiligen. Stuhle und der Geiſt⸗
lichkeit der roͤmiſchen Kirche gegebenen Beyſpiels und eines
von dem Collegium der Cardinaͤle gefaßten Beſchluſſes,
gebot Innocenz, daß jeder Erzbiſchof, Biſchof oder Praͤ—
lat, nach Maßgabe ſeiner Kraͤfte und Mittel, im Maͤrz—
monate des naͤchſten Jahres zum Kampfe fuͤr den Heiland
entweder eine Anzahl von Streitern ſtellen, oder einen
angemeſſenen Beitrag an Geld einliefern, und jeder, welcher
dieſer Aufforderung zu widerſtreben ſich erkuͤhnen wuͤrde,
als ein Uebertreter goͤttlicher Gebote angeſehen und bis zur
Leiſtung vollkommener Genugthuung feines Amtes entſetzt
werden ſollte. Dagegen verhieß der Papſt mit apoſto—
liſcher Vollmacht unbeſchraͤnkten Ablaß der Suͤnden und
größere Belohnung der guten Werke im Himmel allen
denen, welche entweder ſelbſt, ſey es mit eigenen Mitteln
oder mit Unterſtuͤtzung Anderer, der Pilgerfahrt beywoh—
nen oder durch Geldbeytraͤge und die Ausruͤſtung und
Unterhaltung von Kreuzfahrern, welche wenigſtens zwey
Jahre der Vertheidigung des heiligen Landes ſich wid—
meten, dieſes fromme Werk befoͤrdern wuͤrden. Er ſtellte
Der Papſt Innocenz II. 69
die Guͤter aller derer, welche das Kreuz nehmen wuͤrden,
unter den Schutz des heiligen Petrus, des apoſtoliſchen
Stuhls und ſaͤmmtlicher Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und Praͤ—
laten der chriſtlichen Kirche, mit Strenge gebietend, daß
niemand, bey Strafe des kirchlichen Banns, die Guͤter
und Beſitzungen eines Kreuzfahrers vor deſſen Ruͤckkehr
ſolle beunruhigen dürfen, Auch befahl er, den Eid ders
jenigen, welche zur Bezahlung von Schulden oder Zinſen
ſich verpflichtet haͤtten, fuͤr nichtig zu erklaͤren und ihre
Glaͤubiger durch den Bann zur Friſtung der Schulden
oder zur Zuruͤckzahlung der Zinſen, welche fie etwa em—
pfangen haͤtten, zu noͤthigen. Die chriſtlichen Fuͤrſten
wurden in eben dieſem Schreiben von Innocenz ermahnt,
die Juden ihrer Laͤnder zur Erlaſſung der Zinſen, welche
Kreuzfahrer ihnen ſchuldig waͤren, anzuhalten und, im
Fall ſie deſſen ſich weigern wuͤrden, vom Handel und
jeder andern Gemeinſchaft auszuſchließen. Auch ernannte
Innocenz in jedem der chriſtlichen Reiche, an welche er ſein
Ermahnungsſchreiben richtete, zwey Bevollmaͤchtigte, welche
er beauftragte, ſowohl andere Chriſten, als vornehmlich die
Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe zur Erfuͤllung des paͤſtlichen Ge—
botes anzuhalten, indem er ihnen geſtattete, als Gehuͤlfen
fuͤr die Ausfuͤhrung dieſes Auftrags einen Templer und
einen Hoſpitaliter anzunehmen. Endlich troͤſtete Innocenz
alle Pilger, welche, feiner Ermahnung gehorchend, dem
Dienſte Chriſti ſich widmen wuͤrden, mit der Hoffnung
eines gluͤcklichen Erfolgs ihrer heiligen Unternehmung.
„Wenn ihr,“ ſchrieb er, „wandeln werdet nach dem Geſetze
des Herrn, nicht folgend den Fußſtapfen derer, welche,
weil ſie der Eitelkeit nachgingen, eitel geworden ſind,
welche ausſchweifender Unmaͤßigkeit im Eſſen und Trinken
gefroͤhnt und im Lande jenſeit des Meeres getrieben haben,
J. Chr.
1798.
J. Chr.
110.
70 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
was ſie in ihrer Heimath nicht ohne Schimpf und Schande
zu thun gewagt haben wuͤrden; wenn ihr vielmehr eure
Hoffnung ſtellen werdet auf den, welcher diejenigen nicht
verlaͤßt, ſo ihm vertrauen, und nicht nur die verbotenen,
ſondern zu Zeiten auch die erlaubten Genuͤſſe euch ver—
ſagen werdet; alsdann halten wir uns uͤberzeugt, daß
derjenige, welcher den Wagen und das Heer des Pharao
in das Meer warf, die Bogen der Starken zerbrechen
und vor euch die Feinde des Kreuzes, wie den Koth der
Straßen, vertilgen werde, nicht uns oder euch, ſondern
feinem Namen den Ruhm verleihend“ *). Faſt zu der⸗
ſelben Zeit unterſtuͤtzte Innocenz durch ſeine Empfehlung
auch die Bemuͤhungen des Biſchofs von St. Georg oder a
Lydda, welcher im Auftrage der Chriſten des gelobten
Landes zu den Koͤnigen von Frankreich und England ſich
begab, um von ihnen Huͤlfe fuͤr das Erbtheil des Herrn
wider den Uebermuth der Heiden zu erbitten; und als der
Biſchof, ohne ſeine Abſicht erreicht zu haben, nach Italien
zuruͤckkehrte, ſo empfahl ihn Innocenz dem Abte und den
Brüdern zu Monte Caſſino zu gaſtfreundlicher Aufnahme
in ihrem Kloſter, in deſſen milder Luft waͤhrend des Herb—
ſtes der Biſchof von der Anſtrengung der Reiſe ſich zu
erholen wuͤnſchte *°) Bald hernach forderte Innocenz
den Biſchof auf, ſeine Bemuͤhungen mit denen des Bi—
ſchofs von Syracus, des Abtes von Sambucino und
allen uͤbrigen, welche in Sicilien das Kreuz predigten, zu
15) Dieſer Brief (I. 336.) wurde
geſchrieben zu Rieti XVIII.
Septembr. Roger von Hoveden hat
ihn in der Form, in welcher er an
die engliſche Geliſtlichkeit gelangte, in
feine Chronik (kol. 447. 449) einge
rückt, und mit der Schlußſchrift:
Kal.
„Datum Romae apud 8. Petrum
Idus Augusti, pontiſicatus nostri
anno primo.“
16) Ut ibi aeris inclementiam
temperie fugiat autumnali. Epist.
I. 32g.
Der Papſt Innocenz III. 71
vereinigen, um die dortige Geiſtlichkeit ſowohl als die
Barone, Conſuln der Staͤdte, und auch die Kaiſerin
Conſtantia fuͤr die Sache des heiligen Landes zu gewin—
nen, damit er kuͤnftig in Begleitung eines ſtattlichen
Heers in das Reich Jeruſalem moͤchte zuruͤckkehren koͤnnen;
auch ertheilte er ihm die Vollmacht, diejenigen, welche die
Meerfahrt perſoͤnlich unternehmen wuͤrden, von dem
Banne loszuſprechen, in welchen ſie etwa wegen ver—
uͤbter Gewaltthaͤtigkeit an einem Geiſtlichen verfallen ſeyn
koͤnnten **). f
Mittlerweile begab ſich der Cardinal Peter als Legat
des apoſtoliſchen Stuhls nach Frankreich, ſowohl um fuͤr
die Kreuzfahrt zu wirken, als den Koͤnig Philipp Auguſt
zur Aufloͤſung ſeiner von dem roͤmiſchen Stuhle gemiß—
billigten Ehe mit Maria Agnes, Tochter des Herzogs
von Meran, zu bewegen, und verſchiedene Angelegenheiten
der franzoͤſiſchen Kirche zu ordnen **); und Innocenz um
terließ es nicht, die Bemuͤhungen des Legaten fuͤr das
heilige Land auf das nachdruͤcklichſte zu unterſtuͤtzen.
Den Grafen Raimund von Toulouſe forderte er auf,
die Gelegenheit zu ritterlichen Thaten im Dienſte Gottes,
welche ihm in der aufs neue eingetretenen betruͤbten Lage
des heiligen Landes ſich darboͤte, mit Eifer zu ergreifen,
und durch ruͤhmlichen Kampf gegen die Heiden ſeinen
früher gegen die Kirche bewleſenen Ungehorfam gut zu
machen; er erinnerte den Grafen an das Beyſpiel ſeines
Großvaters Alfons, welcher durch ſeine Kreuzfahrt
treten zu haben. Vgl. Innoc. III.
epist. L. I. ep. 898. Er war in
17) Epist. I. 343. 344. am 30. Aus
guft und 1. Sept. 1198 zu Spoleto
geſchrieben.
18) Der Cardinal Peter von Capua
ſcheint ſchon im Herbſte des Jahres
1198 die Reiſe nach Frankreich ange⸗
Frankreich von Weihnachten 1198 bis
zum December 1199. Vgl. Rigordus
de gestis Phil, Aug. P. 50, 81. Du
Cange Not. ad Villchard. p. 248.
J. Chr
1198
72 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II.
Jer. ein immerwaͤhrendes ruͤhmliches Andenken ſich geſtiftet
hätte n“); und ermahnte ihn endlich, falls er ſich nicht
entſchließen koͤnnte, in eigner Perſon die Meerfahrt zu
unternehmen, doch wenigſtens eine ſtattliche Zahl von
Kriegern zum Dienſte des heiligen Landes zu bewaffnen,
und wenn nicht durch eignes, doch wenigſtens durch frem⸗
des Verdienſt der von dem apoſtoliſchen Stuhle den Kreuz—
fahrern angebotenen Vergebung der Suͤnden ſich theilhaftig
zu machen 25). Mit noch kraͤftigern Worten forderte er
von dem Grafen von Forcalquier, welcher wegen viel⸗
faͤltiger Vergehungen mit dem kirchlichen Banne war bes
legt worden, durch die Annahme des heiligen Kreuzes
und den Kampf fuͤr den Herrn die Losſprechung von dem
Banne ſich zu erwirken, und ein Subdiaconus der Kirche
zu Marſeille erhielt den Auftrag, den Grafen, ſobald er
das Geluͤbde der Kreuzfahrt ablegen wuͤrde, wieder in
den Schooß der Kirche aufzunehmen 2 *).
An den Herzog und das Volk der Venetianer aber
ſchrieb Innocenz in dieſer Zeit, in welcher er ſich ſo eifrig
mit der Bewirkung einer neuen Kreuzfahrt beſchaͤftigte, eine
dringende Ermahnung, den Handel und Verkehr mit den
Saracenen, ſo lange der Krieg des apoſtoliſchen Stuhls
wider dieſelben dauern wuͤrde 2 *), einzuſtellen. Er that
ihnen kund, daß er zu Gunſten derer, welche fuͤr das
heilige Land ſich bewaffnen wuͤrden, die Beſchluͤſſe der
unter der Regierung ſeines Vorfahren, Alexander des
Dritten, im Lateran gehaltenen Kirchenverſammlung und
19) Das Beyſpiel des Grafen Al: 230. 231.
fons, welcher im gelobten Lande 20) Ep. I. 398.
war vergiftet worden, konnte dem 21) Ep. I. 407.
Grafen jedoch nicht zu beſonderer 22) „Quamdiu inter nos et ipsos
Aufmunterung dienen. Vgl. Geſchich⸗ Sarracenos guerra durarit.““ Ep.
te der Kreuzzüge Th. 3. Abth. 1. S. I. 339.
Der Papſt Innocenz III. 73
die Verordnungen Gregors des Achten wieder in Kraft ge- J. che.
1108.
ſetzt habe, und daß alſo allen denjenigen, welche den .
Heiden Waffen, Eiſen und Schiffsbauholz zuführen, oder
auf deren Schiffen Dienſte uͤbernehmen, uͤberhaupt auf
irgend eine Weiſe mit den Saracenen einen Verkehr unter;
halten und ſie mit Schiffen oder andern Beduͤrfniſſen
ſelbſt oder durch Andere unterſtuͤtzen wuͤrden, die Strafe
des kirchlichen Bannes bevorſtaͤnde; daß es denen, welche
im Kampfe mit den Heiden ſolche Gebannte zu Gefans
genen machten, freyſtehen ſollte, dieſelben als ihnen ge—
hoͤrige Sclaven zu behandeln; und daß die Fuͤrſten und
Obrigkeiten waͤren angewieſen worden, die Guͤter ſolcher
Gebannten einzuziehen. Auf die Vorſtellung, welche
die Venetianer durch zwey Abgeordnete?) bey dem apo—
ſtoliſchen Stuhle hatten vortragen laffen, daß ihrer Stadt,
welche, alles Ackerbaues entbehrend, nur durch Schiff—
fahrt und Handel beſtaͤnde 2), die ſtrenge und unbe—
ſchraͤnkte Vollziehung des Verbots großen Schaden brin—
gen wuͤrde, geſtattete Innocenz in dieſem Ermahnungs⸗
ſchreiben ihnen zwar den Handel und Verkehr mit Aegyp—
ten, unterſagte ihnen aber, unter erneuter Androhung der
Strafe des kirchlichen Bannes, dahin Waffen, Schiffe
und Schiffsgeraͤth, Holz, Taue und andere zum Bau und
zur Ausruͤſtung der Schiffe noͤthige Beduͤrfniſſe ?°) zu
fuͤhren; auch aͤußerte er die Hoffnung, daß dieſe Ver—
23) Andreas Donatus et Benedi-
ctus Grilion. Ibid.
24) „Quae non agriculturis in-
servit, sed navigiis potius et mer -
cimoniis est intenta.““ Ibid,
95) „Sub districtione anathema-
tis prohibentes, ne in ferso, stupa,
pice, acutis pironibus, funibus, ar-
mis, navibus et lignaminibus para-
tis vel imparatis, vendendo, do-
nando vel commutando Sarracenis
ministrare subsidium praesumatis.““
Ibid,
J. Chr.
1108.
74 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. I.
guͤnſtigung die Venetianer zu redlicher und kraͤftiger Um
terſtuͤtzung des gelobten Landes ermuntern würde,
Zwar wurde Innocenz nach dem Tode der Kaiſerin
Conſtantia, welche in ihrem letzten Willen den Papſt zum
Obervormund ihres Sohnes Friedrich und zum Reichsver—
weſer in Sicilien ernannt hatte, durch die verwirrten Ange—
legenheiten dieſes Landes noch mehr als zuvor in Anſpruch
genommen: aber er unterbrach auch dann nicht die Bemuͤ—
hungen zur Bewirkung einer neuen großen Kreuzfahrt.
Vielmehr ſtand ſelbſt in der Leitung der Angelegenheiten
dieſes Reichs die Rettung des heiligen Landes ſtets vor
ſeinem Sinne als ein Hauptziel aller ſeiner Beſtrebungen;
und als der Herzog Markwald, welcher die Regierung
des Landes und die Vormundſchaft für den König Frieds
rich an ſich zu bringen trachtete, die ſiciliſchen Saracenen
gegen die paͤpſtlichen Truppen bewaffnete: ſo wurde das
Gemuͤth des Papſtes auch mit bangen Beſorgniſſen er—
fuͤllt wegen der Folgen, welche aus ſolchem unchriſtlichen
Verfahren fuͤr das heilige Land entſtehen koͤnnten. Von
Sicilien aus, ſchrieb er an ſaͤmmtliche Grafen, Barone
und Buͤrger dieſes Reiches, laͤßt ſich dem heiligen Lande
leichter zu Huͤlfe kommen, und wenn Steilien, was Gott
verhuͤten wolle, in die Gewalt der Saracenen kaͤme, ſo
wuͤrde alle Hoffnung, das Reich Jeruſalem wieder zu
erlangen, für immer vernichtet ſeyn. 22). Darum machte
Innocenz alle diejenigen, welche wider Markwald und
die ihm anhaͤngenden Saracenen ſtreiten wuͤrden, theil—
haftig des Ablaſſes, welchen er den Kreuzfahrern ver⸗
heißen hatte. Allerdings war Sicilien wegen der Lebens—
mittel ſowohl, als der Schiffe, welche es liefern konnte,
26) Ep. Lib. II. 221.
Der Papſt Innocenz II. 75
den Kreuzfahrern, welche in Syrien wider die Heiden zich.
kaͤmpften, ein hoͤchſt wichtiges Land.
Den Eifer der Legaten, welche er ausgeſandt hatte,
das Kreuz zu predigen, und durch die Wiederherſtellung
des Friedens unter den chriſtlichen Fuͤrſten die allgemeine
Bewaffnung der Voͤlker zum Streite fuͤr das heilige
Land zu befoͤrdern, naͤhrte und ſtaͤrkte Innocenz durch oͤfter
wiederholte Ermahnungen und leitete durch weiſe Vor—
ſchriften ihre Bemuͤhungen. Dem Cardinal Peter insbeſon—
dere ertheilte er den Befehl, alle diejenigen, welche ſchon
fruͤherhin die Kreuzfahrt gelobt und durch falſche Angaben
oder Verſchweigung der Wahrheit vom Papſte Coͤleſtin ih-
res Geluͤbdes waren entbunden worden, nunmehr mit aller
Strenge zur Vollziehung der Kreuzfahrt anzuhalten 27).
Die Geſuche der Chriſten im Morgenlande um bal—
dige Huͤlfe wurden aber immer dringender. Der Erzbiſchof
Conrad von Mainz, als er auf der Ruͤckkehr von ſeiner
Meerfahrt 28) nach Rom kam, uͤberbrachte dem Papſte
Innocenz Schreiben des armeniſchen Koͤnigs Leo, welchen
der Erzbiſchof gekroͤnt hatte, und des Katholicus von
Armenien, Gregorius, in welchen beide um Beyſtand gegen
die zahlreichen, das armeniſche Land umgebenden Feinde
flehentlich baten, indem ſie die Gunſt des Papſtes dadurch
zu gewinnen ſuchten, daß ſie die roͤmiſche Kirche als die
Mutter aller chriſtlichen Kirchen, und den roͤmiſchen Bi—
ſchof als den oberſten Biſchof der ganzen Chriſtenheit ans
erkannten 2°), Innocenz troͤſtete den König ſowohl als
den Katholicus mit der Hoffnung, daß bald die laͤngſt
27) Ep. Lib. II. 23. Die beiden 20) S. Ep. Lib. II. 216 - 220. Das
folgenden Briefe (24. 25.) enthalten Schreiben des Königs Leo ward aus
ebenfalls Anweiſungen für dieſen Le- Tarſus am 23. Mai 1199 erlaffen.
gaten. Das Antwortſchrelben des Papſtes
28) S. oben S. 54. IX. Kal. Decembr. 1199.
J. Chr.
1108.
*
*
76 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
von ihm vorbereitete Kreuzfahrt zu Stande kommen wuͤrde;
und als nicht lange hernach Robert von Margath, ein
Ritter des Koͤnigs von Armenien, ein Schreiben uͤber—
brachte, in welchem der Koͤnig die Vermittlung des
Papſtes in ſeinen Streitigkeiten mit dem Grafen von
Tripolis und dem Orden der Tempelherrn ?°) nachſuchte,
und der Ritter Robert um ein von dem Papſte geweihtes
Panier für feinen König bat: fo ſandte Innocenz dem Koͤ—
nige von Armenien ein Panier mit dem Bildniſſe des Apoſtel—
fuͤrſten Petrus, um daſſelbe zu fuͤhren im Kampfe gegen
die Heiden; und zugleich ermahnte er in mehreren Schrei—
ben die armeniſchen Landherrn, in ſolchem Kampfe, wie
bisher, ihrem Koͤnige getreulich beyzuſtehen und dadurch
ſich theilhaft der Vergebung der Suͤnden zu machen,
welche der Papſt mit der Vollmacht des allmaͤchtigen
Gottes und der Apoſtel Petrus und Paulus allen Kreuz—
fahrern verheißen habe *). Auch der Koͤnig Amalrich
von Jeruſalem bat um ſchleunige Huͤlfe fuͤr den Ueberreſt
der chriſtlichen Herrſchaft in Syrien und ließ dem Papſte
durch einen Boten, welchen er nach Rom ſandte, melden,
daß das heilige Land von den abendlaͤndiſchen Pilgern
gänzlich verlaſſen worden ſey und von der größten Ges
30) Ep. Lib. II. 232. Die Beſchwer⸗
den des Königs Leo waren dadurch
veranlaßt worden, daß der Graf von
Tripolis, mit Hülfe der Hoſpitaliter
und Templer, den Rupinus, den
Sohn des nicht lange zuvor geſtor⸗
benen Raimund von Antiochien und
einer Tochter des Königs Leo, des
Rechts der Nachfolge im Fürſten⸗
thume Antiochien, im Fate des Todes
feines Großvaters Raimund, zu be
rauben ſuchte.
31) Ep. Lib, II. 353. an den König
Leo, geſchrieben im December 1199,
XVI. Kal. Jan. Der folgende Brief
(254) iſt an die armeniſchen Grafen
Paganus und Arro und die übrigen
armeniſchen Landherrn, und ein an:
derer (255) an Hugo von Tiberias (de
Tabaria) und die Brüder Rudolph
und Otto gerichtet, und enthält Er⸗
mahnungen in dem im Texte angege⸗
benen Sinne. Mit einem kurzen
Briefe (geſchrieben ebenfalls XVI.
Kal. Jan.) überſendet Innocenz dem
Könige Leo das erwähnte Panier.
j i |
Der Papſt Innocenz III. g 77
fahr bedroht werde; denn, da die muſelmaͤnniſchen Sul—
tane, deren innern Zwiſtigkeiten man die bisherige Ruhe
verdanke, ſchon mit einander um Frieden unterhandelten,
ſo ſey die baldige Erneuerung des Kampfes der Chriſten
und der Heiden, und fuͤr die erſtern bei dem Mangel
an Streitern der ſchlimmſte Ausgang zu beſorgen. Inno—
cenz ſandte ſogleich dieſen Boten an die Koͤnige von
Frankreich und England, indem er ihm Schreiben mit—
gab, in welchen er beyden Koͤnigen die Angelegenheiten
des heiligen Landes auf das eindringlichſte ans Herz
legte 2). Auch den Kaiſer Alexius Angelus von Byzanz
unterließ er nicht, indem er ihn ermahnte, die griechiſche
Kirche in den Schooß der roͤmiſchen zuruͤckzufuͤhren,
zum Beyſtande des heiligen Landes mehrere Male nach—
druͤcklichſt aufzufordern 33). Dieſer entſchuldigte aber
ſeine bisherige Unthaͤtigkeit fuͤr das heilige Land damit,
daß die paſſende Zeit fuͤr einen Krieg wider die
Unglaͤubigen noch nicht gekommen ſey; daß dafuͤr der
Segen und die Hülfe Gottes nicht ſich erwarten laſſe,
ſo lange noch ſo viele Zwietracht, Unbeſtaͤndigkeit
und Unentſchloſſenheit als bisher, unter den Chriſten
herrſche; und daß der Unfug, welcher von dem Kaiſer
Friedrich und deſſen Heere im roͤmiſchen Reiche, den
mit feyerlichem Eide bekraͤftigten Verſprechungen zuwi—
der und ungeachtet der gaſtfreundlichen Aufnahme, welche
fie daſelbſt gefunden haͤtten, ſey geſtiftet worden s),
32) Epist. Lib. I. 358,
33) Lib. I. 353. 354. Ep. Lib. II.
210. 211. Der Brief des Kaiſers
Alexius, N. 2ro im zweyten Buche
der Briefe des Papſtes Innocenz III.,
welcher auf ein päpſtliches Schreiben
ſich bezieht, wurde im Februar 1198
geſchrieben. Vgl. über dieſen Brief
wechſel auch Gesta Innocentii III.
c. 60 —64-
34) „Nun enim tua ignorat san-
ctitas, quantam subversionem quan-
tamque occisionem nobilissimus
quidem Rex Alemanniae Fridericus
imperii mei superinduxit regioni-
bus, sacramentis rigidissimis se alli-
J. Chr.
1108.
—
78 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
3,6% ihm nicht Luft machen konne, mit den abendländifchen
Kreuzfahrern zu gemeinſchaftlichen Unternehmungen ſich zu
vereinigen, ſo wie auch das ungluͤckliche Ende dieſes
Kaiſers es hinlaͤnglich beweiſe, wie wenig Gott Wohlge—
fallen an den Kreuzfahrten finde. Auch benutzte Alexius
dieſe Gelegenheit, das Koͤnigreich Cypern zuruͤckzufordern.
Darauf erwiederte Innocenz durch erneuerte Ermahnungen
zum Kampfe fuͤr Gott und den Heiland; auch ſtellte er
dem Kaiſer vor, daß es chriſtlichen Fuͤrſten gezieme, die
Ehre des Gekreuzigten unermuͤdlich mit aller Anſtrengung
ihrer Kraͤfte aufrecht zu erhalten, und daß es eben ſo
unwuͤrdig als unverſtaͤndig ſey, in traͤger Ruhe die Zeit
abwarten zu wollen, in welcher Gott der bedraͤngten
Chriſtenheit ſich erbarmen und etwa durch ein Wunder
das heilige Land aus der Gewalt der Heiden befreyen
koͤnnte. Die Forderung wegen des Koͤnigreichs Cypern
aber wies Innocenz zuruͤck mit der Bemerkung, daß der
Koͤnig Richard von England dieſe Inſel nicht dem roͤmi—
ſchen Reiche ſondern einem Feinde der abendlaͤndiſchen
Chriſtenheit, welcher den Kaiſer von Byzanz keineswegs
als ſeinen Oberherrn anerkannte, entriſſen habe, und daß
deren Beſitz zur Erhaltung der chriſtlichen Herrſchaft im
Morgenlande unentbehrlich ſey 3°).
Waͤhrend Innocenz auf ſolche Weiſe die Bewaffnung
der geſammten Chriſtenheit zur Rettung des heiligen
Grabes zu bewirken ſuchte, ermunterte er die Chriſten im
gans, pacifice et sine pugna terras
imperii mei transire jurans, et sic
imperium meum sine aliquo impe-
dimento intrans, et omne in eo
pessimum operans, et Christianos
ut impios expugnavit; et hinc, et
a via, qua ipse proposuerat ire,
exelus us, et insperate Auvio et ve
tularum (vitularum?) vado sub-
mersus est.“ Lib. II. Ep. 210.
35) S. Gesta Innoc. III. c. 64.,
wo auch das päpſtliche Schreiben
über dieſe Angelegenheit mitgetheilt
worden iſt.
Der Papſt Innocenz III. 99 9 70
Morgenlande auf's neue zur Geduld und Standhaftigkeit. gr
Dem Koͤnige Amalrich von Jeruſalem insbeſondere empfahl
er die chriſtliche Demuth und die Nachahmung des Bey—
ſpiels Chriſti in allen Tugenden als die ſicherſte Begruͤn—
dung der Hoffnung auf baldige Befreyung der morgen—
laͤndiſchen Kirche aus ihrer Truͤbſal; den uͤbrigen Fuͤrſten
ſo wie der Geiſtlichkeit des gelobten Landes und den
Ritterorden machte er Folgſamkeit gegen den Koͤnig und
Eintracht unter ſich zur Pflicht; auch verglich er durch bil⸗
lige Entſcheidungen die unter ihnen obwaltenden Streitig⸗
keiten und ermahnte ſie, dem Koͤnige ihren Beyſtand auch
in dem Falle nicht zu entziehen, wenn er deſſen beduͤrfen
ſollte zur Behauptung ſeines Koͤnigreichs Cypern, welches
er aus uneigennuͤtzigem Eifer fuͤr das Reich Jeruſalem
verlaffen hätte. Um den König ſowohl, als die übrigen
chriſtlichen Bewohner des heiligen Landes zur Standhaf⸗
tigkeit und zuverſichtlichen Hoffnung auf eine beſſere Zus
kunft zu ermuntern, nahm er das Reich Jeruſalem und
alles, was dazu gehoͤrte und kuͤnftig gehoͤren wuͤrde, in
feinen und des heiligen Petrus beſondern Schuß 3°),
Außerdem geſtattete Innocenz, daß diejenigen Pilger,
welche nach dem gelobten Lande kommen wuͤrden mit dem
Geluͤbde, die heiligen Oerter zu beſuchen, das Geld, welches
ſie fuͤr ſolche Wallfahrten beſtimmt haͤtten, zur Wieder—
herſtellung der Mauern der dortigen Städte und zur Bes
lohnung der Vertheidiger des Landes ſollten verwenden
und auf ſolche Weiſe, ohne Vollziehung jener Wallfahrten,
ihr Geluͤbde loͤſen dürfen 7).
36) Die im December des Jahres falls im December 1198, in Bezle⸗
1108 geſchriebenen Briefe dieſesznhalts hung fowohl auf das Reich Zeruf
finden ſich: Epist. Lib. I. ep. 437. 438. lem als auf das Fürſtenthum Antio⸗
37) Dieſes geſtattete Innocenz, eben: chien. Lib. I. ep. 439.
J. Chr.
1198.
80 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
Ungeachtet ſolcher angeſtrengten Bemuͤhungen erregten
dennoch die Kreuzpredigten uͤberall nur ſehr geringe Theil—
nahme. Viele ſuchten ſelbſt die Abſichten des Papſtes in
Hinſicht der geforderten Geldbeytraͤge verdaͤchtig zu machen,
indem ſie ohne Scheu behaupteten, daß das Geld, welches
von einzelnen Chriſten ſowohl als von Kirchen und Kloͤſtern
unter dem Vorwande der Kreuzfahrt gefordert und bey—
getrieben wuͤrde, beſtimmt waͤre, die paͤpſtliche Schatzkam⸗
mer zu fuͤllen und fuͤr fremdartige Zwecke zu dienen ss).
Innocenz aber begegnete dieſen uͤbelwollenden Gegenwir—
kungen durch die Erklaͤrung: daß es ſeine Abſicht niemals
geweſen ſey, das in der Chriſtenheit fuͤr die Kreuzfahrt
geſammelte Geld nach Rom zu fordern, ſondern daß er
nur unterrichtet ſeyn wolle uͤber den Ertrag der Samm—
lungen in jedem biſchoͤflichen Sprengel; daß er den Bis
ſchoͤfen die Vollmacht ertheile, jedem in ſeinem Sprengel,
das eingegangene Geld, mit Zuziehung eines Tempelherrn
und Hoſpitaliters, unter die mit dem Kreuze bezeichneten
Ritter und andere Kreuzfahrer, nach deren Beduͤrfniſſen,
38) Dieſe Beſchuldigung ſprach auch
Walther von der Vogelweide aus, in
einem Liede, welches ſich alſo ſchließt:
Ich wän, des Silbers wenic Eu:
met ze Helfe in Gotes Lant:
Grozen Hort zerteilet ſelten Pfaf⸗
fen Hant.
Her Stoc, ihr ſit uf Schaden her
gefant,
Daz ir uz tiutſchen Ziuten fuochet
Törinne unde Narren.
S. die Gedichte Walthers von der
Vogelweide, herausgegeben von Lachs
mann S. 34. Ihn ſtrafte aber we⸗
dieſer vermeſſenen Rede der Dich:
ter des welſchen Gaſtes in der von
Lachmann mitgetheilten Stelle, eben:
daſelbſt S. 185 137. Den geiſtlichen
Häuſern in London und der Umge.
gend wurde der Magiſter Philipp,
Notarius der römiſchen Kirche, wel⸗
cher nach London kam, um den Vier—⸗
zigſten von allen Einkünften der bez
weglichen und unbeweglichen Güter der
dortigen Geiſtlichkeit zum Behufe der
Kreuzfahrt zu erheben, auch dadurch
ſehr läſtig, daß er die Gaſtfreyheit
auf eine ſehr unbeſcheidene Weiſe in
Anſpruch nahm; und Radulfus de
Diceto, indem er dieſes (ad a. 1200
col. 707) berichtet, hält wegen der
den Römern angebornen Habſucht es
für ſehr zweifelhaft, daß das einge⸗
kommene Geld für den angegebenen
Zweck verwandt wurde.
Der Papſt Innocenz III. 81
jedoch nicht zum Ueberfluſſe, zu vertheilen; und daß dem
Papſte nur in dem Falle, daß nach ſolcher Vertheilung
etwas uͤbrig bliebe, das Recht zuſtehen ſollte, über
dieſen Ueberſchuß zum Beſten einzelner Ritter oder des
Reichs Jeruſalem zu verfuͤgen 29). Andere entſchuldigten
ihren Mangel an Eifer fuͤr den Heerdienſt Gottes mit dem
Frieden, welchen die Chriſten im Morgenlande mit den
Unglaͤubigen geſchloſſen hatten ). i
Innocenz beſchloß hierauf, durch kraͤftigere Maßtegeln
die Kreuzfahrt zu beſchleunigen. Er erließ gegen das
Ende des Jahres 1199 an die Erzbiſchöfe und Biſchoͤfe
in Italien, Deutſchland, Frankreich, England, Schott⸗
land, Irland, Ungarn und den ſlavoniſchen Laͤndern das
Gebot *), daß jeder Geiſtliche, ſowohl hohen als
niedern Standes, den vierzigſten Theil des Werthes
feiner Güter, fo wie feiner Einkuͤnfte und Gefaͤlle, jedoch
nach Abzug der Zinſen, deren Zahlung nicht ausgeſetzt
werden koͤnnte, fuͤr die Befreyung des heiligen Landes
aus der Gewalt der Unglaͤubigen darbringen ſollte. Allen
denen, welche dieſe Gabe willig und gewiſſenhaft opfern
wuͤrden, erließ er den vierten Theil der ihnen auferlegten
Bußen; diejenigen dagegen, welche ſich weigern wuͤrden,
fuͤr den Heiland, welchem ſie Seele und Leib und alle
Jan.) datirt iſt. In die engliſche
Chronik des Radulf Coggeshale (in
39) Epist. Lib. I. 40g.
40) Innoc. III. Epist. Lib. II. 189
an den Patriarchen von Jeruſalem.
41) Ein ſolches Schreiben erging
an den Erzbiſchof von Magdeburg
und deſſen Suffraganbiſchöfe aus dem
Lateran am 31. Dec. 1199 (II. Kal.
Jan.) S. Innoc, III, Epist. Lib. II.
270. Vgl. Roger de Hoveden ad a.
1200 fol, 454 b. 455, wo dieſes Um:
laufsſchreiben vollſtändig ſich findet
und vom 26, December 1199 (VI. Kal,
V. Band.
Edm. Martene et Urs. Durand Col -
lect. ampl. T. V.) S. 868. 969. iſt
nur der Anfang dieſes Schreibens
aufgenommen worden. Die Verfü—
gungen dieſes Umlaufſchreibens wie—
derholte Innocenz in einem ſpätern
Schreiben (dat. Laterani V. Kal.
Jan.), welches mitgetheilt worden iſt
in den Gestis Innooentii III. c. 84.
8
J. Che.
1199.
82 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. II.
ve ihre ubrigen Güter verdankten, ein fo geringes Opfer zu
bringen, ſo wie diejenigen, welche einen Theil ihrer Ein—
fünfte und Gefaͤlle durch falſche Angaben und Verheim—
lichung dieſer Beſteuerung entziehen wuͤrden, bedrohte er
mit der ſchaͤrfſten Ahndung. Er ertheilte aber der Geiſt—
lichkeit den Rath, durch gewiſſenhafte und kundige Maͤn⸗
ner ihre Guͤter zum Behufe dieſer Steuer ſchaͤtzen zu
laſſen. Um die Geiſtlichkeit wegen der Zukunft zu beru—
higen, gab Innocenz die ausdruͤckliche Verſicherung, daß
dieſe Steuer nur ein Mal fuͤr alle Male erhoben, und dieſe
durch den Drang der Umſtaͤnde gebotene Abgabe keineswegs
eine gewoͤhnliche und fortdauernde Steuer werden ſollte.
Er verordnete ferner, daß die Erzbiſchoͤfe ohne Verzug
die ihnen untergeordneten Biſchoͤfe zu einer Verſammlung
in ihrer erzbiſchoͤflichen Kirche, oder falls dieſes, wegen
kriegeriſcher Bewegungen oder anderer Umſtaͤnde, nicht
geſchehen koͤnnte, an andern paffenden Orten ihres Spren—
gels berufen ſollten, um mit ihnen uͤber dieſe Steuer ſich
zu berathen; worauf die Biſchoͤfe, jeder in feinem Spren⸗
gel, die Aebte, Priore, Archidiakonen, Dekane und uͤbri⸗
gen Geiſtlichen ebenfalls zuſammenrufen und die Schaͤtzung
aller geiſtlichen Güter und Gefälle veranlaſſen ſollten;
jeder Geiſtliche aber ſollte binnen drei Monaten nach ges
ſchehener Ankuͤndigung dieſe Steuer entrichten, und durch
ein Zeugniß feines Biſchofs, einiger Geiſtlichen und ein;
ſichtvollen und redlichen Layen darüber ſich aus weiſen,
daß er von feinen Gütern und Gefaͤllen nach deren vollem
Werthe ſteuere. Das Geld, welches auf dieſe Weiſe
zuſammengebracht wuͤrde, ſollte zwar innerhalb der
erzbiſchoͤflichen und biſchoͤftichen Sprengel, in welchen es
geſammelt wuͤrde, an einem paſſenden und ſichern Orte
aufbewahrt werden; Innocenz erneuerte aber den Befehl,
Der Papf!Innodenz; III. 83
daß ihm jeder Erzbiſchof und Biſchof auf das ſchleunigſte
durch Briefe und beſondere Botſchafter den Betrag dieſer
Steuer in ſeinem Sprengel anzeigen ſollte. Von dieſer
allgemeinen Verfuͤgung nahm er nur die Carthaͤuſer
und Ciſterzienſer Moͤnche, ſo wie die Praͤmonſtratenſer
Chorherrn und die Einſiedler von Grandmont aus, welchen
er freyſtellte, zur Unterſtuͤtzung des heiligen Landes ent⸗
weder eine Geldſumme von ſolchem Betrage, daß er ſie
mit gutem Gewiſſen annehmen koͤnnte, oder den funfzig⸗
ſten Theil aller ihrer Einkuͤnfte und Gefaͤlle zu ſteuern;
indem er die Drohung hinzufuͤgte, daß er, wenn ſie dieſer
Forderung nicht Folge leiſten wuͤrden, alle ihre Privi⸗
legien vernichten, den Praͤlaten der Kirche aber auftragen
wuͤrde, ſolcher Vernichtung der Privilegien ungeachtet,
die Zehnten und alle uͤbrigen ihnen zuſtehenden Rechte
von den e e Ra FREE zu
augeben. er T 115 10
um die geſammte, Seifliceit Aue Erfüllung diefen
ihr aufgelegten Verpflichtung zu ermuntern, verkuͤndigte
Innocenz in allen Schreiben, welche er wegen dieſer
Steuer erließ, daß er, außer anderer, Unterſtützung des
heiligen Landes, wozu ihm Gott, den Gedanken einflößen
wuͤrde, nach gehaltener Berathung mit den Cardinalen,
den zu Rom anweſenden Biſchoͤfen und andern frommen
Maͤnnern, beſchloſſen habe, den zehnten Theil aller ſeiner
Einkuͤnfte und Gefälle zum Beyſtande des Reichs Jeru⸗
ſalem anzuwenden; obwohl ſolches nicht ohne empfind⸗
liche Beſchraͤnkung ſehr dringender Ausgaben, welche die
45) Epist. Lib, II. 268. 269. Dieſe in vos, utrum in Cistercienses Fra-
Briefe ſchloſſen ſich alſo: „uod si nec tres plenam „ sicut
sic volueritis obedire, experiemur in alios habeamus.“
F 2
J. Chr.
1198.
84 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II.
Juen damaligen Verhaͤltniſſe des päpklichen Stuhls cfenderbm
wurde geſchehen koͤnnen.
Damit aber auch die Ya: Gelegenheit erhalten
wien, durch milde Beyſteuer „für. die Befreyung des
heiligen Landes der Vergebung der Suͤnden theilhaftig
zu werden: ſo befahl Innocenz, daß in allen Kirchen ein
Almoſenſtock aufgeſtellt werden ſollte fuͤr Gaben dieſer
Art, wozu der Geiſt Gottes die Glaͤubigen treiben wuͤrde;
dieſer Stock ſollte mit drey Schloͤſſern verſehen ſeyn, und
von den drey dazu gehoͤrigen Schluͤſſeln der eine von dem
Biſchofe, der andere von dem Prieſter der Kirche, und
der dritte von einem frommen Layen verwahrt werden.
Auch verordnete er, daß in jeder Woche eine Meſſe fuͤr
die Vergebung der Suͤnden, beſonders zum Heile derer,
welche Almoſen zum Beyſtande des heiligen Landes dar⸗
bringen wuͤrden, gefeyert werden ſollte ). Den: Exp
biſchoͤfen und Biſchoͤfen geſtattete er zugleich, denjenigen,
welche durch einen im Verhaͤltniſſe zu ihrem Stande und
Vermoͤgen erheblichen Beytrag die Sache des heiligen
Landes unterſtüͤtzen wuͤrden, ſolches Werk der Mildthaͤ⸗
tigkeit als ſtellvertretenden Erſatz für die ihnen pe aufs
erlegte Buße anzurechnen. **
In Hinſicht der Verwendung des Geldes, welches
auf dieſe We n. Weiſe A DaB Heilige Land wuͤrde
24
j
43) Ad haec in singulis Ecclesiis
truncum concavum poni praeoipi-
mus, tribus clavibus consignatum;
prima penes Episcopum, secunda
penes Ecclesiae sacerdotem, tertia
per aliquem religiosum laicum con-
servandis; etin ea (leg. eum) fide-
les quilibet, juxta quod eorum
mentibus Dominus inspiraverit ,
suas elcemosynas deponere in re-
missionem suorum peccatorum mo-
neantur, et in omnibus Ecclesiis
semel in hebdomada pro remissione
peccatorum, et praesertim offeren-
tium, Missa publice decantetur.““
Ep. Innoc, III. Lib. II. 270, Vgl.
Badulfi Coggeshale Chron, Anglic.
p- 870. die Gesta Innocentii III. I. o.
und oben Anm. 38.
Der Papſt Innocenz III. 8⁵
geſammelt werden, ſetzte Innocenz feſt, daß die Erzbi⸗ 09.
ſchoͤfe und Biſchoͤfe, mit Zuziehung eines Tempelherrn
oder Hoſpitaliters, wenn es geſchehen koͤnnte, oder an⸗
derer frommen Layen und verſtaͤndiger Ritter, die Unterz
ſtuͤtzung ſolcher Krieger ſich ſollten angelegen ſeyn laſſen,
welche nicht im Stande waͤren, die Meerfahrt mit eigenen
Mitteln zu beſtreiten. Es ſollte aber jeder welcher eine
ſolche Unserftügung empfinge, mit Darbringung gehoͤriger
Sicherheit, geloben, mindeſtens ein Jahr / oder, nach dem
Verhaͤltniſſe des empfangenen Geldes noch länger, der
Vertheidigung des heiligen Landes ſich zu unterwinden;
und dieſe Verpflichtung ſollte nicht eher erledigt ſeyn, als
wenn durch Zeugniſſe des Königs und Patriarchen von
Jeruſalem, der Großmeiſter des Tempels und des Hoſpi⸗
tals, und eines paͤpſtlichen Legaten bewieſen wuͤrde, daß
der zugeſagte Dienſt in ſeiner vollen Dauer geleiſtet wor⸗
den wäre. Auch ſollte es den Kreuzfahrern, welche vor
dem Ablaufe ihrer Dienſtzeit mit Tode abgehen wuͤrden,
nicht geſtattet ſeyn, uͤber das empfangene Geld zu ver⸗
fügen, ſondern was davon zur zeit ihres Todes übrig
wäre, ſollte zur Unterſtuͤtzung anderer Kreuzfahrer vers
wandt werden. N
Indem Innocenz auf eine fo, überdachte und forgs
ſame Weiſe alles ordnete, was ihm zur baldigen Bewir—
kung der Kreuzfahrt forderlich ſchien, unterließ er nicht,
die Geiſtlichkeit aller chriſtlichen Laͤnder zur eifrigen
Befoͤrderung des heiligen Werks zu ermahnen; ihnen
vorſtellend, wie nach den eingegangenen Meldungen
des Koͤnigs von Jeruſalem, der Patriarchen von Jeru—
ſalem und Antiochien und anderer Erzbiſchoͤfe und Bi—
ſchoͤfe des Landes jenſeit des Meeres, fo wie der Groß⸗
meiſter der Ritterorden und des Königs Leo von Armenien,
J. Chr.
1108.
1109.
86 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. II.
die laͤngere Verzoͤgerung eines nachdruͤcklichen Beyſtandes
der abendlaͤndiſchen Chriſtenheit den groͤßten Schaden be⸗
ſorgen ließe. Noch wäre die Zeit, in welcher wegen der
Zwietracht der Saracenen von einer kleineren Schar groͤ⸗
ßere Dinge geſchehen koͤnnten, als in fruͤherer Zeit von
zahlreichen Heeren haͤtten vollbracht werden koͤnnen; wenn
aber die Sararenen ſich wieder vereinigt haben wuͤrden,
dann wuͤrde niemand als Gott ſelbſt' helfen koͤnnen. Uebri⸗
gens beſtaͤtigte Innocenz aufs neue alle Rechte und Vor⸗
theile, welche er durch fruͤhere Verordnungen den Kreuz⸗
fahrern und denjenigen, welche durch reichliche Geldbey⸗
träge die Kreußfahrt befoͤrdern wurden, zugeſichert hatte,
insbeſondere die allgemeine Vergebung der Suͤnden, welche
fie mit reuigem Herzen beichten würden, und machte
ſolches Vortheils alle diejenigen theilhaftig, welche auch
nur fuͤr den Dienſt Eines Jahrs im gelobten Lande unbe⸗
mittelte Kreuzfahrer ausruͤſten und unterhalten wuͤrden ).
Dieſe nachdruͤcklichen Ermahnungen des Papſtes
brachten zwar hin und wieder einen regen Eifer fuͤr
das heilige Land hervor; aber dieſer Eifer zeigte ſich
mehr in Verſprechungen und Verheißungen, als in deren
Erfuͤllung. Die franzoͤſiſche hohe Geiſtlichkeit verſprach
auf einer am Ende des Jahres 1199 zu Dijon gehaltenen
Kirchenverſammlung, welcher der paͤpſtliche Legat, Car⸗
dinal Peter von Capua, beiwohnte **), nicht nur den
vlerzigſten, ſondern ſogar den dveißigſten Theil ihrer Ein⸗
kuͤnfte zur Huͤlfe des heiligen Landes zu opfern; aber die
44) Epist. In noc. III. Läb. II. 270.
43) Diefe Kirchenverſammlung, wel:
che vorzüglich wegen der Angelegenhei⸗
ten des Königs von Frankreich gehalten
wurde, dauerte vom Feſte des heiligen
Nikolaus (6. December 1199) an fieben
Tage, und außer den Erzbiſchöfen
von Lyon, Rheims, Beſangon und
Vienne waren achtzehn Bifchöfe ge⸗
genwärtig. S. Labbé et Cossartii
Concilia T. XI. P. I. col. 11. 12.
Der Papft Innocenz III. BR 87
Erfüllung dieſer Zuſage fand große ee und 190.
Innocenz ſah ſich daher genoͤthigt, nicht nur durch ers
neute Ermahnung den erkalteten Eifer der franzoͤſiſchen
Geiſtlichkeit fuͤr das heilige Land wieder zu beleben, ſondern
auch diejenigen, welche nicht mindeſtens den vierzigſten
Theil ihrer Einkünfte fuͤr die Sache des Herrn darbringen
wurden, mit der Strafe des kirchlichen Bannes zu be⸗
drohen. „Seht, ſchrieb er an die franzöfifchen Erzbiſchdfe,
Biſchoͤfe und Aebte 36), „der Gekreuzigte wird wiederum
gekreuzigt beſchimpft durch Backenſtreiche und gegeißelt,
4 und die Feinde ſprechen zu ihm hoͤhnend; Wenn du Gottes
Bi: Sohn biſt, ſo mache Dich frey uud rette dein Land, wenn
du kannſt, aus unſern Händen, und gieb dein Kreuz
wieder den Verehrern des Kreuzes. Ihr aber, wie wir
mit Verdruß vernehmen, reicht ihm, auf wiederholte
Bitte, kaum einen Becher friſchen Waſſers und macht
euch dadurch boͤſen Namen bey den Layen, welche von
euch zum Gehorſam des Kreuzes zwar mit Worten, aber
nicht durch Werke ermuntert werden, und daher von euch
ſagen: Sie beſchweren die Schultern der Unterthanen
mit Laſten, an welche ſie ſelbſt keinen Finger legen moͤgen.
Die Layen werfen euch vor, daß ihr aus dem Erbtheile
Jeſu Chriſti lieber Poflenreißer unterſtuͤtzt als den Hei—
land, und mehr an Hunde und Falken wendet als an die
Sache Gottes.“ Indem Innocenz in eben dieſem Schrei—
ben alle von dem Papſt Gregor dem Achten und ihm
ſelbſt den Kreuzfahrern bisher bewilligten Vorrechte und
alle von ihm fruͤher wegen der Kreuzfahrt gemachten An—
40) Dieſes Schreiben findet ſich in terdictes G. das folg. Kapitel S. 93)
den gestis Innoc. III. c. 84 und hervorgeht, im Laufe des Jahrs 1200
wurde, wie aus der Erwähnung des erlaſſen,
über Frankreich ausgeſprochenen In-
J. Chr.
1200.
88 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
ordnungen beſtaͤtigte und erneute, fuͤgte er noch die Er
laubniß hinzu, daß ungeachtet des uͤber das franzoͤſiſche
Reich ausgeſprochenen Interdietes fuͤr die mit dem Kreuze
Bezeichneten auf deren Verlangen die heilige Meſſe ſollte
geleſen werden duͤrfen, jedoch mit Ausſchließung derer,
welche das Kreuz nicht truͤgen, und ohne Glockengelaͤute.
Auch empfahl er den Kreuzfahrern angelegentlichſt Genuͤg—
ſamkeit, Enthaltſamkeit und Vermeidung jeder ueppig⸗
keit, und gebot, daß niemand mehr, als außer der Zw
koſt noch zwey mäßige Gerichte auf feinen Mittagstiſch
bringen, und nur den Grafen, Baronen und anderem
Adel ein drittes Gericht zugeſtanden werden, und der
Gebrauch von koſtbaren Pelzen für die Dauer der Kreuz
fahrt gänzlich abgeſtellt ſeyn ſollte; nach dieſer Verord—
nung ſollten nicht nur die Layen, ſondern auch die Geiſt;
lichen und ſelbſt die Weiber, welche durch ein Geluͤbde ſich
verpflichtet haͤtten, oder ſonſt geſonnen waͤren, nach dem
heiligen Lande ſich zu begeben, auf das ſtrengſte ſich achten.
Den Knappen und andern Dienern und Knechten gebot er
ernſtlichſt, ſich der gefärbten Kleider zu enthalten und ſich
mit anſtaͤndiger Kleidung zu begnügen ). Endlich rich;
Pr
47. „Quia vero iis, qui divinae
se mancipant obsequiis servitutis,
et abstinendum ab illicitis, et lici-
apponatur; nec de cetero, doneo
tis parcius est utendum, ne licitum
fiat illicitum, si lascive vel illi-
center agatur, volumus et manda-
mus, ut eos ex parte nostra monereo
diligentius et inducere procuretis,
ne diebus illis, quibus carnibus
ves ei debent, aut etiam jejuniorum
diebus, praeter pulmenta, pluribus
ferculis quam duobus et eis etiam
moderatis utantur; nisi korsau Co-
mitibus, Baronibus ct aliis Nobili-
in
vitores diligenter "et
bus tertium ferculum, quod vulgo
dicitur intermissum (entremets),
ultra id quod exhibetur familiag,
votum peregrinationis adimpleant,
hermineis variis seu griseis induan-
tur. Ad quorum utrumque tam
Clericos duam Laicos et mulieres
etiam, quae vel transfretare te-
nentur ex vn vel „secuturae sunt
peregrinationis itinere viros
suos, similiter vofumus commo-
nieri. Armigeros etiam ct alios Ser-
""eflicaciter,
Der Papſt Innocenz HR 89
tete Innocenz in dieſem Schreiben auch an die franzdſiſche Jr.
Geistlichkeit die Ermahnung, diejenigen, welche das Kreuz
angenommen und wieder abgelegt hatten, insbefondere
die Grafen von Boulogne und Beaumont, auf das nach⸗
druͤcklichſte und im Falle der Noth durch den kirchlichen
Bann zur Erfuͤllung ihres Geluͤbdes zu noͤthigen, und
ihren Pfarrgenoſſen wenigſtens fuͤr die Wink vo fuͤnf
Jahren den Beſuch det Turniere zu mee I
Um eben dieselbe geit, I u dleſe .
. Aalen wurden ſuchte Innocenz, ſo viel an ihm lag,
feine den Chriſten im Morgenlande gegebenen Verheißun;
gen ins Werk zu ſetzen; obgleich er noch immer ſich ge
noͤthigt ſah, die Klage zu fuͤhren, daß ungeachtet aller
ſeiner dringenden Ermahnungen nur wenige das Kreuz
genommen haͤtten, und die erneute paͤpſtliche Aufforderung
zu Beytraͤgen fuͤr das heilige Land an vielen Orten unter
den Geiſtlichen ſowohl als dem Volke Unzufriedenheit
und Murren erweckte? s). Innocenz ließ mit einem Auf⸗
wande von dreyzehn Hundert Pfund Silbers aus ſeinem
Schatze *“) ein neues Schiff erbauen und daſſelbe mit
Fleiſch, Brod, Huͤlſenfruͤchten und Getreide, welche ver⸗
mittelſt der von frommen Chriſten. geſpendeten Almoſen
Waren angeſchafft worden, befrachten; und ein Templer,
ss ann ) ji 0 N 1 pad ee
quantum in vobis fuerit, inducatis, welche die Biſchöfe wegen der Ange:
ut coloratis vestibus non utantur, legenheiten des heiligen Landes nicht
sed contenti sint alfis convenien- in ihrem, ſondern in des Papſtes
tibus indumentis.“ Gesta Innoc. III. Namen berufen würden, fleißig ein⸗
1. C. (in ed. de Bréquigny et La- zufinden (vom 30. Dec. 1190 III. Kal.
Porte du Theil p. 82. 83). Jan.) Ep. I. 272.
48) Vgl. das Umlaufſchreiben des A), Pro qua (navi) cum ornamen-
Papſtes vom 4. Jan. 1200. Ep. I. täs suis mille treceutas libras expen-
271. und die Ermahnungen an die dit.“ Gesta Innocent. III. c. 46.
Aebte, ſich zu den Verſammlungen,
90 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. II.
3,5 ein Hofpitaliter und ein Moͤnch wurden von ihm beaufs
tragt, mit dieſem Schiffe nach dem heiligen Lande ſich
zu begeben, und jene Lebensmittel dort auf angemeſſene
Weiſe zu vertheilen. Sie aber begaben ſich mit dem -päpfts
lichen Schiffe nach Meſſina in Sicilien; und als ſie dort
durch Stürme längere Zeit aufgehalten wurden, und die
Lebensmittel zu verderben drohten: ſo fanden ſie es raͤth⸗
licher, die Vorraͤthe zu verkaufen; zumal, da das Getreide
damals in Sicilien theurer war, als in Syrien. Das
Geld aber, welches fie durch dieſen Verkauf loͤſten, brachten
ſie nach Syrlen und verwendeten ein Dritttheil deſſelben
zur Wiederherſtellung der durch ein Erdbeben zerſtoͤrten
Mauern von Tyrus, ein andres Dritttheil vertheilten ſie
unter die Armen, und das letzte Dritttheil beſtimmten fie
zur Belohnung der Vertheidiger des Landes. Das
Schiff uͤberließ Innocenz, nachdem die Reiſe war voll—
bracht worden, den Templern ). Durch dieſe thaͤtige
Theilnahme an der Unterſtuͤtzung des heiligen Landes
bewies Innocenz der ganzen Chriſtenheit, daß es ſeine
Abſicht nicht war, ſich ſelbſt und die roͤmiſche Geiſtlichkeit
30) Gesta Innocenti III. I. c. Die
Zeit, in welcher Innocenz dieſes
Schiff nach Syrien ſandte, wird zwar
nicht angegeben; es ſcheint aber die
Abſendung deſſelben noch in das Jahr
1100 zu gehören. Den Abgang des
Schiffes, mit welchem der Hoſpita⸗
liter Raimund, der Templer M.
(Martin) und der Mönch J. (Jo⸗
hann) die Reiſe nach dem Morgen⸗
lande machten, kündigte der Papſt
dem Patriarchen von Jeruſalem in
einem eignen Schreiben (Ep. Läb. II.
189) an. Das Erdbeben, wodurch
die Mauern von Tyrus zerſtört wor:
den, ereignete ſich erſt im Jahre 1202,
verwuſtete faſt die ganze Stadt,
zerſtörte den dritten Theil von Pto⸗
lemais und mehrere andere Städte
und Burgen in Syrien, und wurde
auch in manchen Gegenden von Eng⸗
land bemerkt; im Auguſt dieſes Jah⸗
res waren heftige Gewitter mit vie⸗
lem Hagel häufig, und heftige Stür⸗
me, Rad. Coggesh. (im Recueil des
hist. de la Fr. T. XVIII.) p. 97.
Eine ausführliche Beſchreibung dieſes
Erdbebens findet ſich in der Chrono;
logia Roberti Altissiodorensis p. 265,
Vgl. Buch VII. Kap. I.
Deer Papſt J
den Laſten zu entziehen, welche den uͤbrigen Chriſten 9 0
gelegt wurden *).
81) „Ne nos aliis onera gravia
et importabilia imponere videa-
mur, digito autem nostro ea mo-
vere nolimus, dicentes tantum et
aut nihil aut minimum facientes,
cum, qui fecerit et docuexit, masnps
vocetur in regno caelorum: eius
exemplo, qui coepit facere et do-
Innocenz III. 91
J. Chr.
1200.
vicem ejus exercemus in terris,
bonum aliis praebeamus exemplum,
in personis pariter et in rebus ter-
rae sanctae decrevimus subve-
nire.““ Ep. Lib. I. 336. Diefe Ber:
ſicherung wiederholte Innocenz in
7605 feiner Briefe faſt mit denſel⸗
ben Worten: z. B. II. 189, 270. 271.
cexe, ut et nos qui, licet immexiti,
69
+ — 72
92 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. III.
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Mit ſolcher Thaͤtigkeit, als Innocenz auf die Angelegen⸗
heiten des heiligen Landes richtete, wuͤrde er unter guͤn—
ſtigern Umſtaͤnden vielleicht nicht minder große Wirkungen
hervorgebracht haben, als Urban der Andere auf der
beruͤhmten Kirchenverſammlung zu Clermont durch ſeine
begeiſterte Beredſamkeit bewirkt hatte. Aber alle Verſuche,
den Frieden unter den Koͤnigen, ohne welchen eine allgemeine
Kreuzfahrt unmoͤglich war, wiederherzuſtellen und zu befe—
ſtigen, waren vergeblich. Philipp Auguſt von Frankreich
und Richard von England ſchloſſen zwar unter Vermitte—
lung des paͤpſtlichen Legaten Peter von Capua einen fuͤnf—
jährigen Anſtandfrieden; aber dieſe unverſoͤhnlichen Feinde
blieben gleichwohl wider einander in drohender Stellung,
bis der unerwartete Tod des Koͤnigs Richard ihren Feh—
den ein Ende machte. Mit dem Koͤnige Philipp Auguſt
gerieth Innocenz bald darauf in ſehr verdrießliche Haͤndel,
weil der Koͤnig ungeachtet aller Ermahnungen und Dro—
hungen ſeine Verbindung mit Maria Agnes nicht auf—
loͤſte und feine verſtoßene Gemahlin Ingeburg, die Tochz
ter des Koͤnigs Kanut von Daͤnemark, nicht wieder zu
4 6 Die Kreuzprediger. rd 83
ſich nahm), alſo daß Innocenz ſich genoͤthigt ſah, wider
den widerſpenſtigen Koͤnig ſeine Drohungen mit aller
Strenge ins Werk zu ſetzen. Der Cardinal Peter von
Capua ſprach alſo als paͤpſtlicher Legat uͤber den Koͤnig
Philipp Auguſt den Bann und uͤber deſſen Reich das Inter⸗
dict aus, und faſt neun Monate lang, von dem Feſte der
heiligen drey Könige bis zu Maria Geburt des Jahres
1200, lag Frankreich unter dem Interdicte 2). Unter
ſolchen Umſtaͤnden hoͤrte in Frankreich faſt niemand auf
die Ermahnungen des Legaten zur Arnafinuns Re das
heilige Land.
Mit groͤßerem Erfolge. aber ee de andere pre, 3, Chr.
diger in verſchiedenen Gegenden zur Annahme des Kreu—
zes. In der Gegend von Paris trat der Meiſter Fulco,
Capellan der Kirche zu Neuilly, als Kreuzprediger auf,
indem er den Auftrag zu vollziehen ſich bemuͤhte, welcher
ſeinem Lehrer Peter, Cantor an der Kirche Unſerer lieben
Frauen zu Paris, von dem Papſte war ertheilt worden.
1) Radulphi Coggeshale Chron.
Anglicanum (im Recueil des histo-
ziens de la France T. XVIII.) p. gı.
2) Chron, Anonymi Laudunensis
Canonici (im Recueil des histor. de
la France T. XVIII.) p. 711. Ra⸗
dulph Coggeshale (a. a. O.) ſchildert
die Wirkung des Interdicts in den
franzöſiſchen Bisthümern, in welchen
es mit aller Strenge beobachtet wurde,
alſo: „O quam horrificum, immo
quam miserabile in singulis civi-
tatibus per id temporis erat specta-
culum! Valvas basilicarum obsera-
tas cernere, et ab ingressu earum
Christianos velut canes arcere, ab
officiis divinis oessare, sacramenta
corporis et sanguinis Domini non
conficere, ad praeclaras sanctorum
solemnitates ex more plebem non
confluere, defunctorum cadavera
ritu christiano sepulturae non tra-
dere, quorum foetor aörem inficie-
bat et horribilis visio vivorum
mentibus horrorem incutiechat “,
Nur die letzte Delung und die Taufe
fanden Statt. „„Erat ubique per
regnum moestitia circumfusa, cum
hic ecclesiae silerent organa et ora
canentium Dominum clauderen-
tur.“ Chronologia Roberti Altissio-
dorensis (im Recueil etc. T. XVIII)
P. 263. Die Annales Aquicincten-
sis monasterii (ibid. p. 552.) nennen
dieſes Verfahren des Papſtes inaudi-
tam severitatem,
94 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
Denn als Peter, ein eben fo frommer als gelehrter Geift
licher, in dem elſtercienſer Kloſter Longpont bey Soiſſons
ſich aufhielt, um in Gemeinſchaft mit den Kloſterbruͤdern
durch inbruͤnſtiges Gebet von Gott die Loͤſung des Zwei—
fels, welcher ſein Gemuͤth bewegte, zu erflehen, ob es
für) das Heil feiner Seele zutraͤglich wäre, die auf ihn ge.
fallene- Wahl zum Biſchofe anzunehmen: ſo erſchienen
paͤpſtliche Boten mit einem Schreiben, in welchem Innocenz
dem Cantor Peter gebot, alles andere aufzugeben und das
Kreuz zu predigen. Peter aber fiel, da er ſich anſchickte, den
paͤpſtlichen Auftrag zu vollziehen, in eine toͤdtliche Krankheit;
und, als er fuͤhlte, daß das Ende ſeines Lebens ſich nahte,
ſo rief er ſeinen Schuͤler Fulco zu ſich und ermahnte
ihn, den paͤpſtlichen Auftrag zu übernehmen, deſſen Voll—
ziehung ihm ſelbſt die goͤttliche Fuͤgung nicht geſtattete.
Fulco, damals noch ein junger Mann 3), fol nur mit
Widerſtreben dieſem Auftrage, zu deſſen Vollziehung
Peter Niemand wuͤrdiger als ihn achtete, ſich unterzogen
haben; Peter aber gab bald nachher feinen Geiſt auf ).
Der Meiſter Fulco war fruͤher eben ſo ſehr, als die meiſten
3) Jacobi de Vitriaco hist. oc-
cidentalis (ed. Duac, 1597. 8.) p.
275 — 289, wo ſowohl über Fulco
als über deſſen Lehrer Peter aus:
führliche Nachrichten mitgetheilt wer—
den. Nach andern Urtheilen war
Fulco zu der Zeit, als Peter ihn auf:
forderte, das Kreuz zu predigen: „ae—
tate quidem juvenis, scientia vero
et moribus insignis.“ S. Joannis
de Tlissicuria elogium Fulconis
Nulliacensis et Petri Parisiensis aus
Mabillonii Actis Sanctorum Ord.
S. Benedicti im Recueil des histo-
ziens des Gäules et de la France
T. XVIII. p. 800. Radulph Cogges⸗
hale (Chron. Angl. Recueil I. c.
P. 80) nennt ihn: verbo et vita
clarus. Der Mönch Günther (hi-
storia Constantinopolitana in Ca-
nisii Thesauro Monumentor. ed.
Basnage T. IV- p. V.) „famosus ille
praedieator Francigena Fulco, no-
mine Leo,“ wofür vielleicht Fulco
de Nulliaco zu leſen iſt; und Hugo
Plagon (p. 654.) : Fouque de Milli
(Neuilly). Der Cantor Peter ſtarb
im Jahre 1197. S. Chronologia Ro-
berti Altissiodörensis p. 262.
4) Recueil des historiens de la
France T. XVIII. p. 800.
Die Kreuzprediger. 95
Geiſtlichen des pariſer Bisthums zu feiner Zeit, den ſinn⸗
lichen Genuͤſſen ergeben geweſen; ploͤtzlich aber kam er
zur Erkenntniß ſeiner Suͤndhaftigkeit und bemuͤhte ſich,
ſeit dieſer Zeit in einen ganz andern Mann verwandelt,
ſowohl durch ſtrenge Buͤßungen, welche er ſich auflegte,
als durch einen frommen Wandel das Aergerniß ſeines
vorigen Lebens zu tilgen; und da er es ſchmerzlich fuͤhlte,
daß ihn der Mangel an Kenntniß, beſonders der heiligen
Schrift, unfaͤhig machte zur befriedigenden Erfuͤllung der
Pflichten ſeines Amtes: ſo fing er an mit Tafel und
Griffel die Vortraͤge der pariſer Gottesgelehrten, beſon—
ders des gelehrten Cantors Peter, zu beſuchen, und ſich
fleißig Bibelftelfen und moraliſche Säge; welche fein um
gebildeter Verſtand begreifen und faſſen konnte, anzu—⸗
merken. Was er in der Woche gelernt hatte, trug er
am Sonntage ſeiner Gemeinde zu Neuilly vor. Bald
J. Chr.
1198.
aber wurden die benachbarten Pfarrer auf ſeine Gabe
einer der Faſſung des Volks angemeſſenen Beredſamkeit
aufinerffam und luden ihn ein, in ihren Kirchen zu dem
Volke zu reden. Auch ſein Lehrer, der Cantor Peter,
forderte ihn damals auf, in der Kirche des heiligen Seve—
rinus zu Paris zu predigen, und ſowohl Peter, als viele
andre pariſer Gelehrte, welche dieſe Predigt anhoͤrten,
uͤberzeugten ſich, daß aus dem einfachen Pfarrer von Neuilly
der Geiſt Gottes mit wunderbarer Kraft redete. Fulco
ſelbſt aber kam erſt zum Gefuͤhle deſſen, was er vermochte,
als eine öffentliche Predigt, welche er in der Straße
Champel zu Paris vor einer zahlreichen Verſammlung
von Geiſtlichen und Layen hielt, eine fo gewaltige Wir—
kung hervorbrachte, daß viele ihre Kleider abwarfen, ihre
Füße entſchuheten, und ſich, Riemen und Ruthen ihm dars
bietend, vor ihm niederwarfen, ihre Suͤnden bekannten und
J. Chr.
1198.
96 Geſchichte der Krenzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
ihn aufforderten mit ihnen nach ſeinem Willen zu verfahren.
Nach dieſer ihm ſelbſt unerwarteten Wirkung ſeiner Bered—
famfeit begann Fulco, durch öffentliche Predigten die Wuches
rer welche damals in Frankreich großes Unweſen trieben,
zu bekaͤmpfen, und bemuͤhte ſich buhleriſche Dirnen auf den
Weg der Tugend zu führen, Well aber die Wirkungen
ſeiner Predigten bald ſich verminderten, ſo daß ſie nur
noch von wenigen gehoͤrt, von vielen verſpottet wurden:
ſo entſagte er, nachdem er waͤhrend zwey Jahre viele
ſolcher offentlichen Predigten gehalten hatte, dieſem uns
dankbaren Geſchaͤfte, und beſchraͤnkte ſeine Thaͤtigkeit auf
die Angelegenheiten ſeiner Kirche, welchen er uͤberhaupt
mit Emſigkeit und Gewiſſenhaftigkeit vorſtand. Mit
einer viel kraͤftigern Beredſamkeit trat aber nunmehr
Fulco auf, nachdem ihn die Ermahnung ſeines ſterbenden
Lehrers zur Wirkſamkeit fuͤr das heilige Land begeiſtert
hatte; und ſeine Worte drangen, nach dem Ausdrucke
eines Schriftſtellers dieſer Zeit, in die verhaͤrteten Ges
muͤther der Laſterhaften ein, gleichwie ſpitzige Pfeile, und
erweichten fie zu Thraͤnen und zur Reue ). Er erneuerte
8) Rad. Coggeshale (I. c.) p. gr.
Nach Rigordus (de gestis Philippi
Augusti, Recueil des hist. de la Fr.
T. XVII. Pp. 48.) begann Fulco feine
Predigten zuerſt im Jahre 1196, und
im dritten Jahre derſelben (1198) fing
er an die Wunder zu verrichten, von
welchen Rigordus nicht reden mag,
weil die Menſchen nicht daran glaus
ben (propter nimiam hominum in-
credulitatem). Jacob von Vitry bes
ſonders ſchildert mit grellen Farben
die damals zu Paris herrſchende
Unkeuſchheit:- z. B.: „ Simplicem
fornieationem nullum peccatum re-
putabant. Meretrices publicae ubi-
que per vicos et plateas civitatis
passim ad lupanaria sua clericos
transeuntes quasi per violentiam
pertrahebant. Quodsi forte ingredi
recusarent, confestim eos Sodomi-
tas post ipsos conclamantes dice-
bant. Illud enim foedum et abomi-
nabile vitium adeo civitatem, quasi
lepra incurabilis et venenum insa-
nabile occupaverat, quod honorifi-
cum reputabant, si quis publice te-
neret unam vel plures concubinas,
In una autem et eadem domo scho-
lae erant superius, prostibula in-
fexius. In parte superiori magistxi
legebant, in inferiori meretrices
officia turpitudinis exercebant.““
Die Kreuzprediger. 97
aber, indem er zur Annahme des Kreuzes mit glühender , ‚Eh.
Begeiſterung ermahnte, auch die Verfolgung des Wuchers
und der Unzucht und anderer Laſter, ſtrafte die nahläß -
ſigen Praͤlaten und unkeuſchen Prieſter und beſtritt Nez
zerey und Irrlehren e) mit einer Freymuͤthigkeit, welche
keines Standes und keines Anſehens ſchonte; und viele,
erſchůttert durch ſeine Strafpredigten, gingen in ſich,
beſſerten ihr laſterhaftes Leben und ließen ab von ihren
Irrlehren. Manchen Buhlerinnen, welche mit ernſtlicher
Sinnesaͤnderung zum ſittlichen Leben ſich wandten, ver
ſchaffte er Maͤnner; fuͤr andere gruͤndete er aus den ihm
von frommen Chriſten geſpendeten Gaben das Frauen—
kloſter des heiligen Antons zu Paris 2), damit, fie dort,
der Regel der Ciſtercienſer gehorchend, in der Abgeſchieden—
heit von der Welt und entfernt von den Reizen der Sinne,
durch ein frommes und der Andacht. geweihtes Leben die
Flecken ihres fruͤhern Wandels tilgen moͤchten.
Als Innocenz von den Predigten des Meiſters Fulco
hoͤrte, ſo lobte er deſſen frommen Eifer in einem an ihn
gerichteten Schreiben s), munterte ihn auf, vornehmlich
zum Beſten des heiligen Landes die ihm von Gott ver—
6) Beſonders die haeresis populi-
cana. Chronologia Roberti Altis-
siodorensis 1. c. P. 262. Annales
Aquicinctenses (ibid.) p. 550.
7) Jacobi de Vitriaco G. o. p. 287.
Alberici Chron. (in Leibnit, access.
hist.) ad a. 1199. Chrön. Leodiense
Reineri ad St. Jacobum Monachi
(im Recueil etc. 1. c.) p. 514. Zur
Ausſtattung ſolcher dem liederlichen
Leben entriſſenen Mädchen gaben die
Schüler -(scholares) zu Paris 950
Pfund Sitbers, und die Bürger
mehr als 1000 Pfund Silbers. Otton.
de St. Blasio Chron, cap. 47.
V. Band.
8) Der Brief wurde geſchrieben im
Lateran am 5. November 1198 (Nonis
Novembr.). Nach der Chronik eines
ungenannten Stiftsherrn von Laon
(im Recueil des historiens de la
France T. XVIII. p. 713) erwirkte
noch der Cantor Peter dem Melſter
Fulco jenes päpſtliche Schreiben:;
„Fulconis zelum juvit cantor Pa-
risiensis, dum ei litteras domini
Papae, Innocentii impetravit, qua-
rum auctoritate per omncm Galliam
ei licuit ‚Praedicare, il .
15
n
G
98 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
2 liehenen Gaben anzuwenden, und ertheilte ihm die Voll⸗
macht, nach geſchehener Berathung mit dem Cardinal-
Legaten Peter von Capua, ſowohl aus den ſchwarzen als
weißen Moͤnchen zu ſeinem Beyſtande in der Ermahnung
zur Kreuzfahrt einige, welche er dazu tuͤchtig achte, aus—
zuwaͤhlen, damit ſie in Gemeinſchaft mit ihm, nach dem
Ausdrucke des Propheten 9), überall ſaͤen möchten an den
Waſſern.
Seit dieſer Zeit zog Fulco von Ort zu Ort, das
Kreuz predigend; und ſeine Predigten brachten um deſto
groͤßere Wirkungen hervor, da das Volk die Ueberzeugung
gewann, daß ihm, zur Beſtaͤtigung ſeiner Sendung, wie
einſt Peter dem Einſiedler und dem heiligen Bernhard,
Gott die Kraft verliehen habe, durch Auflegen ſeiner
Haͤnde und das Zeichen des heiligen Kreuzes den Blinden
das Geſicht, den Tauben das Gehoͤr, den Stummen die
Sprache, den Gelaͤhmten den Gebrauch ihrer Glieder
wiederzugeben, und viele andere koͤrperliche Gebrechen zu
heilen. „Der Geiſt Gottes aber,“ ſagt ein Schriftſteller
dieſer Zeit, „hatte dem Meiſter Fulco die Gabe verliehen,
die Geiſter zu unterſcheiden, ſo daß er wohl wußte, wem
und zu welcher Zeit er die Geſundheit wieder verleihen
koͤnnte und muͤßte. Darum, wenn die Kranken mit Un—
geſtuͤm die Heilung von ihm forderten, ſo gewaͤhrte er
einigen ihr Begehren augenblicklich; anderen verweigerte er
es unumwunden, indem er ihnen erklaͤrte, daß die Wieders
erlangung ihrer vorigen Geſundheit weder fuͤr das Heil
ihrer Seele erſprießlich, noch Gott wohlgefaͤllig ſeyn wuͤrde;
anderen that er kund, daß die Zeit ihrer Heilung noch
nicht gekommen waͤre, und die ihnen von Gott aufgelegte
Zuͤchtigung noch nicht hinreichte zur Abbuͤßung ihrer
99 If. 32, ©.
Die Kreuzprediger. 699
Sünden 15). Fulco ſoll ſolche wunderbare Heilungen 3.8.
beſonders durch das Waſſer von Quellen, welche er durch
ſeinen daruͤber ausgeſprochenen Segen heiligte, bewirkt
haben *). An ſolchen von ihm geweihten Quellen wurden
hernach Capellen und ſelbſt Hoſpitaͤler von ſeinen frommen
Verehrern erbaut *).
Mit Erlaubniß ſeines Biſchofs begab ſich dieſer be—
geiſterte Kreuzprediger auch in die benachbarten Land—
ſchaften, indem er die Normandie und Bretagne, ſo wie auch
Burgund und Flandern durchzog *), und überall ſowohl
10) Had. Coggeshale I. c. p. St.
Vgl. Jac. de Vitr. p. 283. Ueber die
Wunder, welche Fulco verrichtete, ver
det ausführlich Otto von St. Blaſien
nach Mittheilungen, welche darüber
Berthold von Oſinbere, ein Augen:
zeuge, an Heinrich von Veringen,
Cuſtos der Kirche zu Straßburg,
gemacht hatte. Ueber die Weiſe Ful—
co's, den Stummen die Sprache zu
geben, berichtet Otto von St. Bla
ſien Folgendes: „Allatis ad eum
mutis, sicut idem Bertholdus ocu-
lis suis vidit, ora eis aperiens in-
sufflavit, eisque ut loquerentur
imperavit. Qui si aliquamdiu mo-
rarentur, eos in maxilla caedendo
quasi per vim Spiritus sancti ver-
bum ab eis violenter extorsit, sta-
timque loquentes reddidit.“ Auf
nicht weniger gewaltſame Weiſe heilte
er die Lahmen. Als einft, da er zu
Pferde an den Hof des Königs von
Frankreich ſich begab, einige Ritter
einen ihnen verwandten jungen Mann,
welcher völlig gelähmt war, ihm ent:
gegenführten, damit er durch Aufle—
gung ſeiner Hände denſelben heilen
möchte: fo gebot Fulco zuvörderſt
dem jungen Mann, von ſeinem Pfer⸗
de herabzuſteigen, und als er ſich
nicht bewegen konnte, ſo ſprach der
Wunderthäter: Im Namen unſers
Herrn Jeſu Chriſti gebiete ich dir,
abzuſteigen. Otto von St. Blaſien be:
ſchließt dieſe Erzählung alſo: „Euum
nec ad han vocem aeger ille pos-
set descendere, dominus Fulco (nam
etipse equo sedebat) equum ad eum
urgens quasi eum percussurus, ba-
culum, quem manu gestabat, eleva-
vit, aegroque per hoc stuporem
incutiens eumque prae timore de
equo corruentem elevans, sanum
continuo reddidit eumque per ali-
quod campi spatium coram se gau-
dentem currere fecit.“ Nach der
Erzählung derſelben Chronik ſoll Fulco
behauptet haben, daß eine Erſcheinung
der Jungfrau Maria ihn zum Predi⸗
gen aufgefordert habe. Auch Ville—
hardouin (de la conqueste de Con-
stantinople, ed. Ducange, p. 1.) er:
wähnt der Wunder des Meiſters
Fulco.
11) „ Dicunt quidam, aliqua per eum
facta miracula maxime ad fontes,
quos benedixit.“ Alberici Chron.
ad a. 1199.
12) Jac, de Vitr. 1. c. p. 287.
13) Chronologia Roberti Altissio-
dorensis I. c. Nach Lüttich kam er
G 2
J. Chr.
1198.
100 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. III.
zur Annahme des Kreuzes ermahnte, als wider die Laſter
predigte, wider welche er ſchon zu Paris und in der
Umgegend geeifert hatte. Wohin er kam, da begeiſterte
er das Volk fuͤr das heilige Land, ſo daß Viele das Ge—
luͤbde der Kreuzfahrt ablegten, Andere ihm reichliche Als
moſen zur Huͤlfe des heiligen Landes uͤbergaben; und
ſelbſt aus fernen Gegenden kamen viele Glaͤubige nach
den Orten, wo er predigte, um ſeine begeiſterten Er—
mahnungen zu hoͤren und ſeine Wunderwerke zu ſchauen.
Nicht ſelten aber wurde die Zudringlichkeit ſolcher, welche
feine Wunderkraft anſtaunten oder für die Heilung koͤrper—
licher Gebrechen in Anſpruch nahmen, ihm hoͤchſt laͤſtig.
Nicht nur wurden in großer Zahl die Kranken herbey—
getragen, und ihre Betten an die Wege geſtellt, damit die
Kranken, wenn Fulco voruͤberginge, feine Kleider moͤch—
ten berühren koͤnnen, und dadurch geneſen; ſondern auch
manche Kranke und ſelbſt Geſunde draͤngten ſich mit Unge⸗
ſtum an ihn heran und zerriſſen das Gewand, welches er
trug, um Stuͤcke deſſelben in ihre Gewalt zu bringen.
Gewoͤhnlich mußte Fulco täglich ein neues Gewand ans
legen, weil das Kleid, welches er am vorhergehenden
Tage getragen hatte, durch ſeine ungeſtuͤmen Verehrer
war zerriſſen worden. Oftmals draͤngte das Volk in
heiligem Eifer ſo ſehr auf ihn ein, daß er in Gefahr
war, erdruͤckt zu werden; und er war daher genoͤthigt,
durch mancherley Mittel, zuweilen mit Gewalt, die Zu—
dringlichen von ſich abzuwehren. Als an einem Tage ein
Mann auf ſehr gewaltſame Weiſe Stuͤcke von dem Ge—
am Sonntage nach Lätare (19. März) dortigen Mönche wurden mit großer
1200, Reineri Chron. Leodiense J. Achtung für feine Frömmigkeit und
c. P. 616. Zu Corbie machten ſeine Heiligkeit erfüllt. Recueil des histo-
Predigten große Wirkungen, und die riens de la France. T. XVIII. p. 301.
#
Die Kreuzprediger. 101
wande des Kreuzpredigers ſich zu verſchaffen ſuchte, ſo
erhob Fulco alſo ſeine Stimme zu dem umſtehenden Volke:
Zerreißet nicht ferner meine Kleider, welche nicht geſegnet
ſind; ich will aber das Kleid dieſes Mannes ſegnen.
Als Fulco hierauf uͤber das Gewand deſſelben das Zeichen
des Kreuzes gemacht hatte, ſo fiel das Volk her uͤber
dieſen Mann, riß ſein Gewand in Stuͤcke und nahm
dieſe Stuͤcke als Reliquien. Zu anderer Zeit, wenn der
Andrang des Volks ſehr heftig wurde, und das Getuͤm—
mel und Toſen deſſelben oder laute Geſpraͤche der Um—
ſtehenden ſeine Rede ſtoͤrten oder unterbrachen: ſo ſtrafte
er die Anſtifter dieſer Stoͤrungen durch ſeinen Fluch, welcher
von ſolcher Wirkung geweſen ſeyn ſoll, daß nicht nur ſo—
gleich die vollkommenſte Ruhe eintrat, ſondern auch diejeni—
gen, welche dadurch ſich getroffen fühlten, wie von fal—
lender Sucht ergriffen, mit den heftigſten Zuckungen zu
Boden fielen. Nicht ſelten ſchlug er ſolchen, welche mit
Unbeſcheidenheit und Ungeſtuͤm ſich an ihn herandraͤngten,
mit dem Stabe, welchen er in ſeiner Rechten trug, blutige
Wunden; diejenigen aber, welche ſolche Wunden davon
getragen hatten, murrten nicht, ſondern kuͤßten das her—
vordringende Blut, als von einem Manne Gottes ge—
heiligt *).
Der Eifer, womit Fulco ſowohl Fuͤrſten, Ritter und
Volk zur Annahme des Kreuzes als die Laſterhaften zur
Beſſerung ihres Wandels ermahnte, und die Wunder,
welche er vollbrachte, mehrten ſein Anſehen bey dem Volke
ſo ſehr, daß man ihn nicht anders als den heiligen
Mann nannte *). Doch war Fulco nicht darauf bedacht,
14) Jac. de Vitr. I. c. p. 284. 285. de la conqueste de Constantinople,
16 Recueil des hist. de la France ed. Ducange p. 17.28) giebt ihm den
T. XVIII. p. 801. Villehardouin (his, Beynamen: „le bon hom.““
J Chr.
1198.
102 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
u durch uͤbertriebene Kaſteyungen und auffallende Buͤßungen
den Ruf eines Heiligen ſich zu verſchaffen; zwar trug er
ein haarnes Hemd auf bloßem Leibe und faſtete auch zu—
weilen mit Strenge, aber zu anderer Zeit aß und trank
er gern und in ordentlichem Maße die Speiſen und
Getraͤnke, welche ihm dargeboten wurden; er kleidete ſich
nach der Sitte des Landes, ſchor ſich oͤfters den Bart,
und wenn er zum Predigen umherzog, ſo ging er nicht
zu Fuß, ſondern bediente ſich eines Pferdes *).
Seinen Reden fuͤr das heilige Land gab Fulco da—
durch noch groͤßere Kraft, daß er ſich mit zahlreicher Be—
gleitung zu dem allgemeinen Capitel des Ciſtercienſer—
ordens begab, welches in der Abtey Citeaux im J. 1198
gehalten wurde, und daſelbſt zugleich mit dem Biſchof
Gautier von Langres das Kreuz nahm. Die verſammelten
Aebte verweigerten ihm zwar die Gewaͤhrung ſeines Ge—
ſuchs, daß aus ihrer Zahl einige als Begleiter und Ge—
huͤlfen auf der Wallfahrt ihm ſich anſchließen moͤchten,
uͤbergaben ihm aber eine große Zahl von Kreuzen; und
als Fulco, nachdem er die Abtey verlaſſen hatte, mit dem
heiligen Kreuze bezeichnet, vor dem Thore derſelben, das
Volk, welches daſelbſt zuſammengekommen war, zum
Beyſtande des heiligen Landes ermahnte: ſo nahmen ſo—
gleich Viele aus ſeinen Haͤnden das Kreuz. Viele Andere,
16) „Nullam singularitatem auste- bam frequenter radebat, caput de-
rioris conversationis, sive in vigi- centi pileo cooperiens. Vadens ad
liis sive in ciborum parcimonia, pa-
lam demonstravit, sed cum gratia-
rum actione quae sibi apponeban-
tur percipiens.“ Rad. Coggeshale
I. c. p. 81. „Hujus sacerdotis con-
versatio, non multum simulata reli-
gione fuit, Vestes enim pro con—
suetudine ipsius terrae habens, bar-
praedicandum equo utebatur, et in
quamcumque domum receptus est,
modo justi praedicatoris comedit
et bibit, quae sibi apponebantur.““
Otton, de St. Blas. Chron, I. c.
Doch ſagt Jacob von Vitry (p. 283)
von ihm: „‚famem patiebatur ut
canis.“ Vgl. Anm. 21.
Die Kreuzprediger. 105
als das Gerücht fich verbreitete, daß Fulco ſelbſt eben fo, wie
vormals Peter der Einſiedler, an die Spitze eines Kreuz—
heeres ſich ſtellen und daſſelbe nach dem heiligen Lande
fuͤhren wuͤrde, kamen aus allen Orten zu ihm und baten
um die Ertheilung des Kreuzes 7). Fulco gewaͤhrte dieſe
Bitte aber nur den Armen und verſchmaͤhte die Reichen
als Gefährten feiner Wallfahrt *).
Die Wirkungen der Predigten des Meiſters Fulco
waren aber in keiner Hinſicht von Dauer *).
Viele,
welche auf ſeine Ermahnung ihre Suͤnden bereut und
Beſſerung gelobt hatten, kehrten bald wieder zu ihren
17) Rad. Coggeshale I. c.
18) „Ipse turbam pauperum in-
nummerabilem, ad vindicandam
injuriam Crucifixi in Orientali ec-
elesia, praedicatione sua accendit
et eis signum crucis imposuit; di-
vites vero indignos esse tali bene-
ficio judicavit. “ Reineri Chron,
Leod. I. c. p. 615. Roger von 20:
veden (fol, 448 B) erzählt noch Fol:
gendes von den Schickſalen, welche
Fulco als Prediger erfuhr. Er begab
ſich auch zum Könige Richard und
ſprach zu ihm: Ich ſage dir im Na⸗
men Gottes, daß du drey ſchlimme
Töchter haſt, und rathe dir, ſie bald
an den Mann zu bringen, damit ſie
dir nicht Unheil verurſachen. Du biſt
ein Heuchler und Lügner, ſprach der
König; denn ich habe keine Töchter.
Fulco aber fuhr fort: Ich lüge nicht;
denn du haſt wirklich drey ſchlimme
Töchter, welche ſind: Hoffahrt, Lei—
denſchaftlichkeit und Ueppigkeit (su-
perbia, cupiditas, luxuria). Der
König rief hierauf viele feiner Gra:
fen und Barone zu ſich und ſprach
zu ihnen: Jener Heuchler ſagt, daß
ich drey ſchlimme Töchter habe und
ſie bald verheirathen ſoll; ich gebe
alſo die Hoffahrt den Templern, die
Leldenſchaftlichkeit den Ciſtercienſer⸗
mönchen, und die Ueppigkeit den
Prälaten. Als Fulco hernach zu Li⸗
ſieur über das unreine Leben der
Geiſtlichen predigte, ſo ließen ihn die
Geiſtlichen dieſer Stadt in ein Ge:
fängniß bringen; aber keine Feſſeln
vermochten ihn zu halten, und die
Geiſtlichen gaben ihm wieder die
Freyheit. Zu Caen in der Normandie
ließen ihn, als er dort predigte und
mancherley Wunder verrichtete, die
Burgwächter (custodes castelli) in
der Meinung, dem König Richard
dadurch einen Gefallen zu erweifen,
in Feſſeln legen; Fulco aber zerbrach
die Feſſeln und ſetzte froh und mu—
thig ſeinen Stab weiter.
19) „Verum non diu perstitit illa
fervens audiendi frequentia, sed
processu temporis cio deferbuit;
et multi, qui a vitiis resilire jam
coeperant, in eadem sunt relapsi.““
Chronologia Roberti Altissiodor. I.
c. p. 262.
J. Chr.
1108.
0 f
5
Me
J. Chr.
1198.
Sept.
en;
104 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. III.
vorigen Laſtern zuruck, und feine Abſichten in Beziehung
auf das heilige Land wurden verdaͤchtig. Obwohl die
Almoſen, welche er fuͤr das heilige Land ſammelte, zur
Unterſtuͤtzung unbemittelter Ritter, welche das Kreuz ge—
nommen hatten oder nehmen würden, und anderer armen
Wallfahrer beſtimmt waren: ſo erregte gleichwohl die
große Menge des Geldes, welches er zuſammenbrachte,
Neid 22); und man fing an, ihn zu beſchuldigen, daß
die Noth des heiligen Landes von ihm nur als Vorwand
gebraucht würde, um für andere Abſichten Geld zu ſam—
meln. Andere tadelten feine Reizbarkeit zum Zorn und
die Haͤrte, womit er diejenigen von ſich ſtieß, welche zu
ungelegener Zeit oder auf ihm laͤſtige Weiſe feine Wunder;
kraft in Anſpruch nahmen *). Dieſe Vorwuͤrfe und Be
ſchuldigungen hatten die Folge, daß die Theilnahme an
ſeinen Predigten ſich minderte. Gleichwohl berichtete Fulco
im Jahre 1201 auf dem allgemeinen Capiteltage der Aebte
20) „Ipse (Fulco)ex fidelium elee-
mosynis maximam coepit congre-
gare pecuniam, quam pauperibus
cruce signatis, tam militibus quam
Licet
autem causa cupidiratis vel aliqua
aliis, proposuerat erogare.
sinistra intentione collectas istas
non faceret, occulto Dei judicio ex
tunc ejus auctoritas et praedicatio
coepit valde diminui apud homi-
nes; et, crescente pecunia, timor
et revereutia decrescebat.“ Jac, de
Vitr. 1, c. p. 288. In der Chronik
eines ungenannten Stiftsherrn von
Laon (Recueil des historiens de la
France T. XVIII. p. 711) wird un:
umwunden die Beſchuldigung aus⸗
geſprochen, daß Fulco in eigennützi⸗
ger Abſicht das Kreuz gepredigt, und
die Mildthätigkeit der Chriſten ge:
täuſcht habe: Tandem (Fulco), sub
obtentu Terrae Sanctae, pracdica-
tiouli quaestuosae insistens, pecu-
niam congregavit inſinitam, non,
sicut credebatur, Terrae Sanctae
profuturam,‘‘ 2
21) „In hoc scandalizabantur non»
nulli, quod nimiam pecuniam ag-
gregavit quasi ad succursum terrae
Hierosolymitanae, et quod erat ul-
tra menstiıram iracundus.‘“ Chron,
Alberici ad a. 1199. Jacob von
Vitry (I. c. p. 286) entſchuldigt da:
gegen die Geneigtheit des Kreuzpre—
digers zum Zorn: „Sed et aspe-
ritate poenitentiae, eo quod asper-
rimo semper indutus esset cilicio,
et plerumyue lorica, ut dicitur, et
ex nimia vexatione fatigatus, fre-
quenter commovebatur ad jiram.““
Die Kreuzprediger. 103
des Ciſtericenſerordens, welcher alljaͤhrlich in der Abtey 3,51 Ehr.
Citeaur am Feſte der Kreuzeserhoͤhung gehalten wurde,
mit Thraͤnen 22), daß während der drey Jahre, in wel—
chen er das Kreuz gepredigt hatte, zweyhundert Tauſend
Kreuzfahrer aus ſeinen Haͤnden das Kreuz empfangen
haͤtten. Auf eben dieſem Capiteltage legte Fulco einen
Brief des Papſtes Innocenz vor, durch welchen drey Aebte
des Ciſtercienſerordens 25) angewieſen wurden, ihn in
feinen fernern Bemühungen für die Kreuzfahrt zu unter—
ſtuͤtzen. Er ſah aber nicht die Früchte feiner Bemuͤhun—
gen; denn er erkrankte zu Neuilly im Jahre 1202 an
einem Fieber, welches feinem. Leben ein Ende machte 29).
7209 „Confessus est cum lachry-
mis. „ Rad. Coggeshale I. c. p. 93.
Des jährlichen allgemeinen Capitel:
tages des Ciſtercienſerordens erwähnt
auch Villehardouin (hist. de la con-
queste de Constantinople, ed. Du-
cange) c. 22. p. 17. „Ensi s’en ala li
Marchis al capitre à Cistials qui est
a la saincte Crois en Septembre (14.
Sept.),‘*
23) „Scilicet abbatem de Colum«
ba, abbatem de Perseine et abbatem
de Sarneia.“ Rad. Coggesh. I. c.
24) Chronolog,, Roberti Altissiod.
I. C. p. 265. Jac. de Vitr. I. c. p.
288. 239. Die franzöſiſchen Pilger
wurden, während ſie zu Venedig (im
Jahre 1202) ſich verweilten, durch die
Nachricht von dem Tode Fulco's
in große Betrübniß gebracht. „De—
vant ce que nos vos avons ici
conte , si vint une novelle en
lost, dont il furent mult dolent
li Baron et les autres genz, que
Messire Folques Ii bon hom, qui
parla premierement des Crois, ſina
et mori.“ Villehardouin, ed. Du-
cange C. 37. P. 28. Er wurde in
ſeiner Pfarrkirche begraben, deren
von ihm angefangener Bau aus den
milden Gaben derjenigen, welche zu
ſeinem Grabe wallfahrteten, vollendet
wurde; denn Fulco hatte unmittel:
bar nach ſeiner Bekehrung die alte
Kirche zu Neuilly gegen den Willen
ſeiner Gemeine niederreißen laſſen,
indem er das Verſprechen gab, daß
er den neuen Bau zu Ende bringen
würde, ohne die Beyträge ſeiner Ge—
meine in Anſpruch zu nehmen. Jac. de
Vitr. I. c. p. 280 Die Chroniken ſetzen
den Tod Fulco's in das Jahr 12025
andere Nachrichten geben den 2.
März 1201 als den Tag ſeines Todes
an. S. Lebeuf histoire du diocese
de Paris T. VI. p. 20. (wo auch eine
Beſchreibung ſeines Grabes ſich be—
findet.) Michaud Hist. des crois,
T. III. p. 117. 118. Nach Hugo Pla:
gon (p. 654) ſtarb Fulco aus Trauer
darüber, weil ihm ein Theil des Gel:
des, welches er außer dem in der
Abtey Citeaux niedergelegten an ei⸗
106 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
> Chr. Die Almoſen aber, welche er für das heilige Land ges
ſammelt und in der Abtey Citeaux niedergelegt hatte,
wurden zur Wiederherſtellung der durch das große Erd—
beben im Jahre 1202 zerſtoͤrten Mauern von Tyrus,
Ptolemais und Berytus und zur Unterſtuͤtzung der armen
Chriſten in Syrien angewandt; und es wurde anerkannt,
daß dieſes Geld groͤßern Nutzen in dem gelobten Lande
geftiftet habe, als jede andere Geldunterſtuͤtzung, welche
aus dem Abendlande nach Syrien war geſandt worden?).
Die Wirkungen der Predigten Fulco's wurden mehr
gehemmt und vermindert durch die Mißbraͤuche, welche
ſeine Schuͤler ſich erlaubten, als durch die Fehler, welche
ihm ſelbſt vorgeworfen wurden. Denn manche ſeiner
Schuͤler, welche die Predigten ihres Meiſters aufſchrieben
und dann mit groͤßerem und geringerem Erfolge dem
Volke vortrugen, bereicherten ſich ſelbſt durch die Gaben,
welche fie frommen und mildthaͤtigen Chriften ablockten ?);
und ihre Untreue blieb nicht ohne nachtheilige Folgen in
Beziehung auf die Meinung des Volks von den Abſichten
ihres Meiſters und ihrer uͤbrigen redlichern Mitſchuͤler;
obwohl im Anfange diejenigen, welche von Fulco mit
nem andern Orte aufbewahren ließ,
vorenthalten wurde.
25) Jo. Iperii Chron, S. Bertini
(im Recueil etc. T. XVIII.) p. 60x.
„Li avoir qui fu commande A Ci-
stiaus, fu portes en la terre d’ou-
tremer, ne onque avoir si grant
bien ne fist en la terre d’outremer
com cil fist; car li Crolles (Erdbe⸗
ben) i avoient este, et estoient fon-
dus tous les murs de Sur et d’Acre
et de Baruth, qu'en refist tous de
cel avoir.“ Hugo Plagon p. 654.
26) Von den Predigern, welche die
Mildthätigkeit des Volks mißbrauch—
ten, und dadurch den übrigen Pre—
digern ſchadeten, nennt Jacob von
Vitry (p. 288) den Meiſter Petrus de
Nuſia, welchem die Gabe vorzüglicher
Beredſamkeit verliehen war (qui
praecipuus inter illos et amplius
facundus et faecundus videbatur),
Er predigte zwar die Armuth, berei—
cherte ſich aber durch die milden Ga:
ben, welche ihm geſpendet wurden,
und ward ſpäterhin Stiftsherr und
Kanzler der Kirche zu Chartres.
\
Die Kreuzprediger. 107
dem Auftrage, zu predigen ausgeſandt wurden, uͤberall J
mit großen Ehren aufgenommen wurden ?7). Die glaͤn⸗
zenden Wirkungen, welche die Predigten Fulco's im An—
fange hervorbrachten, munterten überhaupt viele Geiſt⸗—
liche in Frankreich auf, ſein Beyſpiel nachzuahmen; aber
nur wenige predigten mit reinen Abſichten 28), und eben
deswegen auch nicht mit großem Erfolge. Auch in Eng—
land traten mehrere Schuͤler des Meiſters Fulco als Pre—
diger auf, mit Ermahnungen des Volks zur Buße ſowohl,
als zur Kreuzfahrt, und zogen umher von Stadt zu
Stadt.
27) „Sed et discipuli ejus, quos ad
praedicandum mittebat, velut Apo-
stoli Christi, cum summo honore
et reverentia recipiebantur ab om-
nibus.‘ Jac, de Vitr. I. c.
28) Jac. de Vitr. c. 10. p. 290. 8.
Als ſolche, welche außer dem Meis
ſter Fulco damals mit redlichem Eifer
predigten, nennt Jacob von Vitry
(c. 9. p. 289. 290) den Magiſter Ste⸗
phan, Erzbiſchof von Canterbury,
den Magiſter Walther von London,
den Magiſter Robert von Corchon,
nachherigen Cardinal, den Abt von
Perſones (Perſeine ſ. Anm. 23) Ci⸗
ſtercienſerordens, den Magiſter Al
beric von Laon, nachherigen Erzbi—
ſchof von Rheims, den Magiſter 5o:
hannes von Lirot und deſſen Gefähr—
ten den Magiſter Johannes de Ni:
vella. Roger von Hoveden (p. 448 B.)
nennt außer dem Meiſter Robert (von
Corchon) noch einen gewiſſen Meiſter
Peter (Petrus de Rusia, ſ. Anm. 26.)
und den Abt Euſtach von Flai als
berumziehende Prediger und Schü—
ler des Meiſters Fulco; und von
Euſtach von Flal berichtet er ad a.
1200. (S. 438 B.) mehrere in England
verrichtete Wunder; indem er noch
bemerkt, daß der Kreuzprediger jeden
Handel und Wandel am Sonntage
vermöge eines vom Himmel zu ihm
herabgekommenen Auftrags unterſagt
(vgl. ad a. 1201. p. 466 B) und ver:
ordnet habe, daß künftig in jeder
Kirche vor dem Leibe des Herrn eine
ſtets brennende Lampe, oder irgend
ein anderes immerwährendes Licht
unterhalten werden ſollte. Auch brachte
er es dahin, daß viele Bürger zu
London ſich entſchloſſen, bey ihrem
Mittagsmale ſtets eine Schüſſel der
Mildthätigkeit (discum eleemosyna-
rium) zu halten, in welche Speiſen
gelegt wurden für ſolche Armen, wel—
che nicht im Stande waren, ſich ihre
Nahrung zu verſchaffen und zu be—
reiten. Der erwähnte vom Himmel
gefallene Brief, wodurch die Feyer
des Sonntags den Chriſten einge—
ſchärft wurde, war nämlich, wie
Matthäus Paris (Historia Anglicana
ed. Wats. Lond. 1640. ad a. 1200.
p. 200) ausführlich berichtet, zu Je:
ruſalem am Altar des heiligen Ste—
phanus auf Golgatha gefunden
worden.
”
108 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. III.
En Außer dem Meifter Fulco predigte Niemand das Kreuz
mit größerem Erfolge, als Martin, Abt des Ciſtercienſer⸗
kloſters Paris in Oberelſaß, welcher, von dem Papſt In—
nocenz aufgefordert, die Chriſten zur Annahme des Kreu—
zes zu ermahnen und ſelbſt das Kreuz zu nehmen, zuerſt
in der Kirche Unſrer lieben Frauen zu Baſel vor einer
zahlreichen Verſammlung als Kreuzprediger auftrat. Seine
Rede machte um fo größeren Eindruck, als viele feiner
Zuhoͤrer, angezogen durch die Neuheit der Erſcheinung,
daß auch in dieſem Lande das Kreuz gepredigt wuͤrde,
ſich zu Baſel ſchon in der Abſicht eingefunden hatten,
dem Dienſte des Heilandes ſich zu weihen. Der Abt
Martin aber, indem er alle andere Gruͤnde geltend machte,
mit welchen gewoͤhnlich die Kreuzprediger ihre Ermah—
nungen zur Wallfahrt unterſtuͤtzten, beſonders die Hoff—
nung der Belohnungen, welche der Wallfahrer in der
Ewigkeit warteten, verglich die damaligen Verhaͤltniſſe
mit den viel unguͤnſtigern Umſtaͤnden, unter welchen Gott:
fried von Bouillon und die uͤbrigen Helden der erſten großen
Kreuzfahrt die Eroberung von Jeruſalem durch die Huͤlfe
Gottes vollbracht haͤtten; indem er daran erinnerte, daß
Ptolemais, Antiochien und mehrere andere wichtige und
feſte ſyriſche Staͤdte noch immer in den Haͤnden der Chri—
ſten waͤren, und durch deren Beſitz die Wiedereroberung
des uͤbrigen, in den erſten Zeiten der Kreuzfahrten gewon—
nenen und hernach verlorenen Landes in Syrien wuͤrde
bedeutend erleichtert werden. Auch achtete er es nicht fuͤr
uͤberfluͤſſig, zu bemerken, daß das gelobte Land viel rei—
cher und fruchtbarer waͤre, als das heimathliche Land, und
manche Pilger hoffen duͤrften, dort eine angenehmere Lage
ſich verſchaffen zu koͤnnen, als ſie im Vaterlande verlaſſen
wuͤrden. Endlich ermunterte Martin ſeine Zuhoͤrer zur
Die Kreuzprediger. 109
Annahme des Kreuzes durch das Verſprechen, daß er Ache
ſelbſt die Kreuzfahrer begleiten und alle Gefahren mit
ihnen theilen wuͤrde. Indem er mit inniger Ruͤh—⸗
rung und nicht ohne Thraͤnen dieſe Ermahnung vortrug,
ſo wurden auch alle Anweſende davon auf das tiefſte
ergriffen. So wie dieſe Predigt zu Baſel eine große
Zahl ſtreitbarer Maͤnner fuͤr die Kreuzfahrt gewann: ſo
wurden auch durch die Predigten, welche Martin in an—
dern volkreichen Staͤdten des obern Deutſchlands hielt,
Viele bewogen, das Kreuz zu nehmen; denn ſeine ange—
nehme Geſtalt, ſein ſanftes, mildes und demuͤthiges Be—
tragen und ſein richtiges Urtheil uͤber alle Verhaͤltniſſe
kamen der Anmuth ſeiner Rede zu Huͤlfe. Er empfahl
aber allen denen, welche in ſeine Haͤnde das Geluͤbde der
Wallfahrt ablegten, angelegentlich, zu beſtimmter Zeit in
Baſel, als dem allgemeinen Sammelplatz aller der Pilger,
welche ſeiner Führung ſich anvertrauen wollten, ſich ein—
zufinden, oder wenigſtens in kurzer Friſt auf dem Wege,
welchen er waͤhlen wuͤrde, nachzufolgen, und in der Zeit,
welche ſie in ihrer Heimath noch zubringen wuͤrden, durch
einen reinen und frommen Wandel als wuͤrdige Streiter
des Heilandes ſich zu erweiſen und der Gnade und des
Beyſtandes Gottes ſich würdig zu machen 2).
29) Güntheri Historia Constan- genannt. S. Petri d' Outreman Con-
tinop. p. V- VII. Der Abt Martin stant. belg. Lib. II. c. 1. p. 84. 92.
wird auch Martin Litz (oder Linz) und Lib. III. c. 6. p. 224.
110 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. IV.
12
Nane e BAUT ET,
Die Aufforderungen zur Kreuzfahrt, welche Innocenz der
Dritte nicht müde wurde bald in Umlaufſchreiben an die
Könige und Fuͤrſten und an die Geiſtlichkeit aller chriſt⸗—
lichen Laͤnder zu erlaſſen, bald durch ſeine Legaten zu er—
neuen, ſo wie die Predigten der zahlreichen, von dem
paͤpſtlichen Stuhle aufgeforderten und bevollmaͤchtigten
Kreuzprediger, bewogen zwar nach und nach Viele des
geringen Volks, das Kreuz anzunehmen; gleichwohl ſchien
noch im Jahre 1199 die Vollziehung der Kreuzfahrt nicht
nahe zu ſeyn. Denn außer dem Meiſter Fulco und dem Abte
Martin hatte Niemand ſich erboten, die Fuͤhrung der
neuen Kreuzheere zu uͤbernehmen; ſolche Fuͤrſten und an—⸗
geſehene Ritter aber, welche des Kriegs kundig waren
und deren fruͤhere Kriegsthaten Zutrauen erwecken konnten,
hielten noch immer ſich fern von einer Unternehmung,
welche nur von den Geiſtlichen betrieben wurde und nur
im Volke lebhafte Theilnahme fand. Erſt die Waffen—
ruhe, welche nach dem Friedensſchluſſe zwiſchen den Koͤ—
nigen Philipp Auguſt von Frankreich und Richard von
England in Frankreich eintrat, machte manche franzoͤſiſche
Barone und manche Fuͤrſten der benachbarten Laͤnder ge—
Anordnung des Kreuzzugs.
111
neigter, Abenteuer in fernen Gegenden zu fuchen, und
verſchaffte den Ermahnungen zur Kreuzfahrt, ſowohl des
Meiſters Fulco und ſeiner Genoſſen, als des ſelbſt mit dem
Kreuze bezeichneten paͤpſtlichen Legaten in Frankreich, des
Cardinals Peter von Capua *), auch bey der Ritterſchaft
mehr Eingang. Die allgemeine Vergebung aller mit Reue
gebeichteten Sünden, welche die Kreuzprediger im Namen
des Papſtes den Wallfahrern verhießen, falls ſie nur
waͤhrend Eines Jahrs dem Dienſte des heiligen Landes
ſich widmen ‚würden, erſchien bey reiflicher Ueberlegung
als ein ſo wichtiger Vortheil, daß dadurch allein mancher
Ritter ſich bewogen fühlte, das Kreuz zu nehmen ).
Viele franzoͤſiſche Ritter, welche, obwohl ſehr geneigt, 2, Cor.
ſolches Vortheils theilhaftig ſich zu machen, doch durch
wohl gegruͤndete Bedenklichkeiten abgehalten worden, das
Geluͤbde der Kreuzfahrt abzulegen, entſchloſſen ſich erſt
dann zur Theilnahme an der Meerfahrt, als im Anfange
der Adventzeit des Jahrs 1199 auf einem Turnier zu
Ecry s), einem Schloſſe in der Champagne, der zwey und
zwanzigjaͤhrige Graf Thibaut von Champagne und Brie,
und der ſieben und zwanzigjaͤhrige Graf Ludwig von Blois
und Chartres ganz unerwarteter Weiſe mit dem Kreuze
1) „T Apostoille (le Pape) envoya
un suen Chardonal, Maistre Per-
ron de Chappes croisié.“ Ville -
hardouin p. 2.
2) „Tuit cil qui se croissieroient
et feroient‘ la service Dieu un an
en Post, seroient quittes de toz les
peschiez, que il avoiens faiz, dont
Porce que cil
il seroient confes,
Pardons fu issi gran, si sen esmeu-
rent mult Ii cuers des genz, et
mult s'en croisierent, porce que li
Pardons ere si gran.“ Villehard, a.
a. O. Anfangs ‚forderte Innocenz
einen Dienſt von zwey Jahren, ſ.
oben Kap. 2. 909 6
3) „En la Champaigne, à un cha-
stel qui ot nom Airis“ Villeh. a.
a. O. Ecry liegt am Fluſſe Aine
nicht weit von Chateau⸗Porceau oder
Chateau Poreieu, in der ehemaligen
Landſchaft Rethelois und dem jetzigen
Departement der Ardennen.
112 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. IV.
> = ſich bezeichnet hatten ). Als aber dieſe beyden Fürften,
welche nahe Verwandte des Koͤnigs von Frankreich?) waren
und als tapfere Krieger in großer Achtung ſtanden, ſich dem
Dienſte des Heilandes geweiht hatten, ſo eilten die frans
zoͤſiſchen Ritter mit frohem Muthe, ſolchem Beyſpiele zu
folgen. Rainald von Montmirail, ein naher Verwandter
der beyden Grafen, und Simon von Mantfort nahmen
zu Ecry ebenfalls das Kreuz.
—
1 *
Nunmehr ergriff die Barone und Ritter der e Lander
ſowohl des Grafen Thibaut als des Grafen unis der
4) „Sie riefen ein Turnier an die
Somme und in die dortige Gegend,
(anders weiß ich die Worte; sur Som-
me et entre nicht zu erklären; die
Leſeart ſcheint aber verderbt zu ſeyn,
und es iſt vielleicht sur somme et
Escri zu leſen), und zogen dahin
alle; als ſie aber von beyden Seiten
bewaffnet waren, um zu turniren,
und ſich verſammelt hatten, fo nah:
men fie ihre Helme ab, und liefen
zu wallfahrten;
fie das Kreuz nähmen aus Beſorgniß,
daß der König von Frankreich fie an⸗
feinden möchte, weil fie wider ihn
geweſen waren.“ Hugo Plagon S.
654. Bernardus Theſaurarius (e. 188)
läßt, indem er dieſe Steue überſetzt
die zweifelhaften Worte aus. Nach
des Marinus Sanutus unrichtiger
Angabe (Scereta fidel. crucis Lib,
III. pars XI. gap. 1. P. 202) ließ der
König Richard dieſes große Turnier
verkündigen.
5) Cil diu Conte ére neveu- "ie,
Roi de France et si Cousin germain,
ct neveu le Roi d' Angleterre de
autre part.“ Ville g. a. O.
Nämlich Adele, die Mutter des Kö⸗
nigs von Frankreich, wär die Schive:
ſter der Grafen Heinrich I. von Cham⸗
pagne und Thibaut von Blois, deren
Söhne die Grafen Thibaut von
Champagne und Ludwig von Blois
waren, welche zu Ecry das Kreuz
nahmen; die Mütter dieſer beyden
Grafen, Maria und Alix, erſtere die
Gemahlin des Grafen Heinrich von
Champagne, letztere die Gemahlin des
zu den Kreuzen „und ließen ſich mit Grafen Thibaut von Blois, waren
Kreuzen bezeichnen, um über Meer
einige ſagten, daß
Töchter des Königs Ludwig VII. von
Frankreich, aus deſſen erſter Ehe mit
Eleonore von Guienne und Poitou,
alſo Halbſchweſtern des Königs Phi⸗
lipp Auguſt von Frankreich. Auf ſol⸗
che Weiſe war der König Philipp Aus
guft zugleich Vetter und Oheim der
Grafen Thibaut von Champagne und
Ludwig von Blois. Die Königin
Eleonore vermählte ſich nach ihrer
Trennung von Ludwig VII. in zwey⸗
ter Ehe mit Heinrich II. von Eng⸗
land, und wurde in dieſer Ehe Mut⸗
ter des Königs Richard, welcher alſo
ein Halbbruder der Gräfinnen Maxia
und Alix, alſo Oheim der beyden Gra⸗
fen war. S. Ducange ad Ville-
hard, p. 249. 250,
Anordnung des Kreuzzugs. 113
Eifer für das heilige Land. Es nahmen das Kreuz in Nin
dem Lande des Grafen von Champagne und Brie: der
Biſchof Garnier von Troyes, welcher nicht lange zuvor
von der Verbindlichkeit, die fruͤher gelobte Pilgerfahrt
nach dem heiligen Lande zu vollbringen, durch den Papſt
war befreyt worden, der Graf Walther von Brienne, der
Marſchall der Champagne, Gottfried von Villehardouin,
welcher einen ſo einfachen als treuen Bericht von dieſer
Kreuzfahrt uns hinterlaſſen hat, und deſſen Neffe gleichen
Namens, ſo wie auch Rainald von Dampierre, und viele
andere edle Herren. Aus dem Lande des Grafen von Blois
und Chartres bezeichneten ſich mit dem Kreuze: Gervais de
Caſtel und deſſen Sohn Hervé, Olivier von Rochefort
und andere. In den koͤniglichen Laͤndern von Frankreich
entſchloſſen ſich zur Wallfahrt der Biſchof Nevelon von
Soiſſons, Matthias von Montmorency und deſſen Neffe,
der Burgvoigt Veit von Couci, Robert Malvoiſin, Dreux
von Creſſoneſſert und viele andere Herren und Ritter.
1199.
Am Aſchermittwoch des folgenden Jahrs nahm zu N Ehr-
Brügge Graf Balduin von Flandern und Hennegau mit
ſeiner Gemahlin Maria, Schweſter des Grafen Thibaut
von Champagne, das Zeichen des heiligen Kreuzes. Den
Grafen Balduin, ſo wie manche andere der damaligen
Kreuzfahrer, fol zu ſolchem Geluͤbde die Furcht bewogen
haben, daß der Koͤnig Philipp Auguſt von Frankreich
die Abſicht hätte, ſich an ihnen zu raͤchen, weil ſie dem
Koͤnige Richard von England in deſſen Kriege mit dem
Könige von Frankreich thaͤtigen Beyſtand geleiſtet hatten ).
6) Guil. Briton, Philippid. Lib. dem Grafen Rainald von Boulogne
VI. v. 35. seg. So wie die Gräfin deſſen Gemahlin. Rad. de Diceto ad
Maria mit ihrem Gemahle Balduin a. 1199. col. 706. 10
das Kreuz nahm, eben ſo auch mit 1
v. Band. S eee
114 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV.
Jehr. Als Kreuzfahrer rechneten fie nunmehr für ſich und ihre
Beſtitzungen und Laͤnder auf den Schutz, welchen Innocenz
allen Theilnehmern der Meerfahrt auf das feyerlichſte
zugeſagt hatte. Nach dem Beyſpiele des Grafen Balduin
bezeichneten ſich mit dem Kreuze auch ſein Bruder Heinrich,
Dietrich, ſein Neffe, Sohn des Grafen Philipp von
Flandern, Jacob von Avesnes, Wilhelm, Vogt von
Bethune, und deſſen Bruder Conon, und viele andere
flandriſche Herren, deren Vorfahren auf den fruͤhern
Kreuzfahrten als tapfere Frohnkaͤmpen unvergaͤnglichen
Ruhm ſich erworben hatten. Nicht lange hernach legten
das Geluͤbde der Meerfahrt ab auch der Graf Hugo von
St, Paul und deſſen Bruder, Peter von Amiens, ſo
wie auch der Graf Gottfried von Perche und deſſen
Bruder Stephan, und mit ihnen viele Herren und Ritter
ihrer Grafſchaften ).
Alle dieſe Grafen und Barone verſammelten ſich
bald, nachdem ſie zur Kreuzfahrt ſich ent ſchloſſen hatten,
zuerſt zu Soiſſons, um uͤber die Zeit ihres Auszugs und
über den Weg, welcher zu nehmen ſeyn möchte, zu bes
rathſchlagen; aber ſie konnten ſich nicht zu einem gemein
ſamen Beſchluſſe vereinigen, und es ſchien ihnen auch
die Zahl derer, welche das Kreuz genommen hatten, zu
5) Ueber alle die von Villehardouin
genannten Barone, welche damals
das Kreuz nahmen, hat Ducange
mit großem Fleiße die bei andern
Schriftſteuern vorkommenden Nach⸗
richten geſammelt und in Anmer⸗
kungen mitgetheilt S. 249 — 262. Ein
vollſtändigeres Verzeichniß derſelben
findet ſich im Recueil des histor. de
la France. T. XVIII. p. 80; am
vollſtändigſten aber ſind nicht nur
die Namen der Niederländer, welche
mit dem Grafen von Flandern das
Kreuz nahmen, ſondern auch die der
übrigen damaligen Kreuzfahrer auf⸗
gezeichnet in des Jeſuiten Peter d'Ou—
treman (jetzt ſehr ſeltenem) Werke: Con-
etantinopolis Belgica sive de rebus
gestis a Balduino et Henrico Impp.
Constantinopolitauis ortu Valenti-
nensibus Läbri quinque. Tornaci
1643. 4. Lib. II. p. 88 — 92.
S
Verhandlungen mit den Venetianern. 115
gering zu ſeyn, um mit der Hoffnung eines guͤnſtigen Erfolgs
dieſe Meerfahrt unternehmen zu koͤnnen. Sie verſammelten
ſich aber mehrere Male von zwey zu zwey Monaten zu Com—
piegne, wo nach vielen und langen Berathungen beſchloſſen
wurde, den Weg zur See zu nehmen, und die fernern
Verabredungen und Anordnungen wegen der Vollziehung
der Meerfahrt einigen der mit dem Kreuze bezeichneten
Barone aus ihrer Mitte zu uͤbertragen, und dieſe als
Botſchafter in die Seehaͤfen zu ſenden, mit der Vollmacht,
im Namen ihrer Herrn und ſo bindend, als ob es von
dieſen ſelbſt geſchaͤhe, Vertraͤge zur Foͤrderung der gemein—
ſchaftlichen Sache abzuſchließen. Zu ſolchen Botſchaftern
wurde von dem Grafen von Champagne und Brie er—
nannt der Marſchall Gottfried von Villehardouin und
Milo von Brabant; von dem Grafen Balduin von Flan—
dern und Hennegau: Conon von Bethune und Alard Mac—
quereau; von dem Grafen Ludwig von Blois und Chartres:
Johann von Friaiſe und Walther von Gandonville. Nach—
dem dieſe ſechs Ritter ſich zu der Meinung vereinigt
hatten, daß in Venedig am ſicherſten ſo viele Schiffe zu
finden ſeyn moͤchten, als die Pilger zur Ueberfahrt nach
Syrien beduͤrften: ſo ertheilten die drey Fuͤrſten, jeder
den beyden Rittern, welche von ihm ausgeſandt wurden,
feyerliche mit Siegeln bekraͤftigte Vollmachten zur Unter—
handlung mit Heinrich Dandulo, dem damaligen Dogen
von Venedig 8).
Die Republik Venedig hatte an den bisherigen Un—
ternehmungen der abendlaͤndiſchen Ritterſchaft zur Erobe—
8) „Mais la fin si fu tels que il p. 6. Die Vollmachten lauteten aber
envoyerent messages meillors que ausdrücklich auf die Unterhandtungen
il poroient trouer, et donroient mit dem Dogen von Venedig. S.
plain pooir de faire toutes choses Beil. I,
autretant com li Seignor,*‘ Villeh.
H 2
J. Chr.
1200.
ee“
116 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV.
3, Cr. rung des heiligen Landes fo lebhaften Antheil genommen,
daß mit allem Grunde auf ihren thaͤtigen Beyſtand auch
für die damals beſchloſſene Kreuzfahrt gerechnet werden
konnte; und die Venetianer verdankten dem durch den
Beſitz der ſyriſchen Kuͤſtenſtaͤdte erleichterten Verkehr mit
dem Morgenlande und Aegypten einen großen Theil ihres
damaligen Wohlſtandes. Auch fanden die ſechs Abge—
ordneten der franzoͤſiſchen Kreuzritter, als fie am Sonn⸗
3. Ehr. abend der erſten Faſtenwoche des Jahres 1201 zu Venedig
10. Febr. angekommen waren, ſehr geneigte Aufnahme, ſowohl bey
dem Dogen Heinrich Dandulo, einem hochbetagten ehrwuͤr—
digen Greiſe, als bey dem Adel und Volke, und alle
waren erſtaunt uͤber die Ankunft einer ſo unerwarteten
Geſandtſchaft und begierig, zu vernehmen, was ihr Anlies
gen waͤre. Die Abgeordneten aber uͤberreichten in ihrer
erſten Audienz dem Dogen ihre Beglaubigungsſchreiben;
und als ſie aufgefordert wurden, zu ſagen, was die drey
Grafen von der Republik begehrten, ſo gaben ſie zur
Antwort: daß fie dem Dogen nur in Gegenwart feines
Rathes die Auftraͤge ihrer Herren eroͤffnen koͤnnten, aber
ſehr wuͤnſchten, daß ihnen verſtattet wuͤrde, ſolches ſchon
am folgenden Tage zu thun. Heinrich Dandluo aber for—
derte zur Zuſammenrufung ſeines Rathes eine Friſt von
vier Tagen “).
Sebruar Die ſechs Abgeordneten ftellten am beſtimmten Tage
ſich ein in dem ſchoͤnen und prachtvollen Palaſte des
Dogen und fanden ihn in einem Zimmer umgeben von dem
Rathe der ſechs Männer, zu deren Geſchaͤften es gehörte,
die Antraͤge der Geſandten fremder Fuͤrſten und Voͤlker
vorläufig zu vernehmen und zu erwägen *). Sie redeten
9) Villeh. p. 6. 7. ducis consiliariis, ut nunc quoque,
10) „Is Sexviratus ex domesticis constabat; et hi tunc Legationes
Verhandlungen mit den Venetianern. 117
aber zu dem Dogen und feinem Rathe alſo: „Gnaͤdiger
Herr, wir find zu euch gekommen im Namen der hohen fran—
zoͤſiſchen Barone, welche das Zeichen des Kreuzes genommen
haben, um die Schmach Jeſu Chriſti zu raͤchen und Jeruſa—
lem zu erobern, falls Gott es ihnen gewaͤhren wird. Weil
ſie wiſſen, daß kein anderes Volk ſo maͤchtig iſt als ihr
und euer Volk, ſo bitten ſie euch, des Landes jenſeit
des Meeres euch zu erbarmen, und ihnen Schiffe und
andere Beduͤrfniſſe zukommen zu laſſen, damit ſie in den
Stand geſetzt werden, die Schmach Chriſti zu raͤchen.“
Und unter welchen Bedingungen? fragte der Doge. Die
Abgeordneten erwiederten: Unter jeder Bedingung, welche
fie werden erfüllen oder zugeben koͤnnen *). Der Doge
erklaͤrte hierauf, daß dieſes Begehren von hoher Wichtig:
keit waͤre und reifliche Erwaͤgung erheiſchte, und daß
die Geſandten alfs ſich nicht wundern möchten, wenn er zur
Mittheilung ſeiner Antwort eine fernere Friſt von acht
Tagen anberaumte.
Als nach acht Tagen die Abgeordneten wiederum in
dem Palaſt des Dogen erſchienen, ſo eroͤffnete ihnen
Heinrich Dandulo: daß er nach gehaltener Berathung
mit feinen Räthen bereit wäre, den franzoͤſiſchen Baronen
Frachtſchiffe *) zu liefern für vier Tauſend und fünf
da
primum audiebant et postulata ex- 12) Vissiers. Villeh. a. a. O.,
pendebant et considerabant; tum,
quid sibi videretur, exponebant.“
Pauli Ramnusii de bello Constanti-
nopolitano et Imperatoribus Com-
nenis per Gallos et Venetos resti-
tutis historia (Venet. 1624 fol.)
p. 14.
11) En totes les manieres que Vos
lor saurez loer ne conseiller, que il
faire ne soffrir puissent. Villeh. p. B.
*
Huissieres bey Hugo Plagon p. 654.
Es iſt dieſes der damals gewöhnliche
Name für Schiffe, welche zum Trandı
port von Pferden gebraucht wurden;
ſie erhielten dieſen Namen, welcher
lateiniſch huisserium, usseria, usa-
ria ausgedrückt wird, von den Thü—
ren (huis), welche an den Hinter:
theilen angebracht waren. Villehar⸗
douin beſchreibt dle Ausſchiffung der
J. Chr.
1201.
118 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV.
br. hundert Pferde und neun Tauſend Knappen, und andere
Schiffe für vier Tauſend und fünfhundert Ritter und
zwanzig Tauſend Mann zu Fuß, und waͤhrend neun
Monate fuͤr den Unterhalt ſowohl der Menſchen als der
Pferde zu ſorgen, unter der Bedingung, daß fuͤr jedes
Pferd vier coͤlniſche Mark Silbers, und fuͤr jeden Men—
ſchen zwey Mark Silbers, im Ganzen alſo fuͤr die ge—
ſammte Mannſchaft, und die dazu gehoͤrigen Roſſe, fuͤnf und
achtzig Tauſend coͤlniſche Mark Silbers entrichtet wuͤrden.
Es ſollten aber dieſe Schiffe waͤhrend eines ganzen Jahres,
gerechnet von dem naͤchſten Feſte der heiligen Apoſtel Petrus
und Paulus, zum Dienſte Gottes, des heiligen Evange—
liſten Marcus und der Chriſtenheit *3), an jedem Orte,
wo es auch ſeyn moͤchte, der Verfuͤgung der franzoͤſiſchen
Barone uͤberlaſſen werden. Auch erklaͤrte der Doge, daß
er nicht abgeneigt waͤre, funfzig Galeen oder Kriegs—
ſchiffe auszuruͤſten, und aus Liebe zu Gott mit dieſer
Macht die von den franzoͤſiſchen Baronen beſchloſſene
heilige Unternehmung zu unterſtuͤtzen, unter der Bedin—
gung, daß, ſo lange dieſe Macht gemeinſchaftlich mit
den franzoͤſiſchen Kreuzfahrern handeln wuͤrde, alle Erobe—
Roſſe aus dieſen Vissiers (S. 59)
alſo: „Adonc commencent li mari-
nier a ovrir les portes des Vissiers
et a giter les pons fors, et on com-
mence les chevax a traire.“ Vgl.
Ducange ad Villeh. p. 263. Ade-
lung Glossar. vv. Huisserium et
Usaria. Die andern Schiffe, welche
den Kreuzfahrern bewilligt wurden,
waren zum Theil Galeen, (galei-
des, galies), zum Theil andere Eleiz
nere Fahrzeuge Daher bezeichnet
Villehardouin alle Schiffe, welche
die Venetianer zu liefern veriprochen
hatten, (S. 29) alſo: „les Galies
totes et li Vissiers, et les autres
nes.“ Vgl. ibid. S. 22. 48. Auch
Nicetas (S. 349. 350.) unterſcheidet
dreyerley Schiffe der Kreuzfahrer:
ai vis oe Hal o Öpomeovss
4 Er roitos 7a rAoie. Die
Ögogoves werden von Nicetas (8. B
S. 365) auch dpouovss inneyayoi
genannt, und waren alſo die vis
siers des Villehardouin.
13) S. den Vertrag Beil. I.
Verhandlungen mit den Venetianern. 119
rungen zur See und zu Lande zu ganz gleichen Theilen
zwiſchen den Venetianern und den uͤbrigen Kreuzfahrern
getheilt werden ſollten. Der Doge machte aber die Guͤl—
tigkeit dieſes Antrags, fo wie feiner übrigen Anträge ab;
hängig von der Zuſtimmung des großen Raths der Vierzig
und der Gemeine von Venedig, und forderte die Abge—
ordneten auf, ihrerſeits uͤber die Annahme dieſer An—
traͤge ſich zu erklaͤren. Die Abgeordneten erbaten dazu
ſich eine Friſt bis zum folgenden Tage. i N
Nachdem ſie in der Nacht die Antraͤge des Dogen
in ſorgfaͤltige Berathung genommen hatten, fo meldeten
ſie demſelben am andern Tage, daß ſie geneigt waͤren,
den Vertrag unter den vorgeſchlagenen Bedingungen ab—
zuſchließen; worauf der Doge ihnen verhieß, am folgen—
den Tage ihre Angelegenheit den uͤbrigen Behoͤrden und
J. Chr.
der Gemeine von Venedig vorzutragen. Der Rath ders März
1201.
Vierzig aber, als Dandulo mit der ihm eignen Klarheit
und Gewandtheit“) die Lage der Sache dargeſtellt hatte,
gab ohne Zoͤgern ſeine Zuſtimmung zu dem verabredeten
Vertrage; eben fo die übrige Gemeine von Venedig,
von welcher er zuerſt Hundert, dann Zweyhundert,
endlich Tauſend zuſammenrief und mit dem Gegen—
ſtande der Verhandlungen bekannt machte. Nach dieſen
Vorbereitungen berief er zehn Tauſend venetianiſche Buͤr—
ger in die prachtvolle Kirche des heiligen Marcus **),
um die Meſſe des heiligen Geiſtes zu hoͤren, und Gott
zu bitten, daß er ihnen den heilſamſten Entſchluß ein—
14) „Qui mult ere sage et prost.“ tiae Deo Divisque dicatas celebrant,
Villeh. p. 10. magnificentissima et ornatissima,
15) „En la chapelle de Saint Ducum sumptu exaedificata est:
Marc.‘“ Villeh, p. ro, „Haec Ae- ex quo Dueum Sacellum vulgo ap-
des operibus omnium, quas Vene- pellatur.“ Ramnus, p. 15.
120 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV.
3.5. floͤßen möchte in Hinſicht des Anliegens der Gefandts
ſchaft der franzoͤſiſchen Kreuzfahrer.
Als die Meſſe des heiligen Geiſtes beendigt war, ſo ließ
der Doge die franzoͤſiſchen Abgeordneten rufen, damit fie
ſelbſt über ihre Angelegenheit zu dem venetianiſchen Volke
reden und deſſen Beyſtand zu ihrer Kreuzfahrt erbitten
moͤchten. Ihre Erſcheinung in der Kirche brachte nicht
geringe Wirkung hervor, und alle diejenigen, welche ſie
noch nicht geſehen hatten, draͤngten ſich an ſie heran mit
großer Neugier ). Der Marſchall der Champagne,
Gottfried von Villehardouin, aber nahm im Namen der
uͤbrigen Geſandten das Wort und ſprach alſo: Achtbare
Herren; die vornehmſten und maͤchtigſten Barone von
Frankreich haben uns zu euch geſandt, um eure Gnade
anzurufen; damit ihr euch erbarmen moͤget der hei—
ligen Stadt Jeruſalem, welche in der Sclaverey der
Tuͤrken ſchmachtet, und mit uns euch vereinigen, die
Schmach Chriſti zu raͤchen. Unſere Herren haben auf
euch ihre Augen gerichtet, weil ſie wiſſen, daß kein Volk
ſo maͤchtig iſt auf dem Meere als ihr, und ſie haben
uns geboten, vor euch uns auf die Knie zu werfen, und
nicht eher aufzuſtehen, als wenn ihr uns es werdet
gewaͤhrt haben, daß ihr euch erbarmen wollet des hei—
ligen Landes jenſeit des Meeres. Da nach dieſen Worten
= die Geſandten niederfielen auf ihre Knie und meinten **):
ſo riefen der Doge und alle Anweſenden, geruͤhrt durch
einen ſolchen Anblick, und ihre Haͤnde emporhebend, ein—
16) „ Mult furent ergarde de
maint gent, qu'ils nes avoient ains
mais veus.“ Villeh. a. a. O ·
17) Maintenant li six Messaiges
s agenouillent a lor piez mult plo-
rant: et li Dux et tuit li autre
s’escrierent tuit A une voix, et ten-
dent lor main en halt et distrent:
Nos l’otroions, Nos l’otroions, Enki
ot si grant bruit, et si grant noise
que il sembla que terre fondist.“
Villeh, p. 11.
Verhandlungen mit den Venetianern. 121
ſtimmig: Wir gewähren es, wir gewähren es; und es J Eur.
entſtand ein ſolches Getuͤmmel des Volks, daß die Erde
zu beben ſchien. Als endlich dieſes Getuͤmmel aufhoͤrte,
und die laute und gewaltige Theilnahme des Volks ruhi⸗
ger wurde, fo betrat der Doge den Rednerſtuhl *) und
empfahl noch einmal in einer ſchoͤnen und eindringlichen
Rede dem Volke die Angelegenheit der Geſandten.
Schon am folgenden Tage wurden die Urkunden aus—
gefertigt; und zugleich wurde verabredet, daß zwar einige
Kreuzfahrer unmittelbar nach Syrien ſich begeben ſollten,
hauptſaͤchlich aber die Unternehmung zuerſt gegen Aegypten
gerichtet werden ſollte; weil, nach einer ſchon oftmals
ausgeſprochenen Meinung, man damals glaubte, die
Macht der Tuͤrken erſt dann gruͤndlich zerſtoͤren zu koͤnnen,
wenn ihnen Aegypten entriſſen würde ), und ohnehin
der mit den muſelmaͤnniſchen Fuͤrſten in Syrien gefchlofs
ſene Waffenſtillſtand damals noch nicht abgelaufen war.
Auch wurde feſtgeſetzt, daß um die Zeit des Feſtes Petri
und Pauli des naͤchſtfolgenden Jahres 1202 die von den
Venetianern verheißenen Fahrzeuge zum Dienſte der fran—
zoͤſiſchen Barone und der ihren Panieren folgenden Kreuz—
fahrer bereit ſeyn ſollten. Auch wurden ſowohl die
18) „Li bon Dux de Venise, qui
mult ere sages et prost, monta el
leteri“ (d. i. lutrin von lectorium,
Leſepult; ſ. Adelung Glossar. v. le-
etorium und Ducange ad Villeh,
P. 264). Villehard. S. 11. „Sug-
gestum, ex quo festis diebus Evan-
gelica historia recitatur.“ Ram-
nus. p. 17. 31.
19) Villehard. p. 11. 12. Gesta In-
nocentii III. c. 83. Guntheri hist,
Constant. p. VIII. Vgl. Geſch.
der Kreuz. Th. 5. Abth. 2. S. 80.
Nach einer Nachricht des Marinus
Sanutus (a. a. O.) dachte auch der
König Richard auf eine Unterneh⸗
mung gegen Aegypten und auf ans
dere weit ausſehende Pläne; „Ricarx-
dus, Rex Angliae, mente concepe-
rat, si ablatam sibi Terram a Rege
Franciae recuperare valeret, cum
magno stolo terram Aegypti inva-
dere, eaque subacta terram pro-
missionis acquirere, et inde usque
Constantinopolim pertransiens, co-
zonam Imperii assumere.“
1. April
1201.
122 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IV.
7250 Termine der Zahlung beſtimmt, als das Maß deſſen,
was an Speiſe und Getraͤnk den Kreuzfahrern und an
Futter den Pferden, ſo lange das Heer auf den venetia—
niſchen Schiffen ſich befinden wuͤrde, gereicht werden
ſollte 2»). Hierauf geſchah die Auswechſelung der Urs
kunden in dem großen Palaſt des Dogen, in Gegenwart der
eitglieder des großen und kleinen Rathes. Als der Doge
ſeine Urkunden den Geſandten uͤberreichte, fiel er auf die
Knie, heftig weinend, und ſchwor bey den Heiligen, alles,
was in den mit ſeinem Siegel beglaubigten Urkunden zuge—
ſagt worden ſey, getreulich leiſten zu wollen. Hierauf
beſchworen auch der Rath der ſechs Maͤnner und der
Rath der Vierzig den verabredeten Vertrag. Nach ihnen
gelobten auch die Geſandten der Kreuzfahrer ſowohl in
ihrer Herrn als ihrem eignen Namen durch feyerlichen
Eid, alle in den von ihnen ausgeſtellten Urkunden ent—
haltenen Bedingungen gewiſſenhaft zu erfuͤllen. Die An—
weſenden wurden durch die Feyerlichkeit dieſer Handlung
zu Thraͤnen gerührt 27).
Nachdem auf ſolche Weiſe der Vertrag zwiſchen den
Kreuzfahrern und der Republik Venedig war abgeſchloſſen
und beſchworen worden, ſo wurden von beyden Theilen
Abgeordnete nach Rom geſandt, um dem Papſt Innocenz
den Inhalt des verabredeten Vertrags mitzutheilen und
die paͤpſtliche Genehmigung und Beſtaͤtigung dieſes Vers
trags nachzuſuchen 22).
das Feſt Petri und Pauli auf den
29. Junius fällt, fo iſt dieſe Abwei⸗
20) Die Bedingungen des Vertrags
ſind nach den Angaben der Urkunden
(ſ. Beil. 1.) erzählt. Villehardouin
(S. 12) nennt den St. Johannistag
(24. Jun.) 1203 als den verabredeten
Termin, an welchem die Pilger zu
Venedig ſich einfinden ſollten. Da
chung unerheblich.
21 Villeh. p. II.
22) Villeh a. a. O. Gesta Inno-
cent. III. c. 83. Es iſt auffallend,
daß Hugo Plagon (S. 654) behaup⸗
*
Verhandlungen mit den Venetianern. 123
Chr.
1201.
Die Geſandten der Kreuzfahrer aber machten zu 3,
Venedig eine Anleihe von zwey Tauſend Mark Silbers,
welche fie dem Dogen uͤbergaben 25); damit die Ausruͤ—
ſtung der ihnen zugeſagten Schiffe ſogleich beginnen moͤge.
Hierauf nahmen ſie von dem Dogen lfcherlicken Abſchied
und verließen Venedig.
Zu Piacenza trennten ſich Villehardouin und Alard
Macquereau von den uͤbrigen Geſandten und ſetzten ihren
Weg fort nach Frankreich; die uͤbrigen Geſandten aber
begaben ſich nach Genua und Piſa, um zu verſuchen, ob
auch von dieſen beyden reichen Staͤdten einige Huͤlfe
fuͤr das gelobte Land zu erlangen waͤre, fanden aber dort
geringere Theilnahme für ihre Sache 2).
Der Marſchall Villehardouin und ſein Gefaͤhrte, als
ſie uͤber den Montcenis gingen, hatten den Verdruß,
dort dem Grafen Walther von Brienne zu begegnen,
welcher, obgleich er das Kreuz genommen hatte, doch
einer andern Unternehmung den Vorzug gab. Der Graf
Walther hatte nämlich, als er ſchon das Zeichen des
heiligen Kreuzes trug, mit der Tochter des ehemaligen
Koͤnigs Tancred von Sicilien ſich vermaͤhlt und eilte
nach Apulien, um die Anſpruͤche ſeiner Gemahlin auf die
April
1201.
tet, es ſeyen auf Verlangen der fran—
zöſiſchen Barone einige venetianifche
Abgeordnete (de lor plus sages ho-
mes) nach Frankreich gekommen, um
einen Vertrag (marchie) wegen der
Schiffe abzuſchließen, und mit dieſen
ſey zu Corbie, wo die Barone ſich
verſammelt hatten, der Vertrag abge—
ſchloſſen und von beyden Theilen be—
ſchworen worden. Die Venetianer
follen nach eben dieſem Schriftſteller
die Schiffe den frangofifihen Baronen
auf zwey Jahre überlaſſen haben.
23) Villeh. a. a. O. „Legati Ve-
netiis duobus millikus marcharum
argenti de mensa Rivoaltina sumtis
eisdemque Duci ad classem constru-
endam et ornandam repraesentatis
. in reditum ad suos accingun-
tur.“ Ramnus. p. 1g.
24) Villehardouin erwähnt (S. 12.)
nur der Reiſe ſeines Gefährten nach
Genua und Piſa, ohne des Erfolgs
zu gedenken.
J Chr.
1201,
124 Geſch. d. Kreuzz. Buch VI. Kap. IV. Verh. m. d. Venetian.
Grafſchaft Lecce und das Fuͤrſtenthum Tarent geltend zu
machen, nachdem dieſe Anſpruͤche, welche auf einer Ver-
willigung des Kaiſers Heinrich des Sechſten zu Gunſten
der Erben des Koͤnigs Tancred beruhten, von dem Papſte
Innocenz dem Dritten als rechtmaͤßlg waren anerkannt
worden. In der Begleitung des Grafen Walther befan—
den ſich auch Walther von Montbeillard, Euſtach von
Covelans, Robert von Joinville, und viele andere tapfere
Ritter, ſaͤmmtlich mit dem heiligen Kreuze bezeichnet, deren
Beyſtand durch ihren Zug nach Apulien der Kreuzfahrt ent—
zogen wurde. Zwar bezeugten ſie große Freude uͤber den
gluͤcklichen Erfolg der Unterhandlungen zu Venedig, wovon
ihnen Villehardouin erzaͤhlte; auch verſprachen ſie, zu
rechter Zeit in Venedig ſich einzufinden und ſich der
Meerfahrt nicht zu entziehen; fie ließen aber in eine Uns
ternehmung ſich ein, deren Ende nicht abzuſehen war 2).
25) Gesta Innoc. III. c. 25. 30. 38.
Hugo Plagon p. 650. 651. Nach
mehreren Siegen wurde im Jahre
1203 Graf Walther von Brienne, als
er ein Schloß des Grafen Diepold
von Acerra (welches Sacrum, Sarlum,
Sarnum und Soiclum in den Hand—
ſchriften genannt wird, f. Not. ad
Gesta Innoc. III, c. 38) belagerte,
von dem Grafen Diepold überfallen
und erhielt bey dieſem Ueberfalle eine
fo. ſchwere Wunde, daß er nach we—
nigen Tagen ſtarb. Johann, der Bru:
der des Grafen Walther und nachhe⸗
riger König von Jeruſalem, welcher
ebenfalls damals das Kreuz genom⸗
men hatte, blieb ſeinem Gelübde
treu und hatte keinen Antheil an dem
Zuge ſeines Bruders nach Apulien.
In der Urſpergſchen Chronik (Basil.
1569 fol. p. 309) werden die beyden
Brüder alfo bezeichnet: „duo comi-
tes de Brana, nobiles quidem, sed
pauperes.“ S. von Raumer Geſch.
der Hohenſtaufen, Th. 3. S. 92.
97. 98.
Unzufriedenheit mit dem Vertrage. 12⁵
——
=
Sünftes Kapitel.
Dex von den Botſchaftern der franzoͤſiſchen Barone mit J. br.
dem Dogen von Venedig abgeſchloſſene Vergleich fand f
nicht bey allen Kreuzfahrern Beifall; vielmehr ſchien vielen
die bekannte Gewinnſucht der Venetianer zu mancherley
Beſorgniſſen Raum zu geben *). ;
Auch der Papſt Innocenz war keineswegs zufrieden
mit dieſen Verabredungen, und gab, unlautere Abſichten
ahnend, die von den beiderſeitigen Abgeordneten erbetene
Beftätigung nur unter der Bedingung, daß die Kreuz—
fahrer auf keine Weiſe andere Chriſten beſchaͤdigen duͤrf⸗
ten, ausgenommen in dem Falle, daß ihrer Fahrt auf
boͤsliche Weiſe Hinderniſſe in den Weg geſtellt wuͤrden,
oder ſonſt wegen einer gerechten und dringenden Urſache
Feindſeligkeiten nicht vermieden werden koͤnnten; aber
1 ere). Villehard. S. 20. In den
Beſorgniſſen, welche ihnen die be⸗
kannte Gewinnſucht der Venetianer
1) Diejenigen Pilger, welche ihrem
Verſprechen zuwider aus Marſeille
und andern Häfen nach dem gelob:
ten Lande ſich begaben, entfchuldig:
ten ſich mit der Gefahr, welche mit
der Fahrt von Venedig nach Syrien
verbunden wäre (le grant peril qui
einflößte, lag aber ohne Zweifel die
wahre urſache ihrer Trennung von
ihren Mitpilgern. Vgl. den Anfang
des folgenden Kapitels.
126 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V.
J.br. auch in ſolchen Fällen ſollten die Kreuzfahrer nicht feindlich
handeln ohne Zuſtimmung des paͤpſtlichen Legaten.
In jenem Verdachte wurde Innocenz noch dadurch be—
ſtaͤrkt, daß die venetianiſchen Geſandten feine bedingte
Beſtaͤtigung nicht annahmen 2).
Außerdem wurde durch mancherley Widerwaͤrtigkeiten
der Muth der Kreuzfahrer nicht wenig niedergeſchlagen.
Der Marſchall Villehardouin, als er nach Troyes kam, um
ſeinem Herrn, dem Grafen Thibaut von Champagne,
welcher zum Hauptanfuͤhrer der Kreuzfahrer war ernannt
worden, von dem Erfolge ſeiner Sendung Bericht abzu—
ſtatten, fand denſelben krank und ſehr ſchwach. Der
jugendliche Graf wurde aber ſo ſehr durch die Ankunft
ſeines trefflichen Marſchalls und die Nachrichten, welche
er ihm uͤberbrachte, erfreut, daß er durch neue Kraft ſich
geſtaͤrkt fuͤhlte, ſogleich ſein Bett verließ, ein Roß beſtieg
und ins Freye ritt, was er ſeit langer Zeit nicht gethan
hatte. Durch dieſe Anſtrengung aber wurde ſeine Krank—
heit ſehr verſchlimmert, und der Graf ſah bald ſich in
die Nothwendigkeit gebracht, durch letzten Willen ſeine
Angelegenheiten zu ordnen. Er vertheilte durch ſein Te—
ſtament einen großen Theil des Geldes, welches er geſam—
melt hatte, unter feine Vaſallen und Waffengefaͤhrten,
confirmationem sub hoc tenore re-
cipere noluerunt. Unde pro certo
2) „Summus Pontifex, quod futu-
rorum esset praesagiens, caute re-
spondit, quod conventiones illas
ita duceret confirmandas, ut vide-
licet ipsi Christianos non laede-
rent, nisi forsan iter eorum illi
nequiter impedirent, aut alia causa
justa vel necessaria forsan occurre-
ret, pröpter quam aliud agere non
possent, Apostolicae Sedis Legati
cousilio accedente, Veneti autem
conjicitur, qualis fuerit eorum in-
tentio, per effectum operis postea
declarata.“ Gesta Innoc. III. c. 83,
Es iſt alſo nicht genau, wenn Ville—
hardouin (c. 17. p. 12) ſagt: „LApo-
stoille Innocent le feist (c. a. d.
conferma la convenance) mult vo-
lentiers.“ |
Tod des Grafen Thibaut. 127
deren er eine groͤßere Zahl hatte als legend ein anderer
zu ſeiner Zeit; jedoch unter der Bedingung, daß alle
diejenigen, welchen aus ſeinem Nachlaſſe eine Unterſtuͤtzung
zu Theil wuͤrde, eidlich ſich verpflichten ſollten, mit dem
Heere nach Venedig ſich zu begeben. Einen Theil jenes
geſammelten Geldes aber beſtimmte er durch jenen letzten
Willen zur Beſtreitung der allgemeinen Beduͤrfniſſe des
Heeres 3). Nach wenigen Tagen, nachdem er dieſe Anord⸗
nungen getroffen hatte, ſtarb Graf Thibaut (am 25. Mai
1202) eines ſanften und ſchoͤnen Todes *), tief betrauert
von ſeinen zahlreichen Blutsfreunden und Lehensmaͤnnern,
deren viele zu Troyes ſich einfanden, um feinem Leichen;
begaͤngniſſe beyzuwohnen. Er wurde neben feinem
J. Chr
1201.
Vater im Muͤnſter des heiligen Stephan zu Troyes
beygeſetzt; auf einem ſilbernen Grabmable, welches man
zu ſeinen Ehren errichtete, wurde er in Pilgerkleidung
abgebildet, und in einer lateinifchen Inſchrift wurden
ſeine Froͤmmigkeit und ritterliche Tugend und ſein
Eifer für das heilige Land geprieſen; es ſchloß ſich dieſe
Inſchrift mit den ſchoͤnen Worten, daß er, nach dem
irdiſchen Jeruſalem trachtend, das himmliſche gefunden,
und was er in der Ferne geſucht, in der Heimath erlangt
4
3) Die Verwaltung, des Geldes,
welches der Graf Thibaut für die
allgemeinen Bedürfniſſe des Heers bes
ſtimmte, ſo wie die Anführung der
Ritterſchaft der Champagne während
der Kreuzfahrt, Scheint er dem Gras
fen Rainald von Dampierre übertra⸗
gen zu baben; wenigſtens ſcheinen
die nachfolgenden Worte des Mön—
ches Alberik von Troisfontaines auf
eine ſolche Anordnung hinzudeuten:
„Anno MCCI mortuus est in Cam-
pania Theobaldus Comes anno ae-
0
tatis suae vigesimo quinto, cruce
signatus, qui Comitem Rainaldum
de Dampetra misit pro se in partes
transmarinas cum suffioientibus ex-
pensis.““ Alberici Mon. Chron. (in
Leibnit. access, hist. Pp. 421). Ville⸗
hardouin erwähnt nichts von einem
ſolchen dem Grafen Rainald ertheil⸗
ten Auftrage.
4) „Ensi mourut li gen et fu
un des homes del munde qui feist
Plus belle fin.“ Villeh, p. 14.
128 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V.
Jer habe ). Kein Fuͤrſt in feinem Alter, ſagt Villehardouin,
wurde ſo ſehr von ſeinen Lehnsmaͤnnern und allen andern,
welche ihn kannten, geliebt. Seine Gemahlin Blanche,
eine ſchoͤne und tugendhafte Frau, welche ihm ſchon eine
Tochter geboren hatte, hinterließ er ſchwanger; und ſie
gebar nach dem Tode ihres Gemahls einen Sohn, welcher
den Namen feines Vaters erhielt “), ſpaͤterhin von feinem
Großvater Sancho das Koͤnigreich Navarra erbte, und
als Sänger der Liebe ſich bekannt machte ).
Junius Die mit dem Kreuze bezeichneten Barone waren, nach
=. dem Tode des Grafen Thibaut, ſofort darauf bedacht,
einen andern allgemeinen Heerfuͤhrer und Ordner der
Kreuzfahrt zu ernennen; und ihre Wahl fiel zuerſt auf
den Herzog Odo von Burgund, Sohn deſſelben Herzogs
Hugo, welcher der Meerfahrt der Koͤnige Philpp Auguſt
und Richard Loͤwenherz beygewohnt hatte und zu Tyrus
eines klaͤglichen Todes geſtorben war. “).
9 „Terrenam quaerens, coelestem
reperit urbem ;
Dum procul haec potitur, ob-
viat ille domi.“
Michaud hist. des Croisades T. III,
P. 112. Eine Beſchreibung dieſes merk⸗
würdigen Denkmals, welches in derzeit
der Revolution zerſtört wurde, findet
ſich in Baugier Memoires historiques
de la province de Champagne T. I.
1721. p. 166. vgl. M. F. de Montrol
resume de Thist. de la Champagne
(Paris 1826. 12.) p. 194. Den Tod des
Grafen Thibaut V. ſetzt Baugier (a.
a. O. S. 165) auf den 25. May 1202,
6) Auf dieſen Grafen Thibaut VI.,
welcher den Beynamen des Nachge⸗
bornen (posthumus) erhielt, bezogen
ſich folgende, von Ducange (ad
Villeh. p. 267) angeführte Verſe
Es begaben ſich
der Inſchrift des Grabmals ſeines
Vaters:
„Tanta Palatino ne Principe terra
careret,
Transit in haeredem terra pa-
terna novum;
Qui Puer ut Phoenix de funere
patris obortus, N
Continuet patrios in sua jura
dies.“
7) Vgl. De la Littérature du midi
de I Europe par Simonde de Sis-
mondi T. I. (Paris 1813. 8.) p. 322.
Seine Gedichte ſind bekanntlich von
La Ravalliere in zwey Bänden
(Poesies du roi de Navarre) heraus
gegeben worden.
8) S. Geſch. der Kreuzz. Th. IV.
S. 542. 543.
Wahl eines neuen Feldherrn. 129
zu dem Herzoge Odo der Seneſchall der Champagne, 8b.
Gottfried von Joinville, der Marſchall Gottfried von
Villehardouin, Mathias von Montmorency und Simon
von Montfort, und ſprachen: Gnaͤdiger Herr, du ſiehſt,
welches Mißgeſchick dem Lande jenſeit des Meeres begeg—
net iſt. Darum bitten wir dich, um Gottes willen, ner
Kreuz zu nehmen und dem heiligen Lande zu helfen“)
wir und mit uns die übrigen Barone werden dir das
Geld, welches der Graf Thibaut in ſeinem letzten Willen
für die allgemeinen Beduͤrfniſſe der Kreuzfahrt beſtimmt
hat, uͤberantworten und durch einen feyerlichen Eid auf
die Heiligen dir eben fo treuen Gehorſam geloben, als
wir dem Grafen Thibaut geleiſtet haben wuͤrden. Der
Herzog Odo aber ließ ſich nicht geneigt finden, die Bitte
der Kreuzfahrer zu erfüllen, 20), was er ſpaͤter bitter⸗
lich bereute und dadurch gut zu machen ſich bemuͤhte,
daß er noch in ſpaͤten Jahren, im Jahr 1218, auf feinem
Sterbebette das Kreuz nahm, durch ſeinen letzten Willen
eine betraͤchtliche Geldſumme fuͤr den Dienſt des heiligen
Landes vermachte und dahin an ſeiner Statt Ritter und
andere Bewaffnete ſandte *). Hierauf übernahm es der
Seneſchall, Gottfried von
uͤbrigen drey Abgeordneten
9) Der Oberbefehl über das Heer
wird von Villehardouin (z. B. S.
18. 17) la Seigneurie de lost ge:
nannt, und der Oberbefehlshaber
(z. B. S. 27): Sires de l’ost (prin-
ceps exercitus, Ep. Innoc. III. ed.
Brequigny et La Porte du Theil.
Lib. VI. 99. p. 30g.) . In einer Urs
kunde vom Jahre 1204, welche zu In⸗
ciſa ausgefertigt wurde, und deren
wir in einer Anmerkung zum letzten
V. Band.
Joinville, im Namen der
dem lothringiſchen Grafen
Kapitel dieſes Buchs noch erwähnen
werden, wird der Markgraf Bonifaz
als Befehlshaber des Pilgerheers ge:
nannt: supremus dux Christiana-
rum omnium potentiarum. S. Sto-
ria d'Incisa e del giä celebre suo
marchisato. Asti 1810.
10) „Tel fu sa volenté que il re-
usa. Sachiez que il peust bien
mielz faire.“ Villeh. p. 18.
11) Alberici Chron, ad a. 1218.
CN
J
—
J. Chr.
1201.
Julius
1201.
130 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V.
Thibaut von Bar le Duc, einem Vetter des verſtorbenen
Grafen von Champagne *), den Antrag zu machen,
welchen der Herzog von Burgund abgelehnt hatte; aber
der Graf von Bar war eben ſo wenig, als der Herzog
von Burgund, geneigt, ſich mit dem Kreuze zu bezeich⸗
nen und an die Spitze der Kreuzfahrt zu ſtellen.
Unter dieſen Umſtaͤnden, welche die Barone in große
Verlegenheit brachten, verſammelten ſie ſich zu einer Be—
rathung zu Soiſſons *); es fanden ſich daſelbſt ein die
Grafen Balduin von Flandern und Hennegau, Ludwig
von Blois, Hugo von St. Paul, Gottfried von Perches
und viele andere Herren. Der Marſchall Villehardouin
berichtete vor dieſer Verſammlung zuerſt von dem unguͤn⸗
ſtigen Erfolge der Sendung an den Herzog von Burgund
und den Grafen von Bar, und machte hierauf den Vor—
ſchlag, daß man den Markgrafen Bonifaz von Montferrat
auffordern moͤchte, das Zeichen des heiligen Kreuzes zu
nehmen und an der Stelle des verſtorbenen Grafen von
Champagne das Heer der Pilger zum Kampfe wider die
Heiden zu führen. Villehardouin begruͤndete dieſen Vor—
ſchlag durch die Bemerkung, daß der Markgraf ein ſehr
wackerer Ritter und einer der geachtetſten Krieger dama—
liger Zeit wäre ), und auf feine Bereitwilligkeit zur
Annahme des Kreuzes und der Anfuͤhrung des Pllger—
heers mit Sicherheit gerechnet werden koͤnnte. Denn der
12) Er war der Sohn Rainald des 13) Dieſe Verſammlung fand nach
Zweyten, Grafen von Bar, und Ag:
nes, der Tochter Thibaut des IV. des
Großen, Grafen von Champagne.
Agnes war die Tante, und der Graf
Thibaut von Bar alſo der Vetter des
Grafen Thibaut V. von Champagne.
S. Ducange ſ ad Villeh. p. 267.
Villehardouin (S. 16) Statt „al
chief del mois“, ohne Zweifel im
Anfange des Julius,
14 „Li Marquis Bonifaces de
Monferrait est mult prodöm et un
des plus proisiè (prisies) qui hui
cest jor uviue.““ Villeh, a. g. O.
Wahl eines neuen Feldherrn. 131
Markgraf Bonifaz gehörte einem Geſchlechte an, welches IL
ſeit laͤngerer Zeit an den Angelegenheiten des heiligen
Landes ſehr thaͤtigen Antheil genommen hatte. Sein
Vater Wilhelm hatte wider Saladin geſtritten und war
in der unglücklichen Schlacht bey Tiberias in die Gefan⸗
genſchaft des Sultans gefallen; ſein aͤlteſter Bruder
Wilhelm Longaſpata war der Gemahl der Sibylle, Schwe—
ſter des Koͤnigs Balduin des Vierten von Jeruſalem,
und Graf von Joppe und Askalon geweſen **); und fein
zweiter Bruder war der Markgraf Conrad von Tyrus ,
deſſen Verdienſte um das heilige Land noch eben ſo ſehr
in friſchem Andenken waren, als ſein ungluͤckliches Ende.
Dieſer Vorſchlag fand zwar bey den verſammelten Ba—
ronen zuerſt mancherley Bedenklichkeiten, wurde aber her;
nach einmuͤthig angenommen 7). Nachdem der König
von Frankreich die Wahl des Markgrafen Bonifaz, ſeines
Vetters, zum Feldherrn des Kreuzzugs genehmigt hatte s):
ſo begaben ſich einige Abgeordnete der Barone nach Ita—
lien, um dem Markgrafen einen Brief zu überbringen,
in welchem ihm die Barone ihren Wunſch kund thaten,
daß er die Anfuͤhrung des Heeres der Pilger uͤbernehmen
moͤchte.
Der Marſchall Villehardouin hatte ſich nicht getaͤuſcht au gat
in der Hoffnung, daß Bonifaz ſich nicht weigern wuͤrde, Sonn
der Führer eines Heers zu werden, welches die Bluͤthe
15) Geſch. der Kreuzz. Th. III.
Abth. 2. S. 170. 171.
16) Geſch. der Kreuzz. Th. IV. S.
217. 8d.
17) „Assez i ot paroles dittes
avant et arriere, mais le fin de la
parole fu telx, que tuit se accor-
derent li grant et li petit.“ Villeh,
g. a. O.
13) „Ceteri Barones cum consilio
Regis Franciae vocaverunt Boni-
facium“ etc. Gesta Innoc, III. c
83. Villehardouin erwähnt der Ge:
nehmigung des Königs von Frank:
reich nicht.
8 2
132 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V.
. or. der franzöſiſchen Nitterfchaft vereinigte. Der Markgraf
trat ohne Verzug die Reiſe nach Frankreich an, um an
dem Tage, welchen die franzoͤſiſchen Barone zu einer
ferneren Berathung beſtimmt und in ihrem Briefe dem
Markgrafen angezeigt hatten, zu Soiſſons ſich einzufinden,
und beſuchte zuvor den Koͤnig von Frankreich, von welchem
er mit großen Ehrenbezeigungen empfangen wurde. Die
zu Soiſſons in großer Zahl verſammelten Grafen und
Barone, als fie hörten, daß der Markgraf von Mont
ferrat im Anzuge waͤre, ritten ihm entgegen und fuͤhrten
ihn in feyerlichem Zuge in die Stadt "?),
Schon am andern Tage nach der Ankunft des Mark—
grafen verſammelten ſich die mit dem Kreuze bezeichneten
Barone in einem Garten des Kloſters Unſrer lieben Frauen
zu Soiſſons, und auch der Markgraf Bonifaz war in
dieſer Verſammlung anweſend. Dort ließen ſich die
Barone vor ihm nieder auf ihre Knie und baten ihn mit
Thraͤnen, daß er um Gottes willen mit dem Kreuze ſich ö
bezeichnen, des Oberbefehls uͤber das Heer der Pilger
ſich unterwinden, uͤberhaupt an die Stelle des verſtor—
benen Grafen Thibaut treten und die Verwaltung des
Geldes, welches derſelbe fuͤr die Kreuzfahrt geſammelt,
ſo wie die Fuͤhrung der Pilger, welche zu dem Panier
des Grafen von Champagne gehoͤrten, waͤhrend der Kreuz—
fahrt uͤbernehmen moͤchte. Bonifaz ließ ſich nicht lange
bitten, ſondern, indem er ebenfalls niederkniete, erklaͤrte
er, daß er gern dem Wunſche der Barone willfahre.
Hierauf begab er ſich in die Kirche Unſrer lieben Frauen,
10) Die Zeit, zu welcher dieſe Ver- Auguſtmonats und im Anfange des
ſammlung gehalten wurde, wird von Septembers 1201 Statt gefunden
Villehardouin nicht beſtimmt; ſie haben.
muß aber gegen das Ende des
Der Markgraf Bonifaz 133
wo der Biſchof von Soiſſons, und Fulco, welcher eben—
falls zu Soiſſons ſich eingefunden hatte, ſo wie zwey
Aebte des Auguſtinerordens, die Aebte von Los und von
Trappes, welche den heiligen Kreuzprediger damals be—
gleiteten 25), dem neuen Pilger ein rothes Kreuz auf
ſeine Schultern hefteten. Schon am folgenden Tage
verließ der Markgraf Soiſſons, empfahl aber zuvor allen
Kreuzfahrern, ihre Angelegenheiten ſorgfaͤltig und ohne
Zoͤgerung zu ordnen, und verſprach, zu Venedig mit
ihnen zuſammen zu treffen.
Auf der Ruͤckkehr in ſeine Heimath begab ſich
Bonifaz zu dem Capiteltage des Ciſtercienſerordens, wel⸗
cher, wie gewohnlich, auch in dieſem Jahre an dem
Feſte der Kreuzes erhoͤhung in der Abtey Citeaux gehalten Sept.
wurde, und dieſes Mal, weil die Kreuzfahrt einer der
Hauptgegenſtaͤnde der Berathung war, nicht nur von
vielen Aebten, ſondern auch von vielen andern Geiſt⸗
lichen und Layen beſucht war. Auch der Meiſter Fulco
war zu dieſem Capiteltage gekommen, um die verſam—
melten Geiſtlichen und Layen zur Annahme des Kreuzes
zu ermahnen. Seine damaligen Predigten waren fo wirk⸗—
ſam, daß außer vielen andern der Biſchof Walther von
Autun, der Graf Veit von Foreſt, und die Ritter Odo
von Chanlite aus der Champagne und deſſen Bruder
Wilhelm, Richard von Dampierre und deſſen Bruder
J. Chr.
1201.
20) „Dui blanc Abbe“, nach Ville
hardouin S. 17. Die Ciſtercienſer
wurden die weißen Mönche (li blanc
moine, Villehard. S. 37.) genannt;
die Benedictiner dagegen wurden
mit dem Namen der ſchwarzen Mön⸗
che bezeichnet: „Priscis temporibus
in partibus oecidentis duae tantum
fuerunt regularium diversitates,
monachi scilicet nigri, sancti Bene-
dicti regulam sequentes, et Cano-
nici albi, secundum regulam beati
Augustini viventes.““ Jac. de Vi-
triaco hist. occidentalis C. 28.
134 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. V
J. Che. O
1281, Odo und vornehmlich viele treffliche Ritter aus Burgund
mit dem Kreuze ſich bezeichneten 2). Der Markgraf
Bonifaz aber empfahl ſich zu Citeaux der Fuͤrbitte der ver
ſammelten Aebte bey Gott und bat um die Verguͤnſtigung,
daß der Abt des in der Markgrafſchaft Montferrat gelegenen
Ciſtercienſerkloſters Lucedio, welcher damals in feinem
Gefolge war, auch auf der Kreuzfahrt ihn begleiten
dürfte 22). Dann kehrte der Markgraf durch Deutſchland
zurück in feine Markgrafſchaft 23).
In der Lombardey und den benachbarten italieniſchen
Landſchaften nahmen viele ebenfalls das Kreuz, nachdem
der Markgraf Bonifaß als Kreuzfahrer und Herr des
Pilgerheers aus Frankreich zurückgekommen, und es rucht⸗
bar geworden war, daß er mit großem Eifer der Kreuz
fahrt ſich annaͤhme 2).
Die franzoͤſiſchen Pilger aber kamen bald, nachdem
Bonifaz es uͤbernommen hatte, ihnen den Verluſt des
Grafen Thibaut zu erſetzen, aufs neue in große Trauer,
durch den Tod des Grafen Gottfried von Perches, eines
der tapferſten unter den Rittern, welche das Kreuz
genommen hatten. Er erkrankte um die Faſtenzeit des
Sebruar Jahres 1202 25) und ſtarb mitten unter emſigen Zuruͤ⸗
ſtungen zur Kreuzfahrt, nachdem er durch ſeinen letzten
21) Villeh. S. 17. 18.
22) Rad. Coggeshale Chron. Angl.
p. 93., wo das Kloſter Lucedio un:
richtig Lucelana genannt wird.
23) Gesta Innocentii III. c. 83.
24) Nach den gestis Innocentii III.
'e, 46) nahmen der Markgraf Bontfaz
von Montferrat, der Biſchof Sicard
von Cremona (Verfaſſer der von Mu:
ratori im ſiebenten Bande der Scri-
ptores rerum Italicarum herausgege⸗
benen Chronik), der Abt von Lucedio
und viele aus dem Adel und dem
Volke der Lombardey das Kreuz ſchon
früher auf die Ermahnung des Car⸗
dinals Peter.
25) En Quaresme apres, devant
.
Tod des Grafen von Perches. 135
Willen feinem Bruder Stephan die Verwaltung des Ich"
von ihm zur Kreuzfahrt geſammelten Geldes und die
Fuͤhrung ſeiner Mannſchaft im Pilgerheere uͤbertragen
hatte.
ce que il durent movoir, li Euens fiel im Jahre 1202 auf den 26. Februar,
Joffrois del Perche s'acocha de ma- und Oſtern auf den 14. April.
ladie, Villeh. S. 18. Die Faſtnacht
136 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.)
-
Sechſtes Kapitel.
lieh: Der Graf Balduin von Flandern und Hennegau
mit einem Theile der Ritter ſeines Landes, welche
das Kreuz genommen hatten, der Graf Hugo von St.
Paul, der Marſchall Villehardouin und andere Ritter *),
verließen nach Oſtern, nicht lange vor dem Pfingſtfeſte,
ihre Heimath, indem ſie nicht ohne Schmerz von
den Ihrigen ſich trennten 2). Sie nahmen ihren Weg
durch Burgund, uͤber das Juragebirge und den Mont—
cenis, und durch die Ebenen der Lombardey, und erhiel—
ten, als ſie zu Venedig angekommen waren, auf der
Inſel St. Nicolaus ?) ihre Herberge.
Viele andere Pilger aber, die Gemeinſchaft mit den
Venetianern ſcheuend, nahmen andere Wege, unter dem
Vorwande, daß die Fahrt von Venedig nach dem gelobten
Lande, wegen der bekannten Gefaͤhrlichkeit des adriatiſchen
Meeres, hoͤchſt unſicher waͤre ); obwohl fie früher die
19 Villehardouin S. 18. 19.
2) „Et sachiez que mainte lerme
1 fu ploree de pitie al departir de
lor pais, de lor genz et de lor
amis.“ Villeh. a. a. O.
3) In insula S. Nicolai de litoxe,
quae ab urbe uno distat milliario,
Marin. San. p. 203. 0
4) „Il eschiverent le passage de
Venise por le grant peril qui i
ere.“ Villeh. S. 20. —
% 1
Die Kreuzfahrer zu Venedig. 137
Zuſage gegeben hatten, zu Venedig zu rechter Zeit ſich I,Chr.
einzuſtellen. Der Biſchof von Autun, der Graf Veit
von Foreſt, der Ritter Peter Bromons, und mehrere
Barone aus den Laͤndern des Koͤnigs von Frankreich,
wie Bernhard von Morueil, Hugo von Chaumont, die
beyden Bruͤder Walther und Hugo von St. Denys und
viele andere begaben ſich daher nach Marſeille, um dort
nach Syrien ſich einzuſchiffen; nicht achtend die Vor⸗
wuͤrfe ihrer Mitpilger, welche, ihrem gegebenen Worte
treu, nach Venedig ſich begaben). 5
Eine zahlreiche flandriſche Flotte, geführt von Johann
von Neele, Burgvogt von Bruͤgge, Dietrich, dem Neffen
des Grafen Balduin, und Nicolaus von Mailli, ſegelte
in derſelben Zeit, in welcher die uͤbrigen Pilger auszogen,
aus den niederlaͤndiſchen Seehaͤfen und nahm den Weg
durch die Meerenge von Gibraltar * Viele der treff;
lichſten flandriſchen Krieger 7) befanden fi ich auf dieſer
ſchoͤnen und reich ausgeſtatteten Flotte; und, weil dieſe
Pilger mit einem feyerlichen Eide auf die Heiligen gelobt
hatten, den Weg nach Venedig zu nehmen: ſo hatten
ihnen der Graf Balduin und ſein Bruder Heinrich meh—
rere mit Lebensmitteln und andern Beduͤrfniſſen?) befrach⸗
Anmerkung von Ducange zu Villehar⸗
douin S. 270. Ueber die Fahrt dieſer
flandriſchen Pilger dal. Marin. San.
5) „Mult en furent blasme, et
dont grant mesavanture lor en
avint puis.“ Villehard. a. a. O.
Mit dieſer Formel giebt Villehardouin
gewöhnlich ſein Mißfallen zu erken—
nen über das Betragen derjenigen
Kreuzfahrer, welche den Beſchlüſſen
und Wünſchen der Mehrheit ihrer
Waffengefährten entgegen handelten.
6) Par le detroise de Maroc. Villeh.
S. 10. So wurde dieſe Meerenge das
mals gewöhnlich genannt. Vgl. die
Lib. III. Pars. T. c. l. p. 205. Hugo
Plagon S. 659. folg.
7) Mult grant plente de bones
gens armes; und weiter unten: la plus
granz plentez de lor bons Serians
s’en alerent en cele estoire (Flotte).
Villeh. a. a. O.
8) De dras et de viandes et d'au-
tres choses. Villeh. a. a. O.
138 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VI.
Jer tete Schiffe anvertraut. Sie brachen aber ihren elan und
*
taͤuſchten die Hoffnungen ihrer Mitpilger.
Der Graf Balduin und die andern Barone, welche
zu Venedig die Ankunft der uͤbrigen Pilger mit heftiger
Sehnſucht erwarteten, geriethen in große Beſorgniß, als
fie erfuhren, daß viele ihrer Mitpilger nach andern See
hafen ſich begaben, und ſelbſt diejenigen, welche über
die Alpen nach der Lombardey gekommen waren, unter
ihnen der Graf Ludwig von Chartres und Blois, ihrem
gegebenen Worte untreu, den Weg nach Venedig ver—
ließen und die apuliſchen Häfen zu gewinnen ſuchten.
Denn, abgeſehen von allen uͤbrigen Nachtheilen einer
ſolchen verderblichen Theilung der Pilger, ſo waren die
Mittel der Barone, welche nach Venedig vorausgezogen
waren, in der ſichern Hoffnung daß die übrigen nach⸗
folgen würden, nicht zureichend, um die in dem Vers
trage mit dem Dogen Dandulo verabredeten Verbindlich⸗
keiten zu erfuͤllen.
Unter dieſen Umftänden übernahmen es der Graf
Hugo von St. Pol und der Marſchall Villehardouin,
zu den Pilgern, welche in der Lombardey angekommen
waren, ſich zu begeben, fie zu bitten, daß fie Erbarmen
haben moͤchten mit dem Lande jenſeit des Meeres, und
ihnen vorzuſtellen, daß es ihrer unwuͤrdig waͤre, von
ihren Mitpilgern ſich zu trennen und nicht nach Venedig
zu kommen, wo, ihrer fruͤhern Zuſage gemaͤß, auf ihre
Ankunft gerechnet wuͤrde. Die Abgeordneten fanden den
Grafen Ludwig von Blois und Chartres mit vielen treff—
lichen Rittern und andern wohlgeruͤſteten Kriegern zu
Pavia und bewogen ihn durch ihre Bitten, ſeine Mann—
ſchaft nach Venedig zu fuͤhren. Andere Pilger aber,
welche ſchon Piacenza erreicht hatten, ſetzten ihren Weg
Die Kreuzfahrer zu Venedig. 139
nach Apulien fort. Unter dieſen waren ſelbſt Rainald J. hr.
von Dampierre, welcher fuͤr den verſtorbenen Grafen
Thibaut von Champagne das Geluͤbde der Pilgerfahrt
erfüllte, und Guido von Traſignies aus Hennegau, obs
gleich dieſem Ritter der Graf Balduin von Flandern,
damit er auf dieſer Pilgerfahrt ihm folgen moͤchte, fuͤnf⸗
hundert Pfund gegeben hatte, ſo wie auch Heinrich von
Longchamp und Villain von Nuilly, der letztere ein vor
zuͤglich tapferer und allgemein geachteter Ritter, und
viele andere Ritter und Knechte“).
Auf der Inſel St. Nicolaus bey Venedig war,
nachdem auch der Graf von Blois mit ſeiner Miliz dort
ſeine Herberge genommen hatte, zwar eine ſehr ſtattliche
Ritterſchaft verſammelt; gleichwohl entſprach ihre Zahl
bey weitem nicht der fruͤhern Erwartung. Die Venetianer
dagegen erfuͤllten ihre Zuſage auf das vollkommenſte und
leiſteten ſogar mehr, als ſie verſprochen hatten. Die
Schiffer welche fie den Kreuzfahrern zu ihrer Ueberfahrt
zu liefern ſich verbindlich gemacht hatten, lagen ſegelfertig
und auf das trefflichſte bemannt und ausgeruͤſtet im
Hafen, und waren für ein dreymal größeres Heer hinreis—
chend; niemals war in dem Hafen von Venedig eine ſo
ſchoͤne Flotte geſehen worden); und die Kreuzfahrer
fowohl als ihre Roſſe wurden in dem Lager auf der
Inſel St. Nicolaus mit allen Beduͤrfniſſen im Ueberfluſſe
verſehen. Dafuͤr drangen auch die Venetianer auf die
9) Villeh. S. 20 — 2. fica navigia praeparaverant, ut a
10) Et li navies que li Venisiens longis retro temporibus nedum vi-
orent appareillie, fu si riches et si sus, sed nec auditus fuerit tantus
bels, que onques nus hom Chres- navalium apparatus, Gesta Innoc.
tiens plus bel ne plus riche ne vit. III. Cc. 65.
Villeh. S. 22. Vencti tam mazni-
*
J. Chr.
1203.
140 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
puͤnktliche Bezahlung des in dem Vertrage feſtgeſetzten
Geldes. 5
Die Mahnung, welche die Venetianer, als die er—
wartete Bezahlung ſich verzoͤgerte, und die Abfahrt der
Pilger wegen ihrer geringen Zahl verſchoben wurde, an
die Barone erließen, brachte dieſe in große Verlegenheit.
Ungeachtet aller Bemuͤhungen des Papſtes Innocenz des
Dritten, den Kreuzfahrern anſehnliche Geldunterſtuͤtzung zu
verſchaffen, war dennoch wenig Geld im Heere vorhanden,
und die Aufforderung der Barone an die einzelnen Pilger,
beyzutragen zur Befriedigung der Venetianer, hatte daher
geringen Erfolg. Viele Pilger erklaͤrten, daß fie gänzlich
außer Stand waͤren, irgend eine Zahlung zu leiſten; andere
gaben ſo wenig, daß durch ihre Beytraͤge nur ein unbe⸗
trächtlicher Theil der Forderung der Venetlaner gedeckt
wurde; und manche, deren Eifer fuͤr das heilige Land
vielleicht niemals ſehr ernſtlich geweſen oder ſchon ermuͤdet
war, gaben ſich der Hoffnung hin, daß die Kreuzfahrt
ruͤckgaͤngig werden koͤnnte, und hielten, in der boͤslichen
Abſicht, die Aufloͤſung des Heers zu beſchleunigen, die
ſchuldigen Beytraͤge zuruͤck. Da ſolche Geſinnung in die
Gemuͤther der Pilger Eingang gefunden hatte, ſo erhob
ſich in der Verſammlung, in welcher die Barone uͤber die
eaßregeln, welche in ihrer damaligen verdrießlichen Lage
zu nehmen ſeyn möchten, ſich beriethen, die heftigſte Pars
theyung. Denn diejenigen, welche es redlich mit der
Kreuzfahrt meinten, drangen darauf, daß die Pilger alles
hergeben ſollten, was noch in ihrem Beſitze waͤre, um
die Forderung der Venetianer zu befriedigen, damit nicht
dieſes Heer, auf welchem die ganze Hoffnung des heiligen
Landes beruhte, ſich aufloͤſen moͤchte. Andere aber meinten,
daß das Geld, welches bereits zuſammengebracht worden,
Die Kreuzfahrer zu Venedig. 141
den Venetlanern genuͤgen muͤßte, als Entſchaͤdigung fuͤr die 3.004
Mühe und Koſten der Ueberfahrt der Pilger, welche zu Vene⸗
dig wirklich ſich eingefunden haͤtten, und aͤußerten ſogar, daß
ſie, wenn jene habſuͤchtigen Kaufleute damit nicht zufrieden
ſeyn wuͤrden, ihrerſeits entſchloſſen waͤren, nach anderen
Haͤfen ſich zu begeben. Bey dieſer Meinung beharrten
dieſe verdroſſenen Pilger mit ſtarrem Sinne, obgleich die
andern eifrigern Kreuzfahrer erklaͤrten, daß ſie lieber ihr
ganzes Habe und Gut daran ſetzen und bettelarm die Fahrt
antreten wollten, als zugeben, daß das Heer ſich trennte;
da Gott ihnen, falls es ihm gefaͤllig ſeyn wuͤrde, das
Aufgeopferte reichlich wieder geben koͤnnte **). |
Der Markgraf Bonifaz von Montferraf*?), die Grafen
von Flandern, Blois und St. Paul und mehrere ihnen
gleichgeſinnte Barone ließen jedoch durch die Widerſpen—
ſtigkeit ihrer Mitpilger ſich nicht abhalten, der von ihnen
gegebenen Erklaͤrung gemaͤß, der gemeinſchaftlichen Sache
jedes Opfer zu bringen, welches ſie zu bringen vermochten,
und leerten nicht nur ihren ganzen Schatz, ſondern erho⸗
ben auch noch Geld durch Anleihen und ſandten nicht
nur alles, auf ſolche Weiſe geſammelte, eigne und fremde
Geld, ſondern auch alle Geraͤthe von Gold und Silber,
welche ſie mit ſich fuͤhrten, in den Palaſt des Dogen.
Nachdem alle dieſe Anſtrengungen gemacht worden waren,
fehlten aber gleichwohl noch an der Summe, welche die
Venetianer dem Vertrage gemaͤß forderten, vier und
dreißig Tauſend Mark Silbers.
11) Villeh. 20. ar. Berathungen ſeine Gegenwart nöthig
12) Villehardouin (S. 21) nennt war. Während die übrigen Kreuz—
bey dieſer Gelegenheit ausdrücklich fahrer zu Venedig ſich aufhielten, un:
den Markgrafen; dieſer ſcheint aber ternahm er eine Reiſe nach Rom.
nur dann nach Venedig gekommen Gesta Innoc. III. cap. 83. 85
zu ſeyn, wenn zu gemeinſchaftlichen
142 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
Obgleich die Zahl der franzoͤſiſchen und flandriſchen
Kreuzfahrer, welche nach Venedig gekommen waren, bey
weitem nicht die Zahl erreichte, fuͤr welche die Ueberfahrt
war bedungen worden, und alſo auch weniger Schiffe
erfordert wurden, als man fruͤher berechnet hatte: ſo
verlangten die Venetianer gleichwohl fuͤr die Ueberfahrt
des Pilgerheeres die Bezahlung der ganzen in dem Ver—
trage feſtgeſetzten Summe von fuͤnf und achtzig Tauſend
Mark Silbers; denn obwohl man in den Unterhand⸗
lungen, welche dem Vertrage vorangingen, für jeden
einzelnen Kreuzfahrer und fuͤr jedes einzelne Pferd einen
gewiſſen Preis angenommen hatte, fo war doch im Der
trage ſelbſt jene Summe im Ganzen zugeſichert worden *).
SE: Ehr.
1202.
Am wenigſten war der Doge Heinrich Dandulo geneigt,
von dieſer Forderung irgend etwas nachzulaſſen. Schon
in fruͤherer Zeit hatte er unter der Regierung des Dogen
Vitalis als Geſandter zu Conſtantinopel den Vortheil
feiner Vaterſtadt mit fo großem Eifer und folder Feſtig⸗
keit wahrgenommen, daß der Kaiſer Manuel der Comnene
den frevelhaften und tuͤckiſchen Beſchluß faßte, den um
biegſamen Geſandten des Geſichts berauben zu laſſen und
dadurch zur fernern Verwaltung ſeiner Geſandtſchaft un—
fähig zu machen. Durch dieſe Blendung verlor zwar
Dandulo die Schaͤrfe des Geſichts, aber nicht den volligen
Gebrauch der Augen *); und als er in feine Vaterſtadt
13) S. Beilage I.
14) Ueber die Blendung des Dogen
Heinrich Dandule ſind die Nachrich⸗
ten ſehr abweichend. Nach Villehar⸗
douin (S. 26) waren die ſonſt ſchö⸗
nen Augen des alten Dogen völlig
blind, und dieſe Blindheit war die
Folge einer Wunde, „Car viels home
Ere, et si avoit les yeulx en la
teste biaus, et si wen veoit gote
que perduè avoit la veue per une
plaie qu'il ot en la chief.“ Auch
Günther ſagt von dem Dogen dp.
XIII.): Dux Venetorum, coecus
quidem in facie, sed perspicacissi-
mus in mente, qui corporis coeci-
Die Kreuzfahrer zu Venedig. 143
zuruͤckgekehrt war, fo wurde der Eifer, welchen er fuͤr
die Angelegenheiten der Republik bewieſen hatte, im
Jahre 1192 durch feine Wahl zum Dogen belohnt *).
J. Chr.
1202.
Obgleich Heinrich Dandulo ſchon ein hohes Alter erreicht
hatte, als er an die Spitze der Republik geſtellt wurde,
ſo war gleichwohl noch nicht von ihm die Kraft der
Jugend gewichen, und das Alter hatte nur feine Umſicht
und Erfahrung gemehrt, ſeinen Muth geſteigert und die
Feſtigkeit feines Sinnes geſtaͤrkt *). Für den Ruhm
oder Vortheil ſeiner Vaterſtadt ſcheute er weder Gefahr
noch Anſtrengung; und in verwickelten Lagen bewährte
ſich eben ſo ſehr ſeine bedaͤchtige Staatsklugkeit als ſeine
kraftvolle Thaͤtigkeit. Er war von Eitelkeit und Ehrgeiz
nicht frey **); aber er ſuchte die Befriedigung dieſer
tatem animi vigore atque pruden -
tia optime compensabat. Nach der
Chronik des Andreas Dandulo (Mu—
rat. T. XII. p. 322) aber war Hein:
rich Dandulo nur visu debilis, Nach
Marino Sanuto (a. a. O. S. 204)
war er von den Griechen durch ein
glühendes Eiſen geblendet worden
(abacinatus); und die Chronik des
Andreas Dandulo (S. 298), ſo wie
abellicus chistor. Venet. Dee, V.
Lib. 8.) und Rhamnuſius (p 32),
letzterer mit Berufung auf die vene⸗
tianiſchen Chroniken, behaupten aus⸗
drücklich, daß dieſe Blendung auf Be⸗
fehl des Kaiſers Manuel geſchehen
ſey. Emanueli, ſagt Andreas Dan:
dulus, Henricus Dandolo pro salute
pätriae constanter resistens 1 visu
aliqualiter obtenebratus est. Phi:
lipp Mouskes (in der von Ducange,
zu Villeh. S. 271 angeführten Stelle)
behauptet, daß Heinrich Dandulo
durch den Gewalthaber (li Sire) von
Zara, alſo auf einem früheren Zuge
gegen dieſe widerſpenſtige Stadt, viel-
leicht, als er in Gefangenſchaft ge:
rathen war, des Geſichts beraubt wor:
den ſey; und auch der Mönch Gott»
fried (ad a. 1201 in Freheri Scriptor.
rer. Germ. ed. Struve T. I. p. 367)
erzählt, daß der Doge zu Zara ſey
geblendet worden, ohne die nähern
Umſtände zu berichten. Nicetas (S.
347) erwähnt ebenfalls beyläufig der
Blindheit des Heinrich Dandulo, ohne
die Urfache anzugeben: 0 e-
ta dong Bevstinuv, Eoluð Adv
dovAos, avng πνο, αν ras Oyeıs
* Tu yo0vw ,s.
16) Andr. Danduli chron. p. 315.
316. a
16) Dux senex corpore, animo
tamen magnanimus. Andr. Dand.
chron. p. 316. 320.
17) Sehr hart, obwohl nicht ganz
unrichtig, urtheilt Nicetas (a. a. O.)
144 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
Nie Leidenſchaften in dem Wohlſtande, dem Ruhm und der
Groͤße ſeiner Vaterſtadt. Was er einmal begonnen hatte,
fuͤhrte er mit Beharrlichkeit zum Ziele, und Schwierig—
keiten ſtaͤrkten nur ſeine Kraft und Entſchloſſenheit.
Seiner eben ſo klugen als beharrlichen Thaͤtigkeit in
Unterhandlungen verdankte die Republik nicht nur die de
ſtaͤtigung ihrer alten Rechte ſondern ſelbſt die Erwerbung
neuer Beguͤnſtigungen in Conſtantinopel *). Durch drey⸗
jaͤhrigen Krieg ermuͤdete Dandulo die Piſaner, welche es
gewagt hatten eine aus Syrien zuruͤckkehrende Flotte der
Venetianer zu überfallen und der Stadt Pola in Iſtrien,
einer der Republik Venedig unterworfenen Stadt, ſich
zu bemaͤchtigen; die Stadt Pola wurde wieder ge—
wonnen, ihre Mauern an der Seeſeite wurden zerſtoͤrt,
und die Piſaner gezwungen, um Frieden zu bitten *).
Dagegen beharrte die Stadt Zara in Dalmatien, welche
ſchon ſeit langer Zeit ungern den DVenetianern gehorcht
und oftmals ſich empoͤrt hatte, unter dem Schutze des
Koͤnigs von Ungarn, welchem ſie ſich unterworfen hatte,
fortwaͤhrend in ihrer Empoͤrung, und die Sperrung ihres
Hafens, ſo wie die Beſchraͤnkung ihrer Schifffahrt, welche
der Doge ſchon im zweyten Jahre ſeiner Regierung (1193)
angeordnet hatte, waren ohne Erfolg geblieben.
Dem Dogen Heinrich Dandulo war die Verlegen—
heit, in welche die franzoͤſiſchen Barone gerathen waren,
nicht unwillkommen, weil fie ihm die Moͤglichkeit darbot,
8
über ihn alſo: Er war ein Ausbund
von Verſchmittheit, nannte ſich klü—
ger als die Klugen und war ruhm⸗
ſuͤchtig wie kein Anderer (mund
Anua dyvorelas nd ppoviuurs-
O TUV geowiuuy EuvToV 0V0-
ualav zur dofouavuv ws ob
Ersp06).
ı8) Andr. Dand, chron. p. 31g.
319.
19) Andr. Dand, chron. p. 317 —
320.
*
Die Kreuzfahrer zu Venedig. 145
die Tapferkeit der Kreuzfahrer der Republik Venedig 18
dienſtbar zu machen, und er hielt daher in ſeinem Rathe
folgenden Vortrag: „Wir koͤnnten zwar alles von den
Kreuzfahrern uns bezahlte Geld als gewonnen betrachten,
ohne zu irgend einer Leiſtung verbunden zu ſeyn, weil
fie die verabredeten Bedingungen nicht zu erfüllen ver;
moͤgen; aber wir wuͤrden uns und die Republik uͤbler
Nachrede preisgeben, wenn wir alſo verfahren und nicht
lieber zuvoͤrderſt den Kreuzfahrern die vollſtaͤndige Erfuͤl⸗
lung ihrer Verbindlichkeiten erleichtern und dann auch
von unſrer Seite den Vertrag vollziehen wuͤrden. Laßt
uns alſo ihnen den Vorſchlag machen, daß ſie uns bei—
ſtehen moͤgen, die Stadt Zara in Dalmatien, welche der
Koͤnig von Ungarn uns geraubt hat, eine der feſteſten
Staͤdte der Welt, zu erobern; und fuͤr ſolchen Dienſt
koͤnnen wir ihnen in Hinſicht der ruͤckſtaͤndigen vier und
dreyßig Tauſend Mark Silbers gern Friſt bewilligen
bis zur gemeinſchaftlichen Eroberung von Zara, welche
ihnen ohne Zweifel die Mittel gewaͤhren wird, uns zu
befriedigen.“ Dieſer Vorſchlag fand zwar bey den Raͤthen
des Dogen allgemeinen Beyfall; unter den Kreuzfahrern
aber erhoben beſonders diejenigen Widerſpruch, welche
die Aufloͤſung des Heeres und die Vereitelung der Kreuz—
fahrt wuͤnſchten 2°).
Heinrich Dandulo aber fand bald ein Mittel, nicht
nur dieſen Widerſpruch, obwohl er mit triftigen Gruͤnden
unterſtuͤtzt werden konnte, zu vereiteln, ſondern auch
einen ſehr weſentlichen Antheil an der Leitung der Unter—
nehmungen dieſer Kreuzfahrer ſich und der Republik
Venedig zu verſchaffen. Als an einem Sonntage, dem
20) Villeh. S. 24. 23. 5
V. Band. K
146 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VI.
br. Feſte der Geburt der Mutter Gottes 2 *), in der Kirche
6. Sept. des heiligen Marcus viele Einwohner der Stadt und
viele Pilger verſammelt waren: fo beſtieg er den Redner—
ſtuhl ? ), um zu dem verſammelten Volke zu reden. In
einer kraftvollen Rede erhob er zuerſt die Tapferkeit der
Pilger ſowohl als ihre Aufopferung fuͤr die Sache Gottes
mit großen Lobſpruͤchen, pries die Vereinigung der Ve—
netlaner mit ſo tapfern und edeln Maͤnnern zu einer
gemeinſchaftlichen Unternehmung als ein höchft glückliches
Ereigniß und fuhr dann alfo fort: „Zwar bin ich alt
und ſchwach, wie ihr ſeht, und der Ruhe ſehr beduͤrftig;
aber ich weiß, daß niemand im Stande ſeyn wird, euch
ſo gut zu fuͤhren, als ich es vermag. Darum geſtattet
mir, das Kreuz zu nehmen, meinem Sohn Rainer die
Regierung des Landes waͤhrend meiner Abweſenheit anzu—
vertrauen, und euch zu begleiten, damit ich mit euch und
den Pilgern leben und ſterben moͤge.“ Hierauf riefen
alle mit Einer Stimme: „Wir bitten euch um Gottes
willen, mit uns zu gehen;“ und viele ſowohl der Vene—
tianer als der Pilger wurden, als ſie dieſen unerwarteten
Entſchluß des Dogen vernahmen, dadurch ſo ſehr geruͤhrt,
daß ſie Thraͤnen vergoſſen. Alsdann begab der Doge
ſich zu dem Altar, wo er weinend auf die Knie ſich nie—
derließ und die Ertheilung des Kreuzes begehrte. Es
wurde aber das Kreuz an ſeinen großen baumwollenen
Hut angenaͤht 23), weil Heinrich Dandulo wollte, daß es
in der Zeit, in welcher dieſe Verhand⸗
21) „A un dimanche .. . si ere
lung kann Statt gefunden haben,
une mult feste.“ Villeh. S. 25.
Ramnuſius (S. 31): „ad VI. Idus
Sept. (8. Sept.), qui Deiparae
Virginis dies natalis est;“ denn es
fiel kein anderes hohes Feſt, als das
Feſt der Geburt Unſerer lieben Frauen,
auf einen Sonntag.
22) Siehe oben S. 119, Anm. 18.
23) „Il li cousierent la Croix en
un grant Chapel de coton, perce
que il voloit que la gent la veis-
Byzantiniſche Angelegenheiten. 147
von allen Anweſenden geſehen würde, Viele Venetianer Ihr.
folgten dem Beyſpiele des Dogen und nahmen ebenfalls
das Kreuz.
Die Pilger wurden durch dieſe unerwartete Wendung
ihrer Angelegenheiten zwar ſehr uͤberraſcht; noch mehr
aber uͤberraſchte fie ein anderes Ereigniß, welches von
noch wichtigern Folgen war: naͤmlich die Erſcheinung
von Abgeordneten des griechiſchen Prinzen Alexius Angelus,
welche den Markgrafen Bonifaz und die uͤbrigen Fuͤrſten
des Pilgerheers um Beyſtand anſprachen wider den Kaiſer
Alexius, den Oheim des jungen Prinzen, und unrecht—
maͤßigen Beſitzer des Thrones von Conſtantinopel 25).
Das griechiſche Kaiſerthum war ſeit dem Tode des
Kaiſers Emanuel Comnenus, welcher nicht minder als ſeine
beyden Vorgaͤnger, Alexius und Johannes, mit ange—
ſtrengter Thaͤtigkeit und nicht ohne Erfolg ſich bemüht
hatte, die Wuͤrde des roͤmiſchen Reichs wiederherzuſtellen,
der klaͤglichſten Zerruͤttung preisgegeben. Nachdem der
eben ſo leichtſinnige als talentvolle Andronikus, Enkel
des Kaiſers Alexius des Erſten, und Vormund des Knaben
Alexius, des Sohns des Kaiſers Emanuel, durch die treuloſe
Ermordung feines Muͤndels den Weg zur Herrſchaft über
das roͤmiſche Reich ſich geöffnet hatte: ſo entſchied uͤber
sent.“ Villeh. S. 26: „Huic prae- ctior.““ Ramnus, p. 32.
sto affuere primarii Templi Sacer- 24) Villehardouin, welcher allein
dotes linteati, qui de vetere con- der damaligen Unterhandlungen ers
suetudine ex sacratis Pontiſiciarum wähnt (denn alle übrigen Schrift⸗
ceremoniarum libris, in ipsius ſteller erwähnen nur des zu Zara
summo pileo (id erat xylinum, ſpäter abgefchloffenen Vertrags), ev:
nullo tum Venetis Ducibus holose- öffnet ſeine Erzählung (S. 27) alſo:
rici, purpurae et auri usu, ita Or oiez une des plus grant mer-
optimi et frugi mores ferebant), veilles et des greignors aventures,
Crucem rubram insuunt, ut in que vos onques oissiez,
vertice toti Civitati esset conspe-
x
K 2
— —
148 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VI.
Jer den Beſitz des Throns von Byzanz nicht mehr Recht, ſon—
dern Gewalt; und nach dem kaiſerlichen Namen trachtete
jeder, welcher durch Macht oder Anhang ſich ſtark genug
achtete, ſeine Anmaßungen durchzuſetzen. Daher folgte
Empoͤrung auf Empoͤrung. Ein Uſurpator nach dem
andern machte den Thron dem anerkannten Kaiſer ſtrei—
tig, und was Einem gelungen war, verſuchten viele
Andere, ohne ſich durch das ungluͤckliche Ende derer,
welche ihres Ziels verfehlten, abſchrecken zu laſſen. Andro—
nikus buͤßte durch ein ſchreckliches Ende jenen grauſamen
Mord und die Graͤuel einer tyranniſchen Regierung,
nachdem er nur zwey Jahre *) mit Mühe das von
aͤußern Feinden eben fo ſehr bedraͤngte als durch Empoͤ⸗
rungen verwirrte Reich behauptet hatte. Iſaak Angelus,
welcher auf eine unerwartete und faſt wunderbare Weiſe
zum Kaiſer ausgerufen wurde, als er durch den Mord
des Stephanus Hagiochriſtophorites, des Guͤnſtlings von
Andronikus, das ihn bedrohende Verderben abgewandt
hatte und Schutz in der Kirche der goͤttlichen Weisheit
ſuchte, vertheidigte mit vieler Anſtrengung, welche ihm
bey ſeinem Hange zur Unthaͤtigkeit und zum uͤppigen Leben
nicht geringe Ueberwindung koſtete, das Reich gegen die
Eroberungsſucht des Koͤnigs Wilhelm von Sicilien, die
Raubereyen der Walachen und Comnenen, und die Feind—
ſeligkeiten der Tuͤrken; ſchuͤtzte aber nicht die Wuͤrde ſeiner
Krone gegen mancherley Demuͤthigungen, zu der Zeit, als
der Kaiſer Friedrich der Erſte das große Heer der deut—
ſchen Pilger durch das roͤmiſche Reich nach Aſien fuͤhrte;
und, nach faſt neunjähriger Regierung, nachdem die Vers
ſuche vieler Empoͤrer, ihn des Reichs zu berauben, miß⸗
25) Vom September 1183 bis zum September 1185.
Byzantiniſche Angelegenheiten. 149
J. Chr.
1203,
lungen waren, unterlag Iſaak Angelus der Hinterlift
ſeines Bruders Alexius. Dieſer wurde auf einem Feld—
zuge wider die Walachen von der Parthey, welche er im
Stillen ſeit laͤngerer Zeit gewonnen hatte, in dem kaiſer—
lichen Lager bey Kypſella an der Graͤnze von Macedonien,
als Iſaak Angelus mit der Jagd ſich beluſtigte, ploͤtzlich
zum Kaiſer ernannt, und glaubte ſeine Herrſchaft dadurch
zu ſichern, daß er ſeinen Bruder, den bisherigen Kaiſer,
auf der Flucht zu Stagira ergreifen und blenden ließ ?“).
Dieſe That war die Urſache von großem Unheile fuͤr das
roͤmiſche Reich.
Alexius, welcher, vielleicht um ſeiner Herrſchaft den
Schein der Rechtmaͤßigkeit zu geben, den Namen ſeines
Geſchlechts ablegte und den Namen der Comnenen
führte 22), war noch weniger als feine beyden Vorgaͤnger
im Stande, dem Reiche aͤußere Sicherheit und innere
Ruhe zu verſchaffen; er befchäftigte ſich wenig oder gar
nicht mit den oͤffentlichen Angelegenheiten, lebte nur in
Vergnuͤgungen oder unnuͤtzer Geſchaͤftigkeit 5), und ob⸗
wohl er nicht grauſam und blutdürfig, „ fie viele feiner
26) Nicetas S. 288 — 200. Ganz
anders erzählt Marino Sanuto (S.
204) den Hergang: Cum Isacus in
quadam Abbatia Philippis (zu Phi⸗
lippopolis) cum paucis se recrearet,
Alexius illum aggreditur et captum
exoculat. Die Abſetzung und Blen—
dung des Kaiſers Iſaak geſchah im
März oder April 1195. Die meiſten
Schriftſteller, welche dieſer Begeben—
heiten erwähnen, erzählen nichts von
den nähern Umſtänden. Villehar—
douin (S. 26. 27) ſagt blos: Sursac
(Sire Isaac, ſo wie andere Schrift⸗
ſtellet den Kaiſer Alexius Kyr Alexius,
d. i. Kvpros "AltEıos nennen) em-
pereor en De öpie, avolt un
frere, qui avoit a nom Alexis, que
il avoit rachete de prison des Turs
(Andr. Danduli Chron. p. 318). Icil
Alexis si prist son frere IEmpe-
reor, si Ii traist les iaulz de la teste
et se ist Empereor en tel traison,
Ueber die Sefangenfchaft des Alexius
bey den Türken findet ſich keine Nach:
richt bey Nicetas.
27) Nicetas S. 293.
23) Er beſchäftigte ſich am meiſten
mit der Anordnung von Luſtgärten,
und war ein leidenſchaftlicher Jäger.
Nleetas S. 848.
J. Chr.
1202.
150 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap.
Vorgänger, ſondern vielmehr ſanft und milde war, fo
erbitterte er gleichwohl eben ſo wie ſein Bruder Iſaak
Angelus das Volk durch Erpreſſung uͤbertriebener Ab—
gaben und Steuern, deren Ertrag er an Guͤnſtlinge und
Buhlerinnen verſchwendete 25). Trotz der Gefahren,
welche von allen Seiten das Reich bedrohten, der unbe—
dachtſamſten Sorgloſigkeit ſich ergebend, vernachlaͤſſigte
er ſelbſt die Bewachung ſeines geblendeten Bruders, deſſen
Rache er ſo ſehr zu fuͤrchten hatte. Nachdem er ihn
einige Zeit im kaiſerlichen Palaſte gefangen gehalten
hatte, wies er ihm an der Kuͤſte in der Nähe der Haupt—
ſtadt eine Wohnung an *), wo ihm der freye Verkehr
mit ſeinen Freunden und Anhaͤngern geſtattet wurde; und
ſelbſt Fremdlingen aus den abendlaͤndiſchen Voͤlkern wurde
der Zutritt zu ihm nicht gewehrt, ſo daß Iſaak Gelegen—
heit fand, an ſeinen Eidam, den deutſchen Koͤnig Philipp,
Gemahl ſeiner Tochter Irene, Briefe zu befoͤrdern, und
uͤberhaupt mancherley Verbindungen anzuknuͤpfen und
Verabredungen wegen ſeiner Befreyung und Wiederein—
ſetzung in das Reich zu machen. Bald darauf gab der
Kaiſer Alexius auch ſeinem Neffen, dem jungen Prinzen
Alexius, Sohn des Iſaak Angelus *), die Freyheit;
29) Nicetas S. 346.
30) Tard rovs xloves, o, meg)
Tov nogduov avraioı al dvd-
Core koravenı, Nicetas a. a. O.
Dieſe beyden Säulen ſtanden in der
Entfernung einer Stunde von der
Stadt, Scutari gegenüber; und die
dortige Ueberfahrt nach Scutari führ—
te daher den Namen Lırrloziovıov.
Jetzt prangt in dieſer Gegend der
Palaſt von Beſchiktaſch, wo der Sut⸗
tan den Sommer zubringt; ſ. Joſ.
v. Hammer Conſtantinop. und der
Bosporus Th 2. S. 103 folg. und
deſſen osmaniſche Geſchichte Th. 1.
S. 384. 330. Ueber die Lage jener
beyden Säulen vgl. Nicetas S. 349
und die von Ducange im Glossarium
graecum v. Ilsgaia und zu Ville
hardouin S. 286 angeführten Stellen.
31) Ueber das Alter des jungen
Alexius geben die Schriftſteller keine
Nachricht; doch war er ohne Zweifel
nicht mehr Knabe, ſondern im Jüng
.
Byzantiniſche Angelegenheiten. 151
und dieſer, als er feinen Oheim auf dem Kriegszuge
gegen einen Empoͤrer, den Protoſtrator Manuel Kamytzes,
ang entfloh aus dem kaiſerlichen Lager zu Damo—
krania, und beſtieg an der Mündung des in die Pro—
pontis ſich ergießenden Fluſſes Athyras ein Boot, welches,
ausgeſandt von einem piſaniſchen Schiffe, deſſen Haupt—
mann es uͤbernommen hatte, ihn nach Italien zu fuͤhren,
unter dem Vorwande, Sand als Ballaſt einzunehmen,
dort ſeiner wartete und ihn zu dem bey Antonia am
Hellespont vor Anker liegenden Schiffe brachte 2). Auf
dieſem Schiffe entkam Alexius glücklich, nach Ancona 33),
nachdem er als piſaniſcher Schiffsmann verkleidet den
Nachforſchungen derer ſich entzogen hatte, welche von
dem Kaiſer waren ausgeſandt worden mit dem Auftrage,
ſich des Juͤnglings wieder zu bemaͤchtigen 2). Von
Ancona zog er nach Rom und fuchte zuerft die Huͤlfe
des Papſtes Innocenz des Dritten. Der Papſt aber,
deſſen Zuneigung der Kaiſer Alexius durch die Achtung,
welche er ihm bewies, gewonnen hatte, gab ihm eine
ſeine Rettung einem Seneſchall des
byzantiniſchen Hofes. Die Flucht
deſſelben geſchah ohne Zweifel fpäte:
ſtens im Jahre 1201, denn in einem
Schreiben vom 20. November (XII.
Kal. Dec.) 1202 an den Kaiſer Ale⸗
xius, erwähnt der Papſt Innocenz III.
(Epist, Innoc. III, ed. Brequigny
et la Porte du Theil T. I. v. 190.
lingsalter. Ramnuſius (S. 32) be:
zeichnet ihn richtig als adolescens.
Villehardouin (S. 28. 56 nennt ihn:
ie valet de Constantinople. Valet
bezeichnete nämlich in der damaligen
Sprache einen Jüngling von Adel,
welcher noch nicht die ritterliche
Würde erlangt hatte; ſ. Ducange zu
Villehardouin S. 172 - 173. Hugo
Plagon (S. 662) ſagt von dem jun⸗
gen Alexius: Li enfes (enfant)
Fust grant vaslet.
37) Nicetas S. 346.
33) Villeh. S. 27. Nach der Er⸗
zählung des Mönchs Alberik (ad a,
1202) verdankte der junge Alexius
Raynaldi ann, ccc. ad a. 1202 $. 36.)
der Anweſenheit des jungen Alexius
zu Rom als einer geraume Zeit zu:
vor geſchehenen Begebenheit: Alexius
olim ad praesentiam nostram acce-
dens etc. y
39) Nicetas a. a. O.
0
J. Chr
1202.
A
*.
*
152 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
Jet ausweichende Antwort 3°); worauf Alexius ſich entſchloß,
ſeine Zuflucht zu ſeiner Schweſter Irene und ſeinem
Schwaͤher, dem deutſchen Koͤnige Philipp, zu un.
Auf der Reiſe nach Deutſchland verweilte er zu na,
und dort wurde ihm von feinen Begleitern ?°) der Rath
gegeben, den Beiſtand der Kreuzfahrer anzuſprechen.
Die Abgeordneten des Prinzen Alerius fanden zu
Venedig nicht unguͤnſtige Aufnahme. Den Venetianern
war es nicht unerwuͤnſcht, wenn die Kraft der Kreuz—
fahrer gegen das griechiſche Reich ſich richtete; denn
welchen Ausgang auch ein ſolches Unternehmen gewann,
ſo durften ſie wenigſtens unter den damaligen Umſtaͤnden
mit Sicherheit hoffen, dadurch Vortheile oder Vorrechte
für ihren Handel in Conſtantinopel und andern Häfen
des byzantiniſchen Reichs zu gewinnen. Ohnehin war—
teten ſie laͤngſt auf eine guͤnſtige Gelegenheit, den damals
zu Conſtantinopel ſehr beguͤnſtigten Piſanern die erlangten
Vortheile zu entreißen. Der Doge Heinrich Dandulo
war daher dem Anliegen der Abgeordneten des Prinzen
Alexius nicht hinderlich 37). Die Barone des Pilgerheeres
aber wurden eben ſo ſehr geruͤhrt durch die traurige Lage
des jungen Prinzen, als ſie ſich geſchmeichelt fuͤhlten durch
das Zutrauen, welches er ihnen gewaͤhrte; auch rechneten
ſie in dem Falle, daß es ihnen gelaͤnge, den Kaiſer
Iſaak wieder auf den Thron zu bringen, auf deſſen Bey—
35) Cumque nos eidem dedisse-
mus responsum, juxta quod vidi-
mus expedire, recessit a nobis et
ad praedictum Philippum, sororium
suum, concitus properavit. Epist.
Innoc. III, ad Alexium Imp. I. c.
Der junge Alexius ſcheint aber ſeine
Reiſe nicht ſehr beſchleunigt zu haben,
da er, wie Villehardouin (S. 27)
berichtet, noch im Herbſte 1202 zu
Verona ſich aufhielt.
35) Cil qui l’avoient aidie a echa-
per. Villeh. a a. O.
37) Villehardouin erwähnt nicht
des Einfluſſes, den die Venetianer
auf die damaligen Unterhandlungen
mit Alexius hatten.
Byzantinifhe Angelegenheiten. 153
ſtand in ihren Bemühungen zur Befreyung des gelobten Nehr—
Landes. Der Markgraf Bonifaz von Montferrat hatte
ohnehin Urſache, dem ungluͤcklichen Iſaak Angelus gewo—
gen zu ſeyn, da dieſer Kaiſer ſeine aͤlteſte Tochter Theodora,
die Schweſter des jungen Alexius, ihm zur Ehe ange—
tragen und ſeinem Bruder Conrad, dem nachherigen
Markgrafen von Tyrus, zur Gemahlin gegeben hatte.
Auch ſoll der Markgraf Bonifaz ſchon, als er auf feiner
Ruͤckkehr aus Frankreich durch Deutſchland reiſte, dem
deutſchen Koͤnige Philipp die Zuſage gegeben haben, daß
er ſich bemuͤhen wuͤrde, mit Huͤlfe der Kreuzfahrer, welche
ihn zum Oberfeldherrn erwaͤhlt hatten, den jungen Alexius
zum Beſitze des Throns von Byzanz zu bringen 38). Die
Barone gaben alſo den griechiſchen Abgeordneten ??) zur
Antwort: „Wir haben ſehr wohl vernommen, was ihr
uns vorgetragen habt, und werden, da euer Herr nach
Deutſchland ſich begiebt, dahin an ihn und den Koͤnig
Philipp, ſeinen Schwaͤher, Botſchafter ſenden, zur weitern
38) Gesta Innocentii III. c. 83.
Auf dieſe Unterhandlung des Mark:
grafen Bonifaz mit dem Könige
Philipp bezieht ſich wahrſcheinlich
auch die Aeußerung Villehardouin's
(S. 43): En cui garde (c. a. d.
du Marquis) le Roy Philippe La-
voit recommande, qui sua seror
avoit à fame.
30) Nach dem Texte des oben (Anm.
33. 35) erwähnten Schreibens des
Papſtes Innocenz an den Kaiſer Ale—
rius könnte man glauben, daß die
erſten Unterhandlungen wegen der
byzantiniſchen Angelegenheiten mit
den franzöſiſchen Baronen durch Ge—
fandte des Königs Philipp wären
angeknüpft worden:
„Cum quo
(Philippo, Duce Sueviae) delibe-
rato consilio (Alexius) sic effecit,
quod idem Philippus nuntios suos
ad principes exercitus Christiani
sine qualibet dilatione transmisit,
rogans eos et petens, ut, quia pa-
ter suus et ipse fuerant jure suo et
imperio nequiter spoliati, cum eo
Constantinopolitanum deberent re-
gnum intrare, ac ad illud recupe-
randum eidem praestare consilium
et favorem.““ Man ſieht aber leicht,
daß hier von Geſandten des jungen
Alexius die Rede iſt, und es iſt alſo,
wenn nicht etwa der Text lückenhaft
iſt, für idem Philippus zu fegen:
idem Alexius.
154 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VI.
sb. Unterhandlung. So er uns beyſtehen will zur Eroberung
des Landes jenſeit des Meeres, ſo wollen auch wir ihm
helfen, damit er ſein Reich wieder gewinne, welches ihm
und ſeinem Vater, wie wir wiſſen, mit Gewalt iſt ge—
raubt worden . Es begaben ſich auch ſogleich einige
Botſchafter der Barone auf die Reiſe nach Deutſchland.
Nicht lange nach den erzaͤhlten Verhandlungen mit
den Venetianern ſowohl als den Abgeordneten des Prinzen
Alexius, wodurch die Unternehmung der franzoͤſiſchen
Barone eine ganz andere Richtung gewann, kamen der
Biſchof Conrad von Halberſtadt, ein eifriger Anhaͤnger des
Koͤnigs Philipp (welcher, um den verdrießlichen Haͤndeln,
welche Deutſchland damals verwirrten, ſich zu entziehen,
unmittelbar nach ſeiner Wahl zum Biſchofe das Kreuz ge—
nommen hatte), der Graf Berthold von Katzenellnbogen “*)
40) Alſo Villehardouin S. 27. 28.
Nach der Angabe des Papſtes Inno—
cenz III. (a. a. O.) erhielten die Ge⸗
ſandten von den Baronen zur Ant⸗
wort: quod, cum in tam arduo
negotio sine mandato et auctoritate
nostra non possent procedere nec
deberent, nos (i. e. pontilicem )
volebant consulere super his, ac
exinde praestolari nostrae beue-
placitum voluntatis,
dann, wie Innecenz weiter meldet,
dieſe Sache dem päpſtlichen Legaten,
dem Cardinal Peter, welcher bald
hernach nach Venedig kam, zur Be:
urtheilung vor, und füchten durch
deſſen Vermittelung nach um die Er⸗
laubniß des Papſtes zur Abſchließung
eines Vertrages mit dem jungen Ale:
xius. Auch der Markgraf Bonifaz
erforſchte bey ſeiner Anweſenheit zu
Rom, nach der Erzählung der Gesta
Innocentii III. (c. 83.), von fern
Sie legten
(coepit agere a remotis) die Gefin:
nung des Papſtes über die byzantini⸗
ſchen Angelegenheiten und fand, daß
der Papſt nicht geneigt war, ſchon
wegen ſeines feindſeligen Verhält⸗
niſſes zu dem Könige Philipp, der
Sache des jungen Alexius ſich anzu⸗
nehmen (intellexit, summi Ponti-
ficis animum ad hoc non esse di-
rectum).
41) Der Biſchof Conrad kam nach
dem Chronicon Falberstadiense
(Leibnitii Script. Brunsvic. T. II.
P. 143.) am 15. Aug. (Idus Augusti)
zu Venedig an. Der Wallfahrt des
Grafen Berthold von Katzenelln⸗
bogen (Beltous de Chassenele et
de Boghe) wird von Villehar⸗
douin (S. 23), und ſeiner Anwe⸗
ſenheit zu Conſtantinopel in einem
Briefe des Papſtes Innocenz III.
(Innoc. Ep. ed. Baluze Lib. XIV.
ep. 94. T. II. p. 594) erwähnt; vgl.
Die deutſchen Kreuzfahrer zu Venedig. 155
und blels andere Wallfahrer aus den Laͤndern des deutſchen
Reiches, nach Venedig, in der Hoffnung, mit den franzoͤ—
ſiſchen Kreuzfahrern ohne Verzug die Fahrt nach Alexan⸗
drien in Aegypten antreten zu koͤnnen.
Auch der Abt Martin kam damals nach Venedig mit
den Pilgern aus dem Elſaß und Helvetien, welche, bewo—
gen durch ſeine Ermahnungen, das Kreuz genommen und
ſeiner Fuͤhrung ſich anvertraut hatten. Als die Zeit ſich
naͤherte, welche zum Auszuge der Pilger war beſtimmt
worden: ſo begab ſich Martin zuvoͤrderſt nach Citeaux,
der Mutterabtey ſeines Ordens, um auch von dem dorti—
gen Abte und andern daſelbſt verſammelten Aebten ihren
Segen und die Erlaubniß zur Pilgerfahrt ſich zu erbitten,
wiewohl ihm ſchon fruͤher ſolche Erlaubniß von dem
Papſte war verwilligt worden; dann kehrte er in ſeine
Abtey zuruͤck, ordnete ſeine Angelegenheiten, empfahl ſich
dem Gebete ſeiner Kloſterbruͤder und eilte nach Baſel,
wo ihn die ſchon in großer Zahl verſammelten Kreuz—
a.
dominus Conradus Halberstaden-
sis. Auch der Kaiſer Balduin gedenkt
dieſes Biſchofs unter den Theilneh—
über dieſen Grafen Wenck heſſiſche
Landesgeſchichte Th. 1. S. 232. Der
Biſchof Conrad von Halberſtadt nahm
das Kreuz zu Quedlinburg am Palm:
ſonntage 1201 und trat am x. Mai
dieſes Jahres die Wallfahrt an, nach:
dem Albert, Domdechant zu Magde
burg, ihm dazu 880 Mark Silbers
geſchenkt hatte. Chron. Halberstad.
p. 142. Dieſe Chronik giebt eine aus:
führliche Nachricht über die Watt
fahrt des Biſchofs Conrad. Auch der
Mönch Alberik (ad a. 1202) erwähnt
der Pilgerſchaft dieſes Biſchofs: Ad-
juncti sunt eidem (Henrico, Vene
ttarum Duci) episcopus Bethlehem
et magister Johannes Acconensis
1 electus et unus episcopüs de Saxonia,
mern der damaligen Kreuzfahrt in
dem zweyten von Arnold von Lübeck
(Lib. VI. c. 20. in Leibnitii Scri-
ptor. Brunsvic, T. II. p. 724) mit:
getheilten Briefe. Von andern Pil-
gern, welche mit dem Grafen Bert:
hold und dem Biſchof von Halber—
ſtadt nach Venedig kamen, nennt
Villehardouin noch: Garniers de
Borlande, Tierris de Los, Henris
d’Orme, Tierris de Dies, Rogiers
de Suicre, Alexandre de Villers,
Odris de Tone. Vgl. Ducange zu
Villeh. S. 275. 270.
J. Chr.
1202,
156 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VI.
22 r fahrer mit Freuden empfingen. Nachdem er dort das
Volk zur chriſtlichen Froͤmmigkeit ermahnt, den Schutz
der heiligen Jungfrau für ſich und feine Gefährten ev
fleht ) und von dem Volke und der Geiſtlichkeit von
Baſel Abſchied genommen hatte: ſo fuͤhrte er ſeine
Schaaren durch die Thaͤler von Tyrol uͤber Trident nach
Italien. Ueberall wurden die Pilger auf dieſem Wege
mit großer Liebe empfangen; und nicht nur die Ein—
wohner der Staͤdte und Ortſchaften, welche auf ihrem
Wege lagen, ſondern auch die Einwohner entfernterer
Oerter kamen ihnen entgegen und brachten ihnen Lebens—
mittel fuͤr billige Preiſe. Der Abt Martin beſonders war
uͤberall auf dieſem Wege der Gegenſtand der Verehrung
und Bewunderung des Volks, welchem es als ein ſelt—
ſames Wunder erſchien, daß ein Abt es uͤbernommen
hatte, ein Kriegsheer zu fuͤhren. Martin aber lebte auf
dieſem Zuge mitten unter den Kriegern als Moͤnch, be—
obachtete, ſoviel die Geſchaͤfte, welche als Fuͤhrer des
Heers ihm oblagen, es verſtatteten, die Strenge des
kloͤſterlichen Lebens, verſagte ſich jede Bequemlichkeit und
vertheilte alles Geld, was er mit ſich genommen hatte
oder ſpaͤterhin durch milde Gaben frommer Chriſten erhielt,
unter die Duͤrftigen des Heers; in zwey Tagen ſpendete
er einſt hundert Mark Silbers, und am dritten Tage wie—
derum ſiebzig Mark. Das Volk ſtellte ihn wegen dieſer
Mildthaͤtigkeit und Uneigennuͤtzigkeit an Heiligkeit gleich
dem heiligen Martin von Tours, deſſen Namen er
fuͤhrte. Als Martin mit ſeinen Pilgern nach Verona
42) Ibi (Basileae) quoque sermo- Filio suo novum conciliaret exer-
ne exhortationis habito, se ipsum citum. Guntheri Historia Constan-
et socios beatae Virgini commen- tinop. p. vII.
davit, humiliter roganı, ut ipsa
Die deutſchen Kreuzfahrer zu Venedig. 157
kam, fo fand er dort bereits eine große Zahl anderer 75835
Kreuzfahrer aus verſchiedenen chriſtlichen Ländern ver
ſammelt, welche durch die Ankunft der deutſchen Pilger
ungemein erfreut wurden; und der Bifchof von Verona
nahm den frommen deutſchen Abt gaſtfreundlich auf in
ſeinen Palaſt und beherbergte ihn acht Wochen lang,
waͤhrend die Pilger zu Verona von den Muͤhſeligkeiten
der Reiſe ſich ausruhten. Nach ſolcher Ruhe fuͤhrte
Martin fein Heer nach Venedig ).
Die Freudigkeit, mit welcher die deutſchen Pilger
nach Venedig gezogen waren, verſchwand, als ſie vernah—
men, daß die franzoͤſiſchen Barone den Venetianern ihren
Beiſtand zur Unterjochung der Stadt Zara in Dalmatien
zugeſagt hatten; denn dieſe Pilger brannten vor Verlan—
gen, die Fahrt nach Aegypten anzutreten, weil ſie ver—
nommen hatten, daß Aegypten von einer ſchrecklichen
Hungersnoth, als Folge mehrjaͤhriger unvollkommener
Ueberſchwemmungen des Nils ), heimgeſucht würde, und
die Heiden auch in Syrien durch Erdbeben und Miß—
wachs *) in große Noth waren gebracht worden. Unter
ſolchen Umſtaͤnden glaubten die Pilger von den Heiden
keinen erheblichen Widerſtand fuͤrchten zu duͤrfen; ſie
waren vielmehr uͤberzeugt, daß die Eroberung von Aegyp—
ten und Syrien ohne große Schwierigkeit gelingen muͤßte,
wenn die Noth der Heiden ohne Zeitverluſt benutzt würde,
43) Gunther p. vr. vııt.'
44) Aegypto Nilus frugiferas
aquas, quibus eam rigare solet,
annis, ut ajunt, jam quinque sub-
traxerat. Gunther p. vrII.
45) Die Urſache dieſes Mißwachſes
wird in der Chronologia Roberti
Altissiodorensis (p. 265, 266) alſo
erzählt: Nam, cum terrae fructus
uberiores apparerent, et prae mul-
tis annis fertilius pullularent in
granis, subita cujusdam immissio-
ne nebulae ita segetes sunt corru-
ptae, quod vix dimidiam partem
seminis reddidere,
158 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
2220. Daher erhoben ſie heftigen Widerſpruch gegen jeden Auf—
ſchub der Fahrt nach Aegypten, indem ſie erklaͤrten, daß
der Krieg gegen Zara aus zwiefachem Grunde im Wider—
ſpruche ſtehe mit dem Geluͤbde derer, welche ſich dem
Kampfe für die Ehre Chriſti wider die Unglaͤubigen ge
weiht hätten, und daher für ein ruchloſes und verab—
ſcheuungswuͤrdiges Unternehmen zu achten waͤre: einmal,
weil dieſe Stadt eine chriſtliche Stadt waͤre, und dann,
weil ſie dem Koͤnige von Ungarn angehoͤrte, welcher das
Zeichen des heiligen Kreuzes truͤge und deshalb mit ſeinem
ganzen Reiche unter dem unmittelbaren Schutze des apoſto—⸗
liſchen Stuhls ſtaͤnde “). Die Venetianer aber ließen ſich
um ſo weniger in dem einmal entworfenen Plan ſtoͤren, als
die deutſchen Pilger eben ſo wenig als die franzoͤſiſchen
im Stande waren, die Zahlungen vollſtaͤndig zu leiſten,
welche die Venetianer von den Kreuzfahrern zufolge des
Vertrages zu fordern berechtigt waren. Viele deutſche
Pilger wurden daher, als ſie ſahen, daß ihr Wider—
ſpruch unbeachtet blieb, abtruͤnnig und kehrten in ihre
Heimath zuruͤck; einige gewiſſenhaftere begaben ſich nach
Rom, meldeten dem Papſt, was zu Venedig vorginge
46) Quae utique res nostris prin-
cipibus, tamquam Deum timenti-
bus, crudelis atque nefaria vide-
batur, tum quia civitas illa Chri-
stianae gentis erat, tum quia ad
Regem Hungariae pertinebat, qui
et ipse, signo crucis accepto, ut
moris est, sub protectionem Summi
Pontificis se et sua tradiderat. Gun-
ther p. vııı, Daß viele Kreuzfahrer
den Verdacht hegten, daß die Bene:
tianer mit Planmäßigkeit ſie in die
Nothwendigkeit geſetzt hätten, ihnen
in Hinſicht des Kriegs gegen Zara zu
Willen zu ſeyn, geht aus einer Nach⸗
richt des Albericus (ad a. 1202) hervor:
Interea, dum naves parantur, Ve-
netiani, callide cogitantes, ipsos
peregrinos
insulam, quae dicta est ad Sanctum
in quamdam parvam
Nicolaum, venire fecerunt et ibi
concluserunt, nec exire permise-
runt, donec iidem peregrini civi-
tatem Jazeram venientes, Venetia-
nis a longo tempore inimicam, ju-
rarent secum hostiliter expugnan-
dam. Vgl. Hugo Plagon S. 657.
658.
Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 159
und berathen wuͤrde, und baten um die Losſprechung
von der Verbindlichkeit ihres Geluͤbdes; Innocenz aber
gewaͤhrte ihnen nicht ihre Bitte, ſondern bewilligte ihnen
nur Friſt für die Vollziehung ihres Gelübdes auf einige
Jahre. Andere, zu welchen, bevor ſie die Pilgerfahrt
antraten, das Geruͤcht gelangte von der Verſchiebung
der Fahrt nach Aegypten, blieben nunmehr ruhig in ihrer
Heimath 7). g
Der Papſt Innocenz empfand heftigen Verdruß, als
er vernahm, daß die Venetianer die Kreuzfahrt, welche
er mit ſo großer Muͤhe und Anſtrengung zu Stande ge—
bracht hatte, zu ihrem Vortheile benutzten; und um ihre
eigennuͤtzigen Abſichten zu vereiteln, ſandte er ohne Ver—
zug den Cardinal Peter, damals Presbyter zu St. Mar—
cellus, als Legaten des apoſtoliſchen Stuhls nach Venedig
mit dem Auftrage, die Venetianer ſowohl als die Kreuz—
fahrer von dem ruchloſen Kriege gegen Zara abzumahnen,
und die letztern unmittelbar zum Kampfe gegen die Sara—
cenen zu fuͤhren. Die Venetianer aber achteten nicht auf
die Ermahnungen des Cardinals, und erklaͤrten ihm un—
umwunden, daß ſie ihn nicht anders auf eines ihrer
Schiffe aufnehmen wuͤrden, als wenn er ſich der Geſchaͤfte
eines Legaten enthalten und auf die Uebung des Predigt—
amts beſchraͤnken wuͤrde; er moͤchte, falls er dieſer Be—
dingung ſich nicht unterwerfen wollte, dahin gehen, woher
er gekommen waͤre 8).
Dieſe trotzige Abweiſung des paͤpſtlichen Legaten von
Seiten der uͤbermuͤthigen Venetianer erfuͤllte zwar die
deutſchen Kreuzfahrer, welche ihr Geluͤbde treulich zu
47) Gunther 1. c. Porte du Theil Lib. V, 161. Lib. VI.
48) Gesta Innoc. III. c. 85. Ep. 438. T. I. p. 331, 266. Gunther 1. c.
Innoc, III. ed. Brequigny et la
e
J. Chr.
1202.
160 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VI.
J. Ehr vollbringen wünſchten, und einen beſſern Erfolg der
—
Ermahnungen des paͤpſtlichen Legaten erwartet hatten?“),
mit großer Betruͤbniß; doch fuͤgten ſie ſich endlich dem
Willen der Venetianer, weil fie fuͤrchteten, durch laͤngern
Widerſpruch der Sache des heiligen Landes mehr zu
ſchaden als zu nuͤtzen, und ſich ſelbſt die Erfuͤllung ihres
Geluͤbdes unmoͤglich zu machen; ſie ließen ſich alſo bereit⸗
willig finden, an dem Kriege gegen Zara Theil zu neh—
men, jedoch unter der Bedingung, daß nach Beendigung
dieſes Krieges die Venetianer das Pilgerheer nach Alexan—
drien ohne weitere Hinderniſſe fuͤhren und begleiten, und
demſelben in dem Kampfe gegen die Heiden redlich bey—
ſtehen ſollten ). Der Abt Martin, als er ſah, daß
der dem Papſt mißfaͤllige und dem Zwecke der Kreuz—
fahrt nachtheilige Krieg gegen Zara nicht mehr gehindert
werden koͤnnte, begab ſich zu dem Cardinal Peter und
bat flehentlich um die Aufhebung ſeines Geluͤbdes und
die Erlaubniß, in die friedliche Stille ſeines Kloſters
zuruͤckzukehren; der Legat aber erfuͤllte nicht ſeine Bitte,
ſondern uͤbertrug ihm vielmehr kraft paͤpſtlicher Vollmacht
die Obhut uͤber alle deutſche Pilger, welche nach und
nach zu dem Heere der Kreuzfahrer gekommen waren,
und wies ihn und einige andere Geiſtliche an, das Heer
der Kreuzfahrer auf allen feinen Unternehmungen zu bes
gleiten und an der Vergießung chriſtlichen Bluts, ſoviel
als es ihnen möglich ſeyn würde, zu verhindern °*).
49) Gunther 1. c. Nach den ge-
stis Innocentii III. CI. c.) waren
auch die Franzoſen damit unzufrie⸗
den: Quamvis autem displicuisset
hoc Francis, rediit tamen (legatus)
inhonoratus a Venetis.
80) Accepta a Venetis certissima
sponsione, quod ipsi quoque ar-
mati nostros usque Alexandriam
et comitarentur et veherent. Gun-
ther p. ıx.
51) Gunther 1. c. Als der Biſchof
Conrad von Halberſtadt den Cardi⸗
nal Peter fragte, was er unter den
Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 161
Bald hernach verließ der Cardinal Peter Venedig? 2) 835
und meldete dem Papſte, was ihm widerfahren war;
und Innocenz ſandte hierauf an die Haͤupter des Pilger—
heeres Briefe, in welchen er alle Kreuzfahrer, welche,
anſtatt ihrem Geluͤbde gemaͤß gegen die Unglaͤubigen zu
kaͤmpfen, ihre Waffen gegen Chriſten und insbeſondere
gegen die Stadt Zara kehren wuͤrden, mit dem paͤpſt—
lichen Banne bedrohte. Die meiſten der zu Venedig
verſammelten franzoͤſiſchen Barone aber achteten weder
auf dieſe ſchriftliche Drohung des Papſtes, noch auf die
muͤndliche Ermahnung, welche der Abt Ogier von Loce—
dio, der geiſtliche Begleiter des Markgrafen Bonifaz,
hinzufuͤgte, als er die paͤpſtlichen Briefe ihnen über
gab 5); denn, nachdem ihnen durch die Unterhand—
ſtoliſchen Stuhls nicht anerkennen
und die Abſolution verſchmähen ſoll⸗
damaligen Verhältniſſen thun ſollte,
ſo erhielt er zur Antwort: plane Do-
minum Papam quodlibet inconve-
niens eorum (Venetorum) dissimu-
lare velle potius, quam peregrina-
tionis huius expeditio solveretur,.
. ne ipse isch aliquo modo
ab exercitu recederet, sed super
insolentiis eorum (Venetorum) hoc,
quod facere posset, toleret. Chron.
Halberstad. p. 143.
52) Er ging aber nicht nach Rom
zurück, wie aus einem Schreiben des
Papſtes hervorgeht (Ep. Inno. III.
1. c. L. VI, 4g. p. 266), in welchem
dem Cardinal auf ſeine ſchriftliche
Anfrage die Anweiſung gegeben
wird, das venetianiſche Heer, als
von Gott verſtoßen (tanquam a
Deo reprobatum) und feines Segens
verluſtig, zu verlaffen und nach Se:
ruſalem ſich zu begeben, falls die
Venetianer ihn als Legaten des apo—
V. Band.
ten. In Hinſicht der Franzoſen giebt
Innocenz dem Cardinal folgende Anz
weiſung: Cum Francis autem, si
*
sequi volierint perfidiam Veneto—
rum, secure procedas et super ab-
solutione Baronum, si forte suc-
cessores vel haeredes suos nolue-
rint obligare, provide facias, quod
tibi Deus diguabitur inspirare. Der
Brief iſt vom at. April (XI. Kal.
Maji) 1203 datirt, alſo erſt geſchrie⸗
ben, nachdem die Barone des Pilger:
heeres wegen der Eroberung von Zara
den Papſt um Verzeihung gebeten
hatten. Der, Cardinal war zu der
Zeit, als dieſer Brief geſchrieben
wurde, zu Benevent, und hatte die
Abſicht, von dort unmittelbar nach
Ptolemais ſich zu begeben. Gunther
P. X.
53) Gesta Innoc. III. I. c.
£
J. Chr.
1203.
162 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VI.
lungen mit dem Prinzen Alexius eine ganz neue Ausſicht
war eröffnet worden, fo war ihnen an der Beſchleuni—
gung der Fahrt nach Syrien oder Aegypten viel weniger
gelegen als zuvor. Einige franzoͤſiſche Pilger nahmen
jedoch das paͤpſtliche Mißfallen an dem Kriege gegen
Zara zum Vorwande, ſich von dem Heere zu trennen,
wie Graf Stephan von Perches, Rotrou von Montfort,
Ivo de la Valle und Andere, welche nach Apulien ſich
begaben, dort bis zum Fruͤhlinge des folgenden Jahres
verweilten und die Zeit der jährlichen großen Oſter—
meerfahrt abwarteten *), dann aber den übrigen Pils
gern, welche damals aus den apuliſchen Haͤfen nach dem
gelobten Lande fuhren, ſich anſchloſſen und auf ſolche
Weiſe die Verbindlichkeit ihres Geluͤbdes loͤſten ).
Auch der Markgraf Bonifaz von Montferrat, welchen
der Papſt Innocenz, als der Markgraf zu dieſer Zeit
nach Rom gekommen war, um wegen mancherley auf
die Kreuzfahrt ſich beziehende Angelegenheiten den Papſt
zu befragen, muͤndlich von dem Kriege gegen Zara ab—
5 **
54) Au passage de Marz. Ville⸗
hardouin S. 30. Um die Fahrt nach
dem gelobten Lande in zahlreicher
Geſellſchaft und eben dadurch mit
größerer Sicherheit zu machen, ver⸗
einigten ſich, ſeitdem die Chriſten
Syrien beſaßen, die Schiffe, welche
aus den italieniſchen und anderen
chriſtlichen Häfen der Küſte des mit:
telländiſchen Meers nach dem gelob—
ten Lande fuhren und dahin Pilger
und Waaren brachten in zwey Jahres—
zeiten zu bedeutenden Flotten, näm⸗
lich im März oder April und dann
ſpäter um Johannistag im Junius.
Daſſelbe geſchah auch auf ihrer Rück⸗
kehr aus Syrien nach dem Abend⸗
lande. Die erſte Fahrt hieß passa-
gium vernale, passagium paschae,
passagium Martii und transitus
vernalis, und ihrer wird zuerſt von
Wilhelm von Tyrus (XVII. g.) in
ſeiner Nachricht von der Kreuzfahrt
der Könige Conrad von Deutſchland
und Ludwig VII. erwähnt: die zweyte
hieß passagium aestivale und passa-
gium S. Joannis (baptistae). Vgl.
die von Ducange zu Villehardouin
(S. 177) und im Gloſſarium (V. Pas-
sagium) angeführten Stellen.
55) Qui mult en furent blasme.
Villeh. S. 30. 0
U
Mißverhaͤltniſſe des Papſtes u. d. Pilger. 163
gemahnt hatte, hielt davon ſich fern und blieb unter Ir
dem Vorwande dringender Geſchaͤfte zuruͤck in ſeiner
Markgrafſchaft °°).
56) Gesta Innocentii III. c. 85. gegen Zara keinen Antheil genommen
Villehardouin ſagt zwar (S. 34), daß habe, berichtet aber nicht die Urſache
der Markgraf Bonifaz an dem Kriege ſeines Zurückbleibens.
L 2
164 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
Siebentes Kapitel.
Jane Die Ankunft der deutſchen Pilger ſowohl als die Wir—
kung, welche die paͤpſtliche Abmahnung von dem Kriege
gegen Zara auf die Gemuͤther vieler Kreuzfahrer machte,
bewogen die Venetianer, die Abfahrt des Pilgerheeres
nunmehr zu beſchleunigen.
Nachdem die Barone die
Schiffe unter ſich, nach dem Beduͤrfniſſe eines jeden,
vertheilt und die Einſchiffung der Pilger und ihrer Roſſe
9. Oct. beſorgt hatten: fo lichtete am 8. October 1202 * die
prächtige Flotte von vierhundert und achtzig Schiffen ?)
1) As octave de la feste S. Remi,
en lan de l’Incarnation Jesu Christ
MCC. anz et II. Villeh. St. Remigius
iſt am x. October, die Abfahrt geſchah
alſo am 8. October, dem Tage vor
St. Dionyſius. Nach RNamnuſius
(Pp. 38): VIII. Idus Octob. ex die
Divo Remigio dicato IIX., qui
Venetiis stata quotannis Marcia-
Aedis Deo dicatae memoria
festus est. Nach der Chronik des
Andreas Dandulo Cp. 320): Dux
cum multitudine Venetorum et Ita-
licorum e portu de mense Octobris
feliciter exeunt. Nach dem Chro—
nicon Halberstadiense (in Leibnitii
nae
Script. Brunsvic. T. II. p. 143)
verließ die Flotte der Pilger den Ha:
fen von Venedig am 1. October 1201
(1202).
2) Nämlich, auſſer den funfzig von
Dandulo zugeſagten blos mit Vene:
tianern bemannten Schiffen (bire-
mes), 310 Transportſchiſſe (von wel—
chen 240 ohne Ruder blos durch die
Segel, velis quadratis, bewegt wur—
den und für den Transport der frem—
den Krieger, 70 für den Transport
der Lebensmittel beſtimmt waren),
und 120 Schiffe für den Transport
der Pferde (vuissiers). Ramnuſius
p. 33 nach venetlaniſchen Annalen.
Eroberung von Zara. 165
—
die Anker. Einen großartigen und prachtvollen Anblick ges
waͤhrten die herrlich gebauten und reichlich ausgeruͤſteten
Schiffe mit ihren ſchwellenden Segeln, flatternden Flaggen
und hohen Thuͤrmen, ſo wie die glaͤnzenden Schilder und
die vielen, mannichfaltigen und ſchoͤnen Paniere der
Ritter, welche an den Seiten der Schiffe und auf deren
Thuͤrmen 8) aufgeſtellt waren; und wer dieſe Flotte ſah,
welche das Meer bedeckte, ſo weit der Blick reichte, der
war uͤberzeugt, daß mit einer ſolchen Flotte die ganze
Welt erobert werden koͤnnte ). Dieſe Flotte führte
mehr als dreyhundert Petrarien und andere Wurfma—
ſchinen '); auch gebrach es nicht an anderem Belagerungs—
geraͤthe; und an Lebensmitteln war Ueberfluß.
Die Pilger ließen auf der Fahrt ſich bewegen, dem
Dogen von Venedig auch ihren Beyſtand zu gewaͤhren
Die Chronik des Andreas Dandulo
(a. a. O.) giebt nur die Zahl von
dreyhundert Schiffen an: trecento-
rum navigiorum fere stolus erat.
Eine große Zahl der venetianiſchen
Adligen, welche den Dogen auf dieſer
Fahrt begleiteten, wird von Ramnu—
ſius (p. 38) genannt; Admiral der
ganzen Flotte war Vitalis Dandulo,
und die Transpertfchiffe ſtanden un:
ter dem beſondern Befehle des Ga—
briel Superantius.
3) Li escu furent portendu en-
viron de borz et des chaldeals (d. i.
chastials oder castella, welche ſich
am Hintertheile des Schiffes befan—
den) des nes, et les banieres dont il
avait tant de belles. Villeh. S. 28.
Vgl. S. 50. wo es heißt: kurent
drecies les banieres et li confanon
es chastials des nes et les hosches
des escus (d. i. Zinnen der Schilde,
weil die Schilde gleichſam Zinnen
bildeten) et portendus les borz des
nes, Das letzte et in dieſer Stelle
muß geſtrichen werden. Vielleicht ſind
die letzten Worte alſo zu leſen, indem
nach hosches (Zinnen) ein Comma
geſetzt, und dieſes Wort noch zu cha-
stials gezogen wird: et les escus
portendus sur les (oder és) borz des
nes. Ueber das Aufſtellen der Schilde
an den Rändern der Verdecke, ſo daß
dieſelben eine Bruſtwehr bildeten
und Schutz gegen die feindlichen Ge:
ſchoſſe gaben (was die Griechen 0u0-
Kovro, norsev nannten) vgl. die ges
lehrte Anmerkung von Ducange zu
Villehard. S. 283 — 288.
4) Et bien sembloit estoire qui
terre deust conquerre. Villeh. S. 46-
5) Sachiez que il porterent es nes
de Perieres (Petrarias) et de Man-
goniax (Mangonellos) plus de CCC,
et toz les engins qui ont mestiers
à vile prendre à grant plente, ®iller
hard. S. 28. 20.
J. Chr.
10.
166 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
J zur Zuͤchtigung der Städte Trieſt und Muggia, welche
durch Seeraͤuberey die Schifffahrt auf dem adriatiſchen
Meere ſtoͤrten; dieſe Staͤdte aber wagten nicht den Kampf
gegen eine ſo uͤberlegene Macht, ſondern ſandten, als
der Doge mit einem Theile der Flotte nach Pirando ges
kommen war, Abgeordnete; gelobten fuͤr die Zukunft
Frieden und treuen Gehorſam, und redliche Bekaͤmpfung
und Unterdrückung der Seeraͤuberey; und die Stadt Trieſt
verſprach dem Dogen und ſeinen Nachfolgern einen Zins von
funfzig Faͤſſern ihres beſten Weins, und Muggia von fuͤnf
und zwanzig, jährlich am Feſte des heiligen Martinus zu
entrichten, worauf Abgeordnete beyder Staͤdte nach Ve—
nedig ſich begaben und dieſen Vertrag beſchworen. Heinrich
Dandulo aber beſuchte auf der Fortſetzung ſeiner Fahrt
beyde Städte und nahm ihre Unterwerfung an ).
6) Er war am 25. October zu Trieſt,
wo folgendes Protokol aufgenom:
men wurde: Anno MCCII Ind. VI,
actum in civitate Tergestina die v
Octobris exeunte. Dominus Noster
Henricus Dandulus Dei gratia Ve-
netiarum, Dalmatiae atque Croatiae
Dux, qui in servitio Cristianitatis
ultra Mare cum copiosa navium,
Galearum, Usseriorum ac Militum
multitudine erat iturus, altera die
Post egressum ejus de Venetia Pira-
num (Stadt und Hafen in Iſtrien)
applicuit. Nos vero homines Ter-
gestinae civitatis, qui ipsius gra-
tiam amiseramus, misimus de me-
lioribus Viris Civitatis nostrae, vi-
delicet Vitalem Gastaldionem, Pe-
trum Judicem, et alios plures, qui de
voluntate omnium hominum dictae
Civitats nos et Terram nostram, ac
omnia nostra suae potentiae facerent
subditos, et omnia praecepta Do-
mini jurarent, et sic Duci jurave-
runt; et nos in Civitatem Ducem
recepimus, et subponimus Nos suae
Dominationi et Potentiae. Facie-
mus servitia, ut aliae terrae Hi-
striae, capiemus Piratas a Rubino
infra, et captos Duci pracsentabi-
mus,
Vobis urnos (amfore im Italieni⸗
ſchen) optimi vini puri de nostro
Territorio 50 nostris expensis ad
Ripam Ducalis Palatii in Festo S.
Martini. Ein ähnliches Protokoll,
doch ohne Angabe des Monatstages,
wurde auch zu Muggia aufgenom—
men; und beyde Urkunden finden ſich
in Carli Antichitä Italiane T. V.
Appendice I. n. 19. 20. p. 40. 41.
Vgl. Andr. Danduli Chron. p. 329.,
und Marin Storia del Commercio
de’ Veneziani T. IV. p. 20— 22. Bil:
lehardouin erwähnt der Unterjochung
dieſer beyden Städte nicht.
Omni anno debemus solvere
r
1
Eroberung von Zara. 167
Am Tage vor St. Martin 2) erblickten die Pilger 125
die Stadt Zara, welche, auf einer Erdzunge liegend
und nur durch einen ſchmalen Landſtrich mit der Kuͤſte
von Dalmatien zuſammenhaͤngend 2), durch hohe Mauern
und Thuͤrme ſo trefflich befeſtigt war, daß die Pilger, als
ſie dieſer Stadt anſichtig wurden, uͤber ihre Feſtigkeit
erſtaunten und zu einander ſprachen: wie kann eine ſolche
Stadt mit Gewalt erobert werden, wenn Gott ſelbſt es
nicht thut“! Einige Schiffe, welche den übrigen vorange⸗
ſegelt waren, legten ſich ſofort vor den Mauern der Stadt
kn;
8
J. — 8
2 Nov.
vor Anker; und am andern Morgen, als die ganze Flotte u. Nov.
vereinigt war, an einem ſchoͤnen und heitern Tage, wurde
die Kette, wodurch der Hafen geſperrt war, unge—
achtet ihrer Feſtigkeit, geſprengt, und der Hafen mit
Gewalt genommen. Hierauf beſtiegen die Pilger ſo—
gleich das Land, brachten ihre ſtattlichen Streitroſſe
aus den Schiffen, ordneten noch an dieſem Tage, dem
Feſte des heiligen Martin, ihr Lager an der noͤrd⸗
7) La veille de la 8. Martin,
Villeh. S. 30.
8) Vgl. über Zara, außer den ältern
Beſchreibungen von Zara in Casi-
miro Freschot Memorie della Dal-
matia (Bologna 1687. 12), des Abts
Alberto Fortis Reiſen nach Dalma:
tien und anderen früheren Schriften:
Cassas Voyage pittoresque et histo-
zique d’Istrie et de Dalmatie (Paris
1802. fol.) p. 83. und E. F. Germar
Reiſe nach Dalmatien und in das
Gebiet von Raguſa (Leipz. u. Altenb.
1817) S. 107. Die Landenge, wo—
durch die Halbinſel, auf welcher die
Stadt liegt, mit dem feſten Lande
zuſammenhängt, iſt ſehr ſchmal (nach
Caſſas und ältern Nachrichten nicht
breiter als dreyßig Schritt, was jedoch
irrig zu ſeyn ſcheint und vieleicht
in dreyhundert Schritte zu verbeſſern
iſt) und durchgraben, ſo daß das
Meer die Stadt ganz umftteßt; und
über dieſen Canal führt eine durch
eine Schanze beſchützte Zugbrücke.
Die Stadt hieß im Mittelalter Jadera
oder Jadra (Jadres bey Villehardouin,
Id ao bey Nicetas p. 348.), auch Ja.
zera und Diadora; bey Hugo Plagon
S. 658 und 662. Ladres und Gadres;
die Einwohner wurden Jadertini ge:
nannt. Noch jetzt iſt Zara eine ſehr
wichtige Feſtung.
9) Et dirent li uns a autres: Co-
ment porroit estre prise tel ville
por force, se 8 ey mesmes nel
k Dilleb. S. 29.
e
*
J. Chr.
1202
2. Nov.
168 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
r. lichen Seite der Stadt, fo daß der Hafen fie von der
Mauer der Stadt trennte *°), und begannen damit die
Belagerung von Zara.
Die Einwohner der belagerten Stadt aber, ſchon
geſchreckt durch die Eroberung ihres Hafens, geriethen
in noch groͤßere Furcht, als ſie dieſes ſtattliche, durch
ſchoͤne Zelte und Paniere geſchmuͤckte Lager erblickten **),
ſandten ſchon am folgenden Tage Abgeordnete zu dem
Dogen und ließen ihm die Uebergabe der Stadt und
alles deſſen, was darin waͤre, anbieten gegen Sicherung
ihrer Perſonen. Der Doge aber, welcher dieſe Abgeord—
neten in ſeinem Zelte empfing, gab ihnen zur Antwort, daß
er weder dieſe noch andere Bedingungen genehmigen koͤnnte,
ohne den Rath und die Zuſtimmung der franzoͤſiſchen Grafen
und Barone, und mit dieſen Ruͤckſprache nehmen wollte.
Der Doge machte ſchon bey dieſer Veranlaſſung die
unangenehme Erfahrung, daß in dem Heere der Kreuz—
fahrer weder Eintracht noch Gehorſam gegen die Anord—
nungen der Fuͤhrer zu finden war, und daß es daher
großen Schwierigkeiten unterlag, von dem Beyſtande
dieſes Heeres die Vortheile zu gewinnen, welche er er—
wartete. Die Grafen und Barone riethen zwar dem
Dogen, die angetragene freywillige Uebergabe von Zara
anzunehmen; aber waͤhrend er mit ihnen ſich berieth,
ſprachen der Graf Simon von Montfort **) und einige
10) Et descendirent A terre. Si des nés, et maint bon Gerti (dex-
que li porz fu entr' aus et la ville. trarius, Streitroß) traire des vissiers,
Villeh. a. a. O. Ad veterem Divo- et maint riche tref (Zelte) et maint
rum Philippi et Jacobi aedem, quam pavillon. Villeh. S. 29. 30.
munitionis loco haberent, castra
ponunt. Hamnus. p. 40. Der Ha⸗
fen iſt nördlich von der Stadt.
ır) Lor veisiez (ihr hättet geſehen)
maint Chevalier et maint Serianz isır
12) Petri, Monachi coenobii Val-
lium Cernaii, historia Albigensium
(in Du Chesne Scriptor, rer, Gallic.
T. V.) cap. 10 p. 373.
Eroberung von Zara. 169
Ritter zu den noch im Lager ſich aufhaltenden und die J. or.
Antwort des Dogen erwartenden Abgeordneten der Stadt
alſo: Warum wollt ihr eure ſo trefflich befeſtigte Stadt
übergeben? die Pilger ſind nicht geſonnen, euch Leid zu⸗
zufuͤgen; und wenn ihr euch gegen die Venetianer halten
koͤnnt, fo habt ihr gewonnenes Spiel *?), Der Ritter
Robert von Boue begab ſich hierauf an die Mauer der
Stadt, und redete im Namen der übrigen, welch edieſen
Rath den Abgeordneten gegeben hatten, auf aͤhnliche Weiſe
zu denen in der Stadt *). Als nun die Grafen und
Barone mit dem Dogen in deſſen Zelt kamen, um den
Abgeordneten die Eroͤffnung mitzutheilen, daß die von
ihnen angetragene Uebergabe der Stadt angenommen
werde: ſo wurden ſie durch die Nachricht uͤberraſcht, daß
die Abgeordneten wieder in die Stadt zuruͤckgekehrt waͤren.
Sie hatten aber kaum dieſe Nachricht vernommen, als
der Abt Guido des in der Dioͤceſe von Paris gelegenen
Ciſtercienſerkloſters Baur de Sernay **) unter fie trat
und alſo ſprach: Ich verbiete euch, ihr Herren, im
Namen des Papſtes zu Rom, dieſe Stadt zu berennen;
13) Villeh. 30. 31. Cives autem
Jadrae, qui ibi (in castris) cauga
die Abficht an, das Heer aufzulöſen,
(depecier host) und die Kreuzfahrt
postulandae pacis advenerant, allo-
cutus est Comes nobilis (Simon
Montis - fortis) in praesentia baro-
num omnium in hunc modum:
Non veni, inquit, huc, ut destrue-
rem Christianos, nullum malum
vobis inferam, sed quidquid fa-
ciant alii, ego a me et meis vos
facio securos. Sic fatur, statimque
ipsi et sui a loco colloquii exie-
runt. Petr. Mon. I. c.
14) Als Urſache dieſes Verfahrens
giebt Villehardouin (S. 32. 33.) blos
rückgängig zu machen; vielleicht hatte
auch daran Antheil, bei Einigen die
Rückſicht auf die von dem Papſte aus—
geſprochene Mißbilligung der Bela—
gerung von Zara, bey Andern Hab—
ſucht und Beutegier. Denn die Beute,
worauf dieſe Kreuzfahrer gerechnet
hatten, ging verloren, wenn die
Stadt vermittelſt eines Vertrags über—
geben wurde.
15) Er wurde hernach Biſchof von
Carcaſſonne. Petr. Mon. I. c.
J. Chr.
1202.
15. Nov.
170 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
denn ſie iſt eine chriſtliche Stadt, und ihr ſeyd Pilger.
Dieſe unerwartete Wendung der Dinge brachte den Dogen
zwar in heftigen Zorn; er kehrte ſich aber nicht an den
Einſpruch des Abtes und redete zu den Grafen und
Baronen alſo: Dieſe Stadt war ſchon in meiner Gewalt,
und eure Leute haben ſie mir wieder genommen; doch ihr
habt verſprochen, mit mir ſie zu erobern, und ich fordere
euch feyerlich auf, euer gegebenes Wort zu loͤſen ne). Die
uͤbrigen Venetianer richteten ihren Unwillen gegen den
Abt, welcher das Verbot des Papſtes aufs neue ver—
kuͤndigt hatte, und ſie wuͤrden ihn getoͤdtet haben,
wenn nicht der Graf Simon von Montfort ihn beſchuͤtzt
haͤtte **).
Die Grafen und Barone gingen wegen der Aufforde—
rung des Dogen mit einander zu Rathe; und, da ſie darin
einverſtanden waren, daß ihre ritterliche Ehre es ihnen
nicht geſtattete, das gegebene Wort zu brechen, und das
durch die Umtriebe derer zum Ziele zu fuͤhren, welche
taͤglich an der Aufloͤſung des Heeres arbeiteten: ſo er—
klaͤrten ſie dem Dogen, daß es trotz des unwuͤrdigen
Betragens derer, welche die Uebergabe von Zara
hintertrieben haͤtten, ihr feſter Wille waͤre, den Vene—
tianern zur Eroberung dieſer Stadt redlich beyzuſtehen.
Am folgenden Tage ymlagerte das Heer die Thore von
Zara, es wurden die Petrarien und andere Wurfgeruͤſte
gegen die oͤſtliche Mauer an der Landſeite gerichtet, und
auf den Schiffen die Sturmleitern aufgeſtellt; und ob—
wohl die Belagerten an den Mauern Erucifire befeſtigt
hatten *), fo wurde dennoch die Beſchießung der Stadt
16) Villeh. S. 30 — 32. Vgl Petr. 17) Petr. Mon. I. c.
Mon. I. c. 16) Hinoc. III. Epist, ed. Bre-
/
Eroberung von Zara.
begonnen und während fünf Tage mit großer Gewalt
171
fortgeſetzt. Nur der Graf Simon von Montfort nahm
an der Belagerung keinen Antheil, und er und der Abt
Guido von Vaux de Sernay bezogen mit ihren Leuten
ein abgeſondertes Lagern“). Als am ſechſten Tage von den
Belagerern auch die Untergrabung eines Thurms unters
nommen wurde, ſo verzagten die Belagerten und uͤber—
gaben ſich und ihre Stadt dem Dogen unter der zuvor
angetragenen Bedingung ). Die Venetianer ſetzten ſich
hierauf in den Beſitz der Stadt und theilten die Beute,
welche fie fanden, mit den Kreuzfahrern.
quigny et la Porte du Theil. Lib.
V. ep. 161. (Exercitui Crucesigna-
torum) T. r. p. 231.
10) Petrus Mon. I. c.
20) Villeh. S. 32. 33. Die Bedin⸗
gungen, welche der Stadt Zara vor—
geſchrieben und ihren Deputirten zu
Venedig von Rainer, dem Sohn und
Stellvertreter des Dogen, eröffnet
wurden, find aus dem Liber secun-
dus Pactorum (einer aus fieben Bü:
chern und eben fo vielen Bänden be:
ſtehenden und jetzt im k. k. Hof: und
Staats- Archiv zu Wien befindlichen
Sammlung von venetian. Staats-
ſchriften) mitgetheilt worden in Marin
Storia del commercio de' Veneziani
T. IV. p. 30. 31. Auch die Chronik
des Andreas Dandulo enthält dieſe
Bedingungen (S. 32r) in einem Eur:
zen Auszuge, indem ſie hinzufügt,
daß dieſer Vertrag erſt abgeſchloſſen
worden ſey, nachdem die Einwohner
von Zara, welche nach der Einnahme
der Stadt entflohen waren, wieder in
den Beſitz derſelben ſich geſetzt hatten.
In dieſer Chronik (a. a. O.) wird
übrigens die Einnahme von Zara
durch die Kreuzfahrer ſehr unbefrie⸗
digend und abweichend von dem Be:
richte des Villehardouin alſo erzählt:
Nachdem der Doge des Beyſtandes
und der Zuſtimmung der Franken ſich
verſichert hatte (obtemperantibus
Francis), ermahnte er die Einwohner
von Zara zur Unterwerfung, und
als ſie nicht Folge leiſteten, ſo ließ
er die Stadt berennen. Die Belage—
rung währte nur Einen Tag, und
am folgenden ergab ſich Zara ohne
alle Bedingung, worauf der Doge
mit Zuſtimmung der anweſenden De:
netianer (consilio totius Populi Ve-
neti tunc praesentis) die Mauern
an der Seeſeite niederwerfen ließ
und dort zu überwintern beſchloß.
Die Bürger von Zara aber, da ſie
nicht hoffen durften, die Gnade des
Dogen ſich zu erwerben, wanderten
aus, dem Schutze des Königs von
Ungarn vertrauend. Nach der Erzäh—
lung des Günther (p. IX) dauerte
die Beſchießung von Zara drey Tage,
und es wurde blutiger Kampf ſorg⸗
fältig vermieden: Milites nostri ce-
leri cursu, sed mente tristi et tar-
da, regionis opposita littora tenue-
runt, ac ne in re odiosa et sibi
J. Chr.
1202.
1202,
172 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
Die Kreuzfahrer waren, nachdem Zara mit ſo leichter
Mühe war bezwungen worden, zwar berechtigt, zu for
dern, daß die Fahrt nach Aegypten ohne Aufſchub vor
ſich ginge; der Doge Heinrich Dandulo aber, welchem |
es vortheilhaft war, das Heer der Kreuzfahrer noch länger
in Dalmatien zuruͤckzuhalten, um in dem Beſitze der
eroberten Stadt ſich befeſtigen und ſie gegen einen Angriff |
des Königs von Ungarn deſto ſicherer beſchuͤtzen zu koͤnnen,
beredete die Grafen und Barone, bis zum Oſterfeſte des
nächſten Jahres ?*) in Zara zu verweilen, indem er ihnen
vorſtellte, daß wegen des in allen Laͤndern in dieſem
Jahre herrſchenden Mangels ſie waͤhrend des Winters an
keinem andern Orte hinlaͤngliche Lebensmittel finden wuͤr—
den, und ſich erbot, die Stadt Zara mit dem Pilgerheere,
ſo lange deſſen Aufenthalt daſelbſt dauern wuͤrde, zu theilen.
Die franzoͤſiſchen Grafen und Barone gaben dieſem Rathe
um ſo lieber Gehoͤr, als ſie nicht abgeneigt waren, zu
Zara den Erfolg der Unterhandlungen ihrer nach Deutſch—
land geſandten Abgeordneten mit dem Koͤnige Philipp ab—
zuwarten. Die Stadt wurde alſo fo getheilt, daß die Bene,
tianer an dem Hafen und in der Naͤhe ihrer Schiffe, und die
franzoͤſiſchen und andere Pilger in dem uͤbrigen Theile der
ipsis detestabili diuturnas agerent
moras, praefatam urbem maguo ter-
rore et fremitu obsederunt, eam-
que per triduum non tam hostiliter
quam minaciter oppugnantes, sine
caede et sanguine ad deditionem
compulerunt. Die Uebergabe der
Stadt kann übrigens nach der ge:
wiß zuverläſſigen Nachricht des Ville⸗
hardouin nicht ſpäter als etwa am
19. November geſchehen ſeyn; und
wenn in der Chronik von Halberſtadt
(in Leibnitii Script. Brunsvic. T.
—
II. p. 144.) es heißt: in die beati
Chrysogoni- (23. November), cujus
corpus in eadem civitate requiescit,
ab exercitu eadem civitas Iader,
occupata fuit: fo bezieht fich dieſe
Angabe, wie auch aus den un:
mittelbar folgenden Worten ſich er—
giebt, nicht auf die Uebergabe von
Zara an die Venetianer, ſondern auf
den Einzug des Heeres der Pilger in
die Stadt nach der ſpäter verabrede—
ten Theilung derſelben.
21) Das Oſterfeſt fiel im Jahre
Die Kreuzfahrer zu Zara. 173
Stadt ihre Herberge erhielten 2); und am Feſte des heili⸗ a eh
gen Chryſogonus, deſſen Gebeine zu Zara ruhen, nahmen die
Pilger Beſitz von der ihnen angewieſenen Haͤlfte der Stadt.
Die meiſten Pilger bezogen ihre Herbergen zu Zara
nicht ohne Unwillen und Erbitterung gegen die Venetianer,
durch welche ſie nicht nur waren genoͤthigt worden, eine
chriſtliche Stadt zu bekaͤmpfen und dadurch den Zorn
des Papſtes auf ſich zu laden, ſondern auch nunmehr
aufs neue an der Vollbringung ihres Geluͤbdes gehindert
wurden; ſie nannten Zara nicht anders als die Stadt
der Uebertretung 23). Dieſe Stimmung der Pilger ſtoͤrte
bald auch das aͤußere Vernehmen zwiſchen ihnen und den
Venetianern; und ſchoͤn am dritten Tage, nachdem das
Heer in die Stadt eingezogen war, erhob ſich um die
Veſperzeit ein heftiger und blutiger Kampf der Venetianer
und Pilger, ſo daß faſt in allen Straßen der Stadt mit
Schwertern, Lanzen, Bogen und Armbruͤſten geſtritten
wurde; und die Venetianer waren nicht im Stande, der
uͤberlegenen Zahl und Tapferkeit der Kreuzfahrer hinlaͤng⸗
lichen Widerſtand zu leiſten. Die verſtaͤndigern Maͤnner
des Heeres ?*) blieben zwar, als dieſer aͤrgerliche Kampf
entſtanden war, nicht muͤßig; ſie drangen, völlig geruͤſtet,
in die Mitte der Kaͤmpfenden und ſuchten mit Gewalt
1203 auf den 6. April.
22) Villeh. S. 33. Chron. Halber -
stad. I. c.
23) Urbem transgressionis ... sic
enim Jaderam nominamus. Epistola
Baronum Crucesignatorum ad uni-
versos fideles bey Arnold von Lübeck
Lib, VI. 19. P. 721, und Recueil des
historiens de la France T. XVIII.
p. 515. Jener Brief findet ſich auch
unter den Briefen des Papſtes Inno⸗
cenz III. Epist, Innoc. III, ed. Bre-
7
quigny et la Porte du Theil, Lib.
VI. 211. T. I. p. 410., und als ge:
meinſchaftlicher Brief aller Grafen
und Barone des Pilgerheeres in Ed-
mundi Martene et Ursini Durand.
Thesaurus novus Anecdotorum T7.
I. col. 787 — 791.
24) Li prudomme qui ne voloient
mie le mal. Villeh. S. 34. Die Ver:
anlaſſung dieſes Kampfes wird nicht
berichtet.
J. Chr.
1202.
Decbr.
174 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
und durch Zuſpruch dem Gefechte ein Ende zu machen;
lange aber waren ihre Bemuͤhungen ohne Erfolg, und wenn
es ihnen auch gelang, an Einem Orte Ruhe zu ſtiften,
ſo erneute ſich an einem andern Orte der ungeſtuͤme
Kampf mit verſtaͤrkter Erbitterung. Es wurde bis zur
ſpaͤten Nachtzeit geſtritten, und von beyden Seiten wur
den viele verwundet und getoͤdtet; die Pilger beklagten
am meiſten den Verluſt des Ritters Guido von Landas
aus einem edlen und beruͤhmten flandriſchen Geſchlechte,
welcher in dieſem heilloſen Kampfe am Auge verwundet
wurde und an den Folgen dieſer Wunde ſtarb. Erſt
nach mehreren Tagen war es dem Dogen von Venedig
und den Baronen der Kreuzfahrer möglich, durch vereis
nigte angeſtrengte Bemuͤhungen den aͤußern Frieden unter
den erbitterten Parteyen wiederherzuſtellen 2).
Die Aufmerkſamkeit der Venetianer ſowohl als der
Pilger wurde bald hernach durch andere Angelegenheiten
ſo ſehr in Anſpruch genommen, daß beyde Parteyen
jener Streitigkeiten nicht mehr gedachten. Vierzehn Tage
nach jener blutigen Nacht kamen der Markgraf Bonifaz
von Montferrat, Matthias von Montmorency 29) und
viele andere edle Pilger, welche in Italien zuruͤckgeblieben
waren, nach Zara; und ihre Ankunft belebte in den Pils
gern frohe Hoffnungen fuͤr den gluͤcklichen Fortgang ihrer
Pilgerfahrt. Vierzehn Tage ſpaͤter erfolgte die Ruͤckkehr
25) Lors orent li Dux de Venise
Douay. Vgl. Ducange zu Villeh.
et li Baron grant travail tote celle
semaine de faire paig de cele mel -
lee, et tant i travaillerent que pais
en fu, Dieu mercy. Villeh. a. a. O.
Landas war eine Baronie in der
Nähe von Orchies, im franzöſiſchen
Flandern, zwiſchen Tournay und
S. 278. .
26) Villehardouin (S. 34) nennt
noch unter den Pilgern, welche mit
dem Markgrafen Bonifaz nach Zara
kamen, den Ritter Peter von Brale⸗
cuel.
Die Kreuzfahrer zu Zara. 175
der Abgeordneten, welche mit dem Prinzen Alexius nach IP"
Deutſchland ſich begeben hatten; und die Vorſchlaͤge,
welche ſie uͤberbrachten, ſetzten die Gemuͤther aller Pilger
in große Bewegung, erregten aber auch aufs neue die
heftigſte Zwietracht.
Die Abgeordneten redeten in der Verſammlung,
welche in dem Palaſte gehalten wurde, wo der Doge
von Venedig ſeine Herberge genommen hatte, alſo: Der
Koͤnig Philipp laͤßt dem Dogen von Venedig und den
ſaͤmmtlichen Baronen des Heeres der Pilger durch uns
Folgendes entbieten: Er will zu euch den Bruder ſeiner
Gattin ſenden, welchen er der Hand Gottes, der ihn
vor dem Tode bewahren wolle, und eurem Schutze vers
trauenvoll uͤbergiebt. Da ihr euch bewaffnet habt zum
Kampfe fuͤr Gott, Recht und Gerechtigkeit, ſo geziemt
es euch wohl, wenn ihr es vermoͤgt, denen ihr Erbe
wiederzugeben, welche deſſelben durch Gewaltthaͤtigkeit
beraubt worden ſind. Auch ſollen euch ſo große Vor—
theile und ein ſo kraͤftiger Beyſtand zur Eroberung des
heiligen Landes gewaͤhrt werden, wie vor euch keinem
andern Pilgerheere. Wenn Gott es ſo fuͤgt, daß ihr
den Prinzen Alexius in ſeine Rechte wieder einſetzen
könnt: fo unterwirft derſelbe das Reich von Byzanz dem
apoſtoliſchen Stuhle zu Rom *); und, da er wohl weiß,
daß ihr euer Vermoͤgen aufgeopfert habt und darum
jetzt arm ſeyd: ſo wird er euch zweyhundert Tauſend
Mark Silbers geben und den Großen und Kleinen des
27) Tot premierement se Diex geraumer Zeit). Viuleh. S. 35. Vgl.
done que vos le remetez en son Andr. Danduli Chron. p. 321. Die:
heritage, il metra tot l’empire de fer Zufage erwähnt auch Nicetas
Romanie à la obedience de Rome (S. 348) mit großem Unwilten,
dont elle era partie piega (d. i. vor
176 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
W hr. Pilgerheeres Lebensmittel liefern nach ihrem Beduͤrfniſſe.
Auch iſt Alexius erboͤtig, entweder in eigner Perſon mit
euch nach Aegypten zu ziehen, oder, falls ihr ſolches
lieber wollt, zehn Tauſend Mann auf ſeine Koſten fuͤr die
aͤgyptiſche Unternehmung auszuruͤſten und waͤhrend eines
ganzen Jahres zu eurer Verfuͤgung zu ſtellen, ſo wie
auch, ſo lange er leben wird, beſtaͤndig fuͤnfhundert Mann
jenſeit des Meeres zur Vertheidigung des heiligen Landes
auf feine Koſten zu unterhalten 28). Die Abgeordneten
ſchloſſen ihren Vortrag mit der Verſicherung, daß ihnen die
Vollmacht ertheilt worden ſey, unter dieſen vortheilhaften
Bedingungen im Namen des Koͤnigs Philipp und des
Prinzen Alexius das Buͤndniß auf vollkommen bindende
Weiſe abzufchließen. „Der Doge 4 Heinrich Dandulo, der
Markgraf Bonifaz und die uͤbrigen Barone gaben zur
Antwort, daß ſie dieſe wichtige Angelegenheit in ſorg—
faͤltige Berathung nehmen wuͤrden.
Silbers, als Erſatz für den Schaden,
welchen ihnen der Kaiſer Manuel
Comnenus zugefügt hatte, und den
Kreuzfahrern die Wiedererſtattung des
Geldes, welches ſie den Venetianern
bezahlt hatten. Nach Günther (p. X. >
verhieß Alexius den Kreuzfahrern
dreyhundert Tauſend Mark Silbers.
„Aus dem Briefe des Grafen von St.
Paul an den Herzog Heinrich von
Nicetas behauptet, die Angelegenheit Prabant, welchen der Mönch Gott
des jungen Alexius fen nicht nur fried in feinen Annalen (ad. a. 1205
durch Briefe des Königs Philipp, fon: in Freheri Script. rer. Germ.
dern auch durch Briefe des Papſtes ed, Struve T. I. p. 368 sd.) mit:
28) Alſo Villehardouin (S. 35. 36).
Nach Nicetas (a. a. O.) verſprach
Alexius den Kreuzfahrern den bey:
ſtand von funfzig dreyrudrigen Schif—
fen (oiwepow'zare TCC h“ͥ u,
ue d ον . Pν uu nal
Nav _NEVTNAOVTE).
Uebrigens zeigt es von großer Un⸗
kunde der damaligen Verhältniſſe, daß
Tgıx00 Tom
(roöIane Pouns ty: ngsohvrigas)
den Kreuzfahrern empfohlen worden.
Nach der Chronik des Andreas Dan⸗
dulo a. g. O. verſprach Alexius den
Venetianern dreyßig Tauſend Mark
getheilt hat, geht hervor, daß die
von Alexius verſprochenen 2000
Mark Silbers zu gleichen Theilen
unter den Venetianern und Pilgern
getheilt werden ſollten.
*
Die Kreuzfahrer zu Zara. 177
Die franzöfifhen Grafen und Barone verſammelten
ſich zur Berathung am folgenden Tage. Sie waren aber
kaum verſammelt, als der Abt von Vaux de Sernay auf—
trat und erklaͤrte: daß es den Pilgern nicht gebuͤhre, in
die Angelegenheiten des byzantiniſchen Reichs ſich zu
miſchen, und aufs neue mit chriſtlichem Gelde zum
Kriege gegen Chriſten ſich dingen zu laſſen; ſondern daß
vielmehr ihnen obliege, ihre Fahrt nach Syrien fortzu—
ſetzen und dort durch redlichen Kampf wider die Heiden
ihr Geluͤbde zu loͤſen. Die uͤbrigen im Heere befindlichen
Aebte des Ciſtercienſerordens waren zwar nicht ſeines
Sinnes, und beſonders bemuͤhte ſich der Abt von Locedio,
darzuthun, daß die byzantiniſche Sache keinesweges den
Zwecken der Kreuzfahrt fremd waͤre; der Abt von Vaux
de Sernay beharrte aber bei ſeiner Meinung. Auch andere
Aebte und Geiſtliche, ſelbſt manche Ritter 2”) traten zu
dieſer Meinung und vertheidigten fie zum Theil mit Uns
geſtuͤm und Leidenſchaftlichkeit; ſie behaupteten, daß das
Heer nicht zahlreich genug waͤre, um ine ſo volkreiche
und feſte Stadt, als Conſtantinopel, zu bezwingen, und
erklaͤrten es fuͤr thoͤricht und vermeſſen, zum Vortheile
eines fremden Prinzen und ohne gegruͤndete Hoffnung
eines glücklichen und belohnenden Erfolgs, eine fo gefahr;
volle Unternehmung zu wagen. Andere dagegen ſprachen:
man ſieht aus dem Beyſpiele derer, welche aus anderen
Haͤfen nach Syrien ſich begeben haben, daß in dieſem
Lande gegenwaͤrtig nichts auszurichten iſt s); vielmehr
J. Chr.
1292.
kann Syrien nur erobert oder behauptet werden, wenn
20) Nach Villeh. S. 36: celle par- Vgl. das Schreiben der Barone des
tie qui voloit ost depecier. Pilgerheeres an den Kaiſer Otto bey
30) Bel Seignor, en Surie ne Arnold von Lübeck Lib. VI. cap. 19.
poez vos rien faire. Villeh. g. a. O. p. 725,
V. Band. M
178 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
9. Chr. wir uͤber Aegypten oder Griechenland gebieten; und es
wuͤrde uns zu ewiger Schande gereichen, wenn wir den
uns angetragenen vortheilhaften Vertrag von uns wieſen;
auch melden glaubwuͤrdige Nachrichten, daß der groͤßere
Theil der Bewohner von Conſtantinopel das Joch des
Thronraͤubers mit Unwillen traͤgt und nach Befreyung ſich
ſehnt. Alſo waren die Geiſtlichen dieſes Heeres nicht
minder als die Krieger in Zwietracht.
Der Markgraf Bonifaz von Montferrat und die Gra—
fen Balduin von Flandern und Hennegau, Ludwig von
Blois und Chartres, und Hugo von St. Paul kehrten ſich
aber nicht an den Widerſpruch derer, welche die Meinung
des Abtes von Vaux de Sernay vertheidigten; ſondern
begaben ſich mit den Baronen, welche ihnen anhingen,
in die Herberge des Dogen von Venedig; und nachdem
dorthin die Bevollmaͤchtigten des Koͤnigs Philipp und des
Prinzen Alexius *) waren gerufen worden, fo wurden
die Urkunden des Vertrags von beiden Seiten vollzogen;
und die Bevollmaͤchtigten verſprachen, daß vierzehn Tage
nach Oſtern der Prinz Alexius im Heere der Kreuzfahrer
31) Villehardouin erwähnt blos der
Rückkehr der von den Kreuzfahrern
nach Deutſchland geſandten Abgeord—
neten (vgl. oben S. 173). Daß dieſe
Abgeordneten aber von Bevollmäch⸗
tigten des Königs Philipp und des
Prinzen Alexius begleitet wurden,
war nach der Beſchaffenheit der Ver—
handlungen nothwendig und wird
auch von Günther (p. X.) ausdrück⸗
lich erzählt: Audiens autem (Philip-
pus Rex), exercitum nostrum, Ja-
zira expignata, circa ſines Graeciae
conversari, saepe dictum juvenem
cum nunciis et epistolis suis di-
scxit ad Principes, utrum, si fieri
posset, in regnum patris sui redu-
cere molirentur. Theutonicis au-
tem pro eo, quod sui juris esse vi-
debantur, hano rem curiosius et
imperiosius injungebat. Marchio-
nem, cognatum suum, ejus, quae
inter eos erat, commonebat propin-
quitatis. Flandrenses atque Fran-
cigenos et Venetos et aliarum regio-
num homines omni precum moli-
mine sedulos exorabat, certissime
promittens, si ille auxilio ipsorum
sedem suam reciperet, peregrinis
omnibus tam per Theutoniam quam
per totam Graeciam tutam ac libe -
ram in perpetuum patere viam.
Die Kreuzfahrer zu Zara. 179
ſich einfinden wuͤrde. Es beſchworen dieſen Vertrag von 7er
Seiten der Pilger außer den vier genannten Fuͤrſten nur
acht franzoͤſiſche Barone; alle andere verweigerten den
Schwur.
Es verſchlimmerte ſich aber die Stimmung der Pil⸗2. Chr.
ger mit jedem Tage; und den Fuͤhrern des Heeres war es
deshalb unmoͤglich, mit Erfolg den Umtrieben der Partey
entgegen zu arbeiten, welche nichts ſehnlicher wuͤnſchte,
als die ganze Kreuzfahrt ruͤckgaͤngig zu machen, und kein
Mittel unverſucht ließ, um Unzufriedenheit und Unmuth
zu erwecken. Faſt mit jedem Tage minderte ſich daher die
Zahl der Pilger; Viele benutzten die Abfahrt von Han—
delsſchiffen, um Zara zu verlaſſen und dem Heere ſich zu
entziehen, Andere entfernten ſich auf eben ſo muͤhſeligen
als gefahrvollen Landwegen. Von denen aber, welche zu
Lande in ihre Heimath zuruͤckzukehren oder ihre Pilger—
fahrt nach Syrien fortzuſetzen verſuchten, wurden Viele
durch die raͤuberiſchen felavonifchen Bauern 3?) erſchlagen
und dadurch die Uebrigen bewogen, zu dem Heere zuruͤck—
zukehren. Zu den Handelsſchiffen war der Andrang der
Pilger fo groß, daß einſt fuͤnfhundert auf Ein Fahrzeug
ſich begaben, und das Schiff, unfaͤhig, eine ſolche Laſt zu
tragen, verſank, und die abtruͤnnigen Pilger ertranken.
Unter denen, welche auf Handelsſchiffen ſich entfernten,
war auch der tapfere deutſche Ritter Werner von Bor—
land. Der franzoͤſiſche Ritter Rainald von Montmirail
erwirkte ſich durch die Fuͤrſprache des Grafen Ludwig
von Blois und Chartres eine Sendung nach Syrien und
32) Illyricimontani latrones (Mar- secure clavaque armati, IIIyricis
telosios vocant) feritate pernicita- montibus latrocinia exercent ac via-
teque insignes, speluncis et cavis ar- *toribus insidiantur. Rumnus. P. 48.
borum pro domo utuntur; et parva
M2
180 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
3 58. trat auf einem Schiffe der venetlaniſchen Flotte die Fahrt
dahin an, nachdem er uͤber heiligen Reliquien feyerlich
geſchworen hatte 33), nicht länger als vierzehn Tage dort
verweilen und nach Ausrichtung ſeines Auftrags ohne Ver—
zug zu dem Heere zuruͤckkommen zu wollen; er brach aber
ſeinen Schwur und blieb mit allen den Rittern, welche
ihn begleiteten 3°), im gelobten Lande. Ueberhaupt mas
ren, ſagt Villehardouin, ſo viele Uebelgeſinnte auf den
Schaden des Heeres bedacht, daß daſſelbe nicht ſich wuͤrde
zuſammengehalten haben, wenn Gottes Liebe es nicht ge—
ſchuͤtzt hätte ?°).
Unter ſolchen verdrießlichen Verhäͤltniſſn war die
Beſorgniß ſehr begruͤndet, daß das Heer noch bedeutendere
Verminderung erleiden wuͤrde, wenn Innocenz, wie er
gedroht hatte, die wider ſein ausdruͤckliches Verbot ge—
ſchehene Eroberung von Zara durch den kirchlichen Bann
ſtrafte; und daß Innocenz ſeine Drohung ins Werk ſetzen
wuͤrde, war eben ſo gewiß, als daß viele Pilger den uͤber
das Heer ausgeſprochenen Bann als Vorwand benutzen
wuͤrden, um daſſelbe zu verlaſſen. Die Barone beſchloſ—
ſen daher, eine Geſandtſchaft nach Rom zu ſenden, und
durch dieſelbe den Papſt, als ihren guten Vater 3°),
wegen der von ihnen begangenen Uebertretung ſeiner Ge—
bote demuͤthigſt um Verzeihung bitten zu laſſen. Auch
ließen ſie ſich vorlaͤufig durch die im Heere anweſenden
33) Et si jura sor Sains de son
poing destre etc, Villeh. S. 39.
35) Or poez savoir, Seignor (Vils
lehardouin redet feine Leſer an), que
si Diex ne amast ceste ost, qu'elle
34) Heinrich von Caſtel, der Neffe ne peut mie tenir ensemble à ce
des Rainold von Montmirail, Viz⸗
dom (Visdame) von Chartres, und
die Brüder Johann und Peter von
Froeville. Villeh. S. 39.
que tant de gent li queroient mal.
Villeh. S. 40.
36) Comme à lor bon pere. Bil:
leh. S. 41.
181
Biſchoͤfe von dem etwa auf ihnen laſtenden Banne Ipsfpres IE"
chen, indem ſie in die Haͤnde der Biſchoͤfe einen Eid ſchwu—
ren, wodurch ſie gelobten, alles, was ihnen der Papſt als
Genugthuung auflegen würde, zu erfüllen. Zu der Geſandt—
ſchaft nach Rom wurden der Biſchof Nevelon von Soiſ—
ſons, ein Praͤlat von großer Heiligkeit und anmuthiger
Beredſamkeit, und der gelehrte und in der Rede ge—
wandte Meiſter Johann von Noyon, Canzler des Grafen
Balduin, und aus den Layen die Ritter Johann von
Friaiſe und Robert von Boue erwaͤhlt; auch zog mit
ihnen der Abt Martin im Namen der deutſchen Pilger ).
Dieſe Geſandten wurden beauftragt, dem Papſte vorzu—
ſtellen: daß die Pilger, indem von ihnen zur Unterjochung
von Zara den Venetianern Beiſtand geleiſtet worden ſey,
nur einer unabwendlichen Nothwendigkeit nachgegeben
haͤtten, und daß die Schuld der Suͤnde, welche auf dem
Heere laſte, auf diejenigen zuruͤckfalle, welche ihrem Eide
zuwider nach andern Haͤfen ſich begeben und durch ihren
Abfall es unmoͤglich gemacht haͤtten, die gegen die Ve—
netianer uͤbernommenen Verbindlichkeiten auf andere Weiſe
zu erfuͤllen. Auch thaten die Grafen und Barone des
Heeres dem apoſtoliſchen Vater ihre Bereitwilligkeit kund,
nicht nur in den fernern Unternehmungen dieſer Kreuz—
fahrt ſeinen Vorſchriften gemaͤß ſich zu verhalten, ſondern
auch wegen des Ungehorſams, den fie ſich hatten zu
Schulden kommen laſſen, jede Genugthuung, welche der
Die Kreuzfahrer zu Zara.
37) Von Günther (p. IX.) werden
nur drey Geſandte genannt: der Bi⸗
ſchof von Solſſons (vir magnae san-
liter eruditus et sermone affabilis)
und der Abt Martin. Vgl. Ducange
zu Villeh. S. 280. Villehardouin
ctitatiset dulcis facundiae‘, der Mei:
ſter Johann, welchen er Johann von
Paris nennt (Magister Johannes Pa-
risiensis, homo Francigena, nobi-
(S. 40) erwähnt dagegen des Abts
Martin nicht.
tii III. (c. 87) nennen nur den Bi⸗
ſchof von Soiſſons als Abgeordneten.
Die gesta Innocen-
182 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
J. Chr.
1203.
Papſt ihnen auflegen wuͤrde, zu leiſten, und zu ſolchem
Gehorſam eidlich ſich zu verpflichten. Die Bevollmaͤch—
tigten der franzoͤſiſchen Pilger ſchwuren zwar vor ihrer
Abreiſe einen feyerlichen Eid uͤber heiligen Reliquien,
durch welchen ſie gelobten, ihren Auftrag getreulich aus—
zurichten und nach Ausrichtung deſſelben nach Zara zu—
ruͤckzukehren; der Ritter Robert de Boue aber brach die—
ſen Schwur und begab ſich nach Ptolemais in Syrien.
Die uͤbrigen franzoͤſiſchen Botſchafter dagegen leiſteten
redlich, was ſie uͤbernommen hatten.
Auch der Abt Martin kam eben fo wenig als der
Ritter Robert de Boue nach Zara zuruͤck, ſondern, nach—
dem er vergeblich den Papſt um die Aufhebung ſeines
Geluͤbdes gebeten hatte: ſo begab er ſich nach Benevent,
wo damals der Cardinal Peter auf eine Gelegenheit zur
Fahrt nach Ptolemais wartete, ſandte durch feine Rei—
ſegefaͤhrten den paͤpſtlichen Losſprechungsbrief an die zu
Zara verweilenden deutſchen Pilger, und begleitete den Car—
dinal auf deſſen Meerfahrt nach Syrien 38).
Innocenz, welcher den Umſtaͤnden nachzugeben wußte,
nahm dieſe Geſandtſchaft nicht unfreundlich auf und ge—
nehmigte die Unterwerfung der Grafen und Barone des
38) Epist, Innoc. III. ed, Bre-
quigny et la Porte du Theil Lib. v.
ep. 16T. 162. T. I. p. 230 — 232.
nur gegen die Venetianer; und nur
auf den gegen die Venetianer erlaffe:
nen päpſtlichen Bannbrief kann die
Beide Briefe ſind ohne Datum, und
der erſtere ſcheint ſchon vor der An:
kunft der von den Pilgern nach Rom
geſandten Abgeordneten geſchrieben zu
ſeyn. Uebrigens wurde, wie aus den
in den Briefen des Papſtes Innocenz
erwähnten Verhandlungen hervorgeht,
gegen die franzöſiſchen Barone wegen
der Eroberung von Zara der päpſtliche
Bann keinesweges vollzogen, ſondern
Nachricht des Mönchs Peter (Hist.
Albigensium c. 19. P. 673.) ſich be:
ziehen: Iterum (Barones exercitus)
aDomino Papa miserabiliter et gra-
vissime excommunicantur: et ego,
qui ibi (Jadrae) eram, testimonium
perhibeo veritatis, quia et litteras
vidi et legi, excommunicationem
Apostolicam continentes. Vgl.
Anm. 41. S. 184.
—
Die Kreuzfahrer zu Zara. 183
Pilgerheeres; ſchrieb ihnen aber ernſte Briefe 2°), in 2. chr.
welchen er ihr bisheriges Betragen ihnen nachdruͤcklich
verwies, ſie zur Reue und Buße ermahnte und unter An—
drohung des Bannes im Falle des Ungehorfams ihnen ge⸗
bot, die von den Venetianern angefangene Zerſtoͤrung der
Stadt Zara und die Pluͤnderung der dortigen Kirchen zu
hemmen und die geraubte Beute den Bevollmaͤchtigten des
Koͤnigs von Ungarn zuruͤckzugeben, ſo wie auch dieſen
Koͤnig mit Demuth um Verzeihung des von ihnen began—
genen Frevels zu bitten. Wir haben, ſchrieb Innocenz,
zwar von euern Abgeordneten vernommen, daß ihr nicht
aus freiem Entſchluſſe, ſondern durch die Noth gedrun—
gen, zur Eroberung von Zara geſchritten ſeyd, ſolches
dient aber nicht zu eurer Rechtfertigung; denn ihr ſelbſt
habt euch in ſolche Noth gebracht, und der Menſch muß
Haut um Haut und alles, was er hat, geben fuͤr das Heil
ſeiner Seele. Doch that er ihnen kund: daß er den Car—
dinal Peter als ſeinen Legaten bevollmaͤchtige, den Bann,
welchen die Kreuzfahrer verwirkt haͤtten, entweder ſelbſt
oder durch einen beglaubigten Stellvertreter aufzuheben,
unter der Bedingung, daß die Grafen und Barone den
verſprochenen Eid des Gehorſams leiſten, und Diejenigen,
welche ihn ſchon geleiſtet haͤtten, ihren Schwur als guͤltig
feyerlich anerkennen würden. Die von den Biſchoͤfen des
Pilgerheeres geſchehene vorlaͤufige Aufhebung des Bannes
erklaͤrte Innocenz für ungültig *°).
Den Auftrag, den von den Pilgern verwirkten Bann
vorläufig bis zur Ankunft des paͤpſtlichen Legaten aufzu—
heben, erhielten die beyden geiſtlichen Abgeordneten der
Pilger, der Biſchof Nevelon von Soiſſons und der Canzler
39) Innoc III. ep. I. c. p. 202. 40) Villeh. S. 41.
Gesta Iunoc, III. c. 87.
J. Chr,
1206.
184 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VII.
Johann von Noyon *). Dieſe aber uͤberbrachten zugleich
einen paͤpſtlichen Brief, in welchem über die Venetianer
der Bann ausgeſprochen wurde. Der Canzler Johann
hatte es gewagt, den Papſt zu bitten, daß er dieſen
Bannſpruch noch zuruͤckhalten moͤchte; Innocenz aber hatte
ihm geboten, zu ſchweigen.
Der Markgraf Bonifaz aber, als Oberfeldherr des
Heeres, ließ den gegen die Venetianer erlaſſenen paͤpſtli—
chen Bannſpruch nicht kund werden, in der Beſorgniß,
daß deſſen Verkuͤndigung die Aufloͤſung des Heeres zur
Folge haben möchte, und Bonifaz ſowohl, als die uͤbri⸗
gen Grafen, indem ſie dem Papſte die Abſchrift der von
ihnen dem Cardinal Peter zugeſandten Unterwerfungs—
urkunde * überreichen ließen, entſchuldigten in demuͤthi—
gen Briefen die von ihnen fuͤr nothwendig geachtete Ver—
heimlichung des paͤpſtlichen Bannbriefes und baten drin—
gend, daß Innocenz der Vollziehung des Bannes noch
4t) Brief der Barone des Pilger⸗
heeres (mit Ausſchluß des Markgra—
fen Bonifaz); Ep. Innoc. III. (edit.
oit) Lib. VI. ep. 99. P. 308. Vgl.
Villehard. p. 40. Gunther p. X.
Der Cardinal Peter und der Abt Mar:
tin ſegelten aus dem Hafen von Si—
vonto am 4. April (II. Non. April.)
und kamen an zu Ptolemais am
25. April (VII. Kal. April.) 1203.
43) Dieſe Urkunde lautete alſo: Bal-
duinus Flandriae et Hainoniae, Lu-
dovicus Blesensis et Carnotensis et
Hugo S. Pauli Comites, Oddo de
Chanlier et W. (Wilelmus ſ. Villeh.
S. 18) frater eius, omnibus, ad quos
literae istae pervenerint, salutem
in Domino. Notum fieri volumus,
quod super eo, quod apudJaderam in-
currimus excommunicationem apo-
stolicam vel incurrisse nos time-
mus, tam nos quam successores no-
stros Sedi apostolicae obligamus,
quod ad mandatum eius satisfactio-
nem curabimus exhibere. Dat. apud
Jaderam anno Domini 1203, mense
Aprilis. Ep. Inuoe. III. I. o Vgl.
oben S. 182. Anm. 38. Die beyden
Ritter Otto und Wilhelm von Chan—
lier (de Chamlite bey Villehardouin
z. B. S. 44) leiſteten im Namen der
übrigen Barone die Gewähr dieſer
Urkunde (Barones se esse confessi
sunt). Die Grafen bemerkten aber
ſpäterhin, wie ſie in ihrem Schreiben
an den Papſt ſagen, daß die Siegel
jener beiden Ritter an der Original—
Urkunde fehlten. Vgl. gesta Inno-
centii III. c. 87.
Die Kreuzfahrer zu Zara. 185
Anſtand geben möchte. Doch erklaͤrten fie ihre Bereltwil, N. br.
1203.
ligkeit, falls der Papſt es wiederholt gebieten wuͤrde, die
Bannbriefe ohne Ruͤckſicht auf die Folgen, welche daraus
vermuthlich entſtehen würden, kund zu machen 8). Der
Markgraf Bonifaz insbeſondere rechtfertigte ſein Beneh—
men in dieſer Angelegenheit durch den von dem Papſte
ſelbſt ihm empfohlnen Grundſatz, daß Ort und Zeit Mans
ches zu uͤberſehen nothwendig machten *); auch gab er
die Verſicherung, daß die Venetlaner, wie er von befreun—
deten Männern aus ihrer Mitte wiſſe, die Abſicht haͤt—
ten, durch einen Botſchafter des Papſtes Nachſicht und
Gnade wegen der Eroberung von Zara zu erbitten.
Da aber dieſer Botſchafter nicht erſchien, und die
Venetianer uͤberhaupt keine Reue bewieſen: ſo ſandte In—
nocenz an die Grafen und Barone den Befehl, den wider
die Venetianer erlaſſenen Bannbrief ohne Verzug dem
Dogen Heinrich Dandulo einzuhaͤndigen *), und ev
mahnte die Kreuzfahrer in zwey nach einander an ſie ge—
richteten Briefen »), durch ihr ferneres Betragen die
Aufrichtigkeit ihrer Reue darzuthun, und die Fahrt nach
dem gelobten Lande nicht laͤnger unter nichtigem Vor—
wande zu verſchieben, ſondern recht bald durch redlichen
und tapfern Kampf wider die Heiden die Schmach des
Gekreuzigten zu raͤchen. Er geſtattete zwar den Pilgern,
weil das Frachtgeld einmal ſey bezahlt worden, und damit
nicht den Kreuzfahrern ihre Bußfertigkeit Schaden, und
43) Ep. Innoc, III. I. c. 45) Ep. Innoc. III. (ed, cit.) Lib.
VI. ep. ıor. p. 310, Vgl. gesta In-
nocentii III. c. 87.
43) Reminiscens de consilio vestro
multa dissimulanda fore loco et
tempore. Ep. Innoc, III. ed, citat, 46) Ep. Innoc. III, (ed. cit.) Lib.
Lib. VI. c. rob. p. 809. VI, ep. 101. 102. p. 309 - 312.
186 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VII.
Tenn den Venetlanern ihre Halsſtarrigkeit Vortheil bringen
möchte, der venetianiſchen Schiffe zur Fahrt nach dem
gelobten Lande ſich zu bedienen, und den Umgang mit
den Venetianern fortzuſetzen, fo lange die Fahrt dauern
würde, und fo weit, als es die Nothwendlgkeit forderte
und kirchliche Geſetze zuließen. Er machte aber ihnen zur
Pflicht, alle Gemeinſchaft mit den Gebannten aufzuheben,
ſobald ſie das Land von Jeruſalem oder das Gebiet der
Heiden betreten haben wuͤrden; auch warnte er ſie, nicht
in Gemeinſchaft mit den Venetianern wider die Sarace—
nen zu ſtreiten, damit es ihnen nicht ergehen moͤchte, wie
dem Volke des alten Bundes, welches durch die Gemein—
ſchaft mit Achan und andern Suͤndern mehr als einmal
ſchmachvolle Niederlagen ſich zugezogen hätte »). Ueber
haupt empfahl er den Pilgern fuͤr den Verkehr mit den
Venetianern jede Vorſicht und Klugheit, indem er ihnen
den Rath gab, während der Fahrt ſich eines nachgiebigen
und friedfertigen Betragens zu befleißigen, und erſt dann,
wenn ſie an dem beſtimmten Orte angelangt ſeyn wuͤr—
den, die Ruchloſigkeit der Venetianer bey ſchicklicher Ge—
legenheit und in der rechten Weiſe zu beſtrafen “).
47) Ep. Innoc. III. I. c. P. Zrr.
Die Chronik von Halberſtadt giebt
(p. 144) ſehr richtig den Hauptinhalt
dieſes päpſtlichen Schreibens, ſo weit
daſſelbe auf das Verhältniß der Pil⸗
ger zu den Venetianern während der
Fahrt ſich bezieht, alſo an: Si vero Ve-
neti beneſicium parvi penderent ab-
solutionis, nihilominus tamen ipsis
communicandum foret, quoniam
peregrinis, in navibus Venetorum
tanquam in eorum domiciliis habi-
tantibus, sententia excommunica-
tionis in Venetos tanquam in pa-
tresfamilias lata in peregrinorum
tanquam in piorum familiam non
transiret. g
48) Provideatis autem prudenter
et caute, ut, si forte Veneti volue-
rint occasiones aliquas invenire,
quod exercitus dissolvatur, multa
pro tempore dissimulare ac tolerare
curetis, doneo ad locum pervene-
ritis destinatum, ubi, opportunitate
accepta, eorum, ut expedit, mali-
tiam comprimatis. Ep. Innoc. III.
I. C. p. 319.
187
Da Innocenz durch den Cardinallegaten Peter von 9785.
den fernern Verhandlungen war unterrichtet worden,
welche zu Zara zwiſchen den Kreuzfahrern und dem Prin—
zen Alexius Statt gefunden hatten *°): fo ermahnte er die
Pilger nachdruͤcklichſt in den erſten der erwaͤhnten beyden
Briefe, ſich der Einmiſchung in die byzantiniſchen Ange—
legenheiten zu enthalten. Keiner von Euch, ſchrieb er,
ſchmeichle ſich mit der Meinung, als ob es erlaubt ſey,
das Land der Griechen zu erobern und auszupluͤndern,
weil der gegenwaͤrtige Kaiſer von Conſtantinopel feinen
Bruder geblendet und von dem Throne geſtoßen und das
Reich ſich angemaßt hat; als ob das Land der Griechen
nicht unter dem Schutze des apoſtoliſchen Stuhles ſtaͤnde
und demſelben unterworfen wäre. Wie ſtrafbar auch ims
mer der Kaiſer und deſſen Unterthanen wegen jenes und
anderer Verbrechen ſeyn moͤgen, ſo iſt es doch nicht eures
Amtes, daruͤber zu richten, und ihr habt nicht das Zei—
chen des Kreuzes genommen, um Raͤcher dieſer Unbill zu
ſeyn; ſondern euch liegt ob, die Schmach des Gekreuzig—
ten zu rächen, deſſen Dienſte ihr euch geweiht habt?“).
In dem zweyten jener beiden Briefe aber ſchrieb Ins
nocenz alſo: Wir werden an unſern geliebten Sohn in
Chriſto, den Kaiſer von Conſtantinopel, ſchreiben und ihn
auffordern, euch mit Lebensmitteln zu verſorgen, was er
Die Kreuzfahrer zu Zara.
49) Ep. Innoc. III. (ed. cit.) Lib.
VI. ep. 48. Pp. 266. Accepisti, ſchrieb
die Nachricht des Alberleus (ad a.
1202), daß der Papſt zu der byzanti⸗
Innocenz an den Cardinal Peter, pro
certo, quod Veneti cum filio
quondam Imperatoris Constantino-
politani, quem ducere secum inten-
dunt, veliut in Graeciam profi-
cisci. Die Barone ſcheinen dem
Papſte von dieſen Verhandlungen keine
Nachricht gegeben zu haben. Denn
niſchen Unternehmung auf das Anfus
chen der Barone des Pilgerheeres ſeine
Zuſtimmung gegeben habe, iſt aus
einer ganz unſichern Quelle gefloſſen
und widerſpricht den im Texte aus
päpſtlichen Briefen angeführten Aeu⸗
ßerungen. 1
50) Ep. Innoc. III. I. C. p. 510,
J. Chr.
1203.
188 Geſchichte der Kreugzäge. Buch VI. Kap. VII.
uns auch ſchon in ſeinen Briefen zugeſagt hat. Sollten
ſie euch aber verſagt werden, obwohl ihr dem Gekreuzig—
ten dient, welchem die ganze Erde mit allen ihren Bewoh—⸗
nern gehoͤrt: ſo iſt es in der Ordnung, daß ihr euer
Beduͤrfniß nehmet, wo ihr es findet, jedoch mit Furcht
des Herrn, mit dem aufrichtigen Vorſatze, Genugthuung
zu geben, und ohne Beſchaͤdigung der Perſonen, auf gleiche
Weiſe, als in dem buͤrgerlichen Rechte dem Kaiſer die
Befugniß zugeſtanden wird, aus ſeinem Lande dasjenige
zu nehmen, deſſen fein Kriegsheer bedarf? “).
Solche Warnungen, Ermahnungen und Zuſicherungen
kamen aber zu ſpaͤt; und die Botſchafter der Kreuzfahrer
hatten noch nicht Rom verlaſſen, als ſie die Nachricht
erhielten, daß der Prinz Alexius zu Zara eingetroffen
waͤre, und die Pilger zur Fahrt nach Conſtantinopel ſich
anſchickten ).
31) Ep. Innoc. III. I. c. p. 312.
Günther (p. X) trägt dieſe Aeuße—
rung des Papſtes mit folgenden Wor⸗
ten vor: Permittebat (summus pon-
tifex) eis, ut de maritimis locis Ro-
maniae, quam alluit id mare, cibos
inemptos, id est, absque pretio,
moderate tollerent, qui eis ad an-
num dimidium possent sufficere.
Günther behauptet, Innocenz habe die
byzantiniſche Unternehmung blos Des:
wegen gemißbilligt, weil er davon kei⸗
nen glücklichen Erfolg erwartet habe:
dicens, eandem urbem (Constanti-
nopolin) plus in solis navibus pis-
catorum abundare quam illos in
toto navigio; habebat enim mille
sexcentas piscatorias navcs, qua-
rum quaelibet per totum annum
ad quatuordecim dies ſisco regio
persolvebat nummum aureum, qui
perperam vocari solet Ferdoni (ein
Vierling, ſ. Adelung, Glossar, v.
Ferto), ig est, quartae parti Mar-
cae unius aequivalens; bellicas au-
tem sive mercatorias habebant in-
finitae multitudinis et portum tu-
tissimum. Innocenz mißbilligte dieſe
Unternehmung beſonders deswegen,
weil fie dem Kreuzzug eine ganz ans
dere Richtung gab, als es in ſeinem
Plane lag.
52) Gunther 1. c. Dieſe Nachricht
konnten wohl erſt diejenigen Geſandten
erhalten, welche die Unterwerfungs—
ſchreiben der Grafen und Barone an
den Papſt im April 1203 nach Rom
überbrachten; denn Alexius kam nach
Villehardouin (S. 42.) zu Zara an
erſt kurz vor der Abfahrt der Flotte
nach Corfu. Nach der Angabe des
Die Kreuzfahrer zu Zara. 189
Die Barone des Pilgerheeres ließen um fo weniger br.
von der beſchloſſenen Unternehmung durch die päpftliche
Abmahnung ſich abwendig machen, als fie nicht fich über;
zeugen konnten, daß der Papſt mit diefer Abmahnung es
ſehr ernſtlich meinte. Die Mißbilligung ihres Vorhabens,
welche der Papſt in ſeinen Briefen ausſprach, ſchien ihnen
nur in den damaligen Mißverhaͤltniſſen des roͤmiſchen
Stuhls mit dem Koͤnige Philipp, dem Eidam des ungluͤck—
lichen Kaiſers Iſaak und Schwaͤher des jungen Alexius,
begruͤndet zu ſeyn, und ſie hofften daher, daß, ſobald
dieſe Mißverhaͤltniſſe ſich ausgeglichen haben wuͤrden, die
Anſicht des Papſtes von den byzantiniſchen Angelegenhei—
ten ſich aͤndern wuͤrde. Innocenz der Dritte, ſprachen
die Barone, hat nicht weniger, als ſeine Vorfahren, Ur—
ſache die ketzeriſchen und abtruͤnnigen Griechen zu haſſen,
und wenn er auch im gegenwaͤrtigen Augenblicke ſich ſtellt,
als ob er der Freund des Thronraͤubers Alexius ſey, ſo
wird er im Grunde ſeines Herzens es doch nicht ungern
ſehen, daß die vielfaͤltige, von den Griechen in fruͤherer
Zeit dem apoſtoliſchen Stuhle zugefuͤgte Beleidigung end—
lich empfindlich geſtraft und die griechiſche Kirche mit
Gewalt in den Schooß der roͤmiſchen zuruͤckgebracht werde;
und uͤberhaupt, falls es uns gelingen wird, das griechi—
ſche Reich uns dienſtbar zu machen: ſo wird die Herr—
ſchaft uͤber Conſtantinopel und die uͤbrigen Staͤdte und
Chronicon Halberstadiense (pag.
244.) kam Alexius am St. Marcus⸗
tage (25. April) 1203 nach Zara. Die
Unterhandlungen der Barone mit dem
Papſte mögen etwa im Februar oder
März 1203 begonnen haben, im April
kamen die erſten Geſandten zurück
(ſ. Anm. 41), und hierauf überſandten
die Barone dem Papſte die Abſchrift
der Unterwerfungsurkunde (f. Anm.
42) durch eine zweite Geſandtſchaft,
welche auch den Anm. 44 erwähnten
Brief des Markgrafen Bonifaz über—
brachte, noch während des Aprilmo:
nats 1903.
\
190 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. VII.
* Sr Lander des griehifhen Kalſerthums der ganzen abend»
laͤndiſchen Chriſtenheit ſo wichtige Vortheile gewaͤhren
und die Wiederherſtellung und Behauptung der chriſt—
lichen Herrſchaft im gelobten Lande ſo ſehr erleichtern,
daß der apoſtoliſche Vater feine Gnade uns nicht vorent—⸗
halten wird, ob wir auch jetzt in dieſer Sache ſeinen
Rath nicht befolgen. Andere Pilger, welche nicht ſowohl
jene entferntern Folgen bedachten, als ihren unmittelbaren
Vortheil beruͤckſichtigten, verſchloſſen der paͤpſtlichen Abs
mahnung ihr Ohr, weil ſie der Hoffnung, in der wegen
ihres unermeßlichen Reichthums geprieſenen Hauptſtadt
durch anſehnliche Beute ſich zu bereichern, nicht entſagen
wollten; und manchen Pilgern geluͤſtete ſogar nach der
Pluͤnderung der betraͤchtlichen Schaͤtze von Reliquien,
welche in den Kirchen von Conſtantinopel aufbewahrt
wurden 8).
Nur der Graf Simon von Montfort, welcher ſchon
zuvor, dem paͤpſtlichen Befehle gehorchend, von der Bela
gerung von Zara ſich fern gehalten hatte, bewies auch in
Hinſicht der byzantiniſchen Angelegenheit ſich folgſam
gegen den apoſtoliſchen Stuhl. Als die Anſtalten zur Fort—
ſetzung der Fahrt nach Conſtantinopel ſchon beendigt, und
die Schiffe ſegelfertig waren, und alle uͤbrigen Pilger, mit
Sehnſucht den Tag der Abfahrt erwartend, am Tage nach
dem Oſterfeſte ihre bisherigen Herbergen in der Stadt Zara
verlaſſen und am Hafen ſich gelagert hatten, entfernte ſich
der Graf Simon ploͤtzlich aus dem Heere, um die fernere
Gemeinſchaft mit Suͤndern zu meiden ), und begab ſich
7. April zu dem Könige von Ungarn; ihn begleiteten fein Bruder
83) Gunther p. X. XII. gensium cap. 19. p. 573. Vgl. Al-
54) Exiens a consortio peccato- bericus, ad a. 1203. Hugo Plagon
rum. Petri Monachi histor. Albi- S. 638.
Die Kreuzfahrer zu Zara.
191
Veit und die Ritter Simon von Neaufle, Robert von
Mauvoiſin, Dreux von Creſſoneſſart, ſo wie auch der Abt
von Vaux de Sernay und viele andere Pilger °°).
Sie
begaben ſich ſpaͤterhin auf ſehr beſchwerlichen Wegen nach
Apulien und fuhren von dort nach dem gelobten Lande“).
Das Beyſpiel dieſer Pilger wurde bald hernach von den
Bruͤdern Engelram und Hugo de Boue und den uͤbrigen
Rittern ihres Landes nachgeahmt, und das Heer erlitt
durch die Entfernung ſo vieler tapferer Ritter aufs neue
ſehr betraͤchtlichen Schaden 7).
55) Villeh. S. Ax. 2. Hugo von
Plagon (S. 688) nennt außer den im
Texte vorkommenden noch folgende
Pilger, welche damals das Heer vers
ließen und nach Syrien ſich begaben:
Stephan von Perches, Rainald von
Montmirail und den Abt von Sar—
quanciau, falls der letzte Name rich:
sig iſt, und nicht etwa aus dem Abte
von Vaux de Sernay durch einen
Fehler der Abſchreiber oder ein Ver:
ſehen des Schriftſtellers zwey Aebte
gemacht worden find (Labs de Vaus
et l’abe de Sarquanciau),
86) Petr. Mon. p. 674.
857) Villeh. S. 42. Auch der Abt
Adam von Trappe verließ damals das
Heer. Albericus I. c.
J. Chr.
1203.
192 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
— —— ͤẽ— —ñ— — zn
Achtes Kapitel.
a Der Prinz Alexius wurde zu Zara mit großen Ehren
Ma
—
aufgenommen, der Doge von Venedig uͤberließ ihm ſogar
einige Schiffe ), und bald nach feiner Ankunft, nachdem
die Schleifung der Mauern von Zara durch die Venetianer
indeß war vollendet worden, ſegelte die Flotte mit guͤnſti⸗
gem Winde aus dem dortigen Hafen 2), fuhr vor der alten
Stadt Spalatro oder Salona vorbey und warf zuerſt
vor dem Hafen von Dyrrachium ihre Anker. Dieſe Stadt
zoͤgerte nicht, den Prinzen Alexius als rechtmaͤßigen Kaiſer
anzuerkennen und ihm als ſolchem zu huldigen 8); worauf
die Flotte, ohne bey Dyrrachium zu verweilen, ihre Fahrt
fortſetzte nach der Inſel Corfu, welche zum Sammelplatze
der ganzen Macht der Pilger war beſtimmt worden. Sie
legte in den erſten Tagen des Maimonats des Jahres 1203
bey dieſer Inſel an; und da ein Theil des Heeres, wel—
cher noch waͤhrend des Aprils dieſes Jahres und vor der
1) Villehard. S. 22. Vgl. Chron. Abfahrt der Pilger von Zara erſt auf
Halberstad. p. 144. den 15. Mai (Idibus Maii),
2) Villehard. S. 41. Das Chroni- f
* [2 2 N
con Halberstadiense (I. c.) ſetzt die 3) Villeh. S. 42. Nicetas p, 339,
\
uns‘ —
77 193
ern,
Die Kreuzfahrer zu Corfu.
Ankunft des Prinzen Alexius ) vorangegangen war, fchon
vor den Mauern der Stadt Corfu im Lager ſtand: ſo
verließen alle Pilger die Schiffe, brachten auch ihre Streit—
roſſe ans Land und lagerten ſich ebenfalls vor den Mauern
dieſer Stadt. Ein Heer von faſt vierzig Tauſend
Streitern ') war in dieſem Lager verſammelt.
Dem Prinzen Alexius, als auch er an das Land
ſtieg, zogen die Ritter und Knappen entgegen, ihre treff—
lichen Streitroſſe mit ſich fuͤhrend; mit großen Ehren ge⸗
leiteten fie ihn in das Lager ), und der Prinz ließ fein
Zelt errichten in der Mitte des Lagers neben dem Zelte
des Markgrafen Bonifaz; denn der Koͤnig Philipp, ſein
Schwaͤher, hatte ihn ganz beſonders dem Schutze des
Markgrafen empfohlen ).
Weil dieſe Inſel reich war und Ueberfluß an Le—
bensmitteln darbot: fo wurde von den Fuͤhrern des Pils
gerheeres beſchloſſen, auf derſelben einige Zeit zu verwei—
len; obwohl die Einwohner nicht ſo bereitwillig waren,
den Prinzen Alexius als Kaiſer anzuerkennen, wie die
Einwohner von Dyrrachium, ſondern nur das Verſpre—
chen gaben, ihm dann ſich unterwerfen zu wollen, wenn
4) Villeh. S. Ar. Chron. Halber -
stad, I. C.
Germ. ed, Struve. T. I.) p. 368. ad
a. 1203. Eben dieſer Brief ſteht als
Schreiben eines Ungenaanten in Ed-
J. Chr.
190 8.
5) Circiter quadragintamillia. Al-
bericus ad a. 1202. Der Graf Hugo
von St. Paul war unter denen,
welche vorangezogen waren; mit der
großen Flotte kamen der Doge von
Venedig und der Markgraf Bonifaz.
Villeh. S. 42. Brief des Grafen von
St. Paul an den Herzog Heinrich von
Brabant in Godefridi Monachi An-
nalibus (in Freheri Script. rer.
V. Band.
mundi Martene et Ursini Durandi
Monumentorum Gollectione amplis-
sima, T. I. col. 784 sq.
6) Si veissiez maint bon cheva-
lier et maint bon serianz aller en-
contre et mener maint bel destriers.
Villeh. S. 33.
7) Villeh. a. a. O.
N
194 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
Wehr die Kreuzfahrer ihn in Conſtantinopel eingefuͤhrt haben
würden 8).
Waͤhrend dieſes Aufenthaltes, welcher bis zu drey
Wochen ſich verlängerte, erhob ſich aufs neue Zwietracht
und Parteyung unter den Pilgern. Als der Prinz Alexius
fußfaͤllig und mit Thraͤnen um Schutz und Beyſtand bat,
ſo erneuten zwar die Fuͤhrer des Pilgerheeres die Zuſage,
welche den Geſandten des Koͤnigs Philipp zu Zara war
gegeben worden, und Alexius bekraͤftigte dagegen die
Verheißungen, welche jene Geſandte in ſeinem Namen den
Baronen gemacht hatten?); andere Barone aber bereu—
ten das fruͤher gegebene Wort und vereinigten ſich mit
einander dahin, daß ſie vorlaͤufig auf der Inſel zuruͤck—
bleiben und, wenn das uͤbrige Heer Corfu verlaſſen haben
wuͤrde, von dem Grafen Walther von Brienne, welcher
nicht lange zuvor mit ſechszig Rittern das Koͤnigreich
Neapel groͤßtentheils erobert hatte und im Beſitze des
Hafens von Brunduſium war, Schiffe begehren wollten,
um vermittelſt derſelben nach Apulien und demnaͤchſt ge—
meinſchaftlich mit den noch dort befindlichen Kreuzfahrern
nach Ptolemais in Syrien ſich zu begeben, wohin ſchon
eine ſo große Zahl andrer Pilger vorangegangen war.
Die Anſtifter dieſer Parteyung waren vornehmlich die Rit—
ter Otto von Chanlite aus der Champagne, der Burgvogt
Guido von Coucy, Jakob von Avesnes, die Brüder
8) Albericus 1. c. Villehardouin Tage dort verweilt habe, S. 349)
giebt durchaus keine Nachricht über genau überein mit der Nachricht des
das Verhältniß der Kreuzfahrer zu Villehardouin (Enci seiournerent en
den Bewohnern von Corfu. Ueber dele ysle trois semaines S. 43.).
die Dauer des Aufenthaltes der Kreuz 9) Epistola Comitis de 8, Paulo
fahrer daſelbſt ſtimmt die Angabe 1.8. p. 365, 369,
des Nicetas (daß die Flotte zwanzig
Die Kreuzfahrer zu Corfu. 195
Richard und Otto von Dampierre und mehrere Andere ) 3 1 8
bald aber ſchloſſen ſich dieſen Rittern fo viele andere Pils
ger an, daß ihre Partey, welche mit Ungeſtuͤm die Be—
ſchleunigung der Fahrt nach Syrien forderte, mehr als
die Haͤlfte des ganzen Heeres umfaßte. Manche waren
nur im Geheimen zu dieſer Partey getreten, indem ſie ſich
ſchaͤmten, ihre Abſicht kund werden zu laſſen **).
Ueber dieſe Parteyung des Heeres geriethen der Mark
graf Bonifaz von Montferrat und die Grafen Balduin
von Flandern, Ludwig von Blois und Hugo von St. Paul
und einige andere ihnen gleichgeſinnte Barone in große
Beſtuͤrzung, und nur durch den eben ſo raſchen als zweck—
mäßigen Entſchluß, welchen fie faßten, wurde die Ausfuͤh—
rung des Planes, welchen jene Barone verabredet hatten,
verhindert. Die Fuͤhrer des Pilgerheeres ritten, den
Prinzen Alexius mit ſich fuͤhrend, und begleitet von den
Biſchoͤfen und Aebten, welche im Heere ſich befanden, und
den treu gebliebenen Rittern, in das abgelegene Thal, in
welchem die Haͤupter der Parteyung zu Pferde geheime
Berathungen hielten, ſtiegen, als ſie die Verſammlung er—
blickten, von ihren Roſſen und naͤherten ſich mit demuͤthi—
ger Geberde ihren abtruͤnnigen Waffenbruͤdern. Dieſe,
uͤberraſcht durch eine fo unerwartete Erſcheinung, unter;
10) Villehardouin (S. 44) nennt
noch: Pierres d' Amiens, Ogiers de
Saint-Cheron, Guis de Cappes et
Clarashauz (Clerembault) ses niers
(d. i. fein Neffe; im Texte ſteht feh:
lerhaft de Mez), Guillelmes d’Ai-
noy, Pierres Coiseaus, Guy de Pes-
mes et Haimes ses Freres.
11) Villehardouin (S. 43) ſagt zwar
nur, daß es die Abſicht dieſer Partey
geweſen ſey, ſich zu Walther von
Brienne nach Apulien zu begeben;
man ſieht aber aus dem endlichen Er—
folge der Verhandlungen, daß fie kei—
nesweges den Willen hatten, ihr Ge—
lübde zu brechen, ſondern vielmehr
entſchloſſen waren, die Meerfahrt nach
Syrien fortzuſetzen. Nach dem ange:
führten Briefe des Grafen von St.
Paul (p. 368): Omnes clamabant
ire Accaron,
N 2
J. Chr.
1203.
laſſen werden ſollten.
196 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
brachen ihre Berathungen, verließen ebenfalls ihre Roſſe
und gingen zu Fuß dem Zuge entgegen; und, als ihre
Herren, Verwandte und Freunde auf die Knie vor ihnen
fielen und mit vielen Thraͤnen ſchwuren, daß ſie nicht
anders aufſtehen wuͤrden, als wenn ſie die Verſicherung
erhielten, daß die boͤſen Abſichten derer, welche das Heer
aufzuloͤſen trachteten, nicht in Erfuͤllung gehen ſollten: ſo
konnten ſich die abtruͤnnigen Pilger der Ruͤhrung nicht
erwehren, und ſie gaben weinend zur Antwort, daß ſie
unter einander das Naͤhere berathen wollten. Nachdem ſie
hierauf fuͤr einige Zeit ſich entfernt und mit einander ſich
beſprochen hatten, ſo erklaͤrten ſie ſich willig, noch bis
zum Michaelistage bey dem Heere zu bleiben, doch unter
der Bedingung, daß von dieſem Tage an ihnen Schiffe
zur Fahrt nach Syrien, getreulich und ohne Gefaͤhrde n),
und nach vlerzehn Tage zuvor geſchehener Mahnung, uͤber—
Die Freunde des Prinzen Alexius
wendeten zwar ein, daß das Heer der Pilger viel weniger
furchtbar ſeyn wuͤrde, wenn die Griechen voraus wuͤßten,
daß der Aufenthalt deſſelben zu Conſtantinopel auf eine
gewiſſe Zeit befchränft wäre; als aber die abtruͤnnigen Pils
ger bey der von ihnen geſtellten Bedingung hartnaͤckig bes
harrten, fo wurde fie zugeſtanden, und hierauf der Vertrag
feyerlich von beyden Seiten beſchworen **); woruͤber im
12) A bonne foi, sanz mal engin.
Villeh. S. 45.
13) Dieſe Verhandlung iſt im Gans
zen nach dem Berichte des Villehar⸗
douin (S. 44 45), jedoch mit Zuzie⸗
hung der von dem Grafen von St.
Paul in dem mehrere Male angeführ:
ten Briefe gegebenen Nachricht, er:
zählt worden; die Erzählung des
Grafen von St. Paul iſt von dem
Berichte des Villehardouin beſonders
in Hinſicht der von den abtrünnigen
Baronen geſtellten Bedingung ab—
weichend. Nach dem Grafen von
St. Paul (p. 369) forderten fie; quod
apud Constantinopolim moram nul-
latenus facerent ultra mensem, nisi
voluntate sua propria morarentur;
was auch bewilligt wurde. Nach der
ebenfalls von dem Grafen von St.
Die Kreuzfahrer zu Corfu. 197
J. Chr.
10203.
ganzen Heere, wie Villehardouin verſichert, große Freude
entſtand *). 2
Am Tage vor dem Pfingſtfeſte, einem überaus ſchoͤnen 24. Mai
und heitern Tage, verließen die Pilger die Inſel Corfu,
verſoͤhnt unter einander, aber nicht ohne Erbitterung gegen
die Bewohner der Inſel, welche nichts weniger als gaſt—
freundlich gegen das Heer ſich bewieſen hatten ); und
auch die Praͤlaten des Heeres, obwohl von dem griechi⸗
ſchen Erzbiſchofe von Corfu durch Einladungen zu ſeiner
Tafel geehrt, hatten durch den Umgang mit den Geiſt—⸗
lichen der Inſel Gelegenheit gefunden, zu erfahren, wie
ſehr die griechiſche Geiſtlichkeit der Unterwerfung unter
den Gehorſam des roͤmiſchen Stuhls und der Vereinigung
mit der abendlaͤndiſchen Kirche widerſtrebte *).
Mit guͤnſtigem Winde ſegelte die prachtvolle Flotte
an den Inſeln des ioniſchen Meeres vorbey und längs
den Kuͤſten des Peloponneſes, umfuhr das Vorgebirge
Pauf gegebenen Nachricht wurde erſt,
nachdem dieſe Verſöhnung war zu
Stande gebracht worden, der Ver—
trag mit Alexius unter den oben
(S. 176) angegebenen Bedingungen
abgeſchloſſen. j
14) Et lors ot grant ioie par tote
ost. Billeh. a. a. O.
15) Cives eiusdem civitatis (Cor-
vini i, e, Corfu) audientes, venisse
iuvenem memoratum, Regni Grae-
corum haeredem, cum machinis pe-
regrinos a portu cedere compule-
runt; exercitusigitur, eius (Alexii)
auctoritate insula penitus deva-
stata, recessit, Chron. Halberstad.
P. 144. Von dieſen Feindſeligkeiten
findet ſich weder bey Villehardouin
eine Spur, noch bey andern Schrift—
ſtellern. Nach der halberſtädtiſchen
Chronik (a. a. O.) prophezeyhte dem
Biſchofe von Halberſtadt, als er auf
der Fahrt von Zara nach Corfu bey
Raguſa anlegte, der in dieſer Stadt
als Mönch (reclusus) lebende Graf
Burchard von Hallermund die Erobe-
rung von Conſtantinopel.
16) Bey einem Mittagsmahle, wozu
der Erzbiſchof einige Prälaten des
Pilgerheeres eingeladen hatte, fiel die
Rede auf die Hoheit des römiſchen
Stuhls; als vieles darüber war ge
ſprochen worden, ſagte der Erzbiſchof,
er kenne keinen andern Grund ſolcher
Hoheit, als daß römiſche Soldaten
Chriſtum gekreuzigt hätten (nullam
aliam causam se scire primatus vel
praerogativae sedis Romanae, nisi
quod Romani milites Christum cru-
ciſixissent). Chron. Halberst, I. c.
198 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. 3 i
J. he Metapan und erreichte die Landſpitze von Malea. Dort
wurden zwey Schiffe angetroffen, beſetzt mit Pilgern,
welche aus dem Hafen zu Marſeille nach Syrien gefah—
ren waren und nach Vollbringung ihres Geluͤbdes zuruͤck—
kehrten, und, als ſie die prachtvolle Pilgerflotte erblickten,
ſo ſehr ſich ſchaͤmten, daß fie ſich zu verbergen ſuchten.
Der Graf Balduin von Flandern aber ſandte ſogleich das
Boot ſeines Schiffes aus, um zu forſchen, wer dieſe Pil—
ger waͤren; und als das Boot den Schiffen ſich genaͤhert
hatte, fo ſtuͤrzte ſich ein Knappe n“) von dem Verdecke
des einen derſelben in das Boot, indem er denen im
Schiffe zurief: ich uͤberlaſſe euch alles Meinige, was im
Schiffe iſt; denn ich gehe mit dieſen Leuten, und es iſt
gewiß, daß fie das Land erobern werden * 8).
Ohne irgend einen Unfall fuhr die Flotte durch das
wegen gefaͤhrlicher Klippen und ſtuͤrmiſcher Winde ge—
fuͤrchtete Meer zwiſchen dem Vorgebirge Malea *) und
den Inſeln des aͤgaͤiſchen Meeres nach Negroponte oder -
Euboͤa, wo Kriegsrath gehalten wurde. In Folge des
gefaßten Schluſſes begab ſich der Markgraf Bonifaz mit
dem Prinzen Alexlus und einer hinlaͤnglichen Anzahl von
Rittern nach Andros, und zwang die Bewohner dieſer
Inſel, durch eine betraͤchtliche Kriegsſteuer ſich den Frieden
zu erkaufen und den Prinzen Alexius als ihren Herrn an—
zuerkennen. Als nach Vollendung dieſer Unternehmung
der Markgraf Bonifaz die Flotte, welche die Inſel Negro—
17) Un Serjant. Villeh. S. 46.
18) Darum, ſagt Villehardouin (S.
47.) pflegt man zu fagen: Aus tau:
ſend Irrwegen kommt man doch noch
auf den rechten Weg (de miles males
voies pu<t on xctourner).
19) Bey Villehardouin (S. 46):
Cademelee zuſammengezogen aus Cap
de Melee. Bey den Griechen wurde
die Gefährlichkeit des Meeres in der
Nähe dieſes Vorgebirges bezeichnet
durch das Sprichwort: Maga de
S,¹u i C twv oixude.
Fahrt nach Conſtantinopel. 199
ponte bereits verlaſſen hatte, wieder zu erreichen ſuchte, nr
traf ihn das Mißgeſchick, daß er einen der Ritter, wel—
cher ihn begleitete, den Burgvogt Guido von Couch, durch
den Tod verlor; und der Leichnam des edeln Ritters
wurde den Wellen des Meeres übergeben ).
Die Flotte gelangte mittlerweile gluͤcklich an die
Mündung der Meerenge von Seſtus und Abydus 25),
oder des heiligen Georg, und warf vor dem Hafen von
Abydus Anker. Als die Pilger an das Land ſtiegen, ſo
kamen die Einwohner von Abydus ihnen entgegen und
uͤberbrachten die Schluͤſſel ihrer Stadt; und es wurde bei
der Beſitznahme dieſer Stadt ſo ſtrenge Ordnung von den
Pilgern gehalten, daß keiner der Einwohner das mindeſte
einbuͤßte. Die Pilger verweilten dort acht Tage, die Ans
kunft des Markgrafen Bonifaz mit den ihm zur Unter
nehmung gegen die Inſel Andros uͤberlaſſenen Schiffen
abwartend, und benutzten dieſen Aufenthalt, da gerade
die Zeit der Ernte war, um mit Korn ſich zu verſehen,
woran ſie Mangel zu leiden anfingen. Nachdem die
ganze Flotte in dem Hafen von Abydus wieder ſich ver—
einigt hatte, ſo wurde die Fortſetzung der Fahrt nicht
laͤnger verſchoben; die Flotte bedeckte wie ein reicher
20) Villehard. S. 47.
at) Boche d' Avie d. i. Mündung
von Abydus (Avie). Villeh. S. 47.
48. Der Hafen von Abydus heißt in
dem Briefe des Grafen von St. Paul
(p. 369): Portus Bucceavia, d. i.
Buccae Aviae, der Mündung von
Abydus; und der Graf bemerkt, daß
die Flotte ihn am achten Tage nach
der Abfahrt von Corfu (Corkaut) er⸗
reichte, und dieſer Hafen hundert Mei—
len von Conſtantinopel entfernt ſey,
das Meer aber in dem engen Paſſe
2
des hell. Georg einen ſehr ſchnellen
Fluß habe: Ab eo loco Constanti-
nopolin usque Cleucae numerantur,
a portu vero isto usque Gonstanti-
nopolin per striotum mare et velo-
citer currens transitur. Albericus
(ad a. 120) nennt den Hafen von
Abydus: portus sub Bodecave, und
der Abt Radulph Coggeshale (Chron.
Anglic. p. 97): portus Duccaviae,
welches in Buccae Aviae zu verbeſ⸗
fern iſt.
J. Chr.
1255,
*
200 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
Teppich den ſchmalen Arm des Meeres 22), ſegelte mit
guͤnſtigem Winde nach der Propontis oder dem Meere
3. Jun. von Marmora, und erreichte am Tage vor dem Feſte des
heiligen Johannes die Kuͤſte bey der nur drey Stunden von
Conſtantinopel entfernten Abtey des heiligen Stephan 2).
Dort entfaltete ſich vor dem Blicke der erſtaunten
Kreuzfahrer die unvergleichliche Schoͤnheit der geſegneten
Ufer der Propontis; prachtvolle Landhaͤuſer, reizende
Gaͤrten, anmuthige Doͤrfer und uͤppige Fluren, welche die
Kuͤſte ſchmuͤckten, ſo wie die fruchtbaren, lieblichen und
von den Bewohnern einer reichen Hauptſtadt mit hert;
lichen Gebaͤuden und Anlagen gezierten Inſeln, welche bey
St. Stephan dem Anblicke dieſes ſchoͤnen Meeres einen bezau—
bernden Reiz verliehen **), feſſelten die Aufmerkſamkeit der
Pilger um ſo mehr, als damals die in dieſem Lande ſo
ergiebige und reiche Natur in der ganzen Fuͤlle ihrer
Kraft prangte. In der Ferne erblickten ſie mit Staunen
die unermeßliche Kaiſerſtadt mit ihren hohen Mauern,
zahlreichen Thuͤrmen, prachtvollen Kirchen und herrlichen
Palaͤſten; dieſer Anblick aber erregte in den Gemuͤthern
der Pilger aͤngſtliche Beſorgniſſe, und Keiner im Heere
war ſo unerſchrocken, daß ihm nicht das Herz bebte,
22) Si peussiez voir flori le braz
8. Jorge contre mont de neset de
Villeh. S. 48.
23) S. Estienne qui ere une Ab-
baie à trois lieues de Constanti-
nople. Villeh. a. a. O. Vgl. über
dieſen Kriegsrath Villeh. S. 81. Nach
Albericus (ad a. 1292) warfen die
Kreuzfahrer die Anker: ad locum, qui
vocatur Speculum,
24) „Nirgends vielleicht macht, der
ruhigen Umgebung willen, die Schön⸗
galies et de vissiers.
heit der Propontis mit ihren gerade
vor dem Blicke hingeſtreuten Inſel⸗
gruppen einen tiefern und größer
Eindruck, als in dem Dorfe St. Ste⸗
fano.“ Sof. von Hammer's Conſtan⸗
tinopolis und der Bosporos Th. II.
S. 9. II a isles ci pres, ſprach dort
der Doge Heinrich Dandıflo zu den
Kreuzfahrern, que vos poez veoir
deci qui sont habitees de genz, et
laborees de blez et de viande et
d'autres biens. Villehard. S. 50.
Fahrt nach Conſtantinopel. 201
wenn er den gewaltigen Umfang der Stadt betrachtete, ID"
deren Groͤße allen Pilgern unglaublich vorgekommen war,
bevor ſie dieſe rieſenhafte Stadt mit ihren Augen erblickt
hatten. Solche Beſorgniß, ſagt Villehardouin, war ſehr
begreiflich; denn, ſo lange die Welt ſteht, hatte ein ſo
kleines Heer nicht ein fo großes Unternehmen gewagt).
Der Doge von Venedig ſowohl als die Grafen und
Barone des Pilgerheeres ſtiegen noch an dem Tage, an
welchem die Flotte in dieſer herrlichen Gegend ihre Anker
geworfen hatte, an das Land und hielten am Abende in
dem Muͤnſter von St. Stephan ?°) einen Kriegsrath.
Nachdem mancherley Vorſchlaͤge waren vorgetragen wor—
den, ſo erhob ſich der Doge von ſeinem Sitze und ſprach:
Mir iſt durch fruͤhern Aufenthalt die Beſchaffenheit dieſes
Landes bekannter geworden, als ſie es euch ſeyn kann;
das feſte Land umher auf beyden Seiten des Meeres iſt
ſtark bevoͤlkert und keinesweges arm an ſtreitbarer Mann—
ſchaft; und ich halte daher es nicht fuͤr rathſam, daß
das Heer ſofort das feſte Land betrete. Da unſre Leute
begierig ſind nach Beute und vornehmlich nach Lebens—
mitteln, woran es uns gebricht: ſo wuͤrden ſie leicht ſich
verleiten laſſen, in dem Lande ſich zu zerſtreuen, was
25) „Or poez savoir que mult le veist à Toeil et le lonc, et le 16
esgarderent Constantinople (von dem
Ankerplatze bey Conſtantinopel) cil
qui onques mais (jamais) ne Pa-
voient veue que il ne pooient mie
cuidier, que si riche ville peust
estre en tot le monde, Cum il vi-
rent ces halz murs et ces riches
tours dont Ere close, tot entor a
la rconde, et ces riches palais ct ces
haltes Yglises dont ili avoit tant
que nuls nel poist croire, se il ne
(lieu) de la ville qui de totes les
autres ére souveraine; et sachiez
que il ni ot si hardi, cni le cuer
ne fremist, et ce ne fu mie mer-
veille, que onques si grant affaires
ne fu empris de tant de gent puis
que li monz fu estorez.“ Willehard.
©. 48. 49.
26) Et fu li parlemenz ou mon-
stier (c. a. d. Al’eglise) Saint Estiene.
Villeh. a. a. O.
J. Chr.
1203.
24. Jun.
202 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
ihnen und dem Heere großen Schaden bringen koͤnnte.
Es wird beſſer ſeyn, auf den nahe gelegenen fruchtbaren
Inſeln die Lebensmittel, deren das Heer bedarf, zu ſam—
meln, und erſt dann, wenn wir hinlaͤnglich mit Mund—
vorrath verſehen ſeyn werden, die Belagerung von Con—
ſtantinopel zu beginnen. Ueberhaupt verfahrt mit Vorſicht;
denn es iſt nichts leichtes, was ihr unternehmen wollt.
Dieſem Rathe gaben alle Anweſende Beyfall 27).
Am folgenden Tage, dem Feſte des heiligen Johan—
nes, wurden die Paniere und Fahnen auf den Thuͤrmen
der Schiffe aufgepflanzt, aus den Schilden der Rit—
ter wurde eine ſchuͤtzende Mauer laͤngs den Raͤndern der
Verdecke gebildet, und jeder Pilger pruͤfte feine Waffen 2 ),
auf baldigen Kampf gefaßt. Nach dieſen Vorbereitungen
wurden die Anker gelichtet, und die Flotte ſegelte mit
guͤnſtigem Winde ſo nahe an Conſtantinopel vorbey, daß
mehrere Pfeile, welche von der Mauer und den Thuͤrmen
der Stadt geſchoſſen wurden, die Schiffe erreichten; denn die
Mauer ſowohl als die Thuͤrme waren mit zahlloſen Kriegern
beſetzt. Der Rath aber, welchen der Doge von Venedig
am Abende zuvor gegeben hatte, wurde nicht befolgt, ſondern
die Fahrt nach Chalcedon gerichtet, wo die Ritter und ihre
Knappen, ſo wie alle uͤbrigen Pilger, mit allen Pferden
und Waffen, die Schiffe verließen, ſo daß nur die See—
leute in denſelben zuruͤckblieben. Die Grafen und Barone
nahmen ihre Herberge theils in dem ſchoͤnen und anmuthi—
27) Villehard. S. 49. 30. ) gen bewegt) auf ihre Waffen und
23) Chascuns regardoit ses armes
tels com à lui convint que defisens-
sent, que par tens en arons besoin.
Villeh. S. 50. Dieſe Worte haben
ſicherlich nicht den Sinn, daß die
Pilger (von mancherlep Empfindun:
Rüſtungen blickten; ſondern die Waf⸗
fen wurden unterſucht und in Stand
geſetzt. Ueber das Aufſtellen der Schil⸗
der an den Rändern der Verdecke
vgl. oben S. 163. Anm. 3.
Die Kreuzfahrer vor Conſtantinopel.
—
203
gen kaiſerlichen Palaſte zu Chalcedon 2), theils in der
Stadt; die uͤbrigen Pilger lagerten ſich außerhalb der—
ſelben in ihren Zelten,
und da das eben geſchnittene
Getreide noch auf dem Felde lag, ſo fanden die Pilger
fuͤr ſich und ihre Roſſe Nahrung im Ueberfluſſe.
Sie
J. Chr.
1203.
ruhten dort Einen Tag; und als am dritten Tage ein . Jun.
guͤnſtiger Wind ſich erhob, fo ſegelten die Kriegsſchiffes“)
nach Scutaris “), und das Heer zog eben dahin zu Lande;
die Laſtſchiffe blieben der Stadt Chalcedon gegenuͤber,
20) II pristrent port devant un
palais l’Empereor Alexis, dont li
leus estoit apellez Calchidoines; et
fu endroit Constantinople d’autre
part del Braz devers la Turchie
(d. i. Kleinaſien). Villeh. S. sr.
Peter D’Dutreman (Constantinop.
belg. p. 150.), Ramnuſius (Lib. II.
P. 63.) und mehrere andere Schrift:
ſteller erzählen, daß die Flotte, durch
den Wind wider ihren Willen ge—
zwungen, die Fahrt nach den Inſeln
aufgegeben habe, hierauf an die
Mauern der Stadt getrieben worden
und dann nach Chalcedon geſegelt
ſey. Villehardouin fagt im Gegen—
theil (©. 50): Diex lor dona bon
vent tel com ä els convint, si s’en
passent tres par devant Constan-
tinople.
30) Or Ögouowss. Nicetas S. 349.
31) Ensi se hebergierent sor le
Bras Saint Jorge ä le Scutaire. Bil:
leh. S. 52. Vgl. Nicetas a. a. O.
Per portum cepimus ad firmam ter-
ram versus Iconium, qui portus
distat a Constantinopoli una leuca,
Ep, Comitis de S. Paulo ap. Go-
defr. Mon, p. 369. Ducange (au
Villeh. S. 286) ſchlägt vor, in dieſer
Stelle ſtatt Iconium zu leſen Diplo-
cionium oder Cionium, ſo daß nur
die Rede wäre von dem Ankerplatze
der Laſtſchiffe (ogl. Anm. 33); der
Graf ſpricht aber von einem Hafen
am feſten Lande und kann daher wohl
nur Scutari meinen, und versus
Iconium iſt nichts anders als was
Villehardouin (ſ. Anm. 29) ausdrückt
durch devers la Turchie. Nach der
Erzählung des Nicetas warfen die
Griechen zwar Pfeile auf die Schiffe
der Kreuzfahrer, als dieſe von Chat:
cedon nach Scutari ſich begaben, doch
ohne ihnen Schaden zu thun. Nach
der Chronologia Alberti Altissiodo-
rensis (ad a. 1203 im Recueil des
histor. de la France. J. XVIII.)
p. 267 kamen die Kreuzfahrer vor
Conſtantinopel an: VI. Kal. Jul. —
26. Junius, was mit dem Berichte
des Villehardouin vollkommen überein—
ſtimmt. Die Vorſtadt Scutari hieß
bekanntlich in früherer Zeit Chryſo—
polis (Goldſtadt), und der Name
Srovragıov kommt zuerſt bey Nice—
tas (im Leben des Kaiſers Emanuet
S. 130) vor, als Name eines kaiſer—
lichen Palaſtes in der Nähe von
Chryſopolis am Vorgebirge Damalis
(rd zara Jauakıv dpysiıo & ονe
ragıov Ovouakorraı). Vgl. Gyllius
de Bosporo Thracio Lib. III. c. g.
J. Chr.
1203.
204 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
außerhalb der Weite eines Bogenſchuſſes von der Kuͤſte,
vor Anker 32).
Dem Kalſer Alexius war die Erſcheinung des Heeres
der Pilger in der Naͤhe ſeiner Hauptſtadt eben ſo wenig
unerwartet, als die Abſicht unbekannt, in welcher die
Kreuzfahrer kamen; er achtete aber anfangs nicht auf die
Warnungen, durch welche er von mehrern Seiten ge
mahnt wurde, auf ſeiner Hut zu ſeyn, und bey den
ſchwelgeriſchen Gelagen, welche er mit ſeinen Guͤnſtlingen
hielt, wurde der Kreuzfahrer nicht anders als mit Spott
erwaͤhnt. An Ruͤſtungen wurde ſo wenig gedacht, daß
der Admiral der kaiſerlichen Flotte ss), Michael Stryphnus,
welcher nicht lange zuvor die Schweſter des Kaiſers Alexius
zur Gemahlin erhalten hatte, die Anker, Segel, Taue,
ſelbſt die Naͤgel der vorhandenen zumeiſt unbrauchbaren
Kriegsſchiffe verkaufte; und die Aufſeher der Forſten, in
welchen der Kaiſer zu jagen pflegte, ſorgloſe und eigen—
ſinnige Verſchnittene, geſtatteten nicht die Faͤllung eines
einzigen Baumes, ſo daß es dem Admiral unmoͤglich war,
auch wenn er den beſten Willen gehabt haͤtte, die Flotte
in Stand zu ſetzen. Erſt als die Kunde von dem, was
zu Dyrrachium und auf der Inſel Corfu geſchehen war,
nach Conſtantinopel war gebracht worden, wurden in der
Eile zwanzig von Wuͤrmern zerfreſſene Schiffe ausgeruͤſtet,
die Haͤuſer außerhalb der Mauern von Conſtantinopel auf
unmittelbaren Befehl des Kaiſers, welcher endlich von
32) Nicetas a. a. O. Die Laſtſchiffe uëνν Öpovyyagıos rod orolow
legten ſich vor Anker in der Nähe der Ducange (zu Villeh. S. 287) hält ihn
beyden Säulen (Au οẽ,. o). für den von Villehardouin (S. 52)
S. oben S. 150. Anm. 30. erwähnten Megedux (uëyus dov£);
33) O doubt rod orokov. Nicetas was unwahrſcheinlich iſt.
a. a. O. Er war wahrſcheinlich
Die Kreuzfahrer zu Seutari. 205
feinen Gartenarbeiten und Beluſtigungen feine Aufmerk- 288.
ſamkeit auf die Vertheidigung ſeiner Hauptſtadt lenkte,
niedergeriſſen, und Truppen nach LConſtantinopel ge
rufen 35).
Die Kreuzfahrer geriethen aber in große Verlegenheit,
als die Bewohner von Conſtantinopel nicht die mindeſte
Theilnahme fuͤr den Prinzen Alexius bewieſen, und kein
Grieche, ſelbſt keiner der Verwandten des Prinzen, in dem
Lager bey Scutari erſchien 3°); den Griechen aber, welche
in den letzten zwanzig Jahren wieder eben ſo ſehr an ge—
waltſame Thronveraͤnderungen als an Tyranney oder
weichliche Unthätigfeit und mancherley Laſter und Frevel—
thaten der Beherrſcher ſich gewoͤhnt hatten, war die Per—
ſon des Kaiſers viel gleichguͤltiger, als die Kreuzfahrer
dachten; auch war Alexius, wenn auch ſeine Regierung
nicht gerade lobenswerth war, doch ein Mann von milder
und ſanfter Geſinnung, freundlich, herablaſſend und zu—
gaͤnglich für jeden feiner Unterthanen; und die Griechen
*
34) Nicetas a. a. O. Nach der An⸗
gabe der von Arnold von Lübeck mit—
getheilten Briefe der Kreuzfahrer
(P. 727) befanden ſich, zur Zeit der
Ankunft des Pilgerheeres, in Con—
ſtantinopel ſechszig Tauſend Reiter
ohne das Fußvolk.
35) Ibidem (zu Scutari) stupui-
mus valde, super hoc, quod nemo
amicorum, nemo parentum juvenis
Imperatoris, qui nobiscum erat, seu
aliquis nuncius eorum venit ad
eum, qui ei statum Constantino-
poli declararet. Ep. Comitis 8.
Pauli l. c. Auf ähnliche Weiſe ſpricht
von dieſer Stimmung der Griechen
der Brief der Kreuzfahrer an den
Kaiſer Otto bey Arnold von Lü—
beck (p. 721): Contra omnium ergo
opinionem universorum civium
mentes contra nos invenimus ob-
Hrmatas, nec aliter contra Domi-
num suum civitatem muris et ma-
chinis obseratam, quam si adven-
tasset populus infidelis, qui loca
sancta polluere et religionem Chri-
stianam inexorabiliter evellere pro-
poneret. Die Schuld dieſer Stims
mung wird den Anfchuldigungen bey»
gemeſſen, welche der Kaiſer Alexius in
einer Rede an das Volk gegen die
Lateiner vorbrachte, daß dieſe die Ab⸗
ſicht hätten, die alte Freyheit der
Griechen zu unterdrücken und die
griechiſche Kirche unter das Joch des
römiſchen Papſtes zu bringen. Vgl.
Chronol. Roberti Altissiodorensis
1. c.
206 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
* konnten ſicherlich am wenigſten die Verbeſſerung ihres Zu—
ſtandes von einem Prinzen hoffen, welcher mit der Huͤlfe
von Fremdlingen in den Beſitz des Thrones ſich ſetzen
wollte. Kaum hatten die Kreuzfahrer bey Scutari ihre
Zelte errichtet, ſo ſahen ſie am entgegengeſetzten Ufer ein
betraͤchtliches griechiſches Lager ſich bilden 3°), Die Ueber—
zeugung, daß Conſtantinopel nur durch eine langwierige
Belagerung bezwungen werden koͤnnte, welche dieſe Ans
ſtalten der Griechen begruͤndeten, erregte in ihnen ſehr
ängftlihe Beſorgniſſe, beſonders deswegen, weil fie be
fuͤrchteten, in dieſer zwar ſehr fruchtbaren Gegend nur
auf hoͤchſtens vierzehn Tage Lebensmittel und Nahrung
für ſich und ihre Pferde finden zu koͤnnen 3).
Obgleich auch auf der aſtatiſchen Kuͤſte am Berge
Damatrys eine griechiſche Schar ſich lagerte, um die
Streifereyen der Kreuzfahrer zu hindern 3°); fo ließen dieſe
waͤhrend der neun Tage, welche ſie bey Scutari verweil—
ten“), doch nicht ſich abhalten, das Land zu durchziehen,
36) Villeh. S. 52. Brief des Gras
fen von St. Paul (ap. Godefr. Mon.
P. 369). 5
37) Brief der Kreuzfahrer an den
Kaiſer Otto a. a. O.
38) Kai DalayE ë r rie avo-
Hey meoi rov Jauargva 7ygavkeı
Tas row inn!wv enòͤgouds sm
0ynoovoa. Micetad S. 349. Dama⸗
trys war damals der Name des eine
Stunde von Scutari entfernten Ber—
ges mit zwey Gipfeln, welcher jetzt die
Namen Bulgurlu und Oſchamlidſche
trägt. Auf demſelben befand ſich ein
von den Kaiſern Tiberius und Maus
ritius gebauter Palaſt und der Hain
des von feiner Mutter Irene geblen:
deten Kaiſers Conſtantinus. Anon. de
antiquit. Constantinop. ap. Ban-
dur. Lib. III. p. 39. S. Joſ. von
Hammer Conſtantinopolis und der
Bosporos Th. I. S. 23. Th. II. S.
336 — 341. Villehardouin, welcher
den Namen dieſes Berges nicht nennt,
bemerkt (S. 83), daß das Lager der
griechiſchen Schar am Fuße deſſel—
ben (el pie de la montaigne) drey
Stunden (trois lieues) von dem Las
gerplatze der Kreuzfahrer entfernt ge:
weſen ſey.
30) Villeh. S. 52. Vom 26. Junius
bis zum 5. Julius. Am 5. Julius,
einem Sonnabende, wurde das Lager
bey Scutari verlaſſen. S. unten.
Die Kreuzfahrer zu Seutari. 207
und die Ritter begleiteten und beſchuͤtzten die geringen 3. ‚Chr.
Pilger, welche Lebensmittel auffuchten. An einem Tage
geſchah es, daß die Brüder Otto und Wilhelm von 5
Chanlite, Ogiers von St. Cheron, und Manaſſe von
Lisle, welche mit einem lombardiſchen Grafen aus dem
Gefolge des Grafen von Montferrat *°) und achtzig
andern Rittern die Streifer geleiteten, am Fuße des
Berges Damatrys das Lager jener griechiſchen Schar
erblickten, in welchem auch der Oberbefehlshaber der grie—
chiſchen Heere *) mit fuͤnfhundert Reitern ſich befand.
Die Ritter zoͤgerten nicht lange, den erſten Kampf gegen
die Griechen zu wagen, ordneten ſich in vier Scharen),
und rannten gegen die Griechen, welche ſich ebenfalls
geſchart hatten und vor ihren Zelten aufgeſtellt den An—
griff erwarteten. Der Kampf war nur von kurzer Dauer;
die Griechen vermochten nicht, dem erſten Anlaufe zu
widerſtehen *?) und wandten ſogleich den Ruͤcken; die
Ritter eroberten das feindliche Lager, verfolgten die Flie—
henden eine Stunde weit und brachten eine reiche Beute
an Zelten, Pferden aller Art und Maulthieren in das
Lager, wo ſie mit großem Jubel empfangen wurden und
die gewonnene Beute mit ihren Waffenbruͤdern redlich
theilten ).
Dieſer erſte ohne ſonderliche Muͤhe uͤber die Grie—
chen gewonnene Sieg minderte die Beſorgniſſe, welchen
40) Villehardouin (S. 53) nennt
dieſen lombardiſchen Grafen den
dicken Grafen (li Cuens Cras),
S. mehrere Vermuthungen über
dieſen Grafen bey Ducange, zu Vil—
lehard. S. 287.
41) Li Megedux l’Empereor de
Constantinople. Villeh. ©. 835 Vgl.
oben S. 203. Anm. 33.
42) Si ordenerent lor gent en
quatre batailles. Villeh.
43) Et li Greu lor tornent les dos,
ei furent desconſiz a la premiere
assemblee. Villeh.
44) Il departärent lor gaing si com
il durent. Villeh.
J. Chr.
1203.
208 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
die Kreuzfahrer bis dahin Raum gegeben hatten, und
erregte dagegen große Furcht in Conſtantinopel, ſowohl
am kaiſerlichen Hofe als im Volke und in dem Kriegs—
heere *). Schon am folgenden Tage nach dieſem Siege
meldete ſich ein zu Conſtantinopel wohnender Lombarde,
Nicolaus Roſſi *°), als Botſchafter des Kaiſers Alexius,
bey den Grafen und Baronen des Heeres der Pilger,
welche eben in dem reichen kaiſerlichen Palaſte zu Scu—
tari zum Kriegsrathe verſammelt waren, und uͤberreichte
dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat, als dem Ober—
feldherrn, ſein Beglaubigungsſchreiben. Als nach ge—
ſchehener Vorleſung dieſes Schreibens der Botſchafter war
aufgefordert worden, ſeinen Auftrag auszurichten, ſo
redete er ſtehend zu den Baronen, anfangs hoͤflich, dann
trotzig alſo: Der Kaiſer Alexius laͤßt euch, edle Herren,
melden, er wiſſe wohl, daß ihr die maͤchtigſten ſeyd unter
denen, welche nicht Kronen tragen, und dem trefflichſten
Lande der Erde angehoͤrt. Um deſto mehr aber befremdet
es den Kaiſer, daß ihr den Frieden eines chriſtlichen Lan—
des ſtoͤrt, da ihr doch das Zeichen des heiligen Kreuzes
tragt und ausgezogen ſeyd aus eurer Heimath, um das
heilige Grab zu befreyen. So ihr arm ſeyd und der
Huͤlfe beduͤrft, ſo ſagt es, und der Kaiſer wird euch gern
mit Geld und Lebensmitteln unterſtuͤtzen; aber entfernt
45) „Die bey Damatrys aufgeſtellte
Schar brachte gar keinen Nutzen;
denn fie wagte es gar nicht (oud” er?
Boayv), den Feinden nahe zu kommen,
und wandte vielmehr den Rücken
denen, welche Luſt hatten, fie zu verfols
gen. Einige fielen, Andere waren be—
denklich (Zueikov), Andere liefen mit
Macht (dva zgaros) davon. Denn
wie hätten ſie es wagen können, mit
Männern zu kämpfen, welche ſie
nicht ſich ſchämten ſeelenraubende ' En⸗
gel und aus Erz getriebene Statuen
zu nennen, und bey deren Anblick ſie
vor Furcht ſtarben!“ Nicetas a. a. O.
46) Nicholas Rous. Villeh. ©. 53.
Vgl. Ducange zu Villeh. S. 287.
Die Kreuzfahrer zu Scutari. 209
euch ſchleunigſt aus feinem Reiche. Der Kaiſer wird euch *r.
ungern Leid zufuͤgen, wiewohl die Macht dazu ihm kei—
nesweges fehlt; und waͤren euerer noch zwanzig Mal ſo
viele, als jetzt, ſo wuͤrdet ihr doch dem Tode und dem
Verderben nicht entgehen koͤnnen, wenn der Kaiſer die
Abſicht haͤtte, euch Boͤſes zu thun. Hierauf erwiederte
Conon von Bethune, ein eben ſo beredter als tapferer
und einſichtvoller Ritter, im Namen und Auftrage der
ganzen Verſammlung: Schoͤner Herr, ihr ſagt, euer Herr
wundre ſich, daß wit in ſein Reich gekommen ſind; es
iſt aber nicht ſein Reich, in welches wir gekommen ſind.
Denn dieſes Reich, uͤber welches er mit offenbarem Un—
rechte und als ein Frevler gegen Gott und Menſchen
herrſcht ““), gehört feinem Neffen, welcher hier unter uns
feinen Sitz hat, dem Sohne des Kaiſers Iſaak. So er
ſeinem Neffen mit Demuth ſich unterwerfen und deſſen
Gnade anflehen wird: ſo ſind wir geneigt, uns dafuͤr zu
verwenden, daß ihm verziehen und ſo viel gegeben werde,
als ihm noͤthig iſt, um mit Anſtand zu leben. Wenn ihr
uns nicht ſolche Botſchaft bringen koͤnnt, ſo erdreiſtet euch
nicht, wieder zu uns zu kommen 5).
Nach dieſer Abfertigung des Botſchafters ſetzten
die verſammelten Heerfuͤhrer ihre Berathungen fort;
47) Quar il tint le regne A tort et
A pechie contre Dieu et contre rai-
son, Villeh. S. 55
48) Villeh. S. 53—55. Der Graf
von St. Paul berichtet dem Herzoge
von Brabant über dieſe Verhandlun—
gen (ap. Godefr. Mon, p. 369) alſo:
Non mora Imperator imperium te-
nens Duci Ventti (Venetiae), Mar-
chioni, Comiti Flandrensi, Comiti
V. Band.
Ludevico et nobis nuncios suos
destinavit. Nos vero secretum in-
ter nos ineuntes consilium dixi-
mus, quod Imperatoris nuncios nul-
latenus audiremus, nisi prius se ab
Imperialis cathedra deponeret Ma-
iestatis; aliter ipsum vel eius nun-
cios nequaquam auscultaremus, No-
lebamus enim; quod Graeci (nos)
muneribus attentarent vel molli-
rent.
O
210 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII.
Nebr und es wurde beſchloſſen, den Prinzen Alexius am fol
genden Tage den Bewohnern von Conſtantinopel zu zeigen.
Zur Ausfuͤhrung dieſes Beſchluſſes wurden die Vor—
bereitungen mit großer Sorgfalt gemacht, und der Doge
ſowohl als die Barone der Pilger verſprachen ſich von
dieſer Maßregel ſehr erfprießiiche Wirkung. Die Kriegs⸗
ſchiffe “) wurden ſchleunigſt geruͤſtet, der Doge und der
Markgraf begaben ſich mit dem jungen Prinzen auf eines
derſelben, die franzoͤſiſchen und andern Barone vertheilten
ſich mit ihren Ritterſchaften auf die uͤbrigen, und alſo
fuhr die Flotte in prachtvoller Haltung an den Mauern
von Conſtantinopel hin. Der Prinz, auf dem Verdecke
des Schiffes in kaiſerlichem Schmucke ſtehend ?), wurde
dem an dem Ufer verſammelten neugierigen Volke der
Stadt ſowohl als des flachen Landes, und den auf der
Mauer ſtehenden Kriegern gezeigt, und dabey wurde laut
gerufen: Sehet hier euern rechtmaͤßigen Herrn; denn der—
jenige, welcher jetzt uͤber euch herrſcht, beſitzt das Reich
mit offenbarem Unrechte und als Frevler wider Gott und
Menſchen. Wir ſind gekommen, um euch zu beſchuͤtzen,
wenn ihr thut, was eure Pflicht iſt, den Thronraͤuber,
welcher ſeinen Bruder vom Throne geſtoßen und geblendet
hat, verlaßt, und euren rechtmaͤßigen Kaiſer annehmt.
So ihr aber wider eure Pflicht handeln werdet, ſo ſind
wir geſonnen, euch ſo viel Boͤſes anzuthun, als wir irgend
koͤnnen. Dieſe Aufforderung blieb aber ohne Wirkung,
und die Ritter kehrten mit getaͤuſchter Hoffnung zu ihren
Zelten zuruͤck ).
49) Les Galies. Villeh. S. 55.56. (S. 36): il monstrerent al pueple
50) Was von Villehardouin zwar des Grez li valet,
nicht gemeldet wird, aber ſehr wahr⸗ 61) Villeh. ©. 55. 56. Saepius ergo
scheinlich IR. Villehardouin ſagt blos per nuncios, imo per ipsum exulem
Ueberfahrt nach der thraciſchen Käfte 211
Am folgenden Morgen verſammelten ſich die Barone, 9, Ein.
nachdem fie zuvor die heilige Meſſe angehört hatken,
ſitzend auf ihren ſtattlichen Streitroſſen ), in der Mitte
des Lagers zum Kriegsrathe, wo der Tag zum Uebergange
des Heeres nach der europaͤlſchen Kuͤſte und zur Eroͤff—
nung der nunmehr unvermeidlichen Belagerung von Con—
ſtantinopel, ſo wie die Anordnung derſelben beſtimmt, und
das Heer in ſechs Schlachtordnungen 5s) getheilt wurde.
Die erſte, als die Vorwache, ſollte der Graf Balduin von
Flandern und Hennegau mit ſeiner Ritterſchaft und ſei—
nen Leuten bilden; weil kein anderer Graf oder Baron
uͤber eine ſo anſehnliche Zahl, als er, von tapfern Rit—
tern, geuͤbten Bogenſchuͤtzen und trefflichen Armbruſtſchuͤ—
tzen gebot. Die zweyte Schlachtordnung ſollte von Hein—
rich, dem Bruder des Grafen Balduin, geführt werden,
und zu ihr ſollten Matthias von Valincourt, Balduin
von Beauvoir und viele andere edle Ritter gehören. Die
dritte ſollte unter dem Befehle des Grafen Hugo von
St. Paul ſtehen, und zu dieſer Schlachtordnung wurden
Peter von Amiens, des Grafen Neffe, Euſtach von Can—
teleu, Anſelm von Cachieu und viele andere tapfere Rit—
ter ihres Landes gewieſen. Zum Anfuͤhrer der vierten
Schlachtordnung wurde der Graf Ludwig von Chartres
und Blois beſtellt, und die fuͤnfte dem beruͤhmten Ritter
Matthias von Montmorency uͤbertragen; in dieſer fuͤnften
befanden ſich die Pilger aus Burgund und der Cham—
nostrum et Barones nostros seu
etiam nosmet ipsos a civibus po-
stulantes audiri, nec adventus no-
stri causam nec petitionis modum
explicare potuimus, sed quoties terra
vel mari stantibus in muro sermo -
nes obtulimus, totiesretulimus tela
pro verbis. Brief der Kreuzfahrer
an den Kaiſer Otto ap. Arnold. Lu ·
bec. p. 727.
52) Et fu li parlemenz A cheval
emmi le champ; la peussiez veoir
maint bel destrier. Villeh. S. 86.
53) Six batailles. Villeh. S. 37.
88. 65.
8 2
212 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VE Kap. VIII.
2h pagne und, außer den Rittern Odo von Chamlite, Ogiers
von St. Cheron, Manaſſe de l' Isle, Milo von Brabant
und andern, auch der edle Marſchall der Champagne,
Gottfried Villehardouin, der Geſchichtſchreiber dieſer
Kreuzfahrt. Die Fuͤhrung der ſechſten Schlachtordnung,
als der Hinterwache, uͤbernahm der Markgraf Bonifaz
von Montferrat; und dieſer wurden alle Lombarden,
Toskaner, Deutſche und überhaupt die Pilger aus den
Ländern zwiſchen dem Montcenis und Lyon an der
Rhone *) zugetheilt. Die Venetianer ſollten auf ihren
Schiffen bleiben und von der Seeſeite das Heer unter⸗
ſtuͤtzen ?“).
Die erſte Aufgabe, welche die Kreuzfahrer zu loͤſen
hatten, war, das grlechiſche Heer, welches an der europaͤi—
ſchen Kuͤſte, gegenuͤber von Scutari und unfern von der
Stadt Galata, aufgeſtellt war, zu vertrelben und dann
des Hafens ſich zu bemaͤchtigen, welcher durch den Meer—
buſen Chryſokeras oder Goldhorn gebildet wird und, wie
gewoͤhnlich in Faͤllen der Gefahr geſchah, durch eine von
dem Thurme von Galata bis an die Akropolis oder Burg
der Hauptſtadt gezogene ſtarke eiſerne Kette geſperrt
war 5°), Denn an jeder andern Stelle widerſetzten ſich
der Landung des Heeres noch groͤßere Schwierigkeiten,
54) Totes les genz qui furent de
le Mont de Moncenis trosque
Gusque) a Lion sor le Röne. Bil
leh. S. 88. Daß die Burgunder (li
Bourguignon) zur fünften Schar
gehörten, erhellt ſowohl aus der von
Villehardouin (S. 64) mitgetheilten
Nachricht, daß Wilhelm von Chanlier
(Chamlite), der Bruder des Ritters
Odo, bey ihnen ſich beſand; als aus
der ausdrücklichen Angabe (S. 63),
daß die Schlachtordnung der Cham:
pagner und Burgunder la bataille
des Champenois et des Borgoignons)
von Mathias von Montmorency ges
führt wurde.
55) Was jedoch nicht von Villehar⸗
douin in der Erzählung von den Bes
ſchlüſſen dieſes Krlegsrathes bemerkt
wird, aber aus dem Fortgange des
Berichtes von der Ausführung dieſer
Beſchlüſſe hervorgeht.
56) Villehard. S. 60. Alexius, qui
Imperium occupaverat, a loco
Ueberfahrt nach der thraeiſchen Kuͤſte. 213
und die Flotte konnte von der Seite des Hafens, die
Verbindung mit Galata und Pera ſtoͤrend, wirkſamer die
Stadt bedraͤngen als von der ſuͤdlichen Seite, oder der
durch heftige Stroͤmung des Meeres gefaͤhrdeten oͤſtlichen
Spitze des Hornes, welches die an drey Seiten vom
Meere umfluthete Stadt bildet.
Die Kreuzfahrer betrachteten die Ueberfahrt uͤber den
Bosporus nach der europaͤlſchen Kuͤſte nicht als ein leich—
tes Unternehmen, erwarteten vielmehr einen ſehr heftigen
Widerſtand ') und verführen daher mit großer Sorg—
falt und Behutſamkeit. Die Biſchoͤfe und die uͤbrigen
Geiſtlichen, welche im Heere waren, ermahnten, als der
Beſchluß des Kriegsraths, daß der Uebergang geſchehen
ſollte, kund geworden war, die Krieger mit eindringender
Rede, ihre Suͤnden zu beichten und ihre letzten Anord—
nungen zu treffen, weil ſie nicht wuͤßten, ob nicht Gott
über ſie verfugen würde; und alle leiſteten dieſer Ermahnung
willig und mit reuigem Herzen Folge. Mit deſto groͤßerer
Manganae usque Galatas catenam svyoraty vie Fpodon Vgl. Leo Diao.
propugnaculis communitam trans-
poni fecerat, quae ingressum pe-
nitus prohibebat. Andr. Dand.
Chron. p. 322. Mangana heißt ei- mabatur catena ferrea grossa nimis,
gentlich das Zeughaus oder Arſenal, quae posita super ligna transversa
welches entweder in der Akropolis (nach Leo Diakonus: auf großen
ſelbſt, oder deren Nähe ſtand; aber Pfählen, en? gıromv ueyloruv)
auch ein von Conſtantinus Monachus mare transnatabat, attingens usque
1 10 Dee Haan 5 ad muros civitatis. Vgl. Alberi-
loſter führte dieſen Namen. S. Gy!- cus ad a. rec. Hugo Plagon S. 663.
lius de Topographia Constantinop.
5 Ducange zu Villehard. S. 289.
Tab. IL. c. 7. Nicetas (S. 300) nennt f N”
den Thurm von Galata: To gYeov- 57) Et sachiez que ce fu une des
TEN „RR 2 ! plus doutoses choses a faire qui
107, 29 w Eiduoraı "Poualoıs
n rt onques fu. Villeh. S. 58. Vgl.
one Pagvralavrov amodtsıv Epist. Comitis de St. Paulo ap, Go-
ükvoıv, yvina wloiuw wolsulov ‚deis. Mon, p. 369.
V. 3. Inde perreximus, ſchrieb der
Graf von St. Paul (J. c.), ad quam-
dam turrim fortissimam, in qua fir-
J. Chr.
1203.
214 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. VIII.
2.289. Freudigkeit aber, als der beſtimmte Tag erſchienen war,
waffneten ſich die Pilger in der Frühe eines ſchoͤnen und hel—
. Julius tern Morgens, am Sonnabend, dem fünften des Julius? “);
die Ritter begaben ſich geharniſcht und behelmt mit ihren
Streitroſſen auf die Frachtſchiffe, und mit den Rittern
ihre Knappen, fo wie auch die Armbruſtſchuͤtzen und Bogen—
ſchuͤtzen; auch die Streitroſſe der Ritter waren ſchon zum
Kampfe bereitet, igefattelt und mit glänzenden Decken ges
ziert *); das geringere Volk, deſſen man im erſten
Kampfe weniger bedurfte, beſtieg die uͤbrigen großen und
ſchweren Schiffe; die Galeen oder Kriegsſchiffe waren
zum Streite trefflich geruͤſtet, und jede Galee fuͤhrte ein
Frachtſchiff am Tau, um deſſen Fahrt zu erleichtern und
zu beſchleunigen. Nach ſolchen Vorbereitungen lichtete die
ſtattliche Flotte“) die Anker und näherte fich unter ſchmet—
terndem Trompetenſchalle sn) der von dem Heere des Kai—
ſers Alexius beſetzten europaͤiſchen Kuͤſte des Bosporus;
und ein allgemeiner Wetteifer erhob ſich, als die Schiffe
das Land erreichten, unter den Kreuzfahrern; jeder ſuchte
zuerſt und vor dem Andern die Kuͤſte zu erreichen; die
Ritter ſprangen, noch ehe die Bruͤcken ausgelegt wurden,
ungeachtet ihrer ſchweren Ruͤſtungen von den Schiffen,
und wateten, mit gezogenen Schlachtſchwertern, durch das
Waſſer, welches ihnen bis an den Guͤrtel reichte, an das
88) Tant errerent les pelerins
frangois qu'il vindrent par un sa-
medi devant Constantinople. Hugo
Plagon. S. 663. Nach Nicetas (S.
330) im Anfange des Julius: 8
oraro s Tors use (leg. uyv)
Job ios.
59) Li cheval covert et ensele,
Villeh. Ses8. Die Pferde der Ritter
trugen gewöhnlich große Schaberacken
von leichtem Zeuge, welche ihnen
faſt bis zu den Füßen reichten und
mit dem Wappen der Ritter geſchmückt
u
waren. Ducange zu Villeh. ©. 288.
60) Vasa navigio apta (usariae et
galeides) CC numero fuerunt, prae-
ter naviculas bargas. Epist, Comi-
tis de St. Paulo I. c.
61) Et on sone les bozines (buc-
cinas). Villeh. S. 59.
ueberfahrt nach der tdracifhen Kuͤſte. 215
J. Chr.
1205.
Land; nicht minder die Knappen, die Bogenſchuͤtzen und
Armbruſtſchuͤtzen. Das griehifhe Heer aber, obwohl es
in zahlreichen Scharen ſich geordnet hatte und zum Kampfe
bereit zu ſeyn ſchien 2), hinderte nicht die Landung,
ſondern wandte, als die Ritter mit eingelegten Lanzen ſich
naͤherten 's), den Ruͤcken, die Kuͤſte den Kreuzfahrern
uͤberlaſſend ), welche ohne alles Hinderniß das Fußvolk
ſo wie ihre Pferde an das Land brachten, ihre Streit—
roſſe beſtiegen und die ſechs im letzten Kriegsrathe bey
Scutari verabredeten Scharen ordneten °°).
Die Kreuzfahrer zogen hierauf in völliger Schlacht-s Julius
ordnung nach dem Lagerplatze des griechiſchen Heeres und
bemaͤchtigten ſich der Zelte, welche die Griechen zuruͤck—
gelaſſen hatten, und einer reichen Beute; und da in dem
Kriegsrathe alle der Meinung einſtimmig waren, daß es
62) Et l’Empereres Alexis les at-
tendoit à granz batailles et à grant
corroiz de I' autre part.. Et li
Greu Äirent mult grant semblant
del retenir, Villeh. a. a. O. Vgl.
Epist, Comitis de St. Paulo J. o.
attingere, Epist. Comitis de st.
Paulo Il. c. Vgl. Villeh. a. a. O.
65) Hugo Plagon erzählt (a. a. O.)
folgendes Mährchen: Als die Ein:
wohner von Conſtantinopel die Fran:
zoſen erblickten, ſo begaben ſie ſich
Unrichtig iſt alſo, was Nicetas (S.
340) berichtet: „Nur wenige Tage
(ſeit der Lagerung bey Scutari) wa⸗
ren vergangen, als die Lateiner der
Küſte ſich näherten, weil fie wußten,
daß keiner auf dem feſten Lande ihnen
widerſtehen würde.“
65) Et quant ce vint A lances
baissier, Villeh. a. a. O. Die Ritter
machten den erſten Angriff zu Fuß.
64) Cum vero Deo ducente ultra
fuimus applicati, omnes Graeci, qui
convenerant, ut transitum nobis
impedirent, ita Dei gratia a nobis
elongarunt, quod aliquem eorum
etiam volatu sagittae vix potuimus
sum Kaiſer und ſprachen: Gnädiger
Herr, laßt uns ausziehen und den
Feinden die Landung wehren. Der
Kaiſer aber antwortete: mit nichten;
die Franzoſen möchten kommen und
landen; si com il seroient herbergie
il feroit istre (d. i. herausgehen)
toutes les putaius de Constantino-
ple,
mont qui estoit devers cele partie
ou il estoient herbergies, si les fe-
roit tant pisser qu'il seroient noie
et de si vil mor les feroit morir.
Hugo Plagon ſetzt aber ſelbſt hinzu:
Je ne le di mie por voir, mes ainsi
si les feroit monter sor un
£ # MEN
le disent aucunes gens, que ainsi
le dist lempereor par orgueil,
216 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VL Kap. VIII.
DE Dringend nothwendig waͤre, des Thurmes von Galata ſowohl
als des Hafens baldigſt Meiſter zu werden: ſo lagerten
ſich die Scharen noch am Abende dieſes entſcheidenden
Tages vor jener Feſte, welche zugleich mit der ihr gegen—
uͤber liegenden Akropolis den Eingang des Hafens be—
herrſchte; und die Schiffe legten ſich vor Anker ſo nahe
dem Eingange des Hafens, als die Strömung des Mee—
res es erlaubte °°),
66) Nicetas (S. 349) beſchrelbt dieſe
Bewegung des Heeres und der Flotte
alſo: „Noch waren nicht viele Tage
verfloſſen ſeit der Ankunft der Flotte
der Kreuzfahrer, als die Lateiner,
wiſſend, daß keiner auf dem feſten
Sande ihnen widerſtehen würde, ſich
der Küſte näherten. Von dort zog
die Reiterey weiter, dem Meere ſich
nahe haltend; die Schiffe aber aller
Art (al os vñ es Te u o, gd du
ves al Er rovroıs ta πιον,
begaben ſich an den in das Land fich
ergießenden Meerbuſen.“ Villehar—
douin bezeichnet (cap. 83. p. 60) den
Ort vor dem Thurme von Galata,
wo das Heer ſich lagerte, durch: la
Jverie que Lon appelle le Stanor,
was Vigenere, der Ueberſetzer des Vil—
lehardouin, durch la Iuikverie que
Ton appelle le Stenon ganz richtig
überfegt. Nach Hugo Plagon Ca. a.
O.) zogen ſich die Kreuzfahrer, da ſie
in den Hafen nicht eindringen konn⸗
ten: a une part ariere desus la Gui-
rice presdela rougeabbaie. Stenon
(rd orevov) d. i. die Meerenge, hieß
vorzugsweiſe der Bosporus (vgl. Zo-
sim. II. 30.), ſehr oft aber führt die:
ſen Namen bey den ſpätern Griechen
die ganze jenſeitige Küſte des Meer⸗
buſens Chryſokeras von der Seite von
Galata an (d'autre part del port de-
vers le Stanor, Villeh. S. 78). Daß
auch der Hafen von Conſtantinopel,
wie Krug (Chronologie der Byzantier,
St. Petersburg 1810. 8. S. 100 folg.)
annimmt, von den byzantiniſchen
Schriftſtelern TO orevov genannt
werde, ſcheint mir nicht erweislich zu
ſeyn, wenn es auch richtig ſeyn mag,
daß alte nordiſche Nachrichten dieſen
Hafen ſowohl als die von den By—
zantinern mit dem Namen TO orsvor
bezeichnete Gegend bey Galata einen
Sund, und ruſſiſche Chroniken ihn
Sud nennen. Daß den Juden in die⸗
fer Gegend ihre Wohnungen ſowohl
als ihr Begräbnißplatz angewieſen
waren, und die Juden von Conſtanti⸗
nopel daher unter dem orgarnyos
Tod oTEvoD ſtanden, wiſſen wir durch
verſchiedene Zeugniſſe, welche von
Ducange angeführt werden in der
Constantinopolis Christiana Lib. IV.
Sect. x. $. z. 2. und zu Villehar⸗
douin S. 290. 291. Ueber die rothe
Abtey, deren Hugo Plagon erwähnt,
wage ich nichts zu beſtimmen, wenn
ſie nicht etwa das Kloſter des heiligen
Mamas (Tov dylov Mauavros)
it, welches am Stenon, und an der
weſtlichen Seite von Galata lag,
Eroberung von Galata.
Die Fuͤhrer des Heeres waren in der Frühe des fol ICh
genden Tages »») zum Kriegsrathe verſammelt, über dies
Weiſe der Belagerung des Thurmes von Galata mit dem
Dogen von Venedig ſich berathend os), als das Geſchrey
erhoben wurde, daß die Beſatzung des Thurmes, welche
aus engliſchen, daͤniſchen, italieniſchen und andern Soͤld⸗
nern?) beſtand, unterſtuͤtzt durch Truppen aus der Stadt,
einen Ausfall mache. Sogleich waffnete ſich das Heer;
und der tapfere Jakob von Avesnes war der erſte auf
dem Kampfplatze mit feiner Ritterſchaft und feinem Fuß—
volke 7e) und unternahm den Kampf gegen die uͤberlegene
Zahl der anſtuͤrmenden Feinde mit allzugroßer Kuͤhnheit,
217
in der Nähe des an der Hafen:
ſeite liegenden Thores Fylokerkes.
Vgl. Anon, antiquit. Constantinop,
ap. Bandur. p. 57. 58. Ducange
a. a. D. La Guirice ift ohne Zweifel
der Meerbuſen und Hafen Chryſoke—
ras (Sinus Ceratinus), welcher auch
abgekürzt K hieß und von Ville:
hardouin (S. 62) le port de Scique,
richtiger Seique oder Saque genannt
wird. Die jetzigen Vorſtädte Galata
und Pera bildeten nämlich damals
eine einzige Vorſtadt, welche Syca
oder Sycae (ar ovxeL d. i. die Fei⸗
genbäume) genannt wurde; und die—
ſer Name findet ſich ſchon bey Strabo
(Lib. VII. c. 6. p. 310.). Vgl. Gyllius
de Topogr. Constantinop. Lib. IV.
c. 10. 11. of. v. Hammer Conſtanti—
nopolis und der Bosporos. Th. 2. S. 78.
67) Quant fu hore de tierce, Dil;
leh. S. 60.
68) Super turri illa locuti sumus
cum Duce Veneti, viro prudentis-
simo et discreto, dicentes ei, quod
nullo modo posset capi, nisi per
minitores et petrarias caperetur.
Respondit nobis, quod juxta eate-
nam antedictam faceret naves suas
protrahi, suas erigens petrarias cum
instrumentis variis super naves:
nos quoque nostra faceremus in-
- genia erigi super terram; sic un-
dique turris obsessa Dei nostroque
auxilio de facili caperetur. Epist,
Comitis de $. Paulo l. o.
69) Sarjanti Anglici, Pisani, Le-
veniani, Dachi. Epist. Comitis de
St. Paulo I. o. Statt Leveniani ſteht
in dem Abdrucke dieſes Briefes in
Edm, Martene et Ursini Durand
Collect. ampl. T. I. p. 784: Gene-
ciani, alſo Genueſer.
70) La soe maisne à pie, Villeh.
Das Wort maisne iſt aus masnada
gebildet, ein Name, womit überhaupt
diejenigen, welche im Dienſte eines
andern ſtehen, und ſelbſt Ritter, wel:
che der Fahne eines andern folgen,
bezeichnet werden. Von Villehar—
douin wird S. 64 ein Ritter Euftach
le Marquis de la masnie Herris le
frere le Conte Baudouin genannt.
218 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII.
hr welche ihm faſt Verderben gebracht hätte. Denn er erhielt
1203.
durch das Schwert eines der Feinde eine ſchwere Wunde
im Geſichte, und nur die treue Huͤlfe ſeines Waffengefaͤhr—
ten, des Ritters Nicolaus von Laulain, rettete ihn vom
Tode oder von der Gefangenſchaft *). Als aber die übrigen
Kreuzfahrer von allen Seiten andrangen, da leiſteten die
feigen Soͤldlinge des Kaiſers Alexius nicht lange Wider-
ſtand. Nachdem ihrer viele waren erſchlagen oder gefan—
gen worden, ſo kehrten diejenigen, welche aus der Stadt
uͤber den Meerbuſen gekommen waren, in verwirrter Flucht
zurück nach dem Ufer, ſtuͤrzten, von den Kreuzfahrern raſch
verfolgt, ſich in das Waſſer und ſuchten die Kette, welche
den Hafen ſperrte, zu erreichen, um an derſelben, wie an
einem Seile, zu ihren Schiffen zu gelangen; viele aber,
welche die Kette nicht erreichten, ertranken 2). Die des
ſatzung der Burg wurde von den Rittern ſo ungeſtuͤm
verfolgt, daß es ihr unmoͤglich war, das Thor zu ver—
ſchließen; und nachdem noch einmal am Eingange der
Burg das Gefecht mit heftiger Erbitterung ſich erneut
hatte, ſo drangen die Kreuzfahrer zugleich mit der Be—
ſatzung in die Burg ein und bemaͤchtigten ſich derſelben.
Von dieſer Einnahme der Burg von Galata war die Er—
oberung des Hafens die unmittelbare Folge; die große
Kette, welche den Hafen ſperrte, wurde geſprengt; das
große und treffliche venetianiſche Schiff, der Adler,
mit geſpannten Segeln und getrieben von der Gtrös
mung, drang zuerſt mit der Schnelligkeit eines Pfeils
in den Meerbuſen; die übrigen venetianifhen Schiffe
71) Villehard. S. 60. wurde, viele der Griechen, welche
22 Villehard. a. a. O. Nicetas vermittelſt derſelben ihre Schiffe zu
S. 349. Nach Hugo Plagon S 693. gewinnen ſuchten.
ertranken, als die Kette geſprengt
Eroberung von Galata. 219
folgten *), und die wenigen morſchen Schiffe des Kalſers u
Alexlus, welche Widerſtand zu leiſten wagten, wurden
theils erobert, theils zerſtoͤrt ?“).
So war jene erſte Aufgabe von den Kreuzfahrern mit
viel geringerer Schwierigkeit, als fie erwartet hatten, ges
loͤſt worden; und der treffliche Hafen von Conſtantinopel
73) Ueber die Art und Weiſe, wie
die Kette geſprengt wurde, geben weder
Nicetas noch Villehardouin nähere
Nachricht; die Sprengung derſelben
war, nachdem der Thurm von Ga—
lata war erobert worden, nicht
mehr ſchwierig. Nach der von Dus
cange (zu Villeh. S. 289) angeführs
ten, albernen Erzählung des Blondus
Flavius (de origine et gestis Vene-
torum, in Graevii Thes. antiqui-
tatum et historiarum Italiae Tom. V.
P. 1. col. ız.) gefchah es vermittelſt
einer großen Zange (forceps magnus),
welche an dem Schiffe ſich befand,
das, von einem ſtarken Winde getries
ben, gegen die Kette ſegelte. Herr Mis
chaud (Hist. des Croisades T. 8.
p. 175), ohne ſeine Quelle zu nennen,
trägt kein Bedenken, dieſe große Zange
noch deutlicher alſo zu beſchreiben:
d'onormes ciseaux d’acier qui s'ou-
vraient et se renfermaient à Paide
d'une machine, was von einem KKriegs⸗
kundigen (Herrn J. B. Schels) in der
öſtreichiſchen militäriſchen Zeitfchrift,
Wien 1828. Th. 2. S. 220, treuherzig
nacherzählt worden iſt. Andreas Dans
dulus (chron. p. 322) berichtet aber auf
folgende glaublichere Weiſe: Perito-
rum consilio paratur nayis, vocata
Aquila, magna valde, quae impul-
sione Venetorum elevatis velis ap-
positam confregit catenam, et sic
stolus libere portum intravit. (Nice⸗
tas bezeichnet, S. 347, als das größte
Schiff der venetianifhen Flotte dad:
jenige, welches die Welt, 0 Kochs,
hieß.) Vgl. Hamaker commentatio
de expeditionibus a Graecis Fran-
cisque adversus Dimyatham susce-
ptis, p. 85. Auch ruſſiſche Nachrichten
erwähnen der im J. 1203 geſchehenen
Sprengung der Hafenkette von Con⸗
ſtantinopel durch die Kreuzfahrer als
einer beſondern Merkwürdigkeit; f.
Philipp Krug Chronologie der By:
zantier. S. 195. Uebrigens war die
Sperrung des Hafens durch eine ei⸗
ferne Kette auch im Jahre 824, als
Conſtantinopel durch den Empörer
Thomas belagert wurde, von gerin—
gem Nutzen (avruogsiv öhus u
dvrnYsions hs Eursrauevns oro n
od dahvosws). Cedreni comp, hist,
ed, Paris. p 502. Vgl. F. C. Schloß
ſer Geſchichte der bilderſtürmenden
Kaiſer (Frankf. 1812. 8.) S. 44r.
74) „Die Schiffe wurden zum Theil
ans Ufer gebracht, und nachdem die
Mannſchaft ſie verlaſſen hatte, in den
Grund gebohrt (Tırewvras)."" Nice⸗
tas S. 330. Vgl. Epist. Comitis de
8. Paulo 1. c. Nach dem Berichte des
Villehardouin (S. 60. 61.) und der
übereinſtimmenden Erzählung des Hu—
go Plagon (a. a. O.) geſchah die Er:
oberung der Burg von Galata und
die Einnahme des Hafens am Sonn⸗
tage den 6. Julius 1253, am folgen:
den Tage nach der Landung des Pil⸗
220 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
Nes war in ihre Gewalt auf eine ſolche Weiſe gekommen,
daß ihnen ſelbſt dieſer erſte gewonnene Vortheil als hoͤchſt
wunderbar und als eine unmittelbare Wirkung der goͤtt—
7. Julius lichen Allmacht erſchien 7°). Ermuntert durch die Ueber—
zeugung, daß Gott mit ihnen war, hielten ſie am folgen—
den Tage, nachdem die Schiffe im Hafen ſich vor Anker
gelegt hatten 7°), einen Kriegsrath über die Anordnung
der Belagerung der Stadt ſelbſt; und die Venetianer
waren in dieſem Rathe der Meinung, daß es am zweck—
maͤßigſten wäre, die Belagerung auf die Hafenſeite zu bes
ſchraͤnken, dieſe mit der ganzen vereinigten Macht zu
beſtuͤrmen und von den Schiffen aus vermittelſt der Sturm—
leitern die Mauern zu erſteigen; die franzoͤſiſchen, italie—
niſchen und deutſchen Ritter aber erwiederten: wir ſind
des Krieges auf dem Waſſer nicht ſo kundig als ihr, und
haben nur gelernt, auf unſern Streitroſſen und mit
unſern ritterlichen Waffen zu ſtreiten. Es wurde alſo
beſchloſſen, daß die Venetianer die Belagerung an der
Hafenſeite uͤbernehmen, die uͤbrigen Pilger von der Land—
feite die Stadt berennen ſollten 77).
gerheeres am europäifchen Ufer. Nach
dem Berichte des Grafen von St.
Paul wurde erſt am dritten Tage nach
dem Uebergange und nach mehreren
vorhergegangenen unbedeutenden Ge—
fechten mit der Beſatzung der Burg
Galata der entſcheidende Sieg über
die Griechen gewonnen, und die Burg
nebſt dem Hafen erobert. Die Ehre
dieſes Sieges wird von dem Grafen
von St. Paul dem Ritter Peter von
Braiecuel (fo iſt zu leſen ſtatt Braie-
leuel, d. i. Bracheux, f. Ducange zu
Villehard. S. 257) zugeſchrieben.
7
75) Mult en furent conforte cil
de l’ost et mult en loërent Dam le
Dieu. Villeh. S. 61. Statim Deo
mirabiliter operante turris absque
bellico instrumento capta et catena
rupta fuit. Epist. Comitis de St.
Paulo l. c.
76) Lendemain furent enz traites
(d. i. hereingezogen in den Hafen) les
nes et les vaissiels et les galies et
li vissier. Villeh. a. a. O.
77) Villeh. S. 67. 62.
Belagerung von Conſtantinopel. 221
Nachdem das Heer vier Tages) bey der Burg Gas hr.
lata geruht hatte, ſetzte es am 10. Julius ſich wieder in w. Jul.
Bewegung, und zog in geordneten Scharen bis an den
Fluß Barbyſes, welcher, vereinigt mit dem Fluſſe Cydaris,
in die Spitze des Meerbuſens ſich ergießt, ſtellte die von
den Griechen zerſtoͤrte ſteinerne Bruͤcke uͤber dieſem Fluſſe
an dieſem Tage und in der darauf folgenden Nacht wie—
der her??) und zog am andern Tage, ohne durch irgend u Sur.
einen Widerſtand gehindert zu werden, bis an die Mauern
der Hauptſtadt. Auch die venetianiſche Flotte bewegte
ſich, dem Heere unmittelbar folgend, in Schlachtordnung
nach dem Innern des Meerbuſens und ſtellte ſich in
ſchoͤner Haltung auf, in einer Ausdehnung von drey Bo—
78) Villeh. S. 62. Vom 7. bis zum
10. Julius. Den Anfang der Bela:
gerung von Conſtantinopet ſetzt die
Chronologia Roberti Altissiodoren-
sis (Recueil des histor. des Gaules
et de la France T. XVIII. p. 267)
auf: VI. Idus Julii = Don nerſtag
10. Julius 1203.
70) Villeh. S. 62. Der Graf St.
Paul (ap. Godefr. Mon, p. 370) er⸗
wähnt der von Villehardouin berich—
teten Zerſtörung der Brücke nicht, fon:
dern ſagt vielmehr ausdrücklich, daß
das Heer über dieſe Brücke ohne
Schwierigkeit gegangen ſey. Die
Brücke wird aber alſo von ihm be
ſchrieben; Tunc nostris navibus et
nobis ordinatis ad pugnam proces-
simus iuxta littus ad quendam pon-
tem lapideum distantem a turre
Praenominata (Galata) una leuca
(die ganze Ausdehnung des Hafens
Chryſokeras beträgt über 4000 Klafter,
ſ. Joſ. v. Hammer Conſtantinopolis
und der Bosporos Th. I. S. 18.);
pons vero illo protensior erat parvo
ponte Parisiensi et erat adeo stri-
otus, ut tres equites juncti lateri-
bus simul vix per illum possent
transire; vadis profundis existenti-
bus non poteramus alias transire,
nisi multam faceremus torsuram. 81
vero a nostro navigio longe dista-
remus, fortasse periculum multum
incurrissemus et damnum. Nach
eicetas (S. 350) hatten die Kreuz⸗
fahrer bey dieſer Brücke und dem ſo—
genannten durchbohrten Steine (re
zov Asyousvov rovmmtov Aldov)
einen Schwachen Widerſtand (uıxea»
avrioraoıy) zu überwinden. Diefe
Brücke hieß die Kameelbrücke (Kuun-
Amv yEpvoa), vgl. Ducange zu Bit
leh. S. 292. 293. Des durchbohrten
Steines erwähnt Nicetas noch einmal
Pp. 361, indem er hinzuſetzt, daß auch
ein Bogengang dort geweſen fey:
are Tov Asyousvov tovmnrov A-
or nal TyV Ersice MEgLayoucvnv
arvida,
222 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VIII.
5 genſchußweiten und in geringer Entfernung von dem La—
ger des Heeres ®°), |
Die Länge der durch einen tiefen Graben geſchuͤtzten
doppelten Mauern der Landſeite von Conſtantinopel war zu
betraͤchtlich? *), als daß das Heer der Kreuzfahrer vermocht
haͤtte, alle Thore derſelben zu umlagern; die ſechs Scharen des
Heeres bezogen alſo, dem in einem Kriegsrathe gefaßten Be—
ſchluſſe zufolge, ein Lager am Thore Gyrolimne, ſo daß der
rechte Fluͤgel ſich an das Cosmidium, oder das nebſt ſeinen
Nebengebaͤuden mit einer feſten Mauer umgebene Kloſter
der heiligen Cosmas und Damianus, welches die Kreuz—
fahrer das Caſtell Boemunds nannten, ſich lehnte; der
linke Fluͤgel aber ſtand dem innerhalb der Stadtmauern
liegenden Blachernenpalaſte ſo nahe, daß die Steine,
welche von den Wurfmaſchinen der Kreuzfahrer geſchleu—
dert wurden, dieſem Palaſte großen Schaden zufuͤgten,
und die Pfeile der Kreuzfahrer das Dach und die Fen—
ſter deſſelben erreichen konnten 52). Da die Kreuzfahrer,
80) Villehard. S. 66.
gt) Villehardouin S. 62 giebt die
Länge zu drey Meilen an. De Con-
stantinople qui tenoit trois lieues
de front par devers la terre, ne pot
tote Lost assieger que Pune des
portes (nämlich die Gyrolimne, ſ. die
folgende Anm.). 2
82) Ep. Comitis de S. Paulo I. o.
Villeh. a. a. O. Man konnte, fagt
Nicetas, von der Mauer herab faſt
reden mit denen, welche in den Zel⸗
ten des feindlichen Lagers an der Gy—
rolimne waren. Der Name des Thores
Gyrolimne war von dem Namen ei:
nes Platzes oder eines Teiches, nach
Hammer (Conſtantinopel und der
Bosporos Th. I. S. 62) dem Namen
des von den Fluͤſſen Cydaris und Bars
byſes durchſtrömten Thales, welches
egyvga Jiuvm (vgl. Anna Comn,
P. 294.) d. i. Silberteich genannt
wurde, abgeleitet. Ducange (zu Vil⸗
lehard. S. 295) halt dieſes Thor für
daſſelbe Thor, welches in der nachher
angeführten Stelle das Blachernenthor
genannt wird. Vgl. Joſ. von Ham⸗
mer Conſtantinop. und der Vosporos.
Th. I. S. 103. Nlcetas beſchreibt (S.
350) den Plat des Lagers der Kreuzfah⸗
rer alſo: „Der Feldherr (alſo der Mark⸗
graf Bonifaz) errichtete ſein Feld⸗
herrngezelt (TO oTgaT7yıov), das zum
Theil mit Graben und Palliſaden um⸗
geben war, an dem Hügel, auf wel:
chem man den Blachernenpalaſt er⸗
„
Belagerung von Conftantinopel. » 223
ungeachtet der Leichtigkeit, mit welcher fie des Hafens ſich 1289.
bemaͤchtigt hatten, gleichwohl wegen der Groͤße und Fe—
ſtigkeit der Stadt ſowohl als der betraͤchtlichen Zahl ihrer
Beſatzung 83), auf eine ſchwierige und muͤhevolle Belages
rung rechneten: fo befeſtigten fie ihr Lager durch Wälle,
Schranken und Pfahlwerk ). Hierauf wurde das Be—
lagerungsgeſchuͤtz errichtet und verordnet, daß bey Tag
und Nacht die ſechs Scharen in der Bewachung der Wurf
maſchinen abwechſeln ſollten 8°); auch die Untergraͤber
begannen ihre Arbeiten. Der Doge von Venedig ließ
auf jedem feiner Schiffe aus Segelſtangen ein Geruͤſt ®°)
in der Hoͤhe von hundert Fuß und von ſolcher Breite er—
richten, daß auf denſelben vier Mann neben einander
bequem ſtehen und die Vertheidiger der Mauer mit Arm—
blickt, ſo weit dieſer Palaſt gegen
Abend ſich neigt. An dem Abhange
deſſelben befindet ſich ein Vorhof
(avAsıog), welcher gegen Mittag
ſich bis an die Mauer, wodurch der
Kaiſer Manuel Comnenus dieſen Pa—
laſt befeſtigt hat, und gegen Mitter—
nacht an das Meer (den Meerbuſen)
ſich erſtreckt.“ Unter dieſer avAsuos
ſcheint Nicetas einen Platz vor dem
Thore oder innerhalb des Thores der
Blachernen zu verſtehen; denn er ſagt
hernach, daß von dieſem Vorhofe aus
das griechiſche Fußvolk Ausfälle gegen
die Belagerer unternahm. Zunächſt
dieſem Thore (quae porta, sd. Bla-
chernae, patet a dextra parte pala-
tii, nach der epist. Comitis de 8.
Paulo J. c.; la porte desus le palais
de Blakerne nach Villehardouin S.
65, vgl. S. 99.) ſtand Peter von Braie⸗
cuel, welcher daher am meiſten der
Gefahr ausgeſetzt war. Wenn Nicer
tas (a. a. O.) ſagt: 7v dd aa am
r mergoßöoluw umyarnuaruv
oypsiodusva Ta Puoilsıa: fg
meint er damit keinen andern Palaſt,
als den Palaſt der Blachernen.
83) Por un qu'il estoient en Lost,
estoient il deux cens en la ville,
Vitlehard. a. a. O.
84) De bones lices et de bons mer-
riens. Villehard. S. 63. Grossis pa-
lis et litiis, Ep. Comitis de S. Pau-
lol. o. ’Ogvarois zaganouaos *
Ev megLoravposunot. Nicetas
a. a. O. Vgl. Hugo Plagon S. 663.
664.
85) Villeh. S. 65.
86) Pontem altissimum, Epist.
Comitis de St. Paulo. I. c. Vgl.
Nicetas S. 351. Villehardouin nennt
dieſe Gerüfte: eschieles (scalas), wegen
der daran befindlichen Sturmleitern,
und dieſen Namen geben ihnen auch
der Graf Balduin in ſeinem Briefe
und Nicetas (sAluanus) p. 366.
J. Chr.
1203.
*
224 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
brüften beſchießen oder von denſelben die Mauer vermit⸗
telſt Fallbruͤcken erſteigen konnten; leichtbewegliche Strick⸗
leitern wurden ebenfalls bereitet, und die Schiffe gegen
Feuer durch den Ueberzug von Ochſenhaͤuten geſichert;
von jedem Schiffe drohte außerdem eine Wurfma—
ſchine s?) der Stadt Verderben. Die Venetianer uͤber⸗
nahmen es, den Theil der Stadt, welcher an der Hafen—
ſeite liegt und Petrium genannt ward, zu berennen ??).
Alſo wurde die Belagerung der reichen und maͤchtigen
Stadt mit aller Vorſicht begonnen.
Die Truppen, welche von dem Kaiſer Alexius nach
Conſtantinopel waren gerufen worden, hatten anfangs den
beſten Willen, die Stadt zu vertheidigen; ſie unternahmen
haͤufige Ausfaͤlle, meiſtens aus dem Thore, welches zur
rechten Seite der Blachernen war, zuweilen aus dem
Thore Gyrolimne, vor welchem die Belagerer ihre Wurf—
maſchinen aufgerichtet hatten, und hielten dadurch die
Kreuzfahrer in ſteter Unruhe; alſo daß keiner von dieſen
es wagen durfte, nur eine Bogenſchußweite von dem bes
feſtigten Lager ſich zu entfernen, und die Kreuzfahrer ihre
Ruͤſtung niemals ablegen und ruhen, auch nicht anders
als vom Kopfe bis zum Fuße bewaffnet Speiſe zu ſich
nehmen konnten. An mehreren Tagen wurde das Heer der
Pilger ſechs oder ſieben Mal zu den Waffen gerufen, weil
die Feinde die Ausfälle wiederholtens??). Zwar gewann
die Tapferkeit der Ritter des Kreuzes, ſo oft es zum
Kampfe kam, den Sieg, und beſonders furchtbar waren den
Griechen die Armbruſtſchuͤtzen der Lateiner??). In einem
87) Mogonellum (Mangonel- go) Balistarum usus, quarum usus,
lum). Ibid, quanto est rarior apud illos (Grae-
88) Nicetas ©. 351. cos), tanto etiam terribilior et pe-
89) Villeh. S. 63. 64. Epist. Co- riculosior habetur. Guntheri hist,
mitis de St, Paulo I. c. Constant. p. XIII.
Belagerung von Conſtantinopel. 225
J. Chr.
1803.
dieſer Gefechte wurde ein vornehmer griechiſcher Herr aus
dem Geſchlechte der Ducas erfchlagen ?*); und in einem ans
dern, welches die Burgunder beſtanden, als ſie in ihrer Reihe
die Wache hielten ??), wurde Conſtantinus Laskaris, Bru—
der des nachherigen Kaiſers Theodorus Laskaris?s), von
dem Ritter Walther von Nuilly mit Roß und Waffen
zum Gefangenen gemacht *); aber auch die Kreuzfahrer
erlitten manche empfindliche Beſchaͤdigung; und als die
Burgunder nach dem letztern Gefechte die fliehenden Grie—
chen mit großer Haſt bis an das Thor verfolgten: ſo
wurden fie mit gewaltigem Steinregen empfangen s),
und dem Ritter Wilhelm von Chamlite, welcher mit den
Burgundern auf unvorſichtige Weiſe vorgedrungen war,
wurde ein Arm zerſchmettert. Nicht leicht verging ein
Tag ohne blutigen Kampf. Den Kreuzfahrern wurde die—
ſer faſt ununterbrochene Kampf um ſo laͤſtiger, als es
ihnen an Lebensmitteln ſehr gebrach und unter den be—
ſtaͤndigen Ausfaͤllen der Griechen es ihnen unmoͤglich war,
aus dem umliegenden Lande Vorraͤthe zu holen; ſie hat—
ten gar kein Mehl, ſehr wenig Salz und geſalzenes Fleiſch,
und waͤhrend drey Wochen genoſſen ſie kein anderes fri—
ſches Fleiſch, als das Fleiſch der in den Gefechten ge—
toͤdteten Pferde “).
91) Filius Ducis de Ducato, qui erat. Epist. Comitis de S. Paulo
inter Constantinopolitanos fortior
et pulchrior dicebatur. Epist, Co-
mitis de St. Paulo I. c.
92) Un jor faissaient li Borgueig-
non la gait. Villeh. S. 64.
93) Nicetas S. 350.
94) Tunc quidam retentus est vir
nobilissimus, potentia et in militia
nobilior omnibus Constantinopoli-
tanis, qui consiliarius Imperatoris
V. Band.
1. c. Villehardouin (a. a. O.) bes
richtet das Nähere über die Gefans
gennehmung des Conſtantinus Lass
karis.
95) Villehard. a. a. O. Der Ber
ſchädigung, welche die Kreuzfahrer
durch Steinwürfe erfuhren, erwähnt
Nicetas S. 380 im Allgemeinen.
96) Villehard. S. 63.
P
lagerung.
226 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
Daß die griechiſchen Truppen im Anfange der Bela—
gerung mit ſolcher Entſchloſſenheit und Beharrlichkeit
wider die Belagerer ſtritten, dieſes war das Werk der
Verwandten des Kaiſers Alexius, beſonders ſeines Eidams
Theodorus Laskaris, welche ihre Ehre darein ſetzten, den
Kreuzfahrern zu beweiſen, daß von dem byzantiniſchen Heere
nicht alle Kraft und Tapferkeit gewichen waͤre. Der
Kaiſer Alexius aber nahm an der Vertheidigung ſeiner
Hauptſtadt keinen andern Antheil, als daß er von der
Höhe des Palaſtes der Kaiſerin Irene?) die Gefechte
anſchaute, ſchon damals, wie der griechiſche Geſchicht—
ſchreiber Nicetas verſichert, zu baldiger Flucht ent—
ſchloſſen “ ).
Die Kreuzfahrer aber ſehnten ſich wegen des mit
jedem Tage in ihrem Lager ſteigenden Mangels an Le—
bensmitteln nach ſchneller Entſcheidung; denn in ihrer Lage
war ihnen nichts verderblicher, als eine langwierige Bes
In der Fruͤhe des Morgens vom ſiebzehnten
des Julius ruͤſteten ſich Heer und Flotte zum allgemeinen
Sturme ??). Der Markgraf Bonifaz mit feiner Schlacht—
97) Osarıjs rov aq ονανν e
Into, rods Umeguwnkovs do uwovs
avıov, o rs & AV uv de-
oroivns zın)monovro, Nicetas a. a.
O. Dieſe oͤbomrove war wohl keine
andere als Irene, die Gemahlin des
Kaiſers Manuel, Tochter des Grafen
Beringer von Sulzbach, welche vor
ihrer Vermählung Gertraude hieß.
S. Otton. Frising. Chron. lib. VII.
28. Guil. Tyr. XVI. 23. Vgl. Tol-
neri histor. palat. cap, 2. p. 65.
Den Theodorus Laskaris bezeichnet
Villehardouin (S. 129) alſo: un
Grieu que on appelloit Toldre Las-
cre et avoit la fille “ Empereor à
fame.
98) Nicetas a. a. O.
99) Den Monatstag dieſes allgemei—
nen Sturms giebt Nicetas an; der
17. Julius aber war ein Donnerſtag,
und es ſtimmt alſo mit dieſer Angabe
des Nicetas auch die Angabe des Ville:
hardouin (S. 65): Un ioesdi maitin
ku lor assauls atornez et les eschie-
les. Die Belagerung hatte nach Bils
lehardouin ſchon faſt zehn Tage (prés
de dix iors) gedauert, nämlich vom
7. Julius an. Nach dem Briefe des
Grafen von St. Paul geſchah dieſer
Sturm an einem Mittwoch, und die
Belagerung von Conſtantinopel.
ordnung, ſo wie Matthias von Montmorency mit den
Scharen aus Burgund und Champagne, an welchen die
Reihe der taͤglichen Wache war, uͤbernahmen die Be—
ſchuͤtzung des Lagers an der dem flachen Lande zuge—
wandten Seite ); die übrigen vier Schlachtordnungen
ſtuͤrmten wider die Mauer, und es gelang einigen Rittern
und zwey Knappen, zwey Sturmleitern an die Vormauer
nahe dem Ufer des Meerbuſens zu bringen, die Mauer
zu erſteigen und Paniere und Fahnen des Kreuzes auf—
zupflanzen n). Da aber nicht mehr als im Ganzen
funfzehn Ritter und Knappen die Hoͤhe der Mauer erreich—
ten, ſo vermochten dieſe wenigen Maͤnner gegen die Ver—
theidiger der Mauer an dieſer Seite, Daͤnen und Eng—
länder 2) in großer Zahl, welche bald noch durch andre
Truppen verſtaͤrkt wurden, nicht, ſich zu halten, als es
zum Handgemenge kam mit Schwertern und Streitaͤxten;
ſondern ſie waren genoͤthigt, ſich zuruͤckzuziehen mit Zu—
ruͤcklaſſung zweyer Gefangenen; dieſe wurden fogleich zum
Belagerung dauerte, nach der Erzäh⸗
lung ſowohl dieſes Briefes als des
von Arnold von Lübeck (Lib. VI. 19)
mitgetheilten Schreibens der Kreuz—
fahrer, im Ganzen nur acht Tage.
100) So berichtet Villehardouin. Der
Graf von St. Paul behauptet in fei:
nem Briefe, daß er nebſt dem Mar:
ſchall der Champagne (Marscalcus
Campanicus de sancto Tyrone) und
Matthias von Montmorency die Be—
wachung des Lagers beſorgt habe.
101) Villehardouin und Epistola
Comitis de S. Paulo a. a. O.
102) Et li murs fu mult garnis
d' Anglois et de Danois. Villehard.
a. a. O. Auch Nicetas erwähnt (S.
361) der meistupoguw Bapßagnv,
(Englois et Danois à totes haches
bey Villeh. S. 72), welche damals im
Heere des Kaiſers von Byzanz dien⸗
ten und nebſt den piſaniſchen Söld—
lingen dieſen Theil der Mauer ver—
theidigten. Ueber die däniſchen und
engliſchen Söldtinge im Heere des by:
zantiniſchen Kaiſers vgL, Ducange zu
Villehard. S. 206 — 299. Es ift merk:
würdig, daß in den verſchiedenen Ber
richten über dieſe Belagerung durch—
aus keine Erwähnung des griechiſchen
Feuers vorkommt; obwohl Herr Mi:
chaud (Hist. des Crois, ed. 4. T. III.
P. 181 folg.) nicht unterläßt, zu erzäh⸗
len, daß von dem feu gregeois die
gehörige Anwendung gemacht wor:
den ſey.
P2
27
J. Chr.
1203.
228 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. VIII.
J. Chr.
1203.
Kaiſer Alexius gefuͤhrt, welchen der Anblick der gefange—
nen Kreuzfahrer mit großer Freude erfuͤllte. An einem
andern Orte warfen die Untergraͤber einen Thurm nieder,
und eine Schar der Kreuzfahrer drang ſtuͤrmend ein in die
durch den Fall des Thurmes entſtandene Oeffnung, erfuhr
aber von den piſaniſchen und andern Soͤldlingen des Kai—
ſers Alexius einen ſo heftigen Widerſtand, daß ſie eben—
falls gezwungen wurde, zuruͤckzuweichen n). Gluͤcklicher
waren die Venetianer, welche von den hohen Geruͤſten ihrer
Schiffe, erhaben ſelbſt uͤber die Hoͤhe der Mauer, ihre
Geſchoſſe gegen die griechiſchen Truppen mit großer Wirk—
ſamkeit ſchleuderten ). Der Doge Heinrich Dandulo
hatte Preiſe ausgeſetzt fuͤr diejenigen, welche zuerſt die
Mauer beſteigen würden **); aber noch mehr als dieſe
Belohnungen wirkte ſein eignes Beyſpiel, und ungeachtet
ſeines hohen Alters und ſeiner Blindheit fuͤhrte er ſelbſt
feine Krieger zur Landung und zum Sturme *). In
voͤlliger Ruͤſtung ſtand er auf dem Vordertheile ſeines
Schiffes, vor ihm wurde das Panier des heiligen Marcus
getragen, und mit lauter Stimme gebot er unter Andro—
hung ſchwerer Strafe ſeinen Leuten, das Schiff an das
Ufer zu bringen. Als das Panier des heiligen Marcus
103) Villehard. S. 66. Des nieder⸗
geworfenen Thurmes erwähnt nur der
Brief des Grafen von St. Paul.
Nach Nicetas (S. 351) wurde ein
Theil der Mauer, welcher nach dem
Meere ſich erſtreckte, an dem Orte,
welcher Aroßadga Bacıkus (d. i.
kaiſerliche Stiege) hieß, durch Mauer⸗
brecher (2 ) niedergeworfen. Nach
der Erzählung des Mönches Alberik
(ad a, 120): Nostri in littore castra
posuerunt, minatores quoque mu-
rum suffoderunt, de quo pars magna
eecidit, et nostri, aditu patefacto,
urbem intraverunt.
104) Nicetas S. 351.
105) Fr. von Raumer Geſch. der
Hohenſtaufen Th. 3. S. 214 nach der
handſchriftlichen venetianiſchen Chro—
nik des Martino da Canale.
106) Or porroiz oire (d. i. entendre)
grande proesie. Alſo beginnt Ville⸗
hardouin (S. 67) ſeine Erzählung
dieſes tapfern Benehmens des Dogen.
Belagerung von Conſtantinopel. 229
am Ufer geſehen wurde, fo folgten die übrigen Schiffe Fr
mit großer Haſt. Die griechiſchen Truppen, ſchon ge—
ſchreckt durch die moͤrderiſchen Geſchoſſe der Venetianer,
wagten keinen Widerſtand, und die Venetianer bemaͤchtig⸗
ten ſich ohne Muͤhe der Mauer des Theils der Stadt,
welcher damals Petrium genannt wurde, und beſetzten fünf
und zwanzig Thuͤrme ). Die Kreuzfahrer, unmuthig
uͤber das Mißlingen ihres Angriffes, wurden uͤberraſcht
durch die Nachricht, welche ein venetianiſches Boot uͤber—
brachte, daß ein Theil der Stadt in der Gewalt des Do—
gen waͤre; und bald darauf wurden ſie erfreut durch das
ihnen hoͤchſt willkommene Geſchenk von Pferden, welche
die Venetianer in der Stadt erbeutet hatten und ihnen
uͤberſandten. Die griechiſchen Truppen ſammelten ſich
zwar wieder und zogen heran in ſtarker Zahl, um die
Venetianer wieder aus dem Beſitze der genommenen
Thuͤrme zu vertreiben; dieſe ſchuͤtzten ſich aber dadurch
gegen jeden Angriff, daß ſie den Theil der Stadt, welcher
zwiſchen ihnen und den Griechen lag, anzuͤndeten. Da
das Feuer ſich ſchnell verbreitete, vom Huͤgel der Blacher—
nen bis zum Kloſter Chriſti des Wohlthaͤters s) alle
Gebaͤude in Flammen ſtanden, und der Wind Flammen
und Rauch nach dem Innern der Stadt trieb: ſo war es
107) Alſo Villehardouin; nach dem
Brlefe des Grafen von St. Paul drey⸗
ßig Thürme. Vgl. Nicetas a. a. O.
Veneti, ſagt der Mönch Albericus
(ad a. 1202), urbem dimidia leuca
intraverunt et multos equos lucrati
sunt, de quibus Dux Venetiae misit
Comiti Flandriae ducentos,
108) IIgös ariv uovyv ẽ,⅛( Ni-
ron, „Der Schwung der Flamme,
febt Nicetas hinzu, erhob ſich über
das ſogenannte Deuteron.“ Ueber die
Lage des Kloſters Chriſti des Wohl⸗
thäters ſ. Ducange Constantinopolis
Christ. Lib. IV. im Anfange. Dieſer
Feuersbrunſt erwähnen auch die Chro-”
nologia Hoberti Altissiodor. (im
Recueil des historiens des Gaules et
de la France T. XVIII. p. 267) und
Hugo Plagon S. 664.
230 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
9. ehr. den Griechen unmöglich, vorzudringen, und die Venetlaner
blieben im Beſitze der eroberten Thuͤrme.
In dieſer Lage der Dinge und als im Volke und in
dem Heere der Unwille laut wurde uͤber den unwuͤrdigen
Kaiſer, welcher die ſchoͤnſte und feſteſte Stadt der Erde
einem kleinen Haͤuflein von Fremdlingen zur Verwuͤſtung
preisgab, nahm endlich der Kaiſer Alexius den Schein
an, als ob er geſonnen waͤre, ſeinen Thron und ſeine
Hauptſtadt zu vertheidigen **). Er rief feine Scharen
zu Fuß und zu Pferde zu den Waffen, ließ ſie in dichten
Haufen aus mehrern nicht belagerten Thoren der Land—
ſeite ausruͤcken und ordnete ſein Heer am Thore des
heiligen Romanus **°), in der Entfernung einer Stunde
von dem Lager der Kreuzfahrer, zur Schlacht.
Die Kreuzfahrer hielten es nicht fuͤr rathſam, den
Kampf in offenem Felde mit einer ſo uͤberlegenen Zahl,
welche das ganze Land bedeckte, ſo weit der Blick reichte,
anzunehmen, ſondern beſchraͤnkten ſich auf Vertheidigung.
Sobald die beyden Scharen des Grafen Balduin von
Flandern und der Ritter Matthias von Valincourt und
Balduin von Beauvoir, an welche die Reihe der Wache
109) „Die Einwohner von Conſtan⸗
tinopel kamen zum Kaiſer und fpra:
chen: Gnädigſter Herr (Sire), wenn
du uns nicht befreyſt von dieſen Hun-
den, welche uns belagern: fo überge—
ben wir ihnen die Stadt. Hierauf
antwortete der Kaiſer, daß er ſie ſchon
befreyen würde.“ Hugo Plagon S.
664. Auch Nicetas berichtet, daß der
Kaiſer Alexius durch die heftigen Bor:
würfe, welche ihm wegen ſeiner Un⸗
thätigkeit gemacht wurden, endlich ſich
bewegen ließ, an die Spitze feiner
Truppen ſich zu ſtellen.
110) Par une porte que on ap-
pele porte Romaine, a un mille pres
de la ou li Latins estoient herber-
gies. Hugo Plagon a. a. O. Par
autre portes, bien loin d'une lieue
de lost. Villeh. S. 68 Das Thor
des heiligen Romanus trug ſeinen
Namen nach einer gleichnamigen, von
der Kaiſerin Helena gebauten Kirche.
Vgl. Ducange Constantinop. Christ.
Lib. IV. 87.
Belagerung von Conſtantinopel. 231
übergegangen war **), meldeten, daß die Griechen in?
gewaltiger Zahl herankaͤmen: ſo ſtellten ſich ſaͤmmtliche
ſechs Schlachtordnungen des Pilgerheeres auf vor den
Schranken des Lagers, um im Ruͤcken gedeckt zu ſeyn;
die Knappen und Knechte zu Fuß erhielten ihren Platz
hinter den Roſſen der Ritter, die Armbruſtſchuͤtzen vor
denſelben, und eine eigene Schar wurde gebildet aus etwa
zweyhundert Rittern, welche ihre Pferde verloren hatten.
In ſolcher Stellung erwarteten die Kreuzfahrer den An—
griff nicht ohne Aengſtlichkeit. Denn die Griechen, ſagt
Villehardouin, hatten wohl ſechszig Schlachtordnungen,
und jede derſelben war groͤßer als eine von unſern ſechs
Schlachtordnungen **.
Das griechiſche Heer kam zwar in ſtattlicher Haltung
und mit gemaͤßigtem Schritte den Schlachtordnungen der.
111) Aus dem Ausdrucke des Ville⸗
bardouin (S. 69): Cel ior faisoit
Henri le frere le Conte Baudoin de
Flandres et de Hennaut la gait etc.,
könnte man ſchließen, daß der von dem
Kaiſer Alexius ſelbſt geleitete Ausfall
erſt am folgenden Tage Statt fand;
aus der Erzählung aber, des Wis
cetas ſowohl als des Grafen von
St. Paul, geht hervor, daß der Kai:
ſer den Ausfall noch an demſelben
Tage unternahm, an welchem die
Kreuzfahrer waren zurückgeſchlagen
worden, und die Venetlaner das
Quartier Petrium eroberten.
112) Villehardouin S. 69. Et scia-
tis, ſchreibt der Graf von St. Paul,
quod non fuimus in toto exercitu
plures quam quingenti milites et
totidem equites, sarjantos non ha-
buimus plures quam duo millia pe-
ditum; major enim paıs statuebatur
ad ingenia nostra conservanda. Die
Chronik des Andreas Dandulo (S.
322) behauptet, daß außer einer un⸗
zählbaren Menge von Fußvolk das
Heer, mit welchem der Kaiſer Alexius
dieſen Ausfall machte, dreyßig tau⸗
ſend zu Pferde zählte; die Chronolo-
gia Roberti Altissiodorensis giebt
ſechszig tauſend zu Pferde an, außer
einer unendlichen Menge von Fußvolk.
Nach der Chronik des Mönches Albe—
vicus, welche über dieſen Ausfall
ſehr ungenaue Nachrichten überliefert
(ad a. 1203), beitaud das Heer des
Kaiſers aus acht Schlachtordnungen,
jede zu vier tauſend Streitern, und dle
Anführer dieſer Schlachtordnungen
waren: Ii Vernas (d. i. Theodorus
Branas), qui uxorem Regis Philippi
sororem (nämlich die ehemalige Kai:
ſerin Agnes) habebat, Morculfus
Boterans, Petrus de Navarris, Con-
stantinus (Lascaris ?), Acharius Sy-
nagon et Samson patriarcha.
Chr.
1205.
J. Chr.
1203.
232 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. VIII.
Kreuzfahrer fo nahe, daß Pfeilſchuͤſſe gewechſelt wurden;
zum Handgemenge aber kam es nicht. Denn Alexius hatte
weder ſelbſt Luft, den Kampf zu wagen, noch wollte er die
Ehre einer Waffenthat feinem kampfluſtigen Eidam Theo⸗
dorus Laskaris gönnen *). Die Kreuzfahrer wurden
indeß, waͤhrend beyde Heere unthaͤtig einander gegenuͤber
ſtanden, durch die Ankunft der Venetianer verſtaͤrkt; denn
ſobald der Doge von Venedig erfuhr, daß das Heer der
Kreuzfahrer von den Griechen bedraͤngt wuͤrde: fo verließ
er die von ihm beſetzten Thuͤrme der Mauer von Conſtan—
tinopel, begab ſich eiligſt mit ſeinen Leuten nach dem Orte,
wo die Gefahr drohte, und ſchloß ſich den Pilgern an,
um jede Gefahr mit ihnen zu theilen ***). Die Kreuz—
fahrer aber verließen ungeachtet dieſer Verſtaͤrkung nicht
die angenommene Stellung. Erſt, als der Kaiſer mit
feinen zahlreichen Scharen den Nückzug antrat, rückten
ſie in gemaͤßigtem Schritte vor, mit großer Vorſicht den
Feind verfolgend und ihrem Lager ſo nahe ſich haltend,
daß ſie ſchleunige Huͤlfe leiſten konnten, wenn ihre Bela—
gerungsmaſchinen durch die Feinde bedroht werden ſollten.
Das griechiſche Heer aber nahm ſeinen Ruͤckzug nach dem
kaiſerlichen Jagdſchloſſe in dem vor der Stadt gelegenen
Luſthaine, dem Philopation **, und gewann von dort
113) Nicetas S. 351. 52.
114) Et quant ce oi (entendit) Ii
Dux de Venise, si fist ses gens re-
traire et guerpir les toxs que il avoi-
ent conquises, et dist que il vo-
loit vivre ou morir avec les Pele-
zins, Villeh. S. 70. Sehr verwirrt,
unvollſtändig und unklar iſt die Er⸗
zählung des Andreas Dandulo (a. a.
O.) von dieſen Begebenheiten.
115) A un Palais qui ere appellez
au Philopaz, Villeh. a. a. O. Den
Namen Philopation führten zwey Be⸗
luſtigungsörter von Conſtantinopel;
das eine (TO Zvros Qılonarıov)
war innerhalb der Stadt bey dem Pas
laſte und Kloſter Mangana, unfern
von der Akropolis; das andre, wel
ches hier gemeint wird (TO Zxros
gılorarıov), lag außerhalb der
Stadt, unfern von dem goldenen
Ereigniſſe in Conſtantinopel. 233
wieder die Stadt. Die Kreuzfahrer waren froh, daß Wahr
die Gefahr voruͤbergegangen war, legten ermattet von
der Anſtrengung des Tages ihre Waffen ab, erquickten ſich,
ſo gut ſie es bey dem Mangel, welcher im Lager herrſchte,
vermochten, mit Speiſe und Trank *), und erwarteten
nicht ohne Beſorgniß wegen noch groͤßerer Gefahr den
kommenden Tag **).
Auch dieſe Beſorgniß wurde auf eine den Kreuzfah' ze. Sur.
rern hoͤchſt unerwartete Weiſe gehoben. Das Heer wurde
am andern Tage nicht zu den Waffen gerufen, wie alle
erwartet hatten, ſondern noch ehe es tagte, wurden die
Barone zur Verſammlung in das Zelt des Markgrafen
Bonifaz beſchieden; und dort vernahmen ſie aus dem
Munde des Prinzen Alexius die ihm durch Botſchafter
aus der Stadt uͤberbrachte Kunde, daß der Kaiſer Alexius
in der verwichenen Nacht mit ſeiner Tochter Irene und
ſo vielen Schaͤtzen, als er hatte mitnehmen koͤnnen 118),
Thore, alſo nahe der Küfte der Pros
pontis. Vgl. Ducange zu Villehard.
S. 299. 300.
118) Der Kaiſer Alexius war um
die Zeit der erſten Nachtwache mit
zehn Zentnern Goldes und vielem kai—
116) Et sachiez qu'il ni ot si har -
di qui n'aust grant ioie .. Et
cil de Lost allerent a lor herber-
ges, si se desarmerent qui ere mult
las et travaillie, et poi (peu) man-
gierent et poi burent, cor poiavoi-
ent de viande (d. i. vivanda oder
vivenda, Lebensmittel.) Villehard.
a. a. O.
117) Nach der Erzählung ſowohl
des Grafen von St. Paul als der
Chronik des Andreas Dandulo (a. a.
O.) erklärte der Kaiſer, als er am
Abende dieſes Tages in ſeinen Pa—
laſt zurückkehrte, daß er am folgen:
den Tage den Kreuzfahrern eine
Schlacht zu liefern gedächte.
ſerlichen Schmucke von Edelſteinen
und Perlen nach Debeltum (SsBsArov
d. i. Zagora in Bulgarien) entflohen,
wo alles zu ſeiner weitern Flucht
ſchon vorbereitet war. Nicetas S. 332.
333. Als dies bekannt wurde, ſo ver—
ſammelte der Verſchnittene Conſtantl⸗
nus, welcher kaiſerlicher Schatzmeiſter
war, die fremden Söldlinge ( rovs
mwehenupogovs) und trug ihnen die
Lage der Sachen vor; und da auch dle
Partey derer, welche ſchon feit län—
gerer Zeit die Wiedereinfegung des
Kaiſers Iſaak wünſchten, einverſtan⸗
den war: fo wurde die Kaiſerin Eur
phroſyne mit ihrer ganzen Verwandt:
234 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII.
Jer feine Gemahlin Euphroſyne und feine übrigen Kinder ihrem
1203.
Schickſale preisgebend, heimlich aus der Stadt entflohen
wäre; der geblendete Kalfer Iſaak aber mit ſeiner Ge—
mahlin Margarethe, des Koͤnigs von Ungarn Schweſter,
im Palaſte der Blachernen, mit kaiſerlichem Schmucke ans
gethan und auf dem kaiſerlichen Throne ſitzend, aufs neue
die Huldigung ſeines Volks empfangen haͤtte. Dieſe
Nachricht erweckte im ganzen Lager die groͤßte Freude, und
die Pilger erkannten mit dankbarem Sinne auch in dieſer
unerwarteten Rettung aus einer Lage, welche ihnen ſehr
bedenklich vorgekommen war, einen unzweydeutigen Bes
weis der goͤttlichen Gnade, welche ſie gegen Untergang
und Verderben ſchirmte und ihre Schickſale auf ſo wun—
derbare Weiſe lenkte *). Gleichwohl waffnete ſich das
ganze Heer, nachdem es Tag geworden war; denn man
traute den Griechen nicht und argwoͤhnte Hinterliſt. Bald
aber beſtaͤtigten andere Botſchafter, welche aus der Stadt
an den Prinzen Alexius ſowohl als an die Barone ge—
ſandt wurden *), die Wahrheit der früher gebrachten
ſchaft gefangen genommen, und Iſaak
zum Kaiſer ausgerufen. Nicetas S.
354. Nach der Erzählung des Mönches
Alberik belud der Kaiſer Alexius zehn
pferde mit Gold und Edelſteinen, in
der Abſicht, damit zum Sultan von
Iconium zu fliehen.
119) Et por ce puet on bien dire,
que Diex vielt aidier, nuls home
ne li puet nuire. Villeh. S. 73. 74.
Aehnliche Betrachtungen ſtellt auch der
Graf Balduin von Flandern und Hen—
negau an, in dem von Arnold von
Lübeck (Lib. VI. 20. p. 723) mitge⸗
theilten Briefe. Denſelben Brief rich:
tete Balduin an den Papſt Inno-
cenz III., und er findet ſich daher auch,
und zwar vollſtändiger, unter den
Briefen dieſes Papſtes. Epist. In-
noc. III. Lib. VII. 132. ed. Bre-
quigny et Laporte du Theil T. II.
p. 570 sd. Er ſteht auch in Gode-
fridi Monachi annalibus p. 371-374,
und in Auberti Miraci operibus
diplomaticis, T. I. p. 110.
120) Villeh. S. 74. Nicetas S. 384.
Auch die Erleuchtung des Blachernen—
palaſtes beſtätigte den Pilgern die
Wahrheit der ihnen gebrachten Nach:
richt: Imsperatam laetitiam copiosa
in palatio luminaria protestantur.
Epist. Crucesignatorum ap. Arnold,
Lubec. p. 721,
Vertrag mit dem Kaiſer Iſaak. 235
Nachricht; worauf in dem Kriegsrathe der Führer des eg.
Pilgerheeres der Beſchluß gefaßt wurde, Geſandte an den
Kaiſer Iſaak abzufertigen und durch dieſelben den Zuſtand
der Dinge in Conſtantinopel erforſchen und dem Kaiſer
erklaͤren zu laſſen, daß entweder von ihm der von dem
Prinzen Alexius geſchloſſene und geſchworene Vertrag ans
erkannt und vollzogen werden müßte, oder fie den Prin⸗
zen nicht aus ihrem Lager entlaffen würden ***).
Zu dieſer Geſandtſchaft wurden von Seiten der Bar
rone die Ritter Matthias von Montmorency und Gott—
fried Villehardouin, und von Seiten der Venetianer
ebenfalls zwey angeſehene Maͤnner erwaͤhlt; dieſe ritten
an das Thor der Blachernen, ſtiegen, als ſie eingelaſſen
wurden, von ihren Roſſen, gingen zu Fuß durch eine
doppelte Reihe von daͤniſchen und engliſchen mit Beilen
bewaffneten Soͤldnern, welche in den Straßen aufgeſtellt
waren, zu dem nahe gelegenen kaiſerlichen Palaſte und
fanden in demſelben den geblendeten Kaiſer und ſeine Ge—
mahlin, Beyde angethan mit der koſtbarſten Kleidung und
umgeben von einer glaͤnzenden und zahlreichen Verſamm—
lung reich gekleideter und geſchmuͤckter Hoͤflinge 22). Als
die Geſandten nach einem ſehr ehrenvollen Empfange dem
Kaiſer gemeldet hatten, daß ſie ihm im Namen ſeines
Sohnes, des Dogen von Venedig und der Barone des
Pilgerheeres eine Botſchaft zu uͤberbringen haͤtten: ſo be—
gab ſich der Kaiſer Iſaak mit feiner Gemahlin, feinem
Kammerherrn 123), einem Dolmetſcher und den vier
121) Villehard. S. 74, und ganz este le jor devant contre lui, estoi-
übereinſtimmend Nicetas a. a. O. ent cel ior tost A sa volonte.
122) Villehardouin (S. 75), indem 123) Son Chambrier (Villehard.
er dies berichtet, macht dazu die Be: S. 73); entweder dem mαπονννπõν,/A m
merkung: Et tuit cil qui avoient AHEVos Tov Puoıhınov Aννο
J. Chr.
1203.
236 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. VIII. |
Botſchaftern in ein Seitengemach. Dort nahm der Mars
ſchall Villehardouin im Namen der uͤbrigen Botſchafter
das Wort und ſprach: Ihr ſehet, gnaͤdigſter Herr, wie
wichtigen Dienſt wir euerem Sohne geleiſtet, und wie wir
unſer ihm gegebenes Wort geloͤſt haben; nunmehr aber
kann er nicht eher zu euch kommen, als wenn auch er
von ſeiner Seite die von ihm uͤbernommenen Verbind—
lichkeiten erfuͤllt haben wird. Darum entbietet er, als
ein gehorfamer Sohn, euch, feinem Vater, durch uns,
daß ihr die Bedingungen des von ihm mit dem Dogen
von Venedig und den Baronen des Pilgerheeres aufge—
richteten Vertrags ſeinem ganzen Inhalte nach genehmigen
moͤget. Hierauf berichtete Villehardouin dem Kaiſer, auf
deſſen Aufforderung, die Bedingungen des zu Venedig
verabredeten, von dem Kalſer Philipp, des Kaiſers Iſaak
Schwiegerſohn, genehmigten und von dem Prinzen Alexius
zu Zara bekraͤftigten Vertrags. Das ſind ſchlimme Be—
dingungen, erwiederte der Kaiſer Iſaak, und ich ſehe nicht,
wie ſie erfuͤllt werden moͤgen; doch ihr habt mir und
meinem Sohne ſo große Dienſte geleiſtet, daß ihr es wohl
verdient haͤttet, ob wir auch das ganze Reich euch
gaͤben 22). Nach einigen Bedenklichkeiten ſtellte Iſaak
eine Urkunde aus, in welcher er eidlich gelobte, die von
ſeinem Sohne Alexius gegebenen Verheißungen zu erfuͤl—
len; und die Botſchafter brachten dieſe Urkunde, an wel⸗
cher an einem ſeidenen Faden und in einer goldenen
Kapſel das kaiſerliche Siegel hing), froh und vergnuͤgt
(d. i. dem Oberkammerherrn), oder 124) Villehard. S. 73. 74.
dem mgoxadrjusvos v Baoıkızov
125) Chartres pendanz, bullées
dor. Villeh. S. 74
z0ıTWvoS (d. i. dem erſten Kammer⸗
herrn). S. Ducange zu Villehard.
S. 301,
Ereigniſſe in Conſtantinopel. 237
uͤber die gelungene Ausrichtung ihres Auftrags, in das Ng“
Lager der Pilger.
Nachdem der Kaiſer Iſaak auf ſolche Weiſe bewilligt
hatte, was von ihm war gefordert worden: ſo ſaͤumten
die Grafen und Barone des Pilgerheeres nicht laͤnger, den
Prinzen Alexius in die Stadt zu geleiten; fie waren Zeus
gen der herzlichen Freude, mit welcher der Sohn von
dem ungluͤcklichen Vater empfangen wurde, und beobach- —
teten mit Wohlgefallen die Aeußerungen der Zufriedenheit
des Volks 2), welches mehr Urſache hatte, ſich zu freuen
uͤber die Abwendung der Gefahren und Beſchwerlichkeiten
einer laͤngeren Belagerung, als es ſich veranlaßt ſehen
konnte, die Wiedereinſetzung des Kaiſers Iſaak als ein
beſonders erfreuliches Ereigniß zu betrachten. N
In der frohen und heitern Stimmung, in welche
die Bereitwilligkeit des Kaiſers Iſaak, die von ſeinem
Sohne Alexius zugeſtandenen Bedingungen als bindend
fuͤr ſich anzuerkennen, die Grafen und Barone des Pil—
gerheeres gebracht hatte, gaben ſie gern Gehoͤr dem An—
trage, welchen der Kaiſer am folgenden Tage ihnen machen 19. Jul.
ließ, daß ſie, um Streitigkeiten mit dem Volke der Haupt—
ſtadt zu vermeiden, mit ihrem Heere auf das jenſeitige
Ufer des Meerbuſens ſich begeben moͤchten.
126) La ioie del pere et del ſil fu
mult grant que il ne s' estoient
piega (d. ic ſeit langer Zeit) veu
Ensi fu la ioie mult grant dedenz
Constantinople et en Post defors
des Pelerins. Villehard. S. 75. Der
Dag, an welchem der Friede zwiſchen
den Pilgern und den Griechen ge—
ſchloſſen wurde, wird in der Chrono-
logia Roberti Altissiodorensis (p.268)
alſo angegeben; Mane facto, die
Die Pilger
obsidionis nono, XV. Kal. Augusti
(d. i. 18. Julius, einem Freytage)
civitas aperitur. Die Barone, welche
den Prinzen Alexius in die Stadt ges
leiteten, ſpeiſten an dieſem Tage mit
dem Kaiſer Iſaak, deſſen Gemahlin
und Sohne; manducavimus cum eis
cum magnis exultationibus et ho-
nore solemni. Epist, Comitis de
St. Paulo p. 371.
238 Geſch. d. Kreuzz. Buch VI. Kap. VIII. Ereign. in Conſtant.
Jer fühlten ſelbſt die Zweckmaͤßigkeit dieſes Antrages, und
ohne Widerrede errichteten fie daher ſchon in den naͤch—
ſten Tagen, nach der Wiederherſtellung des Friedens zwi—
ſchen ihnen und den Griechen, ihr Lager am jenſeitigen
ui ).
427) D'autre part del port, devers
le Stanor. Villeh. S. 75. Nos, ne
discordiae inter nos et Graecos fo-
mitem ministraret moribus nostris
adversa barbaries, de civitate exeun-
tes (d. i. fie entfernten fich von der
Hauptſtadt), ex adverso civitatis,
interjacente ponto (d. i. dem Meer⸗
buſen Chryſokeras), ad preces Impe-
Yatoris castra posuimus. Epist. Bal -
duini I. c. Unrichtig erzählt Albe-
ricus (ad a. 1202): Nostri passim
hospitia acceperunt in urbe, Die
IIegala bildete übrigens damals
nur Eine Vorſtadt, und Galata und
Pera wurden nicht unterſchieden. Vgl.
Sof. von Hammer Conſtantinopolis
und der Bosporos, Th. II. S. 78.
Nach der Erzählung des Hugo Pla—
gon (continuata historia belli sacri
P. 664. 665.) wurden die Unterhand⸗
lungen mit den Pilgern wegen Ver—
legung ihres Lagers nach Pera durch
Alextus Ducas Murzuflos geführt,
welchen die Kreuzfahrer ſelbſt zum Re—
genten und Vormund des jungen
Kaiſers (baillif de la terre et de
enfant) eingeſetzt hatten.
/
Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera. 239
Neuntes Kapitel.
4.
Di Pilger brachten in ihrem Lager am jenfeltigen Ufer 3. Eur.
des Hafens von Conſtantinopel mehrere Wochen auf fehr
angenehme Weiſe zu. Die Kaiſer ließen ihnen Lebens;
mittel der beſten Art und in großer Fuͤlle liefern, welche
nach ſo langen und peinlichen Entbehrungen die Pilger
um fo mehr erquickten ). Das Einverſtaͤndniß zwiſchen
ihnen und den Griechen wurde durch keinen Streit ge—
ſtoͤrt. So wie die Griechen vertraulich in das Lager der
Pilger kamen und Waaren aller Art ihnen zum Kaufe
boten: ſo kamen auch die Pilger haͤufig in die Stadt,
bewunderten deren herrliche Palaͤſte und die unermeßlichen
in dieſer uͤppigen Stadt gehaͤuften Reichthuͤmer und
Schaͤtze, beſuchten mit Andacht ihre vielen praͤchtigen Kir—
chen und Kloͤſter und erbauten ſich an dem Anblicke der
in denſelben aufbewahrten Heiligthuͤmer und Reliquien.
Denn von Reliquien, koſtbaren kirchlichen Geraͤthen und
andern Gegenſtaͤnden andaͤchtiger Verehrung beſaß Con—
ſtantinopel damals eben ſoviel, als die ganze uͤbrige
1) Villehard. S. 75. 76. Epist. Cru» fles) lor envoya formant et vin et
cesignatorum apud Arnold. Lubec. char A chascun ce qu'il estoit,
Lib. VI. o. 19. Le baillif (Marco- Hugo Plagon S. 665.
J. Chr.
1203.
1. Aug.
240 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. IX.
chriſtliche Welt zuſammengenommen 2). An dem kalſer⸗
lichen Hofe fanden die Grafen und Barone, ſo oft ſie
dort erſchienen, ehrenvolle Aufnahme, der Kaiſer Iſaak
bewirthete fie an feiner Tafel 3), vernahm gern ihren
Rath und nannte ſie die Retter und Wohlthaͤter ſeines
Hauſes ). Nicht ohne ihre Mitwirkung nahm der Kaiſer
ſeinen Sohn Alexius zum Mitregenten an, und ſie wohnten
der Kroͤnung deſſelben bey, welche am Feſte Petri Ketten—
feyer in der Kirche der goͤttlichen Weisheit mit aller bey
ſolchen Gelegenheiten am byzantiniſchen Hofe gewöhnlichen:
Pracht vollzogen wurde ). In den Briefen, welche die
Kreuzfahrer in ihre Heimath ſchrieben, ruͤhmten ſie es als
die herrlichſte und glaͤnzendſte Belohnung ihrer Anſtren—
gungen, daß nunmehr die morgenlaͤndiſche Kirche den
Papſt als ihr Oberhaupt anerkannt haͤtte, und der Pa—
triarch von Conſtantinopel, wie jeder andre Erzbiſchof,
von dem apoſtoliſchen Vater fein Pallium nehmen wuͤrde ?).
Die Kreuzfahrer uͤberließen ſich mit deſto groͤßerer
Sicherheit jeder frohen Hoffnung, da die beyden Kaiſer
Anſtalt trafen, wenigſtens in Hinſicht der verheißenen
2) Villehard. S. 76. Nach dem 4) Evepyiraı dumõνꝓνοντ nal 0W-
Mönche Albericus (ad a. 1202) hatte 2 N
Tnoss. Nicetas ©. 354.
Conſtantinopel (damals vier Meilen, 1 as
miliaria, lang und 3 Meilen breit)
fünfhundert Abteyen und Klofterfirs
chen (ecolesias conventuales),
5) A la feste Monseignor Saint
Pierre entrant August. Villehard.
S. 76. Vgl. Nicetas S. 384. Praeore
dinatis, quae necessaria videbantur,
ad ecclesiam S. Sophiae novus Im-
3) Vgl. Cap. 8. Anm. 126. S. 237. perator cum solenni processione de ·
Nicetas S. 585. Oboͤs y ya S dο, ducitur, et exuli nostro sine con-
ſetzt Nicetas hinzu, Egaoıyonuaru- tradictione imperiale restituitur dia-
Tegov rodqs Tod ydvous (zov on cum W potestatis.
3 . 5 Epist, Crucesignator. apud Arnold,
Aorivav), Toszsösınvoregov TE ra
(den Schmauſereyen nachrennender) 6) Epist. Comitis de 8. Paulo ap.
u Öamavngörsgov [ovx] Ersgov. Godefr. Mon. p. 371.
a. 241
Geldzahlung, ihre Verbindlichkeiten zu erfuͤllen; und es 8g
wurde in kurzer Zeit abſchlaͤglich von den verſprochenen
zweyhundert tauſend Mark Silbers ſo, viel entrichtet, daß
den einzelnen Kreuzfahrern zuruͤckgegeben werden konnte,
was fie den Venetianern bezahlt hatten 7). Der junge
Kalſer beſuchte oft die Grafen und Barone in ihrem Lager,
hielt mit ihnen vertrauliche Geſpraͤche, nahm Theil an
ihren Gelagen und Feſten und gab ihnen mancherley Bes
weiſe ſeiner Zuneigung und Dankbarkeit; und die beyden
Kaiſer zeigten ihren guten Willen auch dadurch, daß ſie
Frieden ſtifteten zwiſchen den Venetianern und Piſanernz
fo daß die Piſaner, welche im Dienſte des Kalſers von
Byzanz gegen die Venetianer und Kreuzfahrer geſtritten
hatten, ſich ihren bisherigen Feinden une und in
deren en u 5 Ben en N
Din 1
Die Kreuzfahrer im Lager bey Per
n 9 NN
a 70 Gele S. 76. Dieſer abſchläg⸗ N
lichen Zahlungen erwähnt auch die
Epistola ben ee apud Ar-
nold, Lubec. 1. C.
historia Constantinop. (p. XII.)
wurde die Hälfte der verſprochenen
Summe entrichtet. Nach Hugo Pla:
gon (S. 605): Quant li Latins se
furent logies (à Pera) et lor navie
pres deus, lors manga Marcofle as
Venitiens, que ils eussent en Ecrit,
combien li Pelerin avoient es nes
A e et si list on a rah ur com-
Si fist (Marcofle) prendre l’avoir Ei
xendre à chascun.ce que Len avoit
trouve en escrit, Nach der Chronik
des Andreas Dandulo (p. 322): Ado-
lescens (Alexius), adepto imperio,
sine mora Francis implevit, sed
non aeque Venetis, ut in corum
continetur historia; Francorum ta-
V. Band.
Nach Guntheri
. + %
an ai "ad ana
men narrat Hilton dubentk mil-
lia warcharum data communiter
Francis et Venetis. -‚Diefe von An⸗
dreas Dandulo erwahnte Nachricht
der franzöſiſchen Chroniken findet ſich
auch in des Abtes Radulf Coggeshale
Chronicon Anglicanum (b. 97):
„ Dedlit (Alexius) Duci Vehetiarum
centum millia marcarum argenti,
et totidem toti exercitui erogavit
pro collato auxilio, sicut eisdem
prius pollicitus erat.“
.8) (Ol ers NHioons) yivovrar
rot roumv avrippoon. ‘(Beveri=
x015) ovoanvor, Kal Ölodsımvor.
Nicetas S. 355, welcher die Stiftung
dieſer Verſöhnung für eine ſehr uns
politiſche Handlung erklärt; ſie ge⸗
ſchah nach eben dieſem Schriftſteller
am 19. Auguſt. Villehardouin er:
wähnt dieſer Verſoͤhnung nicht.
2
J. Chr.
1203.
242 Ge ſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
Die beyden Kaiſer ſuchten um ſo mehr die Gunſt der
Kreuzfahrer ſich zu erhalten, als fie des Schutzes derſelben
noch ſehr bedurften. Denn ungeachtet aller aͤußern Ehr—
erbietung, welche ihnen von dem Volke der Hauptſtadt
bewieſen wurde, herrſchte im Allgemeinen weder in Cons
ſtantinopel noch in den Provinzen eine fuͤr ſie guͤnſtige
Stimmung; und der Unwille der Griechen, welche jede
von den Kaiſern den Kreuzfahrern bewieſene Ehrenbezei—
gung oder Aufmerkſamkeit als unvertraͤglich mit der Ehre
ihres Kaiſerthrons betrachteten, war noch dadurch gefteis
gert worden, daß die Kaiſer, da fie den Schatz leer ges
funden hatten und nicht wagten, von den Unterthanen
eine allgemeine Steuer zu fordern, durch Einſchmelzung
der goldenen und ſilbernen Geraͤthe und Bilder der Kir—
chen der Hauptſtadt, ſelbſt der goldenen Geraͤthe und ſil⸗
bernen Leuchter der Sophienkirche, und durch erzwungene
Beytraͤge der reichen und wohlhabenden Bewohner der
Hauptſtadt das Geld ſich verſchafft hatten, womit ſie einen
Theil der Summe, welche ſie den Kreuzfahrern ſchuldig
waren, bezahlten »). In dieſer Lage der Dinge war es
den Kaiſern ſelbſt ſehr wuͤnſchenswerth, daß das Heer,
welchem ſie den Thron verdankten, ſeinen Aufenthalt in
der Nähe der Hauptſtadt verlaͤngern möchte. Der junge
Kalſer kam alſo elnes Tages in die Herberge *°) des
14 1
9) Nicetad a. a. O. und S. 357.
360. Nicetas äußert (S. 337) ſeinen
Unwillen beſonders darüber, daß die
Sateiner dieſes heilige Metall, wie
eine gemeine Sache, zu körperlichen
Bedürfniſſen verwandten und im ge⸗
wöhnlichen Handel und Wandel ger
brauchten, obwohl fie wußten, wo⸗
her es genommen war (0. oe ya
n 801 goonyov=
Wevov Muαον % οννννỹ νννεανν re
60 Eoyvoov ie TE TuS owuarında
1oslas, es Vue gegner, werso-
#svalov, nal rg Bovkouevors
mgoVßaAov sı5 mEATTELOV).
10) En Postel. Villeh. ©. 77.
Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera. 243
Grafen Balduin von Flandern und Hennegau; und nach⸗
dem auf fein Anſuchen der Doge von Venedig ſowohl
als die uͤbrigen hohen Barone ebenfalls daſelbſt ſich ein⸗
gefunden hatten, ſo ſprach Alexius alſo: Edle Herren, es
iſt wahr, daß ihr mir einen ſo wichtigen Dienſt geleiſtet
habt, als ſonſt nicht leicht ein Chriſt dem andern geleiſtet
hat; ich darf euch aber nicht verhehlen, daß meine Leute
mich deshalb haſſen, weil ich durch eure Huͤlfe zum Be⸗
ſitze meines Reiches gelangt bin. Wenn ihr ſchon jetzt
mich verlaſſen wuͤrdet, ſo waͤre zu befuͤrchten, daß meine
Unterthanen mich toͤdten oder doch des Reiches berauben
wuͤrden. Darum bitte ich euch, bis zum März des naͤch⸗
ſten Jahres zu bleiben, indem ich euch verſpreche, nicht
nur bis zu Oſtern euer Heer mit allen Beduͤrfniſſen zu
verſorgen, ſondern auch den Venetianern ſo viel zu bezah⸗
len, als erforderlich ſeyn wird, um ſie zu bewegen, daß
ſie die Dauer des mit euch geſchloſſenen Buͤndniſſes noch
bis zum Michaelistage des naͤchſten Jahres verlaͤngern.
Ohnehin bin ich nicht im Stande, in wenigen Wochen
alle gegen euch uͤbernommene Verbindlichkeiten zu loͤſen;
wenn ihr aber bis zum Fruͤhlinge verweilen werdet, dann
werde ich binnen dieſer Friſt alles ſo ordnen, daß die
Ruhe meines Reiches geſichert ſeyn wird, und eure Geld—⸗
forderung aus den indeß eingehenden Einkuͤnften wird
berichtigt werden koͤnnen. Auch werde ich erſt gegen Oſtern
die Ruͤſtung der Schiffe bewirken koͤnnen, welche erforder—
lich find, um die euch zugeſagte Mannſchaft nach dem gez
lobten Lande zu bringen; und fuͤr euch wird es in jeder
Hinſicht vortheilhafter ſeyn, den Krieg wider die Tuͤrken
in guter Jahreszeit zu beginnen **), Die Barone gaben
11) Diefer Antrag wurdevon Alexius des Auguſtmonates oder im Anfange
wahrſcheinlich entweder noch im Laufe des Septembers gemacht; denn die
2 2
J. Che.
1203.
7
244 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Ka p. IX.
N: auf dieſen Antrag, als fie nach Abtretung des Kaiſers mit
einander ſich berathen hatten, zur Antwort, daß ſie in
einer ſo wichtigen Angelegenheit nichts beſtimmen koͤnnten,
ohne zuvor die Meinung * e re; vers
nommen zu haben.
Am andern Tage e ſich die inne zu
einer Berathung, zu welcher außer ihnen ſaͤmmtliche
Haͤupter des Heeres und der größte Theil der Ritter )
gezogen wurden. Es erhoben aber, als der Antrag des
jungen Kaiſers war kund gemacht worden, alle diejenigen,
welche auf der Inſel Corfu den oben berichteten Zwieſpalt
geſtiftet hatten, aufs neue ihre Stimme, indem ſie ver⸗
langten, daß die Barone, dem geleiſteten Eide gemaͤß, ihnen
ſchleunigſt Schiffe geben ſollten zur Ueberfahrt nach
Syrien. Die Uebrigen, welche den Vorſchlag des juns
gen Kaiſers fuͤr ſehr annehmlich hielten, erwiederten: es
waͤre in keiner Hinſicht rathſam, unter den obwaltenden
Umſtaͤnden, die Fahrt nach Syrien zu beſchleunigen; denn
da der Winter bevorſtaͤnde, ſo wuͤrde das Heer dahin in
einer Jahreszeit kommen, welche kriegeriſche Unternehmun⸗
gen nicht geſtatten wuͤrde, und es waͤre dann zu befuͤrch⸗
ten, daß alle Ehre und aller Vortheil, welche Gott ihnen
bisher verliehen, verloren gingen. Wuͤrde man dagegen
den Fruͤhling erwarten, ſo wuͤrden die Pilger mit Geld
und Lebensmitteln von dem griechiſchen Kaiſer reichlich
verſehen nach Syrien kommen und in guͤnſtiger Jahreszeit
den Krieg wider die Maren Gephunen: koͤnnen. 1 waͤre
Venisiens ne dure que trosque a la
feste Sain Michel,
gen des Vertrags der Pilger und Be.
netianer war damals noch nicht ab⸗
gelaufen, wie aus folgenden Worten
erhellt, welche Villehardouin (S. 77)
dem jungen Kaiſer in den Mund
legt: Et la compaignie de vos et de
12) Furent mande (al parlement)
tuit li Baron et li Chevetaigne (ca ·
pitanei) de lost et des Cheyaliers
la graindre pertie. Villehard. S. 78.
245
zu hoffen, daß die Venetianer, wenn man die Fahrt nach Ya“
Syrien bis zum Fruͤhlinge verſchoͤbe, ihren Beyſtand und
die Benutzung ihrer Flotte nicht nur bis zum Michaelis—
feſte des nächften Jahres, ſondern ſelbſt bis zum Fruͤh—
linge dieſes Jahres den Pilgern gewaͤhren wuͤrden, um
die gefahrvolle Meerfahrt zur Winterzeit zu vermeiden“).
Auf dieſe Weiſe würde das Heer hinreichende Zeit ges
winnen, nicht nur zur Eroberung des heiligen Landes,
ſondern auch zur Bezwingung von Aegypten, ohne welche
Syrien nicht behauptet den koͤnnte. Dieſe Gruͤnde
fanden, ungeachtet des lange fortgeſetzten Widerſpruchs
derer, welche auf die Beſchleunigung der Fahrt nach Sy
rien drangen *), endlich Anerkennung; es wurde die
Dauer des Buͤndniſſes der Venetianer und Pilger bis
zum Michaelisfeſte des folgenden Jahres verlaͤngert, und
der Kaiſer uͤbernahm die Verpflichtung, den Venetianern
Die Kreuzfahrer im Lager bey Pera.
zu bezahlen, was fie als Entſchaͤdigung forderten ““).
13) Porceque il ne se porront par-
tir de nos por liver. Villeh. S. 70.
14) Villehardouin (S. 79) bezeich⸗
net dieſe Partey auch bey diefer Ver⸗
anlaſſung als diejenige, welche die
Abſicht gehabt habe, ohne Nückſicht
auf Vortheil oder Nachtheil, das Heer
aufzulöſen: Cil qui ost voloit de-
pecier de meillor ne de peior, mais
que Lost se departist. Die andere
Partey dagegen beſtand aus denjeni—
gen, qui Lost voloient tenir en-
semble. 4
15) Villehard. a. a. O. His igitur
tot et tantis utilitatibus (nämlich
durch die Hoffnung, daß die griechi⸗
ſche Kirche den römiſchen Papſt als
Oberhaupt anerkennen werde) pro—
vocati, ſchreibt der Graf von St.
Paul (ap. Godefr. Mon. p, 371), et
spe sancta bonorum detenti, apud
oivitatem praescriptam (Constanti-
nopelin) proposuimus hyemare.
Bald, nachdem die Barone und Nitz
ter des Pilgerheeres dieſen Beſchluß
gefaßt hatten, ſtarb der Ritter Mat⸗
thias von Montmorency; er wurde
begraben in einer Kirche des heiligen
Johannes vom Hoſpital zu Jeruſalem.
Villehard. S. 80. Nach der Chronik
des Andreas Dandulus (p. 322):
Pacta de obedientia Romanae eccle-
siae et succursu terrae sanctae in-
novantur et confirmantur, nämlich
eben damals, als die Kreuzfahrer, nach
Dandulo, auf die Bitte der beyden
Kaiſer, des Vaters und des Sohnes,
ſich entſchloſſen, den ganzen Winter
noch im Lager bey Pera zu bleiben.
246 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
Der Markgraf Bonifaz von Montferrat, der Graf
Hugo von St. Paul, Heinrich, Bruder des Grafen Bal—
duin von Flandern, und die Ritter Jacob von Avesnes,
Wilhelm von Chamlite, Hugo von Colemy und mehrere
Andre begleiteten hierauf den Kaiſer Alexius ne), als er
auszog, um feinen Oheim Alexius, welcher zu Adrianopel
ſich aufhielt und dort einen Anhang gefunden hatte, zu
verjagen und die Provinzen, welche noch ihm und ſeinem
Vater den Gehorſam verſagten, ſich zu unterwerfen. Sie
leiſteten dem jungen Kaiſer wichtige Dienſte, indem ſie
mit ihm die Laͤnder am Bosporus und der Propontis
durchzogen; der Kaiſer Alexius der Aeltere wagte nicht,
ihnen zu widerſtehen, ſondern ſetzte ſeine Flucht fort, und
die Staͤdte und das flache Land huldigten aus Furcht vor
der Tapferkeit der abendlaͤndiſchen Ritter dem jungen Kai⸗
ſer und feinem geblendeten Vater 7). Nur der kleinere
Theil der Pilger nahm an dieſem Zuge Theil; die meiſten
Pilger blieben mit den Grafen Balduin von Flandern und
Hennegau und Ludwig von Blois und Chartres zurück
im Lager bey Pera *).
Waͤhrend der Abweſenheit des Markgrafen Bonifaz
änderte ſich die Geſtalt der Dinge in Conſtantinopel, zum
Theil durch die Schuld einiger ungeſtuͤmer und ruchloſer
Pilger. Einige Flamlaͤnder und mit ihnen einige Vene⸗
tianer und Piſaner machten namlich von der ihnen ges
J. Chr.
1203,
— T2 u |
16) Nach Nicetas (S. 357) für den
Lohn von ſechszehn Centnern Silbers.
17) Nach der Erzählung des Ville⸗
hardouin (S. 80. 81.) huldigten die
Griechen an beyden Seiten der bey⸗
den Meerengen (des Braz) dem jun⸗
gen Kaifer, mit Ausnahme des Jo:
hannes, Krals der Walachey (Roi de
Valachie), welcher damals in dem
Beſitze faſt der Hälfte des an der weſt⸗
lichen Seite des Meerarmes vom hei⸗
ligen Georg liegenden römiſchen Ge⸗
bietes war. Nach der Erzählung des
Nicetas (S. 357. 358.) durchzogen die
Ritter das Land bis nach Kypſella,
unfern von der macedoniſchen Gränze.
18) Villehard. S. 80.
j
Feuersbrunſt in Conſtantinopel. 247
waͤhrten Erlaubniß, in Conſtantinopel umherzugehen, einen I,
frevelhaften und der Stadt hoͤchſt verderblichen Mißbrauch.
Sie pluͤnderten zuerſt die Wohnungen der in Conſtanti⸗
nopel unter dem Schutze des Kaiſers lebenden Muſelmaͤn⸗
ner; drangen hierauf in das muſelmaͤnniſche Bethaus “),
welches im noͤrdlichen Theile der Stadt, unfern von dem
Ufer des Meerbuſens und in der Naͤhe der Kirche der
heiligen Irene, lag und im Jahre 1190 von dem Kaiſer
Iſaak auf die Verwendung des Sultans Saladin den
Bekennern des arabiſchen Propheten war eingeräumt wor⸗
den; verſuchten auch dort zu rauben, was ihnen gefiel;
und als ihnen die Muſelmaͤuner, unterſtuͤtzt durch den
Beiſtand einer nicht geringen Zahl von Griechen, nach—
druͤcklichen und wirkſamen Widerſtand entgegenſetzten: fo
raͤchten ſie ſich dadurch, daß ſie in der Naͤhe des muſel⸗
maͤnniſchen Bethauſes und in mehreren andern Gegenden
der Hauptſtadt Feuer anlegten. Dieſe Ruchloſigkeit hatte
die furchtbarſte Feuersbrunſt zur Folge, welche nicht nur
an dieſem Tage und in der darauf folgenden Nacht, fons
dern waͤhrend acht Tage, durch die Gewalt des in ſeiner
Richtung nicht ſelten wechſelnden Windes immer von
neuem bald in dieſer, bald in jener Gegend angefacht
und nach allen Seiten getrieben, in der ganzen Laͤnge und
Breite der unermeßlichen Stadt eine große Zahl prächtis
ger Palaͤſte, Bogengaͤnge, Säulen, ſchoͤner Wohnhaͤuſer,
10) Tö rd EE Aydg ovvayw-
Jıov und TO ovvaywyıov Tüv Zag-
gaxıwüv ö pyou Mırarov ij dn
une duuhexros. Nicetas S. 356.
Merdrov (auch Wsrerov) iſt das in
der lateiniſchen Sprache des Mittel⸗
alters vorkommende Wort metatum,
welches Haus oder Wohnung bedeus
tet. Die Lage dieſes muſelmänniſchen
Bethauſes bezeichnet Nicetas a. a. O.
Daß der Kaiſer Iſaak im Jahre 1190
daſſelbe den Muſelmännern einräumte,
berichtet Bohgeddin (vita Saladini
ed, Schultens cap. 75. p. 129 — 131).
J, Chr.
1203.
248 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Ka p. IX
reicher Waarenlager und ſelbſt einen Theil des Hippo—
droms *) in Aſche legte; auch die außerhalb der Stadt
mauer gelegenen Haͤuſer blieben nicht verfhont, und ein
an der Stadt vorbeyfahrendes Schiff wurde ſogar durch
die bis zu weiter Ferne von der Heftigkeit des Windes
getriebenen Kohlen angezuͤndet und zerſtoͤrt *). Die
Kreuzfahrer, ohne die Veranlaſſung und Entſtehung ſolcher
furchtbaren Verwuͤſtung zu wiſſen, erblickten aus dem
Lager bey Pera mit Entſetzen und Mitleid das tobende
Flammenineer und die grauſenvolle Zerſtoͤrung ſo vieler
herrlicher Gebaͤude; aber ſie vermochten ein ſo ſchreckliches
Ungluͤck nur zu beklagen und
20) Nämlich den weſtlichen Theil.
Nicetas S. 387. 5
21) Nicetas a. a. O.
22) „Et quant ce virent li baron
de Post aui estoient herbergie d’au-,
tre part del Port, si furent mult
dolent, Amal en orent grant pi-
tie, cum il virent ces Haltes Igli-
ses et ces ‚Palais riches r et
abaissier; et ces grauz rues mar-
chandes axdoir en feu, et il nen
pooient plus faire.“ Villehardouin
S. 81. 82. Die Beſchreibung des Ni:
cetas von dieſer Feuersbrunſt, obwohl
nicht frey von ſchwülſtiger Ziererey,
gehört zu den gelungenen Stellen ſei⸗
nes Werkes und erweckt in jedem
fühlenden Leſer Theilnahme. Es iſt
auffallend, daß Villehardouin nichts
über die eigentliche Urſache und die
Urheber dieſes Frevels in Erfahrung
brachte; er erzählt, daß die Feuers⸗
brunſt bey Gelegenheit eines Hand:
gemenges (une melee) der Griechen
und der in Conſtantinopel wohnenden
zahlreichen Lateiner entſtanden ſey,
und daß er nicht wiſſe, wer das Feuer
wußten nicht zu helfen).
angelegt habe (et ne sai quex genz
por mal mistrent le feu en la ville).
Nicetas, welcher als kaiſerlicher Bes
amter über den Hergang dieſes furcht⸗
baren Ereigulſſes genau unterrichtet
ſeyn konnte, ſagt (S. 355) ausdrück⸗
lich, daß Flamländer (revss zum
gouyylozwv, odr Ö£E el or
mahcı pAaulovss maul noudlieno-]
nebſt einigen Venetianern und Piſa⸗
nern, auf die im Texte erzählte Weiſe,
die Anſtifter waren. Dieſer Schrift:
ſteller, welcher mehrere durch dieſe
Feuersbrunſt zerſtörte Gebäude auf⸗
zählt, ſtellt dieſes Ereigniß vor den
Zug des jungen Kaiſers und der Ba—
rone des Pilgerheeres in die Provin⸗
zen, jedoch ohne die Zeit weder der
einen noch der andern Begebenheit
anzugeben; und beſchränkt (S. 350)
die Dauer der Feuersbrunſt auf den
Tag, an welchem ſie geſtiftet wurde,
die darauf folgende Nacht und den
folgenden Tag bis zum Abende: nach
Villehardouin (S. 82) dauerte ſie acht
Tage. Nach Hugo Plagon, dem fran⸗
zöſiſchen Jortſetzer der Geſchichte des
Feuersbrunſt in Conſtantinopel. 249
In den Gemuͤthern der Griechen wurde durch dleſe
ſchaudervolle Wirkung des verabſcheuungswuͤrdigen Fre
vels einiger ruchloſen Kreuzfahrer die heftigſte Erbitterung
aufgeregt gegen alle diejenigen, welche in Conſtantinopel
durch den allgemeinen Namen Lateiner bezeichnet wurden;
ſo daß ſelbſt die Abendlaͤnder, welche ſchon vor der Ankunft
des Heeres der Pilger in Conſtantinopel wohnhaft waren,
es nicht wagten, laͤnger in ihren Wohnungen zu bleiben.
Sie brachten ihr Eigenthum, ſo viel fie davon der Ges
walt der Flammen zu entreißen vermochten, auf Schiffe,
und ſuchten, faſt funfzehn Tauſend an der Zahl, Er—
wachſene und Kinder, meiſtens des Wohlſtandes und der
Bequemlichkeit gewohnt und nun des Obdachs beraubt,
Zufſacht im Lager der Kreuzfahrer 25).
Erbiſchofs Wilhelm von Tyrus (S.
665), dauerte fie neun Tage und neun
Nächte und wurde von den Griechen
ſelbſt angeſtiftet, in der Abſicht, die
Kreuzfahrer von der Einmiſchung in
ihren Streit (meslée) mit den in
Conſtantinopet wohnenden Lateinern
dadurch abzuhalten, daß ſie die Häu⸗
fer. der letztern anzündeten (Ui Gri-
sons boutèrent la feu Es maisons des
Latins). Abulfaradſch (Chron. Syr.
p. 444), indem er die damalige und
die ſpätere Feuersbrunſt zuſammen⸗
wirft, beſchuldigt die in Conſtantino⸗
pel anſäſſigen fränkiſchen Kaufleute
der Anſtiftung derſelben: „Damals
legten die fränkiſchen Kaufleute, welche
in Conſtantinopel wohnten und, 'ob:
wohl Ihrer dreyßig tauſend waren,
wegen der Größe der Stadt daſelbſt
nicht bemerkt wurden, zweymal Feuer
in der Stadt an, und es verbrannte
ungefähr der vierte Theil derſelben.“
Die damalige Feuersbrunſt ereignete
ſich übrigens ohne Zweifel im Sep⸗
Die Erbitterung
tember oder im Anfange des Octo⸗
bers 1203.
23) Villehardouin S. 83. Nach der
Erzählung des Georgius Akropolita
(S. 4) vertrieb Alexius Murtzuflos,
mit Zuſtimmung der angeſehenſten
Hof: und Staatsbeamten, der latei⸗
niſchen Einwohner von Conſtantino—
pel viele Tauſende, damit fie nicht
innere Unruhen anſtiften möchten;
was dieſer Schriftſteller eine lobens⸗
werthe Handlung nennt (Bovkevum
enalvov 50V). Zwar mußten fie vor
der Auswanderung durch einen Eid
ſich verbinden, nichts zum Schaden
von Conſtantinopel zu unternehmen;
ſie wurden aber doch den Belagerern
als kluge und in manchen Dingen
erfahrne Männer (1. h molv
Övrss ud elju e row moayud-
720%) vielfältig nützlich. Sie baten
die Griechen, ihre Weiber und Kinder
nach ſichern Oertern des griechiſchen
Reichs bringen zu dürfen, was ihnen
J. Chr.
1203.
*
250 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. IX.
Jeg, der Griechen wurde noch dadurch geſtaͤrkt, daß ſelbſt in
dieſen ſchrecklichen Tagen, in welchen kein Mittel und
keine Anſtrengung genuͤgten, die von Kreuzfahrern geſtiftete
Feuersbrunſt zu uͤberwaͤltigen, die Auspluͤnderung der
Kirchenſchaͤtze zu Gunſten dieſer, dem byzantiniſchen Reiche
nichts als Ungluͤck bringenden, Fremdlinge fortgeſetzt
wurde 2). Das Volk von Conſtantinopel wurde um fo
unwilliger uͤber dieſe fortgeſetzte Pluͤnderung der Kirchen,
als es die Zerſtoͤrung eines großen Theils der herrlichſten
Gebaͤude, welche dieſe ſchoͤne Hauptſtadt geziert hatten,
und die angſtvolle Gefahr, in welcher der ganze uͤbrige
Theil der Stadt waͤhrend acht Tage ſchwebte, fuͤr ein
göttlihes Strafgericht wegen der frevelhaften Beraubung
der Gotteshaͤuſer anſah, und Viele ſich ſelbſt und ihren
Mitbuͤrgern es zum Vorwurfe machten, daß ein ſolcher
Graͤuel mit Gleichguͤltigkeit und ohne Widerſpruch ertra—
gen wuͤrde. Dieſe Meinung des Volks, welche ſelbſt viele
angeſehene Maͤnner theilten 2), wenn fie auch laut und
nachdruͤcklich ausgeſprochen wurde, blieb gleichwohl von
dem Kaiſer Iſaak unbeachtet, und er ließ ſich nicht abhals
ten, die Pluͤnderung der Kirchen fortzuſetzen und durch das
geraubte Gold und Silber ſeinen eigenen leeren Schatz zu
fuͤllen. Seit jenen, fuͤr Conſtantinopel ſo ſchrecklichen, Ta—
gen verſchwand das bisherige gute Vernehmen der Grie—
chen und der Kreuzfahrer, und ihr gegenſeitiger vertrau—
licher Verkehr nahm ein Ende ?°),
Auf ſolche Weiſe hatten ſich die Verhaͤltniſſe der
Kreuzfahrer umgeſtaltet waͤhrend der Abweſenheit des
nicht gewährt wurde. Auch Günther 24) Nicetas S. 357. f
hist. Const. p. XVI.) erwähnt der 25) Dieſen Vorwurf macht ſich und
aus Conſtantinopel vertriebenen La- auen feinen Mitbürgern Nicetas S. 388.
teiner. 25) Villebardouin g. a. O.
Tod d. Abtes von Los und des Matthias von Montmorency. 251
Markgrafen Bonifaz und der Barone, welche ihn und Nahr.
den jungen Kaiſer auf dem Zuge in die Provinzen des
griechiſchen Reichs begleitet hatten. Sie fanden, als ſie
gegen die Mitte des Novembers 27) in das Lager bey Norem⸗
Pera zuruͤckkehrten, das Heer in tiefer Trauer uͤber den
Tod des Abtes von Los. Dieſer Praͤlat, ein frommer,
treuer und redlicher Mann, welcher ſtets mit Fleiß
und Eifer fuͤr die Erhaltung des Friedens und der Ein⸗
tracht im Heere der Pilger gearbeitet hatte ??), war nicht
lange vor der Ruͤckkehr der Barone geſtorben. Nicht lange
zuvor war auch der tapfere Matthias von Montmorency,
einer der edelſten und geachtetſten franzoͤſiſchen Ritter, dem
Heere durch den Tod entriſſen und ſein Leichnam in der
Kirche des heiligen Johannes des Hoſpitals von Jeru—
ſalem beſtattet worden 25).
Die Verhaͤltniſſe der Kreuzfahrer und Griechen ver—
wickelten ſich aber bald noch mehr. Der junge Kaiſer
wurde zwar, als er von dem mit Huͤlfe der lateinifchen
Barone gluͤcklich vollbrachten Zuge in die Provinzen zu
ruͤckkam, mit großen Ehren in Conſtantinopel empfangen,
und die Männer und Frauen der Hauptſtadt 3°) kamen
ihm entgegen und geleiteten ihn mit Jubel zu dem Palaſte
87) Ensi demora l’Empereres Ale-
xis mult longuement en l’ost ou il
fust issus, trosque a la Sain Martin,
Villehard. S. 83.
28) Qui avoit volu li bien de l’ost
(Villehardouin S. 82), was nach dem
Sprachgebrauche Villehardouin's zus
nächſt bedeutet, daß von dem Abte die
Abſichten derer, welche zur Bekriegung
von Zara und Conſtantinopel gerathen
hatten, waren befördert worden. Los
(Laudum, bey Villehardouin Loges)
war eine Ciſtercienſer - Abtey in der
Nähe von Lille oder Ryſſel in Flan⸗
dern. Des Abtes von Los wurde oben
gedacht Kap. 5. S. 134.
29) Matthias von Montmorency
ſtarb kurze Zeit vor der ebenerwähn—
ten, gemeinſchaftlichen Unternehmung
der Ritter und des jungen Alexius.
Villehard. S. 80. Vgl. S. 248.
Anm. 18.
30) Li Grieu et les dame de Con-
stautinople. Villehardouin S. 83.
252 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX.
Abs der Blachernen; er mußte aber, wenn auch ſeine Eins
ſichten noch fo ſehr beſchraͤnkt waren, doch bald ſich übers
zeugen, daß unter den obwaltenden Verhaͤltniſſen die Forts
ſetzung ſeines bisherigen Benehmens gegen die Kreuzfahrer
ihn um alles Vertrauen und alle Achtung bey ſeinen
Unterthanen bringen wuͤrde. Auch fehlte es ihm nicht an
Rathgebern, welche, die damaligen Mittel des griechiſchen
Kaiſerthums uͤberſchaͤtzend, die Abbrechung der freunds
ſchaftlichen Verhaͤltniſſe mit den Fremdlingen als eine nügs
liche, nothwendige und ungefaͤhrliche Maßregel empfah—
len. Den Griechen erſchien uͤberhaupt die Vertraulichkeit
ihres jungen Kaiſers mit den Grafen und Baronen des
Pilgerheeres als unanſtaͤndig und der hohen Wuͤrde eines
Beherrſchers der Nömer unangemeſſen; und es war ihnen
verdrießlich, daß Alexius ſo oft mit wenigen Begleitern
in die Zelte der Kreuzfahrer ſich begab, dort ganze Tage
in unmaͤßiger Schwelgerey und mit Wuͤrfelſpiel zubrachte
und, wie die Sage ging, ſeinen zudringlichen und muth—
willigen fremden Spielgenoſſen erlaubte, ihm das en
und mit Edelſteinen geſchmuͤckte kaiſerliche Stirnband abs
zunehmen, ſich ſelbſt anzulegen, und auf ſein gekroͤntes
Haupt ihre rauhen und wollenen Hüte zu ſetzen *).
Ohnehin war Alexius leichtſinnig genug, um den Vorwurf
der Undankbarkeit nicht zu ſcheuen, als er durch die Huͤlfe
31) Tüv d Aõ luv
20 hayvijev au 2gsovv ‘nal €ijS
Aecrtıwizns ralaciag mregldhmune
Nicetas S. 358. Daß der Doge von
Venedig das Kreuz an feinem wolle—
nen Hute befeſtigen ließ, iſt oben be
richtet worden S. 145. Durch ſolche
Vertraulichkeiten beſudelte, ſagt Nice⸗
tas, der junge Kaiſer den erhabenen
und hochgeprieſenen Namen des römi⸗
ſchen Kaiſerthums: To ueyalonrgs-
nis a nayakliorov (von 21
und leldo, wenn nicht etwa rd
#heırov oder mayrAvror,d.i. überall
berühmt, zu leſen iſt) 2 zwv P
yalov Paoıksias aur. eÜ
Ovond..
Streitigkeiten mit den Griechen. 253
der latelniſchen Barone den Gehorſam der Provinzen ſich Jour.
geſichert zu haben glaubte *); und die von ihm einge;
gangenen Verbindlichkeiten waren von der Art, daß er ſie
in ihrem ganzen Umfange niemals loͤſen konnte und alſo
in jedem Falle mit den Baronen des Pilgerheeres und
den Venetianern, welche nicht geſonnen waren, von ihren
Forderungen etwas nachzugeben, uͤber kurz oder enen in
Feind ſchaft gerathen mußte. Bi!
Die Lage der Dinge in Conſtantinopel war feines
weges 0 beschaffen, daß die Kaiſer von einem offenbaren
Kriege wider die Kreüzfahrer einen glücklichen Erfolg hof;
fen dukften. Der Haß und die Erbitterung des Volkes
gegen die Fremdlinge ſtlegen zwar mit jedem Tage, und
eine ungeffüme Rotte des Volkes bertrümmerte im Tau,
bild der Athene von Erz auf dem Markte des Conta,
tinus aus keinem andern Grunde, als weil die gegen
Abend gerichteten Augen der Goͤttin durch ihren Wink
die verhaßten abendlaͤndiſchen Barbaren zur Eroberung
des römiſchen Reichs außzufordern ſchienen ). Aber
weder Iſaak noch ſein Sohn Alexius verſtanden es, dieſe
Stimmung des Volkes zu leiten und zu beherrſchen, oder
zu ihrem Vortheile und zur Sicherung ihrer Herrſchaft
zu benutzen und das Vekkrauen des aufgeregten Volkes
zu gewinnen; ſie hinderten vielmehr durch ihre Uneinig—
keit die Befeſtigung ihres Thrones und ſuchten einer den
andern in der Meinung des Volkes herabzuſetzen. Der
geblendete Kaiſer, ebenſo wie in feiner vorigen Regie;
rung, dem albernſten Aberglauben und kindiſcher Ae
32) Villehard. S. 83.
33) Nicetas S. 358.
254 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
3,26% meley huldigend, gab nur den Traͤumereyen der Wahr⸗
fager Gehör und lebte, unbekuͤmmert um die Angelegens
heiten des Reichs, nur mit eben ſo leichtſinnigen als
ſchlauen und betruͤgeriſchen Moͤnchen, welche ihn mit
ſchmeichleriſchen Weiſſagungen von kuͤnftiger Größe und
Herrlichkeit und der Herrſchaft uͤber den Oſten und Weſten
unterhielten, ihm nicht nur die Wiederherſtellung ſeines
Geſichts und die Befreyung von den Schmerzen der Gicht,
ſondern ſelbſt die Wiederkehr der Jugend als unfehlbar
vorher verkuͤndigten und an der Tafel bes ſchwachen
Mannes im Genuſſe des Weins und der ausgeſuchteſten
Leckereyen ſchwelgten ). Den Sterndeutern gewaͤhrte
Iſaak nicht geringeres Vertrauen als den Mönchen; und
auf den Rath eines Aſtrologen ließ er das eherne Bild
des wider einen Löwen. kämpfenden calydoniſchen Ebers,
welchen ſchon die Kaiſerin Euphroſyne , des fluͤchtigen
Kaiſers Alexius Gemahlin, durch thoͤrichten Aberglauben
bewogen, des Ruͤſſels beraubt hatte 3°), von der großen
Rennbahn in ſeinen Palaſt bringen; in der Meinung,
dem Ungeſtuͤme des Volkes für immer dadurch Grenzen
zu ſetzen, daß er das Thier, deſſen zu Berge ſtehende
Borſten die hoͤchſte Wuth andeuteten, als das Symbol der
Wildheit und des ungeſtuͤms, den Augen der Beſchauer
entziehen ließ 2°). Dieſe Schwaͤche des Vaters, und die
res,
ene. Ensivn nv uovoeg-
340 „Jene Mönche gingen nur der ovvösınvouvzes ‘Ioaania,
kaiſerlichen Tafel nach, ſchnappten nach 0
friſch gefangenen und fetten Fiſchen
ev L 2 avdooulav
und ordneten an der Tafel die Allein⸗ ee ee A
god reg n Nice⸗
herrſchaft des Iſaak mit Worten,
duftenden Wein in vollen Zügen ge⸗
nießend. “ ( Tas agyınas rgamelas
ueraöwmovzes zal iyFowv r
venheis nal miovas megıyalvov-
*
tas a. a. O.
35) Nicetas S. 335.
36) „Der Kaiſer glaubte auf dieſe
Weiſe das in feinem Ungeſtüme ſau⸗
I
Streitigkeiten mit den Griechen. 255
allgemeine Verachtung, welche Iſaak durch fein unwuͤr⸗— 9: eis
diges Betragen ſich zuzog, benutzte der junge Kaiſer, um
ſich in den Beſitz unumſchraͤnkter Gewalt zu ſetzen und
alle dem Vater gebuͤhrende Ehre ſich zuzueignen; und er
ließ in den Urkunden ſowohl, als den Zurufungen, womit
bey feyerlichen Gelegenheiten die byzantiniſchen Kaiſer ge⸗
ehrt zu werden pflegten, ſeinen Namen vor dem Namen
des Vaters nennen. Iſaak ertrug, ungeachtet ſeines Hans
ges zur Unthaͤtigkeit, eine ſolche kraͤnkende Zuruͤckſetzung
nicht mit Gleichguͤltigkeit, fondern raͤchte ſich dadurch, daß
er im Kreiſe ſeiner Vertrauten die Fehler ‚feines. undanks
baren Sohnes mit leidenſchaftlicher Bitterkeit ruͤgte und
ihn nicht ohne Grund ſchilderte als einen leichtſinnigen
Juͤngling von gaͤnzlich verwahrloſten Sitten und ohne
Achtung fuͤr Recht und Tugend, welcher nur am Umgange
mit den verworfenſten Menſchen Bez fände und
deren Laſter ſich aneignete )).
Ungeachtet dieſer Spannung n in welcher fan, und
fein Sohn Alexius mit einander lebten trug der junge
Kaiſer kein Bedenken, ſein Betragen gegen die Kreuzfahrer
zu aͤndern; ſeine Beſuche in dem Lager bey Pera wurden
immer ſeltener, die Geldzahlungen, welche er an das Heer
der Pilger zu machen hatte, immer ſpaͤrlicher, auf die oft
wiederholte 1 der Barone, feinen Verpflich⸗
mäßige (ro Y z7jv deunv ovudn d7-
yo»), und übermüthige Volk zur Ord⸗
nung zu bringen.“ Nicetas S. 359.
Dieſes wilden Ebers gedenkt auch der
feanzöffche Fortſetzer der Geſchichte
des Wilhelm von Tyrus (Hugo Plas
gon S. 665), erzählt aber, daß der
junge Kaiſer Alexius Angelus durch
einen Traum bewogen worden ſey,
ihn vom Bucoleon am Meere (Bouche
de lion qui estoit sor la mer) weg:
nehmen zu laſſen; denn es träumte
ihm in einer Nacht, daß dieſes eherne
Bild eines Ebers (cil porc sauvage
contrefait de cuivre) ihn erdroſſelte,
und am folgenden Morgen wurde der
Eber von ſeiner bisherigen Stelle
entfernt.
37) Nicetas S. 358.
256 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
SHE tungen vollſtaͤndig zu genügen, antwortete er mit Aus⸗
fluͤchten und Vertroͤſtungen / und endlich 4 er jene Gad
zahlungen gänzlich einſtellen s).
Die Grafen und Barone des Heeres der Pilger waren
bis dahin entſchloſſen geweſen, im Fruͤhlinge ihr Lager bey
Pera zu verlaſſen und ihr Geluͤbde durch den Kampf wider
die Saracenen in Aegypten und Syrien zu erfüllen; und fie
hatten ſchon dem Sultan von Aegypten den Krieg ange;
ſagt und ihren chriſtlichen Brüdern in Syrien ihre bal—⸗
dige Ankunft im Lande der Verheißung angekͤndigt 30).
Die Undankbarkeit und Wortkrüchiskeit d der Griechen aber
änderte ihren Entſchluß. % meg
Nachdem Alexius auch den ernſten und enden gligen
Erinnerungen des Markgrafen Bonifaz, welchem er wegen
der auf dem Zuge in die Provinzen ihm geleiſteten wich⸗
tigen Dienſte groͤßere Dankbarkeit ſchuldig wär, als den
meiſten der uͤbrigen Grafen und Barone des Heeres der
Pilger, kein Gehör gegeben hatte“): ſo wurde in dem
Kriegsrathe, welchem auch der alte erfahrne und weiſe
Doge von Venedig beitwöhnte, beſchloſſen, durch eine
feyerliche Geſandtſchaft den jungen Kaiſer zur Erfüllung
ſeiner Verbindlichkeiten zu mahnen / und ihm, falls ſeine
Antwort nicht fee ausfallen würde, den Frieden
25021
38) Villehardouin S. 83. Es herrſchte
übrigens im Heere der Pilger die
Meynung, daß der Kaiſer Iſaak vor⸗
nehmlich ſeinen Sohn zur Aenderung
ſeines Betragens gegen die Kreuzfah⸗
rer bewogen hatte (qui animum filii
sui prae omnibus, ut dicebatur, a
nobis averterat). Epist. Balduini
apud Arnold. Lubec. Lib. VI. c. 20.
Nach der Verſicherung des Nicetas
(S. 360) wünſchte Iſaak nicht min:
der als Alexius, ſein Sohn, den Frie⸗
den mit den 4 aufseche zu
erhalten, und Beyde entſchloſſen ſich
höchſt ungern zum Kriege.
39) Epist. Comitis de 8. Paulo
apud Godefr. Mon. Pp. 371. Die an
den Suttan von Aegypten (Malek al
Adel) erlaſſene Kriegserklärung drückt
der Graf alſo aus: Noveritis quod
accepimus tornamentum contra Sol-
danum Babyloniae ante Alexan-
driam.
40) Villehard. S. 83 84.
Streitigkeiten mit den Griechen. 257
aufzukuͤndigen. Zu dieſer Geſandtſchaft wurde der beredte
Conon von Bethune *), der Marſchall Gottfried Ville—
hardouin und Milo von Provins **) erwaͤhlt; und auch
der Doge von Venedig ſandte mit ihnen an den Hof zu
Conſtantinopel drey vornehme Maͤnner ſeines Rathes.
Dieſe ſechs Abgeordneten ritten, umguͤrtet mit ihren
Schwertern, zu dem Palaſte der Blachernen, nicht ohne
Furcht und Beſorgniß wegen der allgemeinen Erbitterung
des Volks von Conſtantinopel gegen die Kreuzfahrer, und
fanden die beyden Kaiſer neben einander auf Thronen
ſitzend, umgeben von einem glaͤnzenden und zahlreichen
Hofe; und auch die Kaiſerin Margarethe, eine ſchoͤne
und treffliche Frau 3), ſaß an der Seite ihres geblens
deten Gemahls. Conon von Bethune begann hierauf im
Namen der uͤbrigen Abgeordneten alſo zu dem jungen Kai—
ſer zu reden: Wir kommen zu euch, gnaͤdiger Herr, im
Auftrage der Barone des Heeres und des Dogen von
Venedig; ſie laſſen euch erinnern an die Dienſte, welche
ſie, was aller Welt kund iſt, euch geleiſtet haben, und
verhehlen euch nicht ihre Unzufriedenheit mit eurem Be—
tragen, indem ihr euren Verbindlichkeiten, welche ihr nicht
minder als euer Vater durch Eid und Urkunde bekraͤftigt
habt, nicht ſo nachkommt als es euch obliegt; fie haben ſchon
oft euch gemahnt an die Erfuͤllung eurer Pflicht, und
wir mahnen euch noch einmal in ihrem Namen und in
Gegenwart eurer Diener und Näthe **). Wenn ihr
dieſer Mahnung Folge leiſten werdet, ſo wird es ihnen
41) Qui mult ere sages et bien 44) Voiant toz vos Barone. Dil:
emparlez. Villehard. ©. 85. llehard. a. a. O. Villehardouin läßt
42) Miles le Braibanz de Pro? im Anfange den Kaiſer durch den
vinz. Villehard. S. 84. Ritter Conon mit: du, anreden; in
43). Belle Dame et bone. Ville dem Fortgange der Rede tritt: ihr,
hard. S. 83. an die Stelle des; du. *
En
V. Band. N
7
J. cht.
1203.
2581 Gefchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
angenehm ſeyn; wenn ihr aber bey eurer bisherigen Weiſe
beharrt, ſo wiſſet, daß ſie euch ferner weder als Kaiſer
noch als ihren Freund anerkennen und ihre weitern Maß—
regeln nehmen werden. Sie thun euch aber ſolches kund
als redliche und offene Erklaͤrung, weil es in unſerm
Lande Sitte iſt, den Feind nicht anders als nach vorher—
gegangener Mahnung zu bekriegen. Ihr habt nunmehr
gehoͤrt, was wir euch zu ſagen hatten; thut, was ihr
wollt. Dieſe Botſchaft fand, wie zu erwarten war, ſehr
ſchlimme Aufnahme; die Griechen waren erſtaunt uͤber die
Dreiſtigkeit, mit welcher die Fremdlinge auf bisher uner—
hoͤrte Weiſe dem Kaiſer in ſeinem eigenen Gemache den
Frieden aufkuͤndigten; und ihr Unwille und Grimm uͤber
die durch eine ſo kecke und anmaßliche Herausforderung
den Kaiſern widerfahrne Schmach wurde ſo heftig, daß
die Abgeordneten froh waren, als ſie den Palaſt verlaſ—
fen und ihre am Thore zuruͤckgelaͤſſenen Pferde wieder
erreicht hatten; und in Wahrheit, ſagt Villehardouin,
wir waren einer ſehr großen Gefahr entgangen *).
Die Feindſeligkeiten begannen unverzuͤglich, und die
Griechen und Kreuzfahrer ſtritten wider einander in eins
zelnen Gefechten mit wechſelndem Gluͤcke “?). Die Kreuz—
fahrer pluͤnderten und verbrannten die an der Kuͤſte des
Meeres außerhalb der Mauer der Hauptſtadt liegenden
Kirchen und Palaͤſte *); und die Griechen raͤchten ſich durch
den Verſuch, die Flotte der Venetianer und die uͤbrigen
im Hafen liegenden, aus dem Abendlande gekommenen
45) Ne Ri mie grant mervoille, hardouin aber Ca. a. O.): Onques
que il erent mult de grant peril li Franc et li Grieu Dieu merci)
escampé. Villehard. S. 86. Nicetas n' asemblérent ensemble, que plus
erwähnt dieſer Verhandlungen nicht. ny perdissent li Grieu que li Franc.
46) Nicetas S. 30. Nach Ville⸗ 47 Nicetas S. 360.
Krieg mit den Griechen. 5 259
8
Schiffe durch Feuer zu zerſtoͤren. Ploͤtzlich in einer Nacht,
um die Stunde der Mitternacht, wurde das Heer der
Kreuzfahrer durch einen ſchaudervollen Anblick erſchreckt;
hochlodernde Flammen erhellten das Meer und das Land,
und Erde und Himmel ſchienen in Feuer zu ſtehen. Denn
ſiebzehn brennende große Schiffe, angefuͤllt mit trocknem
Holze, Pech und Werg ), wurden von den Griechen,
als ein heftiger Suͤdwind ſich erhoben hatte, gegen die
Flotte der Pilger gerichtet. Die Heftigkeit des Windes
trieb dieſe furchtbaren Feuermaſſen mit ſolcher Gewalt
und Schnelligkeit unter die Fahrzeuge der Kreuzfahrer,
daß Rettung kaum moͤglich ſchien; und in kurzer Zeit
ſtanden mehrere Schiffe der Flotte in Flammen. In dem
Lager der Pilger ertoͤnte das Laͤrmgeſchrey; in hoͤchſter
Beſtuͤrzung waffnete ſich die Ritterſchaft, und die Scharen
ordneten ſich, zogen in das Feld, den Angriff der Gries
chen erwartend, und blieben in ſolcher Erwartung bis
zum Anbruche des Tages. Die Venetianer aber retteten
ihre Flotte aus dieſer drohenden Gefahr durch ihre Ent—
ſchloſſenheit und Geſchicklichkeit, indem ſie ſogleich ihre
Galeen und Barken beſtiegen, und mit großer Schnelligkeit
und bewundernswürdiger Behendigkeit im Angeſichte der
Feinde die Verderben drohenden Brander vermittelſt
Haken, welche an langen Ketten befeſtigt waren, aus dem
Hafen zogen; worauf die Stroͤmung des Meeres dieſe
Werkzeuge des Untergangs in den Bosporus trieb. Un—
sählbare grlechiſche Scharen, welche am Ufer ſtanden,
richteten zwar unter gewaltigem Geſchrey einen furchtbaren
48) De granz merriens et des pri- pes et de poiz. Villehard. S. 87.
ses) was der Ueberſetzer durch kassines Von griechiſchem Teuer iſt ſicherlich
et autre bois sec überſetzt) et d’estop- nicht die Rede.
R 2
J. Chr.
1205.
260 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
dt Pfeilregen gegen die venetianiſchen Schiffleute, welche das
Feuer ihrer brennenden Schiffe zu loͤſchen und die uͤbri—
gen Fahrzeuge zu ſchuͤtzen ſich bemuͤhten, und verwundeten
ihrer nicht wenige; gleichwohl gelang es den Venetia—
nern, den groͤßern Theil ihrer Schiffe unverſehrt zu erhal—
ten, und ſelbſt die ſchon brennenden Schiffe zu retten;
und nur ein piſaniſches mit Waaren beladenes Schiff
wurde völlig zerſtoͤrt ).
39) Nur Villehardouin (S. 87. 88.)
erzählt ausführlich von dieſer Ge⸗
fahr, in welche die venetianiſche Flotte
durch Brander gebracht wurde. Der
Graf Balduin redet in ſeinem oft
erwähnten Briefe von zwey Verſu—
chen der Griechen, die venetianiſche
Flotte zu zerſtören; von dem erſten
giebt er nur folgende kurze Nachricht:
[Imperator Alexius] navigii, quod
eum adduxerat et sublimaverat ad
coronam, procurat incendia, sed
voto tam crudeli, Deo nos prote-
gente, fraudatus. Den zweiten Vers
ſuch beſchreibt er etwas ausführlicher
und ganz auf dieſelbe Weiſe, als Vil—
lehardouin den einzigen von ihm er:
wähnten, ſetzt ihn aber in die Zeit
nach der Krönung des Kaiſers Alexius
Ducas. Es iſt ſehr möglich, daß
beyde Male ganz gleiche Umſtände ob⸗
walteten; indeß weicht die Beſchrei⸗
bung des Grafen Balduin von der
zweyten Gefahr der Flotte darin von
der Beſchreibung Villehardouin's ab,
daß ſie die Zahl der gegen die Schiffe
der Kreuzfahrer gerichteten Brander
nur zu ſechszehn angiebt. Hugo Pla:
gon (S. 665) ſpricht ebenfalls von
einem mißlungenen Verſuche, die
Schiffe der Kreuzfahrer zu verbren—
nen, welchen Alexius Ducas Murtzu—
flos als Kaiſer machen ließ, und giebt
die Zahl der von den Griechen ge:
brauchten Brander zu vierzehn au.
Der von Villehardouin beſchriebene
Verſuch, die Schiffe der Kreuzfahrer
zu verbrennen, ſcheint von den Grie—
chen gegen das Ende des Jahres 1203
gemacht zu ſeyn; denn 1) Villehar⸗
douin erzählt, als bald darauf erfolgt,
die Ermordung des jungen Alexius,
die Uſurpation des Alexius Ducas
durtzuftos und den Tod des Kaiſers
Iſaak; dieſe Ereigniſſe fallen aber
nach dem Berichte des Nicetas (S.
361 nach dem Z3sſten Januar 1204.
2) Günther, welcher die Ereigniffe die:
ſer Kreuzfahrt ſeit dem Tage der An—
kunft des Abtes Martin im Lager der
Kreuzfahrer (am x. Jan. 1204. Hist.
Constantinop. p. XL) ſehr aus führ—
lich berichtet, erwähnt nicht der ver⸗
ſuchten Verbrennung der Schiffe; es
iſt alſo wahrſcheintich, daß dieſe Be:
gebenheit vor dem . Januar 1203 ſich
ereignete. Villehardouin ſchließt feine
Erzählung mit den Worten: Mult
orent este en grant peril cele nitit,
que lor naviles ne fustars: car il
aussent tot pardu, que il ne sen
peussentaller par terre ne par mer,
Bey Nicetas findet fich keine Nach:
richt von dieſem Ereigniſſe.
Krieg mit den Griechen. 264
Bald nach diefer, für die Kreuzfahrer ſo ſchrecklichen,
Nacht, am Neujahrstage '?) des Jahres 1204, kam in
das Lager bey Pera der Abt Martin, welcher mit dem
Cardinal Peter, wie im ſiebenten Kapitel dieſes Buches
berichtet worden iſt, nach Ptolemais ſich begeben hatte,
als Abgeordneter der Pilger, welche die Meerfahrt nach
Syrien den weitausſehenden Unternehmungen der übrigen
Pilger vorgezogen hatten; ihn begleitete der Vogt Conrad
von Schwarzenberg, ein frommer, gewiſſenhafter und
redlicher Mann *). Behyde Abgeordnete ſtellten den Gras
fen und Baronen des Pilgerheeres vor, wie dringend
nothwendig baldige Huͤlfe der Stadt Ptolemais waͤre,
wenn ſie nicht mit den uͤbrigen geringen Ueberbleibſeln
der chriſtlichen Herrſchaft im Lande der Verheißung in
die Gewalt der Unglaͤubigen fallen ſollte; und fie begruͤn—
deten durch dieſe Vorſtellung die angelegentliche Bitte / daß
das Pilgerheer die Erfuͤllung ſeines Geluͤbdes, wodurch
es ſich zum Beiſtande des heiligen Landes verpflichtet haͤtte,
nicht laͤnger verſchieben moͤchte. Die Grafen und Barone
hoͤrten zwar mit Theilnahme die Erzaͤhlung des be—
redten Abtes von der Noth und den Widerwaͤrtigkeiten
der Chriſten in Syrien, und den ſchrecklichen Verwuͤſtun⸗
gen einer Seuche, welche nicht lange zuvor den groͤßten
Theil der im Jahre 1203 nach Syrien gekommenen Pilger
hinweggerafft hatte; gaben aber weder ihm noch ſeinem
Begleiter die Hoffnung baldiger Erfuͤllung ihrer Bitte,
und beyde, als ſie im Lager der Pilger blieben und Zeugen
50) In Circumeisione Domini; der testimonium perhibet tantae inte-
Abt hatte am dritten Tage vor St. gritatis, ut quotiens se vel joco vel
Martin (9. November) Ptolemais sexio vel casu mentitum esse recor-
verlaſſen. Guntheri Historia Con- daretur, tot venias in secreto pe-
stantinop. p. XI. tere consuevisset. Gunther ibid.
31) Cui idem Abbas (Martinus) j
J. Chr.
1204.
262 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
. 2. der nachfolgenden Begebenheiten waren, uͤberzeugten ſich,
daß unter den damaligen Umſtaͤnden und mitten im offenen
Kriege mit den Griechen das Heer nicht ohne Gefahr die
Gegend von Conſtantinopel verlaſſen, und uͤberhaupt die
Kreuzfahrt nach dem gelobten Lande nur dann gelingen
koͤnnte, wenn die Macht des ee Kaiſerthums
gebrochen würde ).
Die Verhaͤltniſſe der bey Pera gelagerten Kreuzfahrer
nahmen aber bald hernach eine neue Wendung. Weder
Alexius noch fein Vater Iſaak gewannen dadurch, daß fie
es gewagt hatten, ihrem freundſchaftlichen Verhaͤltniſſe
mit den Kreuzfahrern zu entſagen, das Vertrauen ihres
Volkes; vielmehr herrſchte die Meinung in Conſtantins⸗
pel, daß beyde Kaiſer noch immer den Fremdlingen mehr
ergeben waͤren als ihren Unterthanen, und fie ſowohl
als ihr ganzer Anhang entſcheidende Maßregeln aus
boͤſem Willen nicht minder als aus Feigheit hinderten.
Da nun der Kaiſer Ifaak zu dieſer Zeit in voͤllige Ent⸗
kraͤftung fiel, und das Wolf täglich die Nachricht von
feinem Tode erwartete ): fo vereinigte ſich der groͤßte
Theil der Bewohner von Conſtantinopel in dem lebhaften
Verlangen, daß ſtatt des jungen Alexius Angelus, welcher
auf eine der Würde des griechiſchen Kaiſerthums unange—
meſſene Weiſe durch Fremdlinge auf den Thron geſetzt wor;
den waͤre und einem Geſchlechte angehoͤrte, welches uͤber
das griechiſche Reich nur Unheil gebracht haͤtte, ein Kaiſer
92) Nach Günther's Erzählung (J. c.) 33) Nicetad S. 361. Nach der Er:
wagten die Kreuzfahrer es nicht, den zählung Villehardouin's (©.89) wurde
Hafen von Conſtantinopel zu verlaſ- die Krankheit des alten Kaiſers erſt
ſen: propter innumeras Sraecorum ſpäter durch die Angſt, in welche ihn
naves, quibus si fugerent (Franci), die Gefangenfchaft des Sohnes brach⸗
dos persequi et expugnare satis ho- te, verurſacht.
stil ter cogitabant.
Ereigniſſe in Conſtantinopel. 263
aus einem andern Geſchlechte erwaͤhlt werden moͤchte. 1
Das Volk von Conſtantinopel war zu ſehr an gewalt—
ſame Thronveraͤnderungen gewoͤhnt, um die Abſetzung
des jungen Kaiſers bedenklich zu finden, da es von der
Unfaͤhigkeit des Juͤnglings, das Reich aus der damaligen
gefaͤhrlichen Lage zu retten, uͤberzeugt war; und am
25. Januar verſammelte ſich in der Sophienkirche eines Jan.
zahlreiche Menge mit der Abſicht, einen neuen Kaiſer zu
wählen *). Der Senat, die Prieſterſchaft und die Rit⸗
ter von Conſtantinopel hielten es fuͤr nothwendig, an den
Berathungen der Menge Theil zu nehmen, um einen übers
eilten Beſchluß zu verhuͤten, und gaben denen, welche von
der Wahl eines andern Beherrſchers alles Heil erwarte—
ten, zu bedenken, daß jeder neu erwaͤhlte Kalſer in die
ſchlimmſte Lage kommen wuͤrde, da der junge Alexius,
ſobald ihm von einem Nebenbuhler der Thron würde ſtrei—
tig gemacht werden, gewiß den Schutz und Beyſtand der
Kreuzfahrer ſuchen und erhalten würde ). Die Menge
aber beharrte bey ihrem Sinne und ſuchte nacheinander
mehrere der anweſenden angeſehenen Maͤnner aus den
vornehmen Geſchlechtern ſowohl, als der Zahl der Beamten
zuerſt mit Bitten, dann mit Drohungen zur Annahme der
Krone zu bewegen; alle verweigerten es ſtandhaft, in ein
ſo gefaͤhrliches Spiel ſich einzulaffen, und erſt am dritten / San.
Tage ließ ein junger Mann, uͤbrigens von ſanftem und
rechtlichem Sinn und nicht unerfahren im Kriege °°), mit
54) Nicetas S. 361.
55) Nicetas (welcher damals das
Amt eines Logotheten, Aoyoderns
r osrpET0w, verwaltete) war
ſelbſt unter denen, welche dem Volke
dieſen Rath gaben.
30) A % ro i ueilıyos 40
qe toe av yanuyv. Nicetas S. 362.
Vgl. Epistola Balduini l. e. Hugo
Plagon (S. 665) nennt den Nicolaus
Kanabus einen haut home und Ver⸗
wandten der Angeli, und behauptet,
er habe ſich erſt nach der Uſurpation
des Murtzuflos zum Kaiſer aufgewor⸗
264 Bean der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
Namen Nitolaus Kanabus, jedoch nicht ohne Widerſtre⸗
ben, den kalſerlichen 1 in der e eee 1
anlegen. 5 a +
Der junge Gaiser Alexius, als er ſeinen Thron durch
die Wahl eines Gegenkaiſers bedroht ſah, hielt es fuͤr
unmöglich, feine Herrſchaft zu behaupten ohne den Bey—
ſtand der Franken; und er eilte daher, Unterhandlungen
anzuknuͤpfen mit- den Grafen und Baronen des Heeres
der Pilger, traf aber in der Perſon des Abgeordneten,
welchen er in das Lager bey Pera ſandte, eine hoͤchſt un;
gluͤckliche Wahl. Es erſchien namlich im Lager der Kreuz
fahrer als Abgeordneter des Kaiſers ſein Protoveſtiarius
Alexius Ducas 2), welcher wegen ſeiner zuſammengewach⸗
ſenen und die 1 ee Augen nen den Bei⸗
1882
. 1
. 81 1 kust avis qwil deust miex colt, bey Günther Murtiphlo und
estre empereor que Marcofles; si Murciflo, in der Chronik des Andreas
espia un jour que Marcofle fu ä Dandulo S. 323 Murciphus und Max-
Blaquere (in den Blachernen), 81 silepsus, und noch auf verſchiedene
prist ce qu'il pot avoir de gens et andere Weiſe bey den Schriftſtellern
sten ala à sainte Sophie, ä sasist verſtümmelt), wird auf die im Texte
ei chaere et porta cörone, Quant angegebene Weiſe von Nicetas er—
Marcolles loi dire „ si ala la, il et klärt; nach Günther (historia Con-
si home; si Toccist. " stantinop. p. IX) bedeutete der Name
87) Am ausführlichſten berichtet dieſe los coxdis. Nach Ducange's Ver⸗
Unterhandlungen Epistola Balduini, muthung zu Villehard. S. 307) war
1. c. Nach Nicetas (S. 301 rief der Alerius Ducas der Sohn des Iſaak
junge Kaiſer den Markgrafen Bonifaz Ducas, welcher den Sebaſtocrator Io:
zu ſich und beſprach ſich mit ihm, und hannes Ducas zum Vater hatte. Die:
beide vereinigten ſich zu der Meinung, ſer gehörte eigentlich zum Geſchlechte
daß die Beſetzung des kaiſerlichen Pa⸗ der Angeli und war der Bruder des
laſtes durch lateiniſche Truppen noth⸗ Andronicus Angelus, des Vaters des
wendig wäre, (ost Hyagav duva- Kaiſers Iſaak und des flüchtigen Ale:
yes Aarıvnde Ede vο rote a aber au Ehren feiner
Agb rtole) Den Namen Mukkunds Großmutter von mütterlicher Seite,
i ee der Kaiſerin Irene Ducgena, Gemab:
welchen Alexlus Ducas in ſeiner Su un des Kaiſers Alexius Comnenus
gend von ſeinen Geſpielen erhielt,
des Erſten, den Namen des Geſchlech⸗
(ben Vit ehardo zuin Moxculles und tes der D ure,
Morchuflex, bey Hugo Plagon Max-
Ereigniſſe in Conſtantinopel. 265
namen Murtzuflos trug. Obwohl dem Hauſe der Angeli
verwandt, war Alexius Ducas doch keinesweges treuer
Freund ſeines jungen Kaiſers, hatte nur durch Heucheley
und Verſtellung deſſen Vertrauen ſich verſchafft und wartete
ſchon damals auf die Gelegenheit, das Haus der Angeli
zu ſtuͤrzen und ſich den Weg zum Throne zu oͤffnen. Unter
J. Chr.
1204.
denen, welche den jungen Kaiſer umgaben, war Alexius
Ducas der einzige, welcher in dem bisherigen Kriege gegen
die Kreuzfahrer muthig und tapfer mit den Truppen die Ge—
fahren getheilt hatte“); und die Achtung, welche er durch
ſein bisheriges Benehmen bey den Bewohnern der Haupt—
ſtadt ſowohl, als dem Heere gewonnen hatte, beguͤnſtigte
die Ausfuͤhrung ſeines Planes um ſo mehr, als eben
damals der junge Alexius Angelus im Begriffe ſtand,
aufs neue die Hoheit und Wuͤrde ſeiner Krone durch einen
ſchimpflichen Vertrag mit den Lateinern zu erniedrigen.
Murtzuflos machte zwar dem Markgrafen Bonifaz,
als dem Oberfeldherrn des Heeres der Pilger, im Namen
des Kaiſers Alexius den Antrag, daß die Kreuzfahrer den
Palaſt der Blachernen als Unterpfand und zu ihrer Sicher—
heit beſetzen und dafuͤr dem Kaiſer Beiſtand wider deſſen
Feinde gewähren möchten “); er verbreitete aber dieſen
Antrag ſofort im Volle und dem Heere und erregte
dadurch allgemeinen Unwillen“). Hierauf gewann er
durch Verſprechungen und Geſchenke fuͤr ſeinen Plan den
kaiſerlichen Schatzmeiſter, einen Verſchnittenen, und machte
ſich die fremde Leibwache des Kaiſers *) geneigt. Alexius
Angelus aber befoͤrderte feinen Untergang durch feine Unent—
38) Ducas kam in einem Gefechte, 59) Epist. Balduini I. c.
als fein Pferd ſtürzte, ſelbſt in große
Gefahr, und wurde nur durch den
Beiſtand der Bogenſchützen gerettet. 61) Tors mehsaupögovs Papßd-
Nicetas a. g. O. gous, Nicetas a. a. O.
60) Nicetas S. 362.
J. Chr
1204.
266 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
ſchloſſenheit., Anſtatt den Vertrag mit den Kreuzfahrern
zu vollziehen und dadurch in ſeiner mißlichen Lage einen
wirkſamen Beiſtand ſchleunigſt ſich zu verſchaffen, aͤnderte
er ſeinen Sinn, indem er zuruͤck nahm, was er freywillig
angeboten hatte; und der Markgraf Bonifaz, welcher am
folgenden Tage in die Stadt kam, um die angetragene
Beſetzung des Palaſtes der Blachernen näher zu verabreden,
kehrte zuruͤck in das Lager bey Pera, mit Verdruß uͤber
den Wankelmuth und die Wortbrüchigfeit des undankbaren
Juͤnglings, welcher die hohe Stufe, auf welcher er bis dahin
geſtanden hatte, nur der Furcht ſeines Volkes vor der un—
widerſtehlichen Tapferkeit der Ritter des Kreuzes ver;
dankte und gleichwohl nicht müde wurde, feine Wohl
thaͤter zu betruͤgen ).
Mit Entſchloſſenheit und Raſchheit handelte dagegen
nunmehr Ducas. Schon in der naͤchſtfolgenden Nacht
nach der eben erwaͤhnten fruchtloſen Verhandlung mit dem
Markgrafen von Montferrat kam er in das Schlafge—
mach des jungen Kaiſers, wozu ihm wegen ſeines Amtes
der Zutritt nicht gewehrt wurde, und ſchreckte den Juͤng—
ling durch die Nachricht, welche er mit erheuchelter Theil—
nahme und Bewegung ihm meldete, daß, unwillig uͤber
die bekannt gewordenen Verhandlungen des Kaiſers mit
den Franken, nicht nur alle bisherigen Freunde und An—
haͤnger des Hauſes der Angeli abgefallen waͤren, ſondern
auch die Leibwache mit furchtbarem Ungeſtuͤme an den
Pforten des Palaſtes die Auslieferung des Kaiſers for—
derte, in der erklaͤrten Abſicht, ihn in Stuͤcke zu hauen.
Der feigherzige Juͤngling vertraute ſich dem Verraͤther an,
welchen er noch immer fuͤr ſeinen treuen Freund hielt,
6:) Epist. Balduini J. c.
—
Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 267
und Ducas führte ihn, unter dem Vorwande, ihn zu Jer
retten, verborgen unter ſeinem langen Mantel, in das
Gemach, welches er als Protoveſtiarius im kalſerlichen Pa—
laſte bewohnte. Dort legte der Verraͤther die Maske der
Freundſchaft ab; und auf ſein Geheiß wurde der junge
Kaiſer in Feſſeln gelegt und in einen dunkeln und un—
freundlichen Kerker gebracht?). Ohne Schwierigkeit hul—
digte das Volk und das Heer dem Alexius Ducas, von
welchem eine kraftvolle Vertheidigung des Reichs erwartet
wurde ); den Tod des kranken Iſaak beſchleunigte ſowohl
die aͤngſtliche Beſorgniß uͤber das Schickſal, das ihm be—
vorſtehen möchte, als der Gram über die Gefangenſchaft
ſeines Sohnes, und Nicolaus Kanabus wurde von ſei—
nem Anhange verlaſſen, von der Leibwache des neuen
Kaiſers ergriffen und in ein Gefaͤngniß geſperrt 9°).
Der Krieg zwiſchen den Kreuzfahrern und Griechen
begann nach Abbrechung der von dem jungen Kaiſer Ale—
rius eingeleiteten Unterhandlungen von neuem mit groͤ—
ßerer Erbitterung; und die Kreuzfahrer ſtritten nunmehr
mit groͤßerer Zuverſicht und Freudigkeit, weil in einer
Verſammlung des Dogen von Venedig, der Grafen und
Barone und der Geiſtlichkeit des Heeres, welche gehalten
wurde, als die Nachricht von der Gefangenſchaft des juns
gen Alexius im Lager bekannt geworden war e), die
63) Nicetas a. a. O. Im weſentli⸗
chen ſtimmt mit der umſtändlichen Er:
zählung des Nicetas die kürzere Wach:
richt bey Villehardouin (S. 89) und
in der Epistola Balduini überein.
64) Et. Morchuflex chauga les
huöses (d. i. Hoſen, nämlich Stiefel,
welche auch von den lateiniſchen
Schriftſtellern des Mittelalters hosae
genannt werden, ſ. Ducange zu Dil:
lehard. S. 308) vermoilles par l’aie
Hülfe) et par le conseil des autres
Grex, si se fist Empereor. Aprés le co-
ronerent a Sainte Sofie. Villeh. a. a. O.
65) Nicetas a. a. O. Epist. Bal -
duini I. c.
66) Nach Villehardouin (S. go) war
damals Alexius ſchon ermordet, was
aber den genauern und mit der Zeit:
angabe des Nicctas. (ſ. Anm. gr.) über:
J. Chr.
12044.
268 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX.
Biſchoͤfe und die ganze übrige Geiſtlichkeit erklart hatten,
daß ein Kaiſer, welcher durch Meineid und Verrath den
Thron erlangt haͤtte, nicht als ein rechtmaͤßiger Herrſcher
betrachtet werden koͤnnte, und daher gegen Alexius Mur—
tzuflos und deſſen Anhang der Krieg rechtmaͤßig und ge—
recht wäre, und daß überhaupt die Kreuzfahrer, wenn fie
die Griechen in den Schooß der roͤmiſchen Kirche zuruͤck—
brachten und zwaͤngen, dem Papſte zu gehorchen, vollen
Anſpruch hätten auf die den Kreuzfahrern verheißene Ber
gebung der Suͤnden, welche fie reuig beichten wuͤrden ?“).
Der Kaiſer Alexius Ducas dagegen begnuͤgte ſich nicht
damit, die Mauer der Hauptſtadt in beſſern Stand zu
ſetzen und durch neue Werke zu befeſtigen °°); ſondern
er weckte auch in den Truppen durch ſein eigenes Bey—
ſpiel Muth und Tapferkeit; auch als Kaiſer blieb er
einſtimmenden Nachricht des Grafen
Balduin in dem oft angeführten
Briefe widerſpricht.
67) Villeh. a. a. O.
68) Graeci urbem machinis et pro-
pugnaculis muniunt, quorum nu-
merum nemo viderat umquam.
Quumque murus mirae latitudinis
lapidibus minutis caementoque te-
nacitatis et firmitatis antiquae con-
tructus, in altum valde consurgens,
turres haberet amplissimas, pedibus
circiter quinquagenis et paulo plus
minusve distantes: inter quaslibet
duas a parte maris, quo noster ti-
mebatur assaltus, turris lignea eri-
gitur super murum, stationibus tri-
bus aut quatuor multitudinem con-
tinentibus armatorum; nihilominus
etiam inter quaslibet duas turres
seu petraria seu mangonellus erigi-
tur, Turribus autem supererigun-
tur ligecae turıes altissimae statio-
nibus sex, super quam supremam
stationem adversum nos porrigun-
tur scalae, appodiationes (d. i. Stũ⸗
Gen) ex utraque parte et propugna-
cula continentes, paulo minus ex-
celsis scalarum capitibus, quantum-
jacere posset arcus a terra (d. i. die
Spißen der Leitern waren nicht ganz
fo hoch, als ein Pfeil aus einem Be:
gen geworfen werden kann ). Epist.
uduini J. c. Nach Nicetas (S. 364)
erhöhte Alexius die Mauer an der
See durch Balken, und die Thore am
feſten Lande verſperrte er durch kleine
Mauern (rare yap napalıa reiyn
tus nülens di boxuv avuymos
nal Tas yegowlas tuLas Teıyıoua-
riois ÖdıeilnpE). Damit übereinſtim⸗
mend erzählt Villehardouin (S. 94):
Ne ni avoit si halte tor, ou il ne
leissent deux estages ou trois de
kust por plus halcier.
Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 269
Soldat und kaͤmpfte in der Mitte ſeiner Scharen wider
die Pilger mit Schwert und Streitkolbe °°),
Auf ſolchem Wege haͤtte es dem Kaiſer Alexius Mur—
tzuflos gelingen koͤnnen, ſeine Herrſchaft zu befeſtigen,
wenn er mit perſoͤnlicher Tapferkeit das Talent eines
Feldherrn vereinigt haͤtte; er bewies aber ſogleich in dem
erſten Kampfe von einiger Erheblichkeit, wozu er als Kai—
ſer ſeine Truppen fuͤhrte, daß er es nicht verſtand, der
Tapferkeit der Ritterſchaft des Kreuzes den Sieg abzuge—
winnen. Der Graf Heinrich von Flandern, Jacob von
Avesnes, Balduin von Beauvoir, und die Brüder Otto
und Wilhelm von Chamlite aus der Champagne 7°) zogen,
begleitet von vielen Kreuzfahrern aus ihren Landſchaften,
an einem der letzten Tage des Januars, aus dem Lager
bey Pera, um in dem umliegenden Lande nach Beute um—
herzuſtreifen, und kamen, nachdem ſie die ganze Nacht
hindurch geritten waren, am andern Morgen nach der
Stadt Philea an der Kuͤſte des ſchwarzen Meeres 7”),
geriethen die Belagerten in Noth
und wandten ſich mit der Bitte um
Beiſtand an den Sultan Rokneddin,
Herrn von Iconium; dieſer aber war
nicht im Stande, ihnen zu helſen.“
69) Ey roots de zul aurog
Eigos ayavlılöusvos xal ,a.
r yeıga nadonkılöuevor. Nice:
tas a. a. O. Nach der Erzählung des
Abulfaradſch (Chron, Syr, p. 444)
ſuchte Alexius damals die Hülfe des
Sultans Rokneddin von Iconium,
aber ohne Erfolg. „Als die Einwoh—
70) Dieſe nennt Villehardouin S.
91. Nach dem Briefe des Grafen
Balduin waren es ungefähr tauſend
ner von Conſtantinopel ſich von den
Franken ohne Erbarmen ausgeplün—
dert ſahen, ſo ſtanden ſie auf wider
den Knaben, den Sohn des griechi—
ſchen Königs, und tödteten ihn; wor⸗
auf ſie auch die Franken aus der
Stadt trieben und vor ihnen die Thore
verſchloſſen. Die Franken belagerten
daher nunmehr die Stadt. Als die
Belagerung ſich in die Länge zog, ſo
Pilger (usque ad mille animos pug-
nantium), welche gegen das Gebot
der Führer des Heeres ( praeter or-
dinationem nostram)) dieſen Zug un—
ternahmen. Nach Nicetas dagegen
war der Graf Balduin ſelbſt ihr
Anführer.
7r) Une bonne ville qui la Filee
avoit nom.... (et) 'scoit sor la
mer de Russie. Villehard. a. a. O.
* Chr.
1204.
2270 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
228 wo ſie zwey Tage verweilten und an Lebensmitteln, Klei—
dern und vielem Geraͤthe große Beute gewannen, welche
ſie zum groͤßern Theile auf Barken nach dem Lager bey
Pera ſandten ??), Als der Kaiſer Alexius von dieſem
Streifzuge eines Theils der Kreuzfahrer Kunde erhielt, ſo
glaubte er die Gelegenheit gefunden zu haben, ihnen
Februar großen Schaden zu thun; und er zog in dieſer Meinung
in der Nacht aus Conſtantinopel mit einem beträchtlichen
Theile ſeiner Truppen, und legte ſich an dem Wege, auf
welchem die Kreuzfährer von Philea zuruͤckkehren mußten,
in einen Hinterhalt. Seine Hoffnung wurde jedoch zu
Schanden. Ducas glaubte zwar mit großer Klugheit zu
verfahren, indem er die mit Beute beladenen Scharen der
Kreuzfahrer, eine nach der andern, ungeſtoͤrt voruͤber
ziehen ließ, und erſt die hinterſte Schar, welche die Flan—
dern bildeten und der Graf Heinrich fuͤhrte, am Eingange
eines Waldes mit großem Ungeſtuͤme anfiel ??), Die Gries
chen verzagten aber, als die Ritter dem erſten ungeſtuͤmen
Angriffe nicht wichen und ergriffen die Flucht, ipren Kai⸗
ſer verlaſſend; Alexius Ducas ſelbſt entging nur mit Muͤhe
der Gefangenſchaft, und ſein kaiſerliches Panier, ſo wie
das wunderthaͤtige Bild der Mutter Gottes, welches die
Kaiſer in ihren Kriegen, wenn ſie ſelbſt ihr Heer fuͤhrten,
als das Bild der Sieg verleihenden Beſchützerin, vor ſich
her tragen ließen, fielen als Siegeszeichen in die Gewalt,
der Kreuzfahrer 7*); und zwanzig der vornehmſten Waf;
Nach Nicetas (S. 364) plünderten pardi son Gonfanon Imperial et.
und brandſchatzten fie nur die um⸗ une Ancone qu’il faisoit porter. de-
gegend von Philea (Ta megl 7yv want lui, oü il se fioit mull il et
li autre Gré; en cele ancone ere
Nostre Dame formęe. Villehard.
S. 92. Albericus erzählt, daß Peter
von Braiecuch dieſes wunderthaätige
Dıllav uten).
72) Villehard. a. a. O.
73) Villehard. a. a. O.
74) L’empereor Morchuflex.,.
Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 271
fengefaͤhrten des Kaiſers wurden getoͤdtet 2). Jenes er, Br
oberte Bild der Mutter Gottes ſchenkten die Ritter dem
Orden der Ciſtercienſer, deſſen Aebte um dieſe Kreuzfahrt
fo große Verdienſte ſich erworben hatten 7°,
Als jene Unternehmung mißlungen war, verſuchte es
Alexius Ducas, die Flotte
Bild eroberte. Petrus de Brachuel
Samsonem Patriarcham (welcher das
Bild trug) super galeae nasale sic
percussit, quod ille cadens ad ter
ram Iconiam (iconem) dimisit, quam
Petrus descendens de equo audacter
arripuit. Alberic. ad a. 1204. Pp. 435.
Der damalige Patriarch von Conſtan—
tinopel hieß aber nicht Samſon, ſon—
dern Johannes Kamaterus. Albericus
giebt (p. 434) von jenem wunderthä—
tigen Bilde folgende Beſchreibung:
In hac iconia mirabiliter fabre-
Facta est Majestas Domini et imago
Beatae Mariae et Apostolorum cum
reliquiis (in ea repositis); ibi est
dens, quem in pueritia mutavit Je-
sus et ibi habetur de lancea, qua
in cruce fuit yvulneratus, de syn-
done et Je triginta martyribus;
hanc iconiam cum in proeliis ferre
essent soliti CImperatores Graeco-
zum], nequaquam antea potuerunt
Nach Nicetas
wäre der Kaiſer, allein zurückgelaſſen,
faſt ſelbſt umgekommen; und das
Bild der Gottesmutter (7 17s O
uro ec), welches die Kaiſer
auf ihren Feldzügen mit ſich zu neh—
men pflegten (/ o Baoıleis Pu-
ab hostibus superari.
ualow nowtvraı νννννẽuονν),
wurde von den Feinden erobert. Die:
ſes Bild, welches für ein Werk des
Evangeliſten Lucas gehalten wurde,
fiel, nach der Behauptung des Ramnu—
ſius, in der Theilung der Beute dem
der Kreuzfahrer durch Feuer
Dogen von Venedig zu: Ea (Icon
Deiparae virginis), cum Dandulo
duci in rerum divisione sorte obti-
gissct, summo cultu Venetias delata,
munc in Divi Marci, solennibus
Deiparae diebus e Sacrario, collu-
ad Aram
maximam salutatur, Rhamnus. L. III.
p. 113., und ebendafeltit wird (p. 129)
weiter bemerkt: Quin et hodie quod
pluribus miraculis illustratum in Di-
centibus undique cexeis,
vi Marci, accensis cereis ac thure,
statis diebus Deiparae virginis, exi-
mia veneratione colitur supplicatio-
nibusque circum Marcianam aream
solenui
di vi Lucae opus ferunt. Dieſes von
Ramnuſius erwähnte Bild, welches
entweder nicht das in der erzählten
Schlacht eroberte war, oder, faus es
daſſelbe war, von den Ciſtercienſern
der Republik Venedig überlaſſen wor—
den iſt, wurde in der Kirche St. Mar:
cus in der Capelle Madonna de' Mas-
coli aufbewahrt. Vgl. J. C. Maier
Beſchreibung von Venedig. Th. I.
(Leipzig 1795. 8.) S 160.
75) Villehard. S. 92.
70) Epist. Balduini I. c. Nur Vil⸗
lehardouin bemerkt (a. a. O.) die Zeit
dieſes Ereigniſſes: Et fu ja de liver
grant partie passee et entor la Can-
delor fu (d. i, es war um Licht:
meſſe, 2. Februar), et
le Quaresme.
caeremonia Circumfertur,
approcha
J. Chr.
1204.
272 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
zu zerſtoͤren, indem er in einer Nacht, ebenſo als wenige
Monate zuvor unter der Regierung der Angeli geſchehen
war, einige Brander von der Kuͤſte abſtoßen ließ, welche
durch die Gewalt eines heftigen Suͤdwindes zwiſchen die
feindlichen Schiffe getrieben wurden; aber auch dieſes
Mal ſiegte die Bosheit der Griechen nicht uͤber die Ge—
ſchicklichkeit der venetianiſchen Seeleute 77).
Nicht leicht verging ſeit der Erneuerung der Feind—
ſeligkeiten ein Tag ohne Kampf zu Maſſer oder zu
Lande 78); der Kaiſer Alexius Ducas, deſſen Grundſatz
es war, daß ein Kaiſer nichts uͤbereilen, ſondern langſam
und mit Bedacht verfahren müffe ??), vermied ſorgfaͤltig
eine entſcheidende Schlacht, waͤhrend die Kreuzfahrer,
welchen nichts unangenehmer und gefaͤhrlicher war, als
die fernere Verlaͤngerung ihres Aufenthalts in feindlichem
Lande, mit Ungeduld nach ſchleuniger Beendigung dle—
ſes Kriegs ſich ſehnten. Eines Tages zogen die Kreuzfah—
rer mit Vortragung des heiligen Kreuzes und in wohl ge—
ordneten Scharen aus ihrem Lager bey Pera, gingen uͤber
die Kameelbruͤcke, welche uͤber den Fluß Barbyſes fuͤhrte,
und ſtellten vor dem Thore der Blachernen in Schlachtord—
nung ſich auf, die Griechen zur Schlacht herausfordernd;
aber auch dieſe Herausforderung blieb ohne Wirkung.
Nur ein einzelner griechiſcher Ritter wagte es, aus der
Stadt hervorzukommen und wider die Kreuzfahrer zu
77) Vgl. oben S 250. Anm. 49.
78) Grant fu la guerre entre les
Frans et les Grex, car ele n'apaisa
mie: ainz elle crut ades et efforga,
et poi ere iorz que on ni assem-
blast ou par terre ou par mer. Vil⸗
lehard. S. 9. gr.
79) Nicetas S. 363. Quanto stu-
dio noster crucesignatorum exerci-
tus optabat confligere et mori cum
hostibus, tanto illi (Graeci) refugie«
bant victoriam de nostris suis mor-
tibus comparare, videntes jam illos
in terra hostili laborare penurie,
se autem in loco suo bonis omni-
bus abundare, Guntlhieri hist, Con-
stant. p. XLV,
Erneuerung des Kriegs mit den Griechen. 273
kaͤmpfen, buͤßte aber ſeine unbeſonnene Kuͤhnheit mit dem Nb.
Tode, indem das Fußvolk der Kreuzfahrer ihn erſchoß;
und das lateiniſche Heer kehrte, verdrießlich uͤber die
Verfehlung feines Ziels, zuruͤck in das Lager 5).
Alexius Ducas beſchraͤnkte ſich darduf, den Kreuzfahrern
das Sammeln von Lebensmitteln, ſo viel an ihm lag,
zu erſchweren.
Obwohl der Kaiſer mit groͤßerer Thaͤtigkeit, als ſeine
Vorgaͤnger, der Vertheidigung der Hauptſtadt ſich unter—
wand, ſo erwarb er ſich gleichwohl weder die Achtung
noch das Vertrauen ſeiner Unterthanen; vielmehr vergroͤ—
ßerte er durch ſein rauhes und abſtoßendes Benehmen
nicht minder als durch die Erpreſſungen, zu welchen ihn
die völlige Erſchoͤpfung des kaiſerlichen Schatzes zwang? ),
taͤglich die Zahl ſeiner Feinde, und ſein Stolz und Ei—
genduͤnkel verleitete ihn ſelbſt zu hartem und kraͤnkendem
Verfahren gegen ſeine Freunde und Verwandte. Ueber—
zeugt, daß an Einſicht und Verſtand niemand ihm gleich
waͤre, glaubte er des Raths anderer entbehren zu koͤnnen,
und hielt es daher auch nicht fuͤr nothwendig, durch Be—
lohnungen und ein mildes, freundliches Betragen die
Treue oder Anhaͤnglichkeit derjenigen, welche ihm zu ſei—
ner Erhebung behuͤlflich geweſen waren, ſich zu erhalten
oder neuen Anhang ſich zu verſchaffen. Auf die Ergeben—
heit der Soldaten vertrauend, glaubte er der Furcht und
nicht der Liebe ſeiner uͤbrigen Unterthanen zu beduͤrfen,
und mit ſeinen Umgebungen redete er kaum anders als
80) Epist. Balduini 1. c. ſuchungen, und das Geld, welches er
81) Er unterwarf beſonders diejenl⸗ auf dieſe Weiſe (durch die aufgeleg—
gen, welche während der Regierung ten Strafen) gewann, gebrauchte er
der Angeli zu den höchſten Aemtern, für die öffentlichen Bedürfniſſe. Ni—
als Sebaſtokratores und Caeſares, wa- cetas S. 364.
ren erhoben worden, ſtrengen Unter:
V. Band. &
J. Chr.
1204.
274 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. IX.
ſcheltend oder drohend. Sein verſchloſſener und miß—
trauiſcher Sinn, ſowie die Anſicht, welche in allen ſeinen
Worten und Handlungen ſich ausſprach, daß Verſchlagen—
heit und heimtuͤckiſche Liſt die wahre Weisheit und Klug—
heit des Lebens waͤre, entfremdete ihm alle Gemüuͤther,
und niemand verſah ſich von ihm etwas anders als Schlim—
mes. Die Natur hatte ihm jede liebenswuͤrdige aͤußere
Eigenſchaft verſagt, und ſeine finſtere Miene war eben ſo
abſchreckend und widerlich, als der rauhe, hohle und heiſere
Ton feiner Stimme. Diejenigen, welche das Ungluͤck hat—
ten, ihm nahe zu ſtehen, wuͤnſchten daher nichts ara
als das baldige Ende feiner Herrſchaft 57).
Weniger durch die Betrachtung der Gefahr, welche
aus dieſen mißlichen Berhältniffen entſprang, als durch
die Nachricht, daß die Kreuzfahrer zu einer ernſthaften
Belagerung der Stadt ſich ruͤſteten und auf ihren Schif—
fen Sturmleitern und mancherley Wurfmaſchinen in Be—
reitſchaft ſetzten ss), wurde wahrſcheinlich Alexius Ducas
82) Die Züge dieſer Schilderung ſind
im Allgemeinen von Nicetas (S. 363.
364) angegeben worden und werden
durch das Benehmen des Alexius Du:
cas beſtätigt. Nicetas hatte übrigens
eine beſondere Urſache, dieſem Kaifer
gram zu ſeyn; denn Alexius Ducas
nahm ihm ohne irgend einen ſchein⸗
baren Grund (an ovdeuias evoyY-
Kovos rτιτοοοναονον das Amt des ge:
heimen Logothetes (oo erus rwv
o8xgErow) und gab dieſe Stelle ſei⸗
nem Schwager Philokatius; welcher
übrigens, wie Nicetas verſichert, nicht
im Stande war, dieſe Stelle zu ver⸗
ſehen, und das Podagra als Vorwand
brauchte, um ſich die Befreyung von
den mit ſeinem neuen Amte verbun⸗
denen, gemeinſchaftlichen Verhand—
lungen und Berathungen mit einigen
(ihm unangenehmen) kaiſerlichen ho:
hen Beamten zu erfchleichen (ro A
vv Fg0v05 zivaı Tuv Ev Tuuais
Evioıs ute , moddygav 2
warılöusvos). Die angeführten mit
Bitterkeit geſchriebenen Worte des Terz
tes ſcheinen übrigens auf ein geſpann⸗
tes Verhältniß der Freunde des Nice⸗
tas zu dem neuen Logothetes ſich zu
beziehen.
83) Nicetas S. 364. Cels qui
devant Constantinople remestrent,
Hrent mult bien lor engins atorner
et lor Perrieres et les Mangonials
drecier par les nes et par les vis-
siers et toz engins qui ont mestier
Unterhandlungen mit Alexius Ducas. 275
bewogen, Unterhandlungen mit dem Dogen von Venedig
und den Heerfuͤhrern der Pilger anzuknuͤpfen 8). Die
Grafen und Barone folgten zwar nicht ſeiner Einladung,
in die Stadt zu kommen, weil der Doge Heinrich Dan—
dulo fie warnte gegen die bekannte Tuͤcke der Griechen 8°);
der Doge ſelbſt aber beſprach ſich mit dem Kaiſer an der
Kuͤſte des Meerbuſens bey dem Kloſter der heiligen Kos—
mas und Damianus 8°), Doch hatte dieſe Unterredung
keinen Vergleich zur Folge und wurde nicht einmal mit
Ruhe beendigt. Der Doge forderte nicht nur eine Ent—
ſchaͤdigung von funfzig Centnern Goldes, welche unver—
zuͤglich entrichtet werden ſollten, und die Erneuerung der
von Iſaak und deſſen Sohn Alexius uͤbernommenen Ver—
bindlichkeit, die Hoheit des roͤmiſchen biſchoͤflichen Stuhls
anzuerkennen, und zur Wiedereroberung des heiligen Lanz
des Huͤlfe in der beſtimmten Weiſe zu leiſten; ſondern
à ville prandre, et les eschieles des 83) Nach der Erzählung Günthers
antaines des nes qui estoient si hal-
tes que n' ere se merveille non (d. i.
daß keiner war, welcher ihre Höhe
nicht bewunderte). Villehard. S.
93. 94. a
84) Vergl. Epistola Balduini I. c.
Guntheri Historia Constantinop. p.
XIII. Nicetas S. 363. Villehardouin
erwähnt dieſer Verhandlungen nicht.
Sie fanden nach dem Briefe des Gra⸗
fen Balduin Statt am Tage vor der
Ermordung des jungen Alexius, und
dieſe geſchah nach Nicetas am 8. Fe⸗
bruar; denn Nicetas ſagt (S. 362),
daß der junge Alexius nur ſechs Mo:
nate und acht Tage (Haονννενννs
uñ vas EE ovv mulguus., 0x7W),
alſo vom x. Auguſt 1203 bis zum sten
Februar 1204 den kaiſerlichen Titel
geführt habe.
verſuchte Alexius Ducas die Kreuze
fahrer zu betrügen, indem er ſie im
Namen des jüngern Alexius eintud
(misitinuncios sub nomine junioris
Alexii, qui principes exercitus no-
stri de castris ad ipsum evocarent,
quasi promissam pecuniam et insu-
per ampliora munera regiae libera-
litatis accepturos). Dieſe Liſt konnte
von keiner Wirkung ſeyn, da die
Kreuzfahrer, wie wir aus dem Briefe
des Grafen Balduin wiſſen, vollkom⸗
men unterrichtet waren über den Zu:
ſtand der Dinge in Conſtantinopel.
96) Er begab ſich dahin auf einer
Galee (VN e renjgn). Nices
tas a. g. O. Vgl. Epist, Balduini
1. c. his a
S 2
J. Chr.
1204.
*
276 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. IX.
J. er verlangte auch im Namen der Grafen und Barone des
Heeres der Pilger, daß Alexius Ducas den Thron, wel-
chen er durch Meineid ſich zugeeignet haͤtte, verlaſſen und
dem rechtmaͤßigen Kaiſer Alexius Angelus dem juͤngern
zurückgeben, auch wegen des von ihm veruͤbten Verbre—
chens die Kreuzfahrer ſowohl als den jungen Kaiſer, ſei—
nen Herrn, um Gnade und Verzeihung bitten ſollte. Der
Doge gab, nachdem er dieſe Forderungen vorgetragen
hatte, die Zuſicherung, daß die Kreuzfahrer dem jungen
Kaiſer Alexius, aus Ruͤckſicht auf deſſen Jugend und Uns
verſtand, falls er Beſſerung geloben wuͤrde, die von ihm
wider fie geübte Untreue gern verzeihen wuͤrden 87).
Alexius Ducas wies aber jene Forderungen zuruͤck, wie zu
erwarten war, und ſuchte ſein Verfahren gegen das von
den Kreuzfahrern beſchuͤtzte Geſchlecht der Angeli zu recht—
fertigen ?). Dieſe Unterredung war noch nicht beendigt,
als ein Theil der Ritterſchaft des Kreuzes von einer be—
nachbarten Hoͤhe mit verhaͤngten Zuͤgeln herabſprengte,
87) Der Geldforderung erwähnt
Nicetas; die übrigen Forderungen
berichtet der Brief des Grafen Bal:
duin. Gleichwohl ſagt Nicetas von
diefen Forderungen, doch ohne fie näher
anzugeben, Folgendes: „Was der Ders
zog von Venedig und die übrigen
Barone (or Aoımoi orgarnyoi)
forderten, waren funfzig Zentner Gol—
des, welche ſogleich bezahlt werden
ſollten, und außerdem einige andere
Verwilligungen (ovuguwviar rıvks),
die denen, welche die Freyheit ges
koſtet haben und gewohnt ſind, zu
herrſchen und nicht beherrſcht zu wer⸗
den, widerwärtig und unerträglich
ſeyn, und als ſchwere ſpartaniſche Gei⸗
ßeln erſcheinen mußten; dagegen wa⸗
ren dieſe Forderungen für diejenigen,
welche in der Gefahr der Gefangen—
ſchaft ſchwebten und nichts anders zu
erwarten hatten als ſchon eingetrete⸗
nes oder bevorſtehendes allgemeines
Verderben, erträglich und keinesweges
durchaus unbillig (unde rr ,.
cıw aydsıvoraras). Nach dem Briefe
des Grafen Balduin antwortete Mur:
tzuflos auf die Forderung wegen Au:
erkennung der Hoheit des römiſchen
Stuhls: se vitam amittere praeeli-
gere Graeciamque subverti, quam
quod Latinis Pontificibus Orientalis
Ecclesia subderetur,
88) Ille vana verba subintulit,
quia quae responderet, rationabili-
ter non haberet. Epist. Balduini.
Tod des Alextus Angelus. 277
in der Abſicht, den Kaiſer gefangen zu nehmen?“); Alexius
Ducas ſelbſt erreichte zwar noch das Roß, auf welchem
er zur Unterredung gekommen war, und entging durch
deſſen Schnelligkeit der Gefangenſchaft, einige ſeiner Be—
gleiter aber wurden von den Kreuzfahrern gefangen hin⸗
weggefuͤhrt o).
Die Forderung, welche in dieſer Unterredung der
Doge von Venedig gemacht hatte, daß dem jungen Kaiſer
Alexius Angelus der Thron zuruͤckgegeben werden ſollte,
bewog den Alexius Ducas, deſſen Selbſtſucht ohnehin
kein Mittel ſcheute, welches ihm dienlich ſchien fuͤr ſeine
Abſichten, den Tod des unglücklichen Juͤnglings zu bes
ſchleunigen; und in der folgenden Nacht des achten Tes
bruars ließ er ihn in ſeinem Gefaͤngniſſe erdroſſeln.
Schon mehrere Male zuvor hatte der ruchloſe Thronraͤu—
ber es verſucht, den Juͤngling zu vergiften; deffen ſtarke
Natur aber, ſowie heimlich genommenes Gegengift, hat—
ten die Wirkung des ihm gereichten Giftes vereitelt “).
—
80) Trina Aarırızal Övvausıs
2 vnepdsfiwv alpyns garsioaı
Nicetas a. a. O. Nach der Erzählung
Günther's hatten die Barone auf die
Einladung des Kaiſers noch nicht ger
antwortet, ſondern beriethen ſich noch
wegen der Antwort, als im Lager
der Pilger die Nachricht ſich verbrei⸗
tete, daß der junge Alexius ermordet
worden ſey z worauf nach eben die—
ſem Schriftſteller fogleich die Belage—
rung von Conſtantinopel beſchloſſen
wurde. Günther erwähnt alſo nicht
der Verhandlungen des Dogen mit
dem Kaiſer, welche nach den einſtim⸗
migen Zeugniſſen des Nicetas und
des Grafen Balduin wirklich Statt
fanden.
90) Nicetas a. a. O. Balduin ers
wähnt in feinem Briefe nicht dieſer.
Störung der Unterhandtungen.
91) Nach der Erzählung des Gras
fen Balduin, welchem ich in der Ber
ſtimmung der Zeltfolge dieſes Mordes
und der vorhergegangenen Unterhand⸗
lungen gefolgt bin, erdroſſelte Alexlus⸗
Ducas den jungen Kaiſer mit eigener
Hand: Noete insequenti (nach der
Unterredung mit dem Dogen von Bes
nedig) Dominum suum latenter la-
queo sullocat in carcere,. cum quo
ipsa die prandium sumpserat,
clava ferrea, quam tenebat in- manu,
latera morientis et costas inaudita
crudelitate confringit. Mit dieſer
Erzählung iſt auch Villehardouin (S.
es
J . Chr.
1204.
54
278 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI da p. IX.
Es wurde vorgegeben, daß der junge Alexius eines natuͤr—
lichen Todes geſtorben waͤre; und um dieſem Vorgeben
Glauben zu verſchaffen, ließ Murtzuflos den Leichnam mit
kaiſerlichen Ehren zur Erde beſtatten 2). Doch blieb das
neue Verbrechen, durch welches der Frevler vergeblich
hoffte, ſeinen wankenden 7 75 zu. a 555 lange
n 1. w rn
Die Kreuzfahrer vernahmen die Nachricht von dem
eme Tode des Juͤnglingsf welcher ihrem Schutze
den Glanz weniger Monate verdankt hatte, nicht nur mit
mitleidiger Theilnahme, ſondern zugleich mit bitterm Ver⸗
druſſe, weil ſie nunmehr voͤllig ſich betrogen ſahen um
den noch ruͤckſtaͤndigen Theil des Geldes, welches Alexius
b t er zu BA und ge für: die
4 15
80.) nicht im Widerſpruche: Cil Em-
perere Morchuflex si fist le fil (de
Sursac) que il avoit en prison deux
foiz ou troiz empoisonner, et ne
plot Dieu que il morust; aprés alla,
si l’estrangla en murtre, Daß der
jüngere Alexius am g. Februar 3204
ermordet wurde, erhellt aus den. in
der Anmerkung 84 angeführten Wor⸗
ten des Nicetas, welcher uͤbrigens
ganz uͤbereinſtimmend mit Villehar⸗
douin erzählt, daß Ducas dem Jüng⸗
fing zweymat den Giftbecher (Cos
RaTsvy&orgav Eu, reichen ließ
und, als die kräftige Natur des Jüng⸗
lings (0 usigaf r pyapuaxov.vsa-
Pırurepos) und das heimlich genom⸗
mene Gegengift die Wirkung vereitelte,
ihn erdroſſelte (o ayyoyns rev e
Guns Exeivo nirov Errluveı, 7 R
ovzws sineiv did oreVie dal Te-
Hhımulvns riss nopeias uu W
Verlaͤnge⸗
1555 Eu Igel u. r. J.) Obgleich
Nicetas den unglücklichen Kampf des
Kaiſers Alexius Ducas gegen die
Flandrer und die Verhandlungen deſ—
ſelben mit dem Dogen von Venedig
fpäter erzählt als die Ermordung des
jungen Kaiſers: fo kann dieſer Um:
ſtand gleichwohl keinen Widerſpruch
gegen die Zeitangabe des Grafen Bal⸗
duin begründen, da Nicetas die Zeit
jener Begebenheiten nicht beſtimmt
und die Erzählung von der Ermor—
dung des jungen Alexius mit der
Nachricht von deſſen Gefangenſchaft
nur verbindet, um das unglückliche
Schickſal des Jünglings vollſtändig
bis zu ſeinem Ende darzuſtellen. Nach
der Erzählung des Andreas Dandu⸗
tus (Chron, p. 323) kam der junge
Alexius Angelus um im Br gegen
Murgunos.
92) Epistola Balduini und Ville⸗
hard. g. a. O.
Vorbereitungen zur Belagerung von Conſtantinopel. 279
rung ihres Aufenthaltes im griechiſchen Reiche zu Con— g.
ſtantinopel verheißen hatte), Ohnehin konnte ihre Lage
bedenklich werden, wenn Alexius Ducas in dem Kampfe
wider ſie alle Mittel, welche ihm zu Gebote ſtanden, in
Bewegung ſetzte; und ſie durften wohl erwarten, daß der
Kaiſer, da er ſich nicht geſcheut hatte, durch ein neues
Verbrechen ihre Nache zu reizen, gefaßt war auf einen
erbitterten Kampf, und den Willen hatte, N auf jede
ihm moͤgliche Weiſe zu ſchaden ).
Ungeachtet aller Beſorgniſſe, welche ſich den Gemuͤ—
thern der Kreuzfahrer aufdrangen, wurde beſchloſſen “?),
mit dem Eintritte der mildern Jahreszeit, welche nicht
mehr fern war, die Belagerung von Conſtantinopel zu be—
ginnen, und die noch uͤbrige Zeit des Winters, welchen ſie
unter mancherley Sorgen und Gefahren zugebracht hat—
ten, auf die noͤthigen Vorbereitungen fuͤr dieſe, nach aller
Wahrſcheinlichkeit ſchwierige, Belagerung zu wenden.
Waͤhrend der Faſtenzeit herrſchte in dem Lager der
Kreuzfahrer ſowohl als auf der Flotte der Venetianer die
groͤßte Thaͤtigkeit, die mit Sturmleitern verſehenen Kampf—
geruͤſte der Schiffe wurden ausgebeſſert, und eine Wurf—
maſchine nach der andern wurde erbaut oder in Stand
geſetzt. Aber auch Alexius Ducas war nicht unthaͤtig,
und zwiſchen je zwey und zwey Thuͤrmen der ſtarken und
trefflichen Mauer der Seeſeite von Conſtantinopel, wo
man am meiſten den Angriff der Kreuzfahrer fuͤrchtete,
erhoben ſich neue von Holz gebaute Thuͤrme zu drey oder
93) Sed et illud eos contristabat, tiis insumpserant alienis. Gunther
quod promissa pecunia magna ex p. XIII.
parte frustrati erant, cujus spe 94) Gunther I. c.
ipsi iter suum distulerant et via- 95) Dissimulato metu, sine quo esse
ticum peregrinationis suae nego- non poterant, Gunther I. c.
280 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VL Kap. IX.
3, ehr. vier Stockwerken von beträchtliher Höhe und weitem Um—
fange, verſehen mit Leitern zum Herauslegen uͤber die
Mauer, welche es moͤglich machen ſollten, die feindlichen
Belagerungsgeruͤſte und Schiffe zu erobern; die Mauer
ſelbſt wurde durch hoͤlzerne Geruͤſte erhoͤht, die Thore
wurden wohl befeſtigt und verwahrt, und uͤberall zwiſchen
den Thuͤrmen Wurfmaſchinen errichtet“). Die Kreuz
fahrer und Griechen brachten einen großen Theil der Fa—
ſtenzeit zu unter ſolchen vielfaͤltigen Beſchaͤftigungen und
bangen Beſorgniſſen ?“).
96) S. oben Anm. 67. partie del Quaresme. Der Aſcher⸗
97) Ensi laborerent d'une part et mittwoch fiel in dieſem Jahre auf
d' autre li Grieu et li Franc grant den 10. März.
Vertrag der Kreuzfahrer. 281
Zehntes Kapitel.
Als die Kreuzfahrer und Venetianer alle Vorbereitungen J. Sr.
zur Belagerung von Conſtantinopel vollendet hatten, ſo
ſchloſſen ſie im Maͤrzmonate nach reiflicher Erwaͤgung
unter ſich einen Vertrag, in welchem Folgendes beſtimmt
wurde: Conſtantinopel ſoll unter Anrufung des Namens
Chriſti erobert, und auch nach der Eroberung der
Stadt denjenigen, welche bis dahin die Gewalthaber
im Heere Zaren, noch fernerhin gehorcht werden. Die
ganze Beuce, welche wird gewonnen werden, ſoll an den
von den Heerfuͤhrern beſtimmten Ort zuſammengebracht
und getheilt werden. Sofern die Beute hinreichen wird,
um die von dem jungen Kaiſer Alexius den Venetianern
und Kreuzfahrern zugeſagte, aber noch nicht vollſtaͤndig
geleiſtete Entſchaͤdigung und Belohnung aus derſelben zu
berichtigen, ſo wie auch, falls ſie geringer ausfaͤllt, ſollen
davon drey Viertheile den Venetianern, ein Viertheil
aber den Kreuzfahrern zufallen; in dem Falle aber, daß
die gewonnene Beute mehr betraͤgt, ſoll der Ueberſchuß
zu gleichen Theilen unter beyde Partheyen getheilt wer—
den »). In die erbeuteten Lebensmittel theilen ſich die
1) So ſcheinen die dunklen Worte müſſen: Totum quidem havere, quod
dieſes Artikels verſtanden werden zu in civitate inventum fuerit, a quo-
J. Chr.
1204.
282 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
Venetianer und Kreuzfahrer nach ihrem Beduͤrfniſſe, und
was über das Beduͤrfniß iſt, wird unter beyde Partheyen
zu gleichen Theilen getheilt.
Zwoͤlf zur Haͤlfte von den
Kreuzfahrern, zur Haͤlfte von den Venetianern ernannte
Maͤnner waͤhlen nach Eroberung der Stadt einen Kaiſer
durch Stimmenmehrheit; und ſind dieſe Stimmen gleich,
ſo entſcheidet das Loos.
libet duci debet et poni in com-
mune, eo loco, quo fuerit ordina-
tum. De quo tamen havere nobis
(Duci) et omnibus Venetis tres par-
tes debent solvi, pro illo havere,
quod Alexius, quondam imperator,
nobis (Venktis) et vobis (Franeis)
solvexe tenebatur. Ouartam vero
partem vobis (Francis) retinere de-
betis, donec fuerimus in ipsa solu-
tione coaequales (d. i. bis wir ganz
gleich ſtehen werden nach der vollſtän⸗
digen Berichtigung unſerer Forde—
rung). Si autem aliquid residuum
nexit, per medieratem inter nos et
vos dividere, usque dum fuerimus
apacati (d. i fo daß wir völlig be:
friedigt ſeyn werden). Si vero minus
fuerit, ita quod non possit suffi-
cere ad memoratum debitum persol-
vendum, undecumque fuerit prius
havere acquisitum, ex eo debemus
dictum ordinem observare. In der
Chronik des Andreas Dandulo (p. 324)
wird dieſe Bedingung auf folgende
Weiſe angeführt: Ut de invento mo-
Pili Veneti satisfactionem obtineant,
et residui acqualis hat divisio. Ma-
rin (Storia del commercio de' Ve-
neziani T. IV. S. 53.) zerhaut den
Knoten, indem er die angeführten
Worte des Vertrags alſo überträgt:
Si dividerä per egual porzione il
bottino tra’ Francesi e Veneziani,
ed i Fraucesi pagheranno a' Vene-
Dem Kaiſer werden die Paläfte
ziani il resto di quello che vanno
debitori per il noleggio de' Vascelli.
Bey der wirklichen Theilung der Beute,
welche 400000 Mark Silbers betrug,
erhielten die Franzoſen 130000 Mark;
ſie bezahlten aber davon 30000 Mark,
welche fie den Venetianern noch ſchul—
dig waren, und 100009 Mark, alſo der
vierte Theil der ganzen Beute, wurden
unter ſie vertheilt, und den Venetia—
nern fielen auf dieſe Weiſe wirklich
300000 Mark zu, alſo drey Viertheile
der Beute. Dieſer Vertrag iſt aus
einer Handſchrift der ambroſiſchen
Bibliothek mitgetheilt worden von Mu⸗
ratori in einer Anmerkung zur Chro⸗
nik des Andreas Danduto (Soriptor.
rer. Ital. T. XII. p. 326. s.), unter
den Briefen des Papſtes Innocenz III.,
nach der Ausgabe von Brequigny und
mann du Theil, Lib. VII. epist. 205.
. II. p. 625, und in den Gestis In-
nocentii III. ed. Baluze c. 92. Hand⸗
ſchriftlich findet er ſich im Liber al-
bus und in den Iäbris pactorum
(T. I. fol. 150), Handſchriften des k. k.
Archivs zu Wien, nicht ohne Abivei:
chungen von den gedruckten Texten.
Ramnuſus theilt ihn nicht mit volk
kommener Genauigkeit mit, de bello
Constantinopolitano Lib. III. p. 116
118. Einen kurzen Auszug aus die⸗
ſem Vertrage giebt Villehardouin
S. 94 05.
Vertrag der Kreuzfahrer, 283
der Blachernen und Bukoleon und der vierte Theil des Nn.
ganzen Reiches uͤberlaſſen, und die uͤbrigen drey Viertel
des Reiches unter die Pilger und Venetianer getheilt.
Den Venetianern bleibt im ganzen Umfange des Kaiſer⸗
thums der ungeſtoͤrte Genuß aller ihnen bisher zugeſtan⸗
denen Freyheiten und Vorrechte, und der fernere Beſitz
der daſelbſt von ihnen gemachten Eroberungen, ſolche
Freyheiten, Vorrechte und Erwerbungen moͤgen urkundlich
erwieſen werden koͤnnen oder nicht. Die Geiſtlichkeit ders
jenigen Parthey, aus welcher der Kaiſer nicht gewaͤhlt
werden wird, weiht und ordnet die Kirche der goͤttlichen
Weisheit für den katholiſchen Gottesdienſt und erwaͤhlt
den Patriarchen; die uͤbrigen Kirchen des Reichs werden
unter die Franken und Venetianer getheilt, und die Geiſt⸗
lichkeit jeder Parthey ordnet die ihr zufallenden Kirchen.
Es iſt fuͤr den anſtaͤndigen Unterhalt der Geiſtlichkeit
jeder Kirche auf genuͤgende Weiſe zu ſorgen, alles übrige
Kirchengut wird, wie jedes andere Veſitzthum des griechis
ſchen Reiches getheilt. Die Theilung des Landes in Le—
hen, und die Beſtimmung der Pflichten, welche die Lehens—
träger. dem Kaiſer, und dem Reiche zu leiſten haben,
geſchieht durch einen Ausſchuß von wenigſtens zwoͤlf ver⸗
eideten Maͤnnern von jeder der beyden Partheyen 2). Die
Lehen ſollen erblich ſeyn, fuͤr die Weiber nicht weniger
) Est autem sciendum, quod a
nostra et vestra parte duodecim ho-
mines vel plures pro parte eligi de-
bent, qui juramento adstricti feuda
et honorificentias inter homines
distribuere debent et seryitia assi-
gnare, quae ipsi homines imperio
et imperatori facere debent, secun-
dum quod illis bonum visum fuerit
et conveniens apparebit. Nach Vil⸗
lehardouin: Et lors seroient pris
douze des plus sages de Jost des
Pelerins et douze des Venissiens, et
cil departiroient les, ‚fiez et les ho-
nors par les homes, et deviseroient
quel service il en feroient A l Em-
pereor.
284 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. X.
I," als für die Männer, und jeder Lehenstraͤger mag über
ſein Lehen ſchalten, wie er will, ſofern der Dienſt des Kai—
ſers und des Reiches nicht beeintraͤchtigt wird. Der
Doge von Venedig ſoll zwar fuͤr die Lehen oder andere
Beſitzthuͤmer, welche im griechiſchen Reiche ihm zufallen
werden, nicht gehalten ſeyn, den Leheneid zu leiſten; die—
jenigen aber, welchen er dieſelben uͤbertraͤgt, ſind ver—
pflichtet, dem Kaiſer und dem Reiche den Eid der Treue
zu ſchwoͤren. Kein Feind der einen oder andern Parthey
ſoll, ſo lange er mit derſelben im Kriege ſich befindet, und
vor geſchloſſenem Frieden im Reiche aufgenommen und ge—
duldet werden. Sowohl die Kreuzfahrer als die Vene—
tianer ſollen durch einen Eidſchwur ſich verpflichten, wenig—
ſtens bis zum letzten Tage des Maͤrzmonates des Jahres 1205
im griechiſchen Reiche zu bleiben, um den Kaiſer, welcher
aus ihrer Mitte wird erwaͤhlt werden, und das Reich zur
Ehre Gottes und der roͤmiſchen Kirche zu beſchirmen; die—
jenigen aber, welche nach dem Ablaufe dieſer Zeit noch
länger im griechiſchen Reiche zu verweilen geſonnen find,
ſollen nicht nur dem Kaiſer durch einen Schwur nach
guter und loͤblicher Gewohnheit Treue und Gehorſam ge—
loben, ſondern auch insbeſondere eidlich verſprechen, die
Ordnungen und Satzungen des Reiches zu beobachten.
Dagegen ſoll auch der Kaiſer mit einem feyerlichen Eide
ſich verbindlich machen, die verabredete Theilung des Rei—
ches aufrecht zu erhalten, und jeden im Beſitze ſeiner
Rechte und Freyheiten zu ſchuͤtzen. Dieſe Verabredun—
gen duͤrfen nicht anders abgeaͤndert werden, als nach dem
gemeinſamen Beſchluſſe des Dogen von Venedig und ſei—
ner ſechs Raͤthe und des Markgrafen von Montferrat und
ſeiner ſechs Raͤthe. Beyde Theile ſollen den Papſt an—
gelegentlich bitten, daß er dieſen Vertrag bekraͤftigen und
Belagerung von Conſtantinopel. 285
die Uebertreter deſſelben mit dem kirchlichen Banne ſtra- r
fen moͤge. |
Mit den Verbindlichkeiten, welche die Venetianer und
Pilger in dieſem Vertrage uͤbernahmen, ließ ſich das
fruͤhere Geluͤbde der Kreuzfahrt nicht wohl vereinigen,
und die Pilger dachten ſeit dieſer Zeit nicht mehr mit
Ernſt an die Befreyung des heiligen Landes aus der Ge—
walt der Heiden. Mit deſto groͤßerem Eifer wurde die
Belagerung von Conſtantinopel begonnen.
Am Donnerſtage vor dem Sonntage der Paſſion 3. Aprit
begaben ſich die Pilger mit ihren Roſſen auf die Schiffe,
welche zuvor auf das trefflichſte waren in Stand geſetzt
worden). Auch von Lebensmitteln wurden reichliche Vor—
räthe auf die Schiffe gebracht. Jede der Scharen, aus
welchen das Heer beſtand, erhielt die ihr noͤthigen Schiffe;
die Fahrzeuge ſtellten ſich neben einander nach der Ordnung
der Scharen, und die runden Schiffe ſonderten ſich von
den Galeen und Transportſchiffen; wohl in der Laͤnge
einer halben franzoͤſiſchen Meile dehnte ſich die Linie der
Schlachtordnung aus, und dieſe zahlreiche und trefflich
geruͤſtete Armada gewaͤhrte einen Anblick von wunderbarer
Pracht. Am folgenden Tage fuhr die ſtattliche Flotte an 9 Aprit
das jenſeitige Ufer und ſtellte ſich laͤngs der Mauer auf,
von dem Kloſter Chriſti des Wohlthaͤters bis zum Bla—
3) Joesdi apres miquaresme, Dil:
lehard. S. 95. Dies würde, genau
genommen, der x. April ſeyn; denn
Mittfaſten fiel in dieſem Jahre auf
den Zr. März. Nach dem Briefe des
Grafen Balduin aber geſchah der erſte
Angriff auf Conſtantinopel, welcher,
wie auch Villehardouin erzählt, am
folgenden Tage (dem Freytage) unter
nommen wurde: V Idus Aprilis,
hoc est, feria sexta ante passionem
Domini = 9. April (der fünfte
Sonntag der Faſten oder Judica
wird wegen der Annäherung der
Paſſionszeit Dominica passionis ges
nannt). Mit dieſer letztern Zeitan⸗
gabe ſtimmt auch Nicetas (S. 365)
überein.
4) Mult bien atornez et hordces,
DBiueh.
J. Chr.
1204.
286 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
chernenpalaſte, an dem Theile der Stadt, welcher Petrium
genannt wurde und im Julius des Jahres 1203 von den
Venetianern durch Feuer war zerſtoͤrt worden ). Es
war beſchloſſen worden, von dieſer Seite, wo in der er;
ſten Belagerung den Venetianern es gelungen war, Her—
ren der Mauer zu werden, die Stadt mit vereinigten
Kraͤften zu berennen. en ee ee ene,
Der Kaiſer Merius Murtzuflos aber, ſobald er ver,
nommen hatte, daß die Kreuzfahrer im Begriff waren,
die Belagerung von Conſtantinopel zu beginnen, hatte
ſeine Truppen in der Naͤhe des bedrohten Theiles der
Stadt verſammelt und ſein ſcharlachrothes kaiſerliches
Zelt auf dem Hügel errichten laſſen, auf welchem das
Kloſter des Allſehenden ſtand, weil er auf dieſem Huͤgel
die feindlichen Schiffe und ihre Bewegungen uͤberſehen
konnte „).
Die Kreuzfahrer ſowohl als die Venetianer begannen,
nachdem die Flotte der Mauer von Conſtantinopel ſich ges
nähert hatte, ſofort die Berennung der Stadt mit großem
Ungeſtuͤme. Die meiſten Schiffe legten ſich vor Anker in
ſolcher Naͤhe der Stadt, daß nicht nur die Kreuzfahrer
und Griechen gegenſeitig aus ihren Wurfgeruͤſten ſich bes
5) Nicetas S. 365.
6) L'Emperères Morchufles s' ere
venuz herbergier à une place a tot
son pooir, et ot tendues ses ver-
meilles tentes. Villehard. S. 97. 98.
0 Aol uus rπν Baoihsıov auhaiav
noossterizsı Öaradrvar rar
Tov &v Ti) uovjj Tov Havrsnöntov
noluvov, oUEv 700V Oyaral ulv ai
vñes ai nohsworngio., zaragarn
de a v map avrum Ev Tavraıs
dodusve. Nicet. S. 365, ueber
das von Anna Ducaena gegründete
Mannskloſter Panepoptes ſ. Ducange
Constantinopolis Christiana Lib.
IV. 2, und über die rothen Zelte, als
Auszeichnung der Selbſtherrſcher, Du⸗
cange zu Villehard. S. 318. Auch
der osmaniſche Sultan Murad II.
hatte ein rothes Zelt; ſ. Joſ. von
Hammer Geſchichte des osmaniſchen
Reiches. Th. I. S. 493.
Belagerung von Conſtantinopel. 287
ſchießen, ſondern diejenigen, welche auf den Kampfgeruͤſten dr..
der Schiffe ſtanden, wider die Vertheidiger der Mauer
der Stadt ſogar mit ihren Schlachtſchwertern kaͤmpfen
konnten :). Einige Scharen landeten, brachten ihre Wurf—
maſchinen an das Land und richteten ſie gegen die Mauer
der Stadt. Doch nicht alle Kreuzfahrer ſtritten mit glei—
cher Tapferkeit, und manche hielten ſich und ihre Schiffe
fern von der Gefahr. Mit aller Anſtrengung aber ver—
mochten die Kreuzfahrer, welche redlich des Kampfes ſich
unterwanden, nicht den Widerſtand der Griechen zu uͤber—
waͤltigen, vielmehr erlitten ſie großen Verluſt, und viele
Kreuzfahrer wurden durch die Steine, welche aus den
Wurfmaſchinen der Belagerten geſchleudert wurden, ge—
toͤdtet ). Nachdem der Kampf bis zur neunten Stunde
des Tages mit großer Heftigkeit gedauert hatte, waren
ſie genoͤthigt, ſich zuruͤckzuziehen; und diejenigen, welche
an das Land ſich begeben hatten, wurden zuruͤckgetrieben
und flohen zu ihren Schiffen, ſelbſt ihre Wurfgeruͤſte den
Griechen uͤberlaſſend “).
Noch am Abende dieſes ungluͤcklichen Tages verſam—
melten ſich die Heerfuͤhrer der Pilger zum Kriegsrathe in
einer Kirche am ſuͤdlichen Ufer des Meerarmes; und alle
waren ſehr niedergeſchlagen und betruͤbt uͤber das Miß—
geſchick dieſes Tages ). Es wurden mancherley Vor—
7) Villehard. S. 96. 9) Epist. Balduini I. . Nicetas
8) Mais par nos pechiez furent li
Pelerin resorti de l’assault. Ville⸗
hard. a. a. O. Ea die non sine mul-
to tamen sanguine fuimus tanta
perpessi, ut inimicis nostris in op-
probrium verteremur, quorum ea
die pars fuit per cuncta superior,
Epist. Balduini I. c. Vgl. Nicetas
g. a. O.
a. a. O.
10) Et furent mult esmaie cil de
ost porceque il lor fu le ior me-
scheu. Villehard. a. a. O. Contur-
bati plurimum et conterriti, sed
demum in Domino roboxati. Epist.
Balduini I. c.
J. Chr.
1204.
Pr
288 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. X.
ſchlaͤge vorgetragen und verworfen. Einige riethen, die
Belagerung der Stadt von der Seeſeite zu verſuchen,
weil dort die Mauer weniger befeſtigt waͤre, als an der
Hafenſeite; die Venetianer aber, welche des Seeweſens
kundiger waren, als die Franzoſen n *), wandten dagegen
ein, daß die Flotte, wenn ſie an der oͤſtlichen oder ſuͤd—
lichen Seite der Stadt ſich aufſtellen wollte, in die unab—
wendliche Gefahr kommen würde, von den heftigen Strös
mungen des Meeres fortgeriſſen zu werden, und daß aus
dieſem Grunde und andern Gruͤnden, uͤberhaupt nur an
der Hafenſeite eine erfolgreiche Zuſammenwirkung des Hee—
res und der Flotte moͤglich waͤre. Dieſer gegruͤndete Ein—
wand machte zwar auf diejenigen, welche jenen Vorſchlag
vorgetragen hatten, keinen großen Eindruck, weil ihnen
mehr daran lag, baldigſt dieſe Gegend verlaſſen zu koͤn—
nen, als das begonnene Unternehmen zu einem gluͤcklichen
Ende zu bringen, und aus dieſer Urſache es ihnen ganz
erwuͤnſcht geweſen waͤre, wenn die Flotte durch die Ger
walt der Stroͤmungen waͤre fortgeriſſen worden. Die
uͤbrigen gaben aber der Meynung der Venetianer ihren
Beyfall, und es wurde alſo beſchloſſen, nach zweytaͤgiger
Ruhe am naͤchſtfolgenden Montage den Angriff auf der—
ſelben Stelle zu wiederholen, wo er an dieſem Tage miß⸗
lungen war. Weil man aber die Urſache des ungluͤcklichen
Erfolgs des erſten Verſuches darin fand, daß die Schiffe
einzeln die Thuͤrme der Mauer angegriffen hatten, und die
eannſchaften der einzelnen Fahrzeuge zu ſchwach geweſen
waren gegen die zahlreichen Beſatzungen der Thuͤrme: ſo
11) Et li Venitien qui plus sa- Rhamnuſius nimmt an, daß derſelbe
voient de la mer, distrent etc. Vil- in dem Cosmidium (dem Kloſter der
lehard. S. 97. Graf Balduin er: beit. Cosmas und Damianus, dem
wähnt in ſeinem Briefe nur ganz castellum Boëmundi) gehalten wurde.
kurz dieſes Kriegsrathes. S. Anm. 13.
Eroberung von Conſtantinopel. 289
J. Chr.
1204.
wurde verordnet, daß die mit Kampfgeruͤſten verſehenen
Schiffe, je zwey und zwey, durch Ketten mit einander
verbunden werden, und ſtets zwey n Schiffe gegen
einen Thurm ſtreiten ſollten *?),
Am frühen Morgen des Montags nach dem Sonn 12. Apris
tage der Paſſion *?) wurde die Beſtuͤrmung der Stadt
in der angeordneten Weiſe aufs Neue mit großer Gewalt
und Heftigkeit von den Venetianern und Kreuzfahrern
unternommen; die Griechen leiſteten aber auch an dieſem
Tage beharrlichen Widerſtand. Unzaͤhlbare Streiter full
ten die Mauer der Stadt und deren Thuͤrme *); und
wenn auch die Pfeile der Armbruſtſchuͤtzen und dle Stein⸗
wuͤrfe der Maſchinen des Pilgerheeres nicht ohne Wirkung
blieben: fo verbreiteten dagegen nicht minder die Stein⸗
wuͤrfe der Belagerten großes Verderben unter den Kreuz⸗
fahrern. Furchtbar war an dieſem Tage das Getoͤſe der
Schlacht, und die Erſchuͤtterung, welche die Heftigkeit der
Steinwürfe hervorbrachte, fo gewaltig, daß die Erde zit
terte). Bis zum Mittage blieb der Ausgang des
12) Villehardouin S. 96. 97.
13) Ensi attendirent le Samedi et
Dimenche.... Ensi dura cil afai-
res trosque à Lundi matin: et lors
furent arme cil des nes et des vis-
eiers, et cil des galies. Villehard.
S. 97: 98. Avoysvodusvo q ol
iu T7V 0 Ensivmv nulgav
(den Sonnabend) Kal zıyv eee
Avgıwvuuov, N vorspaia r
2 möhsı moosnAlovoı zul Tois
nocı mgoSioyovomv, Irie I dwös-
van t vov Anyıhkiov unves,
Ösvripa o xñs Enens q o uud qͤos
rd vnorsiv, Nicetas S. 306. Vgl.
V. Band.
Georgii Acropolitae historia o. 4.
P. 4., wo eine kurze Nachricht über
dieſe Eroberung von Conſtantinopel
gegeben wird. Definito consilio rur-
sus instauramur ad pugnam quarta
die, II Idus April,, hoc est feria
secunda post passionem Domini.
Epist. Balduini I. o. Nach Gunther
(p. XV): actum est hoc circa Ra-
mos Palmarum (nämlich in der 0
che vor Palmſonntag).
14) Sor les tors ne paroient se
genz non. Villehard. S. 98.
15) Li huz de la noise fu si granz
que terre £ondist. Villeh. a. 9 O.
T
290 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
3.20%. Kampfes unentſchieden, die Pilger erlitten nicht geringern
Schaden, als an dem erſten Tage der Belagerung, und
es gelang ihnen nicht, den Mauern ſo nahe zu kommen,
daß fie ihre Sturmleitern anlegen konnten ). Um die
Mittagszeit aber erhob ſich ein guͤnſtiger Nordwind, wel
cher die Schiffe der Kreuzfahrer naͤher an die Mauer trieb,
und die Verheißung der Heerfuͤhrer, welche durch die
Stimme des Herolds, bekannt gemacht wurde, daß der⸗
jenige, welcher zuerſt die Mauer beſteigen wuͤrde, eine
Belohnung von hundert Mark Silbers empfangen ſollte,
erregte unter den Kreuzfahrern einen allgemeinen Wett;
eifer *). Den beyden durch eine Kette verbundenen Schif;
fen, welche die Pilgerin und das Paradies genannt wurden
und die Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes fuͤhrten,
gelang es zuerſt, ſo nahe an einen Thurm zu kommen, daß
die Sturmleiter der Pilgerin an denſelben gebracht wer—
den konnte *); und der venetianiſche Edle Pietro Al;
berti!“) und der franzoͤſiſche Ritter Andreas von Urboiſe,
16) Nicetas a. a. O. et Ii autre li Paravis (Paradis),
17) Gunther p. XV. Doch ſetzt die⸗
fer Schriftſteller hinzu: videxes omnes
appetere, quod uni tantum ser-
vabatur, non tam amore promissae
pecuniae, quam ob Dei honorem et
causae communis utilitatem et in-
cepti laboris compendium.
18) Duae,naves pariter colligatae,
quae Episcopos nostros, Suessionis
videlicet ac Trecensis (ecclesiae)
defexebant, quarum exant insignia
Paradisus et Peregrina, primae scalis
suis scalas turrium attigerunt, et
felici auspicio peregrinos pro Pa-
radiso certantes hostibus admove-
runt. Epist. Balduini, Et deux
nes aui estoient liées ensemble,
dont lune avoit nom la Pelerine
aprochierent a la tor lune d'une
part et l’altre d’autre, si com Diex
et li venz li mena, que l’eschiele
de la Pelerine se ioint à la tor.
Villeh. S. 98.
19) Villehardouin (a. a. O.) nennt
nur den Andreas von Urboiſe, den
Pietro Alberti fügt Rhamnuſius (S.
123) hinzu, wie es ſcheint nach hands»
ſchriftlichen Nachrichten. Des An—
dreas von Urboiſe und ſeines Waffen—
gefährten Johann von Choiſy gedenkt
Villehardouin noch einmal (S. 168.
169. bey Selegenheit des Kampfes,
welcher im Jahre 1206 gegen die Grie⸗
chen, Walachen und Comanen von
den Rittern bey Ruſſum beſtanden
wurde, und in welchem jene beyden
1 *
Eroberung von Conſtantinopel. 291
ein Dienſtmann des Biſchofs von Soiſſons, waren die
erſten, welche den Thurm erſtiegen. Ihnen folgte zunaͤchſt
der Ritter Johann von Choiſy 29); nach dieſem Ritter
erſtieg die ganze uͤbrige Mannſchaft der beyden Schiffe den
Thurm, die griechiſche Beſatzung nahm die Flucht, und
die Paniere der beyden Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes
wurden auf der Höhe des Thurmes errichtet 2). Pietro
Alberti aber kam durch ein ungluͤckliches Mißverſtaͤndniß
um die verdiente Belohnung ſeiner ruͤhmlichen Tapferkeit.
Denn ihn toͤdtete in der Verwirrung des Kampfes ein
franzoͤſiſcher Ritter, welcher ihn für einen Griechen hielt;
ſein Tod wurde im ganzen Heere der Pilger lange mit
allgemeiner Theilnahme beklagt, und der Ritter, welcher
ihn getoͤdtet hatte, als er des ungluͤcklichen Mißverſtaͤnd⸗
niſſes inne wurde, gerieth in ſolche Verzweiflung, daß er
ſich ſelbſt das Leben nehmen wollte, und wurde nur mit
Muͤhe von ſeinen Waffengefaͤhrten beruhigt; der Doge
Heinrich Dandulo aber hielt, nach Beendigung des Kam⸗
pfes, zu Ehren des tapfern Ritters, welcher einem der
edeln Geſchlechter der Republik Venedig angehoͤrte, in
Gegenwart der venetianiſchen Schiffshauptleute eine wuͤrde⸗
volle Lobrede *).
tapfern Ritter mit vielen andern um⸗
kamen. Nach Nicetas ſprangen von
einer Leiter (e TOv aArudamv wıas),
welche in der Nähe der Petria und
gegenüber dem Kaiſer Murtzuflos in
Thätigkeit war, zwey Männer, dem
Glücke ſich übergebend, zuerſt unter
ihren Gefährten auf den Thurm vor
ihnen und vertrieben daraus die rö—
miſche Beſatzung (TO sede Pu-
uloıs guhuxınov ovunazxınöv).
20) Nach der von Ducange (zu Bil:
lehard. S. 328. 348.) angeführten (ta:
teiniſch geſchriebenen) Histoire Ms.
de la Translation des Beliques de
Nostre Dame de Soissons.
2r) Prima muros obtinent vexilla
Pontificum ministrisque coelestium
secretorum prima conceditur de coe-
lo victoria. Epist. Balduini,
22) Dieſes Ereigniß kennen wir nur
aus der Erzählung des Rhamnuſius
a. a. O. Hugo Plagon erzählt die
Erſtürmung der Mauer alſo: Cil qui
T2
J Chr.
120%.
J Chr.
1204.
* .
292 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
Der Anblick der auf der Höhe des Thurmes wehens
den biſchoͤflichen Paniere und der ermunternde Zuruf
derer, welche den Thurm erſtiegen hatten 25), erweckte den
lebhafteſten Wetteifer der uͤbrigen Pilger, welche noch auf
den Schiffen den Kampf fortſetzten. Einige ſtiegen ſofort
an das Land, legten die Sturmleitern an, und in kurzer
Zeit waren vier andere Thuͤrme in der Gewalt der Pil⸗
ger; Andere richteten ihren Angriff gegen die Thore, und
durch die furchtbare Wirkung ihrer Steinwuͤrfe und ihrer
Mauerbrecher wurden drey Thore geſprengt 2). Andere
Thore wurden durch diejenigen, welche von der Mauer in
die Stadt herabſtiegen, geoͤffnet; und die Vorbaue von
Holz und Steinen, wodurch jene Eingaͤnge der Stadt
geſchuͤtzt waren, wurden zerſtoͤrt. Der franzoͤſiſche Ritter
Peter Braiecuel, ein Mann von gewaltiger Groͤße, hatte
die Verwegenheit, allein durch das eine der geſprengten
Thore in die Stadt zu dringen und dem Lagerplatze des
Kaiſers ſich zu naͤhern; und die Griechen flohen uͤberall
vor dem rieſenhaften Ritter, deſſen gewaltige Laͤnge noch
durch die Hoͤhe ſeines Helmes nicht wenig vergroͤßert
wurde ).
primes i entra, estoit Venicien et ter, welchen er hier blos Petrus und
i fu occis, l'autre fu un chevalier
de France et ot nom Audins Dure-
bouche (alfo Hartmund, was offen:
bar eine Verderbung von d' Urboise
iſt); oil gaigna cent mars et l'autre
apres cinquante.
23) „Sie bewegten von oben die
Hand, als Zeichen der Freude und Zu—
verſicht, und ermunterten ihre Genoſ—
fen ( ντνν).“ Nicetas S. 366.
24) Villehard. S. 90. Vgl. Gun-
theri hist. Constantinop. p. XV.
Nach Nicetas war dieſer Rit⸗
ſonſt er Tov. 2% ITkavrins,
nennt (Peter von Braiecuel oder Bas
cheur), ein Rieſe von faſt neun Klaf⸗
tern (ys h αο⁰ Evvsopyvuos, wie
die Söhne der Iphimedea und des
Poſeidon „ nach Homer's Odyſſee XI.
311. 312.), und fein Helm glich einer
thurmreichen Stadt sara nolıy rup-
yosocav. Von dieſem Schriftſteller
wird S. 389 der Ritter Peter von
Braiecuel alſo bezeichnet: Leros 6
er IWhavılag, dunp newiros Tıjv
Eroberung von Conſtantinopel. 293
Bald darauf drang das ganze Heer der Kreuzfahrer er
durch die geſprengten Thore in die Stadt und nahm ſei⸗
nen Weg gerade gegen den Lagerplatz des Alexius Mur⸗
tzuflos. Der Kaiſer hatte zwar fein Heer vor den Zelten
des Lagers in Schlachtordnung aufgeſtellt; die griechiſchen
Truppen erwarteten aber nicht den Angriff der Ritter,
welche auf ihren Schlachtroſſen wider ſie rannten, ſon—
dern ihre Scharen loͤſten ſich auf und entliefen in aͤngſt⸗
licher Verwirrung, und Murtzuflos floh durch die Stra—
ßen der Stadt nach dem in der Mitte der Stadt und am
Meere liegenden Palaſte Bukoleon 250. Die Kreuzfahrer
verfolgten haſtig die fliehenden Feinde, erſchlugen und
verwundeten diejenigen, welche ihnen ſich zu widerſetzen
wagten, und machten an Pferden und Maulthieren eine
große Beute *). Die meiſten der vornehmen Griechen
retteten ſich, als die griechiſchen Truppen auf ſo ſchimpf⸗
liche Art die Stadt der Willkuͤhr der Kreuzfahrer preis—
gegeben hatten, in den befeſtigten Palaſt der Blachernen;
andere verließen die Stadt und flohen durch. das goldene
Thor, indem fie den von Murtzuflos zur Befeſtigung dies
ſes Thores errichteten Vorbau zerſtoͤrten ?“).
Am Abende dieſes Tages verſammelten ſich die Fuͤh⸗
rer des Pilgerheeres, nachdem ſie müde waren des Kam—
pfes und des Verfolgens der Feinde, auf einem großen
Platze der Stadt zum Kriegsrathe 25), ſelbſt darüber
loyiv. S. gor: d #E«TU0TOS aua 27) Lors er Griffons abatre
et chevaus gaignier et palefroi,
muls et mules et autres avoirs. Vil⸗
leh. a. a O.
nivruv ei eu, avöpsicv Ovoue-
orörorog, und S. 412: usyide
oe obrog oWuarog A! E=
KR0OTO KO dww̃e yervalı Megus- 28) Villeb. a a. O. Nicetas a. a. O.
Bhinero nagaorıjuarı.
20) Villehardouin übereinſtimmend
mit Nicetas a. a. O. 5
20) Villeh. a. a. O.
J. Chr.
120.
294 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
erſtaunt, daß eine Stadt, welche damals vierhundert Tau—
ſend Einwohner zaͤhlte, auf ſo leichte Weiſe durch ein
Heer von nicht mehr als zwanzig Tauſend Streitern ſey
erobert worden ). Sie hielten aber noch nicht ihres
Beſitzes ſich ſicher, meinten, daß die voͤllige Eroberung von
Conſtantinopel, wenn die Griechen alle Vortheile, welche
die befeſtigten Kirchen und Palaͤſte ihnen darboten, zur
Vertheidigung der Stadt benutzten, noch wohl die An—
ſtrengungen eines ganzen Monats erfordern koͤnnte, und
fuͤrchteten plöglichen Ueberfall. Es wurde daher beſchloſ—
ſen, daß das ganze Heer in der Naͤhe des eroberten Thei—
les der Mauer und alſo auch in der Naͤhe der Schiffe
ſich lagern, niemand bey Todesſtrafe, um zu pluͤndern,
von feiner Schar ſich entfernen und überhaupt jede Vor—
ſicht angewandt werden ſollte 3 *).
Es nahm hierauf der Graf Balduin von Flandern
feine Herberge in dem ſcharlachenen Zelte 32), welches
Murtzuflos zurückgelaffen hatte; fein Bruder, der Graf
Heinrich, lagerte ſich mit ſeiner Schar vor dem Palaſte
der Blachernen; und der Graf Bonifaz von Montferrat
und ſeine Leute begaben ſich in den vorwaͤrts nach dem
60) Et bien en durent nostre Seig-
nor loer que il n’avoient mie plus
de vingt mil homes arınez et par
Taie (l’aide) de Dieu si avoient pris
de quatre cens mile homes ou plus,
Villehard. S. 103. Nach Radulphus
Coggeshale (Chron. Anglic, p. 101)
verſicherten ſolche Perſonen, welche
Conſtantinopel geſehen hatten (qui
huius civitatis habitacula norant),
daß in dieſer Stadt mehr Einwohner
ſich fanden, als damals auf dem Land:
ſiriche von der Stadt Pork bis zur
Themſe wehnten (quod plures habeat
habitatores, quam quot habitent ab
Eboracensi civitate usque ad Tami-
sium Auvium).
31) Villehard. S. 99. 100. Daß die
Plünderung der Stadt unter Andros
hung der Todesſtrafe verboten war,
und erſt erlaubt wurde, als die Kreuz⸗
fahrer des Beſitzes von Eonftanting:
pet ſicher waren, berichtet Günther
S. XVI.
32) Es vermeilles tentes IEmpe-
reorMorchuflex qu'il avoit laissees
tendues. Villehard. S. 100. Vgl.
oben Anm. 6.
Eroberung von Conſtantinopel. 295
Innern der Stadt gelegenen Theile. Der Graf Ludwig
von Chartres und Blois aber war nicht mit den Pilgern;
denn er lag auf einem Schiffe krank an einem viertaͤgigen
Fieber, welches ſchon waͤhrend des ganzen Winters ſeine
Thaͤtigkeit gehindert hatte; und an den Anſtrengungen
und dem Ruhme dieſes ue ER er 8 keinen
Theil ). 1 1
Die Kreuzfahrer hatten ohne großen Verluſt den Der
ſitz der Stadt erkämpft, und die Ritter hatten den Tod
keines ihrer Waffenbruͤder an den Griechen zu rächen,
Die Kreuzf hrer befolgten daher an dieſem Tage gern
und willig die Lehren der Geistlichen des Heeres, wie
des Abtes Martin und anderer, welche oͤfters ſie ermahnt
hatten, des Blutes der Griechen, als chriſtlicher Glau⸗
bensgenoſſen, moͤglichſt zu ſchonen 1 und die meiſten
der an dieſem Tage erſchlagenen Bewohner von Conſtan⸗
tinopel fielen durch die Haͤnde der Lateiner, welche, ehemals
in Conſtantinopel anſaͤſſig, und als verdaͤchtig der Ver⸗
ratheren waͤhrend der Belagerung aus der Stadt vertrie⸗
ben, den Kreuzfahrern ſich angeſchloſſen hatten und dieſe
Gelegenheit wahrnahmen, Rache zu üben 3°).
33) Villehard. S. 100.
34) Guntheri Hist. Constantinop.
p. XVI. Auch Nicetas, wiewohl er
ſonſt gern ſo viel Unrühmliches, als
möglich, von den Kreuzfahrern er:
zählt, beſchuldigt ſie in ſeiner Erzäh⸗
tung von der Eroberung von Conſtan⸗
tinopel nicht der Mordluſt. N
55) Ceciderunt tamen illa die ci-
vium quasi duo millia, non utique
a nostris, sed a quibusdam Francis,
Italis, Venetis, Theutonicis, ‚etalia-
rum nationum hominibus, qui prius
cum eis in ipsa urbe habitare con-
sueverant, sed tempore obsidionis
expulsi, pro eo, quod de proditione
suspecti civibushabebantur, nostris
adhaeserant;- cujus injuriae memo-
res illi gravissimam in Graecos pla-
gam ultionis erudeliter exercebant,
Gunther I. ‚© Nach eben dieſem
Schriftſteller beklagten die Kreuzfahrer
an dieſem Tage nur den Verluſt et:
nes edlen Rittets (militis nobilis et
famosi), welcher auf der Verfolgung
der Feinde durch Unvorſichtigkeit mit
ſemem Pferde in eine Grube fiel.
J. Chr.
1204.
296 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. X
Ae Auf dieſen ſchaudervollen Tag folgte für die unglück
liche Stadt eine noch ſchrecklichere Nacht. Einige, zur
Schar des Markgrafen Bonifaz gehörige, Pilger 35),
unter ihnen ein deutſcher Graf 57), in ihren vorwaͤrts
gelegenen Herbergen naͤchtlichen Ueberfall beſorgend, zuͤn—
deten die benachbarten Haͤuſer an, um die Griechen abzus
wehren, wie auch von den Venetianern bey der erſten
Einnahme eines Theiles von Conſtantinopel geſchehen war,
und ſtifteten dadurch eine furchtbare Feuersbrunſt, welche
waͤhrend dieſer Nacht und bis zum Abende des folgenden
Tages, nach der Verſicherung des Marſchalls Villehar—
douin, mehr Häufer zerſtoͤrte, als damals die drey größten
Staͤdte von Frankreich enthielten 3°), Dieſes war die
dritte der Feuersbruͤnſte, welche ſſeit der Landung der
Kreuzfahrer bey Conſtantinopel dieſe ehemals prachtvolle
Hauptſtadt berwuͤſteten; und da dieſe drey Feuersbruͤnſte
gerade den reichſten und ſchoͤnſten Theil der Stadt zer—
ſtoͤrten: fo fanden ſicherlich in den Flammen, welche eine
fo große Zahl ſchoͤner Haͤuſer und praͤchtiger Palaͤſte vers
nichteten, auch manche herrliche, in Conſtantinopel ſeit
36) Villeh. S. 101.
37) Nach Gunther (p. XV.) war
es ein comes Thetunicus, und nach
eben dieſem Schriftſteller wurde die
Stadt ſchon dann angezündet, ats
nur erſt funfzehn oder mehrere der
Kreuzfahrer die Mauer erſtiegen hat
ten, und die Griechen im Begriffe
waren, den Kampf zu erneuern.
38) Plus ot ars maison qwil Wait
es trois plus granz citez del Roialme
de France. Billehard. S. 101. Va-
staverat incendium fere tertiam par-
rem civitatis, um, omuibus tam ci-
vibus quam peregrinis graviori 0.
oupatis periculo, nulli erant, qui
flammas licite pervagantes possent
extinguere. Gunther p. XVI. Nach
Nicetas (S. 366) verwüſtete dieſe
Feuersbrunſt vornehmlich den öſtli⸗
chen Theil der Stadt (za mpos S
und den noch etwas weiter vorwärts
vom Kloſter des Evergetes gelegenen
Theil, ſowie die am Meere gelegene
Gegend bis zum Palaſt des Drunga—
rius (MExeL Too Agovyyagiov sc.
rod oro lor) oder des Admirals der
Flotte.
Eroberung von Conſtantinopel. 297
Jahrhunderten geſammelte Denkmaͤler der Wiſſenſchaft re
und Kunſt des Alterthums den Untergang“).
Alexius Murtzuflos ließ es zwar nicht unverſucht,
ſeine zerſtreuten Scharen wieder zu vereinigen, er ritt
durch die Straßen und bemuͤhte ſich, auch die Buͤrger zu
bewegen zur Bewaffnung und zur Vertheidigung ihrer
Stadt; aber weder die Buͤrger noch die Soldaten hoͤrten
auf ſeine Ermahnung, und alle dachten nur darauf, in
der Dunkelheit der indeß eingetretenen Nacht, ſich ſelbſt
und die Ihrigen zu retten und ihre Habe zu entfernen
oder zu vergraben ). Als der Kaiſer ſah, daß aller
Muth von den Soldaten wie von den Buͤrgern gewichen
war, und ihm ſelbſt unter ſolchen Umſtaͤnden kein anderes
Loos bevorſtand als ſchimpfliche Gefangenſchaft: ſo kehrte
er in den Palaſt Bukoleon zuruͤck, nahm zu ſich die Kais
ſerin Euphroſyne, die Gemahlin des fluͤchtigen Alexius
Angelus des Aeltern, und deren Tochter Eudoxia, feine
damalige Braut, beſtieg mit dieſen Frauen ein kleines
Fahrzeug und entfloh aus der Stadt, welche er nicht
laͤnger zu vertheidigen vermochte, nachdem er nur zwey
Monate und zwoͤlf Tage die angemaßte Herrſchaft be—
hauptet hatte **).
30) Doch läßt ſich ſchwerlich anneh - 40) Nicetas S. 366. 367. Vgl. Vil⸗
men, daß erſt damals die Werke grie⸗
chiſcher Schriftſteller des Alterthum
gerftört wurden, deren gänzlichen Ver:
uf wir zu beklagen haben. Denn
das Studium der Griechen beſchränkte
ſich ſchon ſeit Jahrhunderten auf ſehr
wenige Schriften des Alterthums, wie
die Werke der byzantiniſchen Schrift⸗
ſteller beweiſen, und ſchon durch frü⸗
here Feuersbrünſte waren beträcht⸗
liche Bücherſammlungen in Byzanz
vernichtet worden.
fehard. S. 100, wo erzählt wird, daß
Murtzuflos zwar feine Leute verfam:
melt und ihnen geſagt habe, es wäre
feine Abſicht, die Franken wieder an:
zugreifen; gleichwohl ſey der Kaifer
in eine andere Straße geritten, ſo
fern als möglich von ſeinem Heere,
und endlich aus dem goldenen Thore
(porte oirce) entflohen.
ar) Nicetas S. 367.
298 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
. Sobald die Flucht des Murtzuflos bekannt geworden
war, traten zwey Bewerber auf um den Thron, wel—
chen in dem kurzen Zeitraume von kaum zehn Monaten
zwey Kaiſer ſchimpflich verlaſſen hatten. Waͤhrend die
ſchrecklichſte Verwirrung in der Stadt herrſchte, ein Theil
derſelben in Flammen ſtand, und alle Gemuͤther von ban⸗
ger Erwartung der Schreckniſſe, welche der folgende Tag
bringen konnte, gequaͤlt wurden, meldeten ſich Theodorus
Ducas und Theodorus Laskaris als Bewerber um den
verlaſſenen Kaiſerthron bey denen, welche in den heiligen
Mauern der Kirche der goͤttlichen Weisheit Schutz und
Zuflucht ſuchten. Obwohl die Meiſten, um deren Stim—
men ſie warben, ſich nicht aufgelegt fuͤhlten, die Vorzuͤge
weder des Einen noch des Andern zu erwaͤgen: ſo ent—
ſchied ſich doch bald die Wahl der Geiſtlichkeit zu Gun—
ſten des Theodorus Laskaris, welcher in dieſer ungluͤck—
lichen Zeit durch Muth und Tapferkeit vor allen andern
ſich ausgezeichnet hatte. Ohne die kaiſerliche Krone zu
nehmen, wozu die Zeit auch wenig ſchicklich war, eilte
Theodorus Laskaris ſofort nach ſeiner Wahl, in Beglei—
tung des Patriarchen, auf den nahe bey der Kirche der
goͤttlichen Weisheit gelegenen Platz, welcher Milium ge—
nannt wurde, ermahnte das daſelbſt verſammelte Volk in
einer eindringlichen Rede zu ſchleuniger Bewaffnung und
richtete an die fremden Miethſoldaten, welche zur kaiſer⸗
lichen Leibwache gehoͤrten, die Bitte, den Thron von By—
zanz in ſo dringender Gefahr nicht zu verlaſſen, ſondern
um ihres eigenen Vortheiles willen redlich und tapfer zu
vertheidigen. Auf das Volk und die Soldaten machte aber
ſeine Ermahnung nicht mehr Eindruck, als wenige Stun—
den zuvor die Ermahnungen des Murtzuflos gemacht
hatten; und die Miethſoldaten gaben ihm zur Antwort,
Eroberung von Conſtantinopel. 299
daß fie nicht wider die Lateiner ſtreiten wuͤrden, wenn 138.
ſie nicht zuvor wegen des ruͤckſtaͤndigen Soldes, welchen
ſie zu fordern haͤtten, befriedigt waͤren. Unter dieſen
Umſtaͤnden, und da gemeldet wurde, daß das Heer der
Kreuzfahrer ſchon im Anzuge waͤre, blieb auch für Theo⸗
dorus nichts uͤbrig als die Flucht; und die Wahl des
Theodorus Laskaris zum Kaiſer, welche nur wenige Stun—
den vor feiner Flucht geſchehen war, gab alſo dem grie—
chiſchen Reiche einen dritten fluͤchtigen Kaiſer 22). Nach
der Entweichung auch dieſes Kaiſers ſuchten alle uͤbrigen,
welche zu fliehen vermochten, ihre Rettung gleichfalls in der
Flucht, und von denen, welche die Waffen wider die
Kreuzfahrer getragen hatten, blieb keiner in der Stadt.
Bey dem Scheine furchtbarer Flammen, welche den . Awru.
Himmel roͤtheten, waffneten und ſcharten ſich in der Fruͤhe
des Dienſtags, des dreyzehnten Aprils, die Kreuzfahrer,
gefaßt auf einen harten Kampf; ihre Beſorgniſſe aber
waren eitel. Der Graf Heinrich von Flandern fuͤhrte
feine Schar an den Palaſt der Blachernen; und die Gries
chen, welche in dieſem Palaſte Zuflucht geſucht hatten,
wagten nicht zu widerſtehen, ſondern bedungen ſich Sicher⸗
heit des Lebens und oͤffneten dem Grafen Heinrich den
Palaſt mit allen darin aufbewahrten Schägen *?), Der
Markgraf Bonifaz, zu welchem fo wenig als zu den üͤbri—
gen Kreuzfahrern das Geruͤcht von der Flucht des Mur—
tzuflos gekommen war, ruͤckte langſam und vorſichtig,
Hinterhalt und Ueberfall beſorgend, mit feiner Schar vor,
48) Nicetas S. 367. Nach der Er- Erzählung des Nicetas (S. 366) wurde
zahlung des Grafen Balduin wählten der Palaſt der Blachernen ſchon vor
die Griechen nach der Flucht des Mur: der Flucht des Kaiſers Murtzuſtos
buſtos einen gewiſſen Conſtantinus von den Franken ohne große Mühe
zum Kaiſer. Vgl. Anm. 46. (dnpayuövus ve nul ig edοο
43) Villehard. S. 102. Nach der eingenommen.
300 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
% und war nicht wenig erſtaunt, als er nirgends Anſtalten
zum Widerſtande und nirgends Bewaffnete ſah, ſondern
das wehrloſe Volk vielmehr mit Kreuzen und Bildern des
Heilandes im feierlichen Zuge einer Bittfahrt ihm ent—
gegen Fam **), ihn als Kaiſer begrüßte, und Greiſe, Weis
ber und Kinder die Gnade der Kreuzfahrer anflehten,
indem ſie mit ihren Fingern das Zeichen des Kreuzes
bildeten und vermittelſt dieſes Zeichens, da ſie in ihrer
Sprache den Fremdlingen ſich nicht verſtaͤndlich machen
konnten, die chriſtliche Barmherzigkeit der mit dem hei
ligen Kreuze bezeichneten Krieger in Anſpruch nahmen“).
Der Markgraf Bonifaz ſetzte indeß ſeinen Weg fort, und
kam zum Palaſt Bukoleon, welcher von den Griechen,
nach dem ſie Sicherheit ihres Lebens ſich ausbedungen hat—
ten, ihm geoͤffnet wurde. In dieſem Palaſte fanden die
Kreuzfahrer zwey Kaiſerinnen, welche den angeſehenſten
koͤniglichen Haͤuſern des Abendlandes angehoͤrten, Agnes,
die Tochter des Königs: Ludwig des Siebenten von Frank⸗
reich und Witwe der beyden Kaiſer Alexius und An—
dronicus aus dem Hauſe der Comnenen, und Margarethe,
die Schweſter des Koͤnigs Bela des Dritten von Ungarn
und Witwe des ungluͤcklichen Kaiſers Iſaak Angelus;
und die Schaͤtze, welche in dieſem Palaſte in die Ge—
walt der Pilger kamen, waren von nicht geringerm
Werthe als diejenigen, welche der Graf Heinrich von
Flandern in dem Palaſte der Blachernen erbeutet Hatte *°).
43) Nicetas a. a. O.
45) Mulieres et parvuli ac decre-
piti senes, qui fugere non valentes
in urbe remınserunt, in occursu
nostrorum digitum digito in for-
mam crucis implicantes, satis flebi-
liter: Aijos Phasileos marchio, de-
cantabant, quod latine Sanctus
Rex Marchio interpretatur. Gun-
ther p. XVI. Dar
46) Villehard. S. 101. 102, Sehr
ungenau erzählt der Graf Balduin
dieſe Ereigniſſe alſo: Dum mane facto
Gracei ad nominationem cujusdam
Pluͤnderung von Conſtantinopel. 801
Auch dle uͤbrigen Kreuzfahrer, welche, nachdem die Gras sr.
fen und Barone die Pluͤnderung der eroberten Stadt erlaubt
hatten ), nach allen Richtungen in der von den griechiſchen
Truppen preisgegebenen Stadt ſich verbreiteten, machten
an dieſem Tage große Beute an goldenen und ſilbernen
Geraͤthen, koſtbaren Kleidern von Seide und anderen ſel—
tenen Stoffen, trefflichem Pelzwerke aller Art und vielerley
andern Koſtbarkeiten 25). Dann nahm jede Schar ihre
Herberge, wo es ihr gefiel *); der Markgraf Bonifaz
hielt mit ſeiner Schar den Palaſt Bukoleon beſetzt, und
eben fo der Graf Heinrich den Palaſt der Blachernen “).
Da die Stadt ohne irgend einen Vertrag in die Ge—
walt der Kreuzfahrer gekommen war: ſo war ſie gaͤnzlich
der Willkuͤhr der Sieger preisgegeben, und es ließ ſich
von einem Heere, welches die Griechen nur als ein feiges,
treuloſes und unbeſtaͤndiges Volk kennen gelernt hatte,
nicht erwarten, daß es die Einwohner der eroberten Stadt
Constantini procedunt, pedites no-
stri, non exspectata deliberatione
majorum, ad arma prosiliunt, et
terga dantibus Graecis, munitissi-
ma et fortissima palatia relinquun-
tur, totaque in momento civitas
obtinetur.
47) Victis omnibus et profugatis
hostibus et de tota urbe satis mira-
biliter exclusis, foribus etiam dili-
genter obstructis, tum demum vi-
ctoribus ad praedam currere per-
Gunther p. XVI.
48) Or, argent, vasselement, et
pierres precieuses, et samiz, et dras
de soie, robes Vaires, Grises et Her-
mines et toz les chiers avoirs qui
onques furent trovè en terre. Vil⸗
lehardouin (S. 102) fügt zu dieſer
Aufzählung hinzu: El bien tesmoigne
missum est.
Joffroi de Villehardoin li Mare-
schaus deChampaigne a son escient
por verte, que puis que li siècle fu
estorez (d. i. ſeit Erſchaffung der
Welt) ne fut tant gaaignie en une
ville, Auf ganz gleiche Weiſe drückt
ſich der Graf Balduin in ſeinem
Briefe aus: Diripitur equorum in-
numera multitudo; auri et argenti,
sericarum pretiosarumque vestium
atquegemmarum, et omnium corum,
quae ab hominibus inter divitias
computantur tam inaestimabilis ab-
undantia reperitur, ut tantum tota
non videretur possidere Latinitas.
Vgl. oben S. 293. Anm. 27.
49) Chascuns prist ostel tel cum
Iui plot et il en i avoit assez. Bil:
lehard. S. 102.
50) Villehard. a. a. O.
302 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. X.
br mit beſonderer Schonung behandeln würde, Die Kreuz—
fahrer übten nicht nur, überall nach Beute gierig for⸗
ſchend, Gewaltthaͤtigkeiten jeder Art, erzwangen nicht nur
durch Schlaͤge und andere Mißhandlungen die Nachwei—
fung und Auslieferung der verborgenen Schaͤtze, beraub—
ten nicht nur ohne Schonung die Ueberwundenen aller
ihrer Habe, ſelbſt der Kleidung; ſondern verjagten auch
aus den Haͤuſern, in welchen ſie ihre Herberge nahmen,
die ausgepluͤnderten griechiſchen Eigenthuͤmer oder Bewoh—
ner; jeder Widerſpruch oder Widerſtand, ja ſelbſt jede
Bitte um Schonung brachte die Pluͤnderer zur furchtbar—
ſten. Wuth und hatte noch grauſamere Mißhandlungen
zur Folge; und die Grafen und Barone des Pilgerheeres
gewaͤhrten den Griechen, welche des Obdachs und ihres
ganzen Beſitzthums beraubt waren, als eine Gnade nur die
Erlaubniß zur Auswanderung. Die angeſehenen Einwohner
benutzten jedoch gern dieſe Erlaubniß, entfernten ſich aus
der Stadt, welche nichts als Graͤuel der Verwuͤſtung und
Schreckniſſe der Pluͤnderung darbot, und ganze Scharen
von Auswanderern, welche kaum die noͤthige Kleidung,
ihre Blöße zu bedecken, davon trugen, zogen aus dem
goldenen Thore und den andern Ausgaͤngen der Stadt? *).
Nur das geringe Volk blieb zuruͤck, welches entweder
nichts zu verlieren hatte oder auf die eine oder die andere
71) Nicetas p. 368. 369. 377. Die
abendtändiſchen Schriftſteller erzählen
zwar keine Einzelnheiten von der da⸗
maligen Plünderung der Stadt Con:
ſtantinopel; daß aber die Schilderung
des Nicetas nicht übertrieben iſt, bewei⸗
ſen verſchiedene allgemeine Aeußerun⸗
gen der lateiniſchen Geſchichtſchreiber.
each Gunther (a. a. O.): victores ur-
bem victam, quam jure belli suam fe-
cerunt, alacriter spoliaruut, Hugo
Plagon ſagt (S. 666), daß die Kreuz⸗
fahrer vor der Eroberung von Con⸗
ſtantinopel den Schild Gottes trugen,
dieſen Schild aber, als fie Herren je⸗
ner reichen Stadt geworden waren,
von ſich warfen und den Schild des
Teufels nahmen (embracierentl’escu
au diable). Vgl. unten die Vor⸗
würfe, welche der Papſt den Kreuz⸗
fahrern machte.
Pluͤnderung von Conſtantinopel. 303
Welſe zu gewinnen hoffte. Da die Kreuzfahrer manche J. che
erbeutete Koſtbarkeit, aus Unkunde oder Leichtſinn, oder
um den gewonnenen Raub der allgemeinen Theilung zu
entziehen, fuͤr geringen Preis verſchleuderten: ſo war
dadurch dem Troͤdelverkehr und der gemeinen und nledri—
gen Gewinnſucht ein vortheilhafter Markt geoͤffnet ).
Die Grafen und Barone des Pilgerheeres machten
zwar den Befehl kund, daß in der eroberten Stadt die
Keuſchheit der Eheweiber, die Unſchuld der Jungfrauen
und die Heiligkeit der Kloſterfrauen von jedem Kreuzfah—
rer geachtet werden ſollten, verpflichteten ihre Scharen
zur Befolgung dieſes Befehls durch einen feyerlichen
Schwur s), und drey Biſchoͤfe *) ſprachen den Bann
über alle diejenigen, welche dieſes Gebot uͤbertreten oder
Kirchen, Kloͤſter, Geiſtliche, Moͤnche und Nonnen beraus
ben, oder die gemachte Beute unterfchlagen und nicht zur
Theilung abliefern wuͤrden. Gleichwohl aber wurden einzelne
Ausbruͤche roher Sinnlichkeit und gewaltſamer Raub und
Schaͤndung von Weibern und Jungfrauen, welche durch
ihre Schönheit die Begierden aufregten, nicht gehindert,
und ſowohl Graͤuel dieſer Art als die Ausſchweifungen
der Wolluſt, welchen viele Pilger in dem Umgange mit
feilen Buhlerinnen ſich ergaben, erregten den Abſcheu
derer, welche Tugend, Anſtand und Sitte achteten ).
53) Nicetas S. 382.
53) Nicetas S. 380. Nach Hugo
Plagon (p. 666): apres excomme-
nia len tous ceux qui’dedens mo-
stier prendroient aucune chose, ne
Prestre ne moine desroberoit, ne
qui sor kame mettroit main.
8409 L’evesque de Soissons, leves-
que de Troies, un @v&syue d' Ale-
maigne (ohne Zweifel der Biſchof von
Halberſtadt). Hugo Plagon a. a. O.
55) Nicetas vergleicht (S. 375) mit
dem Betragen der Kreuzfahrer das
Betragen der Muſelmänner nach der
Eroberung von Jeruſalem (durch Sa—
ladin): „Nicht alſo verführen die Is—
maeliten mit den Lateinern nach der
Eroberung von Sion, vielmehr behan-
delten ſie dieſelben mit Menſchen⸗
J. Chr.
1204.
304 Geſchich te der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
Die Kreuzfahrer uͤbten Pluͤnderung ſowie Gewalt—
thaͤtigkeit und Ruchloſigkeit mancherley Art nicht blos in
den Haͤuſern und Palaͤſten der eroberten Stadt; ſondern
ungeachtet des ſtrengen Verbots der Grafen und Barone
des Pilgerheeres wurden auch die Kirchen gepluͤndert und
durch Frevel und Muth willen entweiht ). In der Sos
phienkirche wurde nicht nur der koſtbare und wegen funft
voller Zuſammenſetzung allgemein bewunderte Opfertiſch
zertruͤmmert, ſondern auch von dem praͤchtigen Redeſtuhl
das Silber, womit derſelbe geſchmuͤckt war, abgeriſſen,
und der auf ſolche Weiſe gewonnene Raub getheilt. Maul-
thiere und Roſſe wurden in dieſe herrliche Kirche gefuͤhrt,
freundlichkeit und Wohlwollen, waren
nicht lüſtern nach den lateiniſchen
Weibern (ovre yap ywraıfl Aorı-
viov drrsyosufrıcar), machten nicht
das Grab Chriſti zum Leichenhofe von
Gefallenen (moAvavögıov ruv Tre-
oovzwv), den Eingang zum lebenbrin⸗
genden Grabe nicht zur Oeffnung der
Hölle, nicht das Leben zum Tode“
u. ſ. w. Vgl. Nicetas S. 360. In⸗
nocenz der Dritte ſah in dem rohen
Betragen der Kreuzfahrer zu Conſtan—
tinopel und ihrer Raubſucht ein nicht
geringes Hinderniß der ernſtlichen
Vereinigung der Griechen mit der rö—
miſchen Kirche und entwirft in einem
Schreiben an den Cardinal-Legaten
Peter (Epist, ed. Brequigny et La-
Porte du Theil, Lib. VIII. 126. p.
761.) folgende merkwürdige Schilde⸗
rung: Quomodo enim Graecorum
Ecclesia quantumcumque afflictio-
nibus et persecutionibus affligatur,
ad unitatem ecclesiasticam et devo-
tionem Sedis apostolicae revertetur,
quae in Latinis nonnisi perditionis
exemplum et opera tenebrarum
aspexit, ut jam merito illos abhor-
reat plus quam canes? Illi etenim,
qui non quae sua sunt, sed quae
Jesu Christi quaerere credebantur,
gladios, quos exercere debuerant in
paganos, Christianorum sanguine
cruentantes, nec religioni nec aeta-
ti nec sexui pepercerunt, incestus,
adulteria et fornicationes in oculis.
hominum exercentes, et tam matro-
nas quam virgines etiam Deo dica-
tas exponentes spurcitiis garsionum
(gargons d. i. der Knechte und Troß⸗
buben im Gegenſatze gegen die mili-
tes). Nec suffecit eisdem, imperia-
les divitias exhaurire ac dirumpere
spolia principum ac minorum, nisi
ad thesauros Ecclesiarum, et quod
gravius est, ad ipsarum possessiones
extenderent manus suas, tabulas
argenteas etiam de altaribus rapien-
tes, et inter se confringentes in fru-
sta, violantes sacraria, cruces et
reliquias asportantes. 57
56) Il corurent à saint iglise pre-
mierement et roberent les abaies.
Hugo Plagen g. g. O. Nicetas S. 30g.
Pluͤnderung von Conſtantinopel. 30⁵
J. Chr.
um die geraubten heiligen Geraͤthe wegzuſchleppen, und, 178.
als ſie auf dem glatten Boden niederfielen, durch Schwert—
ſtiche zum Aufſtehen gezwungen, ſo daß ſie mit ihrem
Blute ebenſo als auf andere Weiſe den heiligen Tempel
verunreinigten. Ein freches Weib beſtieg den Sitz des
Patriarchen, erhob einen ſchreyenden Geſang und begann
hierauf einen luͤſternen und unanſtaͤndigen Tanz. Andere
Pilger fuͤhrten in dem Heiligthume der Kirche muthwillige
und unzuͤchtige Reden *); Andere warfen den Leib und
das Blut Chriſti auf den Boden 8); Andere beraubten
die Bilder Chriſti und der Heiligen ihres Schmuckes von
edlen Metallen oder Edelſteinen; und die geraubten Heiz
ligen Geraͤthe wurden entweder zertruͤmmert, oder bey
den rauſchenden Gelagen, womit die Kreuzfahrer ihren
Sieg feyerten, gemißbraucht und entweiht ?“).
57) Nicetas a. a. O.
58) TO qe ꝙναdòes m. axovous-
vor 7v öpav To Helo alum xal
ooua Xgıorov Kara e 1Eöusvov
v Gir ᷓ iO. Nicetas S. 368.
Dieſe Aeußerung bezieht ſich vielleicht
auf das, in einem goldenen mit Edel—
ſteinen und Perlen gezierten Geräthe
(Ev oαοjν Tim) ygvoivy al O
napyaouv za Aiduv #sx00u7-
Evo) aufbewahrte, ächteubendmahls⸗
brod, welches ein Ueberbleibſel des
von Chriſto bey der Stiftung des hei:
ligen Abendmahls gebrauchten Bros
des war. Dieſes Brod fanden nach
der Eroberung von Conſtantinopel der
Biſchof von Halberſtadt und der er—
wählte Biſchof von Bethlehem (0
’AlBeravias ’Enloxomos na) d rie
Bedheiu Unowrgpeog) ; und auf der
äußern Seite des koſtbaren Kaſtens,
V. Band.
worin dieſes heilige Brod aufbewahrt
wurde, ſtand die Inſchrift: S yHaloͤs
— € 8 ” * [4 — *
neitaı 0 Heros &pTOS, 0v 0 Kguorös
rotes uadnteis &v , wog Tov
dsinvov dıdvaıusv ei, Aaßste,
ders, TOVTO sor TO o HOVs
S. Georgius Corcyraeus de commu-
nione, apud Leonem Allatium de
libris ecclesiasticis Graecorum, ad
calcem Bibliothecae gr, Fabricii
PVP, . p. 158.
59) Nicetas S. 368. Vgl. S. 382 zu
Ende; und nach eben dieſem Schrift:
ſteller (S. 383.) verwandelten die
Kreuzfahrer die göttlichen Bilder (Ta
Herta eixaouera) Chriſti und der
Heiligen in Stühle und Fuüßſchemel
(rod His as). Vgl. die Anm. 55
angeführte Stelle aus dem Briefe
des Papſtes Innocenz an den Cardi:
nal Peter.
u
J. Chr.
1204.
306 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
Waͤhrend die meiſten Krieger in den Kirchen nach
Gold, Silber und Edelſteinen forſchten, waren fromme
Pilger, und beſonders die Geiſtlichen, welche das Pilger—
heer begleiteten, damit beſchaͤftigt, heilige Reliquien, deren
eine große Zahl in den Kirchen von Conſtantinopel auf
bewahrt wurden, ſich anzueignen, um damit, wenn ſie
in ihre Heimath zuruͤckkaͤmen, ihre Kirchen zu ſchmuͤcken “?)
und eine große Menge von Ueberbleibſeln der Heiligen,
zum Theile mit ihren koſtbaren und kuͤnſtlich gearbeiteten
Behaͤltniſſen, wurden von den damaligen Pilgern aus Con;
ſtantinopel in verſchiedene Kirchen des Abendlandes ge—
brachte *). Der Abt Martin des Kloſters Paris im Wasgau
60) Nach der Ausrufung des Nice—
tas (S. 368): vie av Asıyarav
ro un RNοανον nadovruw Dj,
erαντινν αõꝗ“α use Tonav (vgl.
p. 381. B), möchte man kaum glau⸗
ben, daß die Kreuzfahrer die Reli⸗
quien, welche fie in den Kirchen von
Byzanz fanden, mit ſo großer Ehr—
furcht behandelten, als es wirklich ger
ſchah; ro Evaysıs find aber dem
Nicetas dle Kirchen der Lateiner, in
welche die Reliquien verſetzt wurden.
Auch Georg von Corcyra ſpricht (in
der oben angeführten Stelle) nicht
ohne Unwillen von der damaligen
Plünderung der Reliquien und nennt 2
außer den in der Anmerkung 58 er:
wähnten Ueberbleibſeln des ächten
Abendmahlbrodes noch das heilige
Kreuzholz, die Dornenkrone, einen
Nagel des heiligen Kreuzes, die
Schuhe und die Windeln des Heilan—
des als Reliquien, deren ſich die Kreuz—
fahrer bemächtigten. Nicht alle dieſe
von Georg von Corcyra genannten
Rellquien aber wurden aus Conſtan—
tinopel ſogleich nach der Eroberung
der Stadt weggeſchleppt; wenigſtens
nicht die Dornenkrone, welche erſt
ſpäterhin von dem letzten lateiniſchen
Kaiſer von Conſtantinopel Balduin II.
an Ludwig den Heiligen überlaffen
wurde.
61) „Anno Domini MCCIV civi-
tas Constantinopolitana capta est et
spoliata a Christianis plurimis di-
vitiis et rebus ac multis sanctorum
reliquiis, ut apparet in Venetia et
Halberstat.“ Compilatio chronolo-
gica in Pistorii Scriptor. rer. Germ,
ed. Struve T. I. p. 1097. Vgl. Ot-
tonis de St. Blas. chron. c. 49.
Auch Abulfaradſch erwähnt (Chron.
Syr. p. 444) dieſer Plünderung der
Reliquien, aber ſchon nach der erſten
Eroberung eines Theiles der Stadt im
Julius 1203. „Die Franken gangen an,
die Einwohner der Stadt mit läſti⸗
gen Erpreſſungen zu quälen und
raubten die Kleinodien der Kirchen,
die Kreuze, die Verzierungen der
Evangelienbücher (aplai ewangelie;
die lateiniſche Ueberſetzung läßt das
Wort aphai aus, welches in der ſy⸗
Pluͤnderung don Conſtantinopel. 307
gewann in der Kirche, wo das Grab det Kaiſerin Irene, 288.
der Gemahlin des Kaiſers Manuel des Comnenen, ſich
riſchen Ueberſezung des A. T. Num. Marc. 14, . Ösonorov H
4
Iv. 7. 8. für das hebräiſche 722
Decke des Schautifches, gebraucht und
*
von Caſtellus, 1 |, ais Nomen plu-
rale, durch vela erklärt wird; vlel⸗
leicht waren es koſtbare Decken oder
Tücher, in welche die Evangelienbüs
cher gehüut wurden); und das Gold
und Silber an den Bildern.“ Es
ließe ſich eine große Zahl von Nach»
richten über die Reliquien, welche
damals aus Conſtantinopel nach Ber
nedig, Frankreich, den Niederlanden
und Deutſchland gebracht wurden, zu⸗
ſammenſtellen; wir beſchränken uns
aber hier auf folgende Beyſpiele. Der
Biſchof Werner von Troyes ſandte an
die Kirche ſeines Stiftes das Haupt
des Apoſtels Philippus, und der Bi
ſchof Nevelon von Soiſſons eignete
ſich viele Reliquien zu, welche er, da
er auf der Rückkehr in Apuiien ſtarb
und in der Kirche des heil. Nicolaus
zu Bari begraben wurde, durch feinen
letzten Willen an verſchiedene Kirchen
vermachte; die Kirche zu Chalons (an
der Marne) erhielt aus feinem Nach:
laſſe den Arm des heiligen Stepha⸗
nus (Alberici Chron, ad a. 1205).
Der Biſchof von Troyes ſandte außer
jenen Reliquien noch ein großes mar⸗
mornes, mit Silber eingefaßtes und mit
einer griechiſchen Inſchrift verſehenes
Becken in feine Heimath. Die von
Ducange (zu Villehard. S. 251) ſehr
fehlerhaft und unvollſtändig mitges
theilte Inſchrift dieſes Beckens lautet
alſo: xal mov Unmovpy&a r Tov-
Phiov (1. reußkıov d. i. Schüſſel
oder Becken, vgl, Matth. 26, 23.
(#sivo td deonom) ua, th
iodıwrnr (t ros gi=
Aous, x vuv vmovgyeL roc he
Aıyuois Ösonötor, uagrupsi roco
Öngov eiosgyaouivov. Zufolge det
Inſchrift war alſo dieſes Geräth von
dem Heilande bey der Einſetzung des
heil. Abendmahls gebraucht worden,
und ſpäter wurde es für die Tafel des
Kaiſers von Byzanz benutzt. Einen
ſehr bedeutenden Schatz von Reliquien
brachte damals der trieriſche Ritter
Heinrich von Ulmen aus Conſtanti⸗
nopet in feine Heimath; ihm verdanfe
ten die Kirche des heiligen Eucharius
zu Trier und das Kloſter zum Lach
(bey Andernach) Stücke des heiligen
Kreuzes, und das Stubner Kloſter
(auf einer Inſel der Moſel) einen
ſchönen Reliquienkaſten, zwar von
Holz, aber reich mit Silber, Edelſtei⸗
nen, Perlen und mannichfaltiger Bild⸗
nerey verziert, welcher jetzt im Beſiße
des Herzogs von Naſſau ſich befindet;
mit dem Zahne des Täufers Johan«
nes zierte Heinrich von Ulmen zuerſt
ſeine Burgcapelle, ſchenkte aber dieſe
Reliqule bernach dem Ciſterelenſer⸗
Kloſter St. Peter zu Heiſterbach, weil
ihm war geweiſſagt worden, daß er
nur durch eine ſolche Schenkung die
Befreyung aus der Gefangenſchaft,
in welcher ihn der Ritter Werner von
Boland hielt, ſich werde verſchaffen
können. Vgl. Broweri Anırales et
Antiquitates Trevirenses T. II. p.
101 — 104. und Jo, Phil. Krebs in-
scriptiones graecae, quas Lipsano-
theca quaedam magna continet,
quae Weilburgi asservatur, iterum
u 2
J. Chr.
1204.
—
308 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
befand, eine betraͤchtliche Beute von trefflichen Reliquien,
welche er vor den übrigen Kreuzfahrern ſorgfaͤltig vers
barg und ſpaͤterhin in fein Kloſter brachte »).
multo emendatius editae et anno-
tationibus illustratae, Wiesbadae
1820. 4. Die zahlreichen Reliquien,
welche der Biſchof Conrad aus Con:
ſtantinopel und dem heiligen Lande
nach Halberſtadt brachte, finden ſich
zum Theil aufgezählt im Chronicon
Halberstadiense in Leibnitii Script.
Brunsvic. T. II. p. 146; es war dar:
unter ſogar ein Stück Fleiſch von dem
Leibe des Apoſtels Paulus. Noch jetzt
findet ſich unter den Stiftsalterthümern
zu Halberſtadt eine vergoldete filberne
Patina von byzantiniſcher Arbeit und
verſehen mit den griechiſchen Ein⸗
ſetzungsworten des Abendmahls, wel—
che wahrſcheinlich ebenfaus von dem
Biſchofe Conrad aus Conſtantinopel
nach Halberſtadt gebracht wurde.
(Niemann, die Stadt Halberſtadt und
ihre Umgebungen. Halberſt. 1824. 8.
S. 37.). Conrad verordnete übrigens,
daß der Tag der Ankunft dieſer Re⸗
liquien zu Halberſtadt, der 17. Au⸗
guſt, daſelbſt jährlich als ein großer
Feſttag gefeyert werden ſollte. Ueber
die Kunſtwerke und Reliquien, welche
aus Conſtantinopel nach Venedig ge⸗
bracht wurden, ſ. Andr. Danduli
chron. p. 331 und Rhamnus. de bello
Constantinop. Läb. III. P. 129. sq.
Unter den Reliquien, welche die Ve—
netianer ſich zueigneten, waren die
Leichname der heiligen Jungfrauen
Agathe und Lucia, welche die Kaifer
Baſtlius II. und Conſtantin IX, aus
Sicilien nach Conſtantinopel hatten
bringen laſſen; die Gebeine der Heiz
ligen Agathe wurden von den Vene⸗
tianern einigen ſiciliſchen Pilgern
überlaſſen und kamen alfo wieder zu:
rück in ihre Heimath, aus welcher ſie
über zweyhundert Jahre entfernt ges
weſen waren. Andr. Danduli Chron,
I. o. Ueber die Reliquien, welche aus
Conſtantinopel nach den Niederlan:
den gebracht würden, f. Petri d' Ou-
treman Constantinopolis belg. Lib.
IV. c. 2. p. 265 — 268.
62) Sehr merkwürdig iſt die von
Günther (hist. Constantinop. p. XVI.
XVII. XX - XXII) ausführlich er:
zählte Weiſe, wie der Abt Martin, als
heiliger Räuber (praedo sanctus), Re⸗
liquien (votiva suae militiae spolia)
ſich verſchaffte. Der Abt wußte, daß
in der Kirche, wo das Grabmal der
Gemahlin des Kaiſers Manuel ſich
befand, nicht nur viel Gold und Sil⸗
ber, ſondern auch viele Reliquien ver⸗
borgen waren; denn diejenigen, wel:
che während der Belagerung von den
Griechen aus der Stadt waren ver⸗
trieben worden, hatten es verrathen.
Da er nicht ohne Antheil an der
Beute, welche Andere ſich zueigneten,
bleiben wollte, ſo richtete er ſeinen
Sinn auf die in jener Kirche verbor:
genen Reliquien. (Coepit Martinus
Abbas de sua etiam praeda cogitare,
ac ne aliis omnibus ditatis ipse va-
cuus remaneret, proposuit et ipse
sacratas manus ad rapinam exten«
dere; sed, quoniam pracdam rerum
saecularium eisdem manibus at-
trectare putabat indignum, illud
agere coepit, ut de reliquiis Sancto-
rum, quarum ibi magnam sciebat
esse copiam, aliquam sibi corrade-
ret portionem,) Er begab ſich mit
Pluͤnderung von Conſtantinopel.
Waͤhrend ſolcher ſchonungsloſen Pluͤnderung verwun sg.
2
309
deten die Kreuzfahrer die Gemuͤther der unglücklichen Eins
einem der beiden Kapelläne, welche
ihn auf der Kreuzfahrt begleiteten,
in jene Kirche, in welche unzählige
andere Pilger ebenfalls eindrangen,
um das daſelbſt verborgene Gold und
Silber zu rauben, und fand an einem
verborgenen Orte derſelben einen
Greis von anmuthigem Geſichte und
langem grauen Barte, welchen der
Abt nicht ſogleich für einen Prieſter,
was er war, erkannte, und mit bar—
ſcher Stimme (placido quidem ani-
mo, ‚sed voce terribili) und An:
drohung des Todes aufforderte, die
verborgenen Reliqulen auszuliefern.
Sie wurden aber bald Freunde, da
der alte grlechiſche Prieſter der la
teiniſchen Sprache nicht völlig uns
kundig war; und dieſer öffnete dem
Abte Martin einen mit Reliquien an⸗
gefünlten eiſernen Kaſten, aus welchem
der Abt ſowohl als ſein Kapellan ſo
viele Reliquien nahmen, als ſie nur
tragen konnten. Sie brachten Die:
ſelben zuerſt in ihr Schiff und drey
Tage hernach in das Hospiz, welches
an einer Kirche der Stadt eben jener
alte grlechiſche Prieſter, welchen fie
zur Auslieferung der Reliquien ge:
zwungen hatten, ihnen auswirkte.
Dort hielten ſie während des ganzen
Sommers ihre Beute verborgen, ins
dem außer ihnen und jenem griechi⸗
ſchen Prieſter niemand davon wußte.
Als Martin hernach mit dieſem heili⸗
gen Schatze nach Ptolemaid kam,
fuchte ihn der elſaſſiſche Ritter Werner
zu bereden, denſelben im heiligen
Lande zu laſſen und nicht den Ge:
fahren der Meerfahrt preiszugeben.
Er brachte ihn aber glücklich, obgleich
nicht ohne große Beſorgniſſe, indem
er auf dem Wege durch Italien oft⸗
mals zahlreiche bewaffnete Räuber⸗
banden antraf, in ſeine Heimath;
das Volk der Villa Sigoltsheim, in
deren Nähe ſein Kloſter Paris lag /
kam ihm und den heiligen Reliquien
in feierlichem Zuge entgegen, und
am Johannistage 1205 legte er feinen’
heiligen Raub auf dem Altare feiner:
Kloſterkirche nieder. Die Reliquien,
mit welchen Martin ſein Kloſter
ſchmückte, und welche er großen Theils
in Conſtantinopel erbeutet, zum Theil
vielleicht in dem heiligen Lande ge—
ſammelt hatte, beſtanden in einer
Spur des Blutes Chriſti (vestigium
sanguinis J. C.), einem Stücke des
heiligen Kreuzes, dem Arme des
Apoſtels Jakob, einem großen Theile
(non modica portio) der Gebeine
des Täufers Johannes, einiger Milch
der Mutter Gottes (de lacte matris
Domini) und vielen andern, welche
ſämmtlich von Günther (S. xxı)
aufgezählt werden. Das Kloſter ſchenk⸗
te hernach von dem Ueberfluſſe geiſt⸗
licher Schätze, welchen es der Ge⸗
wandtheit ſeines Abtes verdankte,
dem römiſchen Könige Philipp eine
Tafel Ctabula) von unſchätzbarem
Werthe, welche gezlert war mit Gold,
Edelſteinen und vielen heiligen Reli:
quien; beſondere Zierden dieſer Tafel
waren ein Jaspis von wunderbarer
Größe, auf welchem das Leiden
Cheiſti und die Jungfrau Maria und
der Evangeliſt Johannes am Kreuze
ſtehend abgebildet waren, und ein
Saphir, auf welchem Gott ſelbſt dar⸗
geſtelt war (divina majestas, quae
nulla prorsus imagine repraesentari
valet; artiſiciose tamen ita fieri
310 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
7738 wohner der eroberten Stadt auch durch mancherley Hohn
und Verſpottung. Sie zogen, angethan mit den geraubten
Amtskleidungen der hohen Beamten des griechiſchen Kai—
ſerthums, durch die Straßen der Stadt und ſuchten
dadurch Lachen zu erregen; ſie trugen die Schreibrohre,
Dintenfäffer und Schriften, welche fie in den Kanzleyen ge
funden hatten, zur Schau umher und reichten denen, welche
ſie antrafen, ſolche Schriften hin zur Unterſchrift, die
Griechen als ein Volk von bloßen Schreibern verſpottend;
ſie hingen an die Koͤpfe ihrer Pferde, auf welchen ſie die
Stadt durchzogen, leinene Mügen, wie die byzantiniſchen
Männer fie trugen, und die Streifen von weißer Lein⸗
wand, welche auf den Nuͤcken der grlechiſchen Männer
herabzuhaͤngen pflegten, oder befeſtigten an dem Geſchirre
ihrer Roſſe die flachen Hüte, welche die gewoͤhnliche Kopf⸗
zierde der Byzantinerinnen waren, und kuͤnſtliche Locken
von weißen und krauſen Haaren, womit die Frauen von
Byzanz ſich ſchmuͤckten. Andere fuͤhrten mit ſich auf ihren
Roſſen Buhlerinnen, welche die weiten Gewaͤnder byzan⸗
tiniſcher Matronen trugen, und wie dieſe ihre Haare auf
dem Ruͤcken in Einen Zopf zuſammengebunden hatten 8).
Wenn auch die Schilderung des Nicetas von den
Leiden, welche er ſelbſt und ſeine Mitbuͤrger in dieſen,
potuit). Dieſe Tafel war von den Beſtitzungen in feinen beſondern Schug
byzantiniſchen Kaiſern (velut quod-
dam certum imperii pignus) bey
feyerlichen Gelegenheiten an einer
goldenen Halskette getragen worden.
Der König Philipp Guvenis quidem
aetate, sed in Dei timore et Omni-
um morum honestate matuxrus)
bewies ſich für dieſes Geſchenk da⸗
durch dankbar, daß er das Kloſter
Paris mit allen ſeinen Rechten und
nahm und demſelben urkundlich den
ewigen Beſitz der Reliquien, welche
der Abt Martin aus Eonftantinopel
und dem Morgenlande gebracht hatte,
zuſicherte.
63) Nicet. S. 382. Vgl. zu dieſer
Stelle die Anmerkungen des Hiero⸗
nymus Wolf (ad calcem edit. Paris.
P. 448).
Plünderung von Conſtantinopel. 311
für Conſtantinopel fo ungluͤcklichen Tagen erduldeten, nicht 584“
frey ſeyn mag von redneriſcher Uebertreibung: ſo laſſen
ſich doch die von ihm angefuͤhrten Thatſachen nicht be—
zweifeln. Mit dem heftigſten Unwillen berichtet Nicetas,
daß die Fremdlinge, alle Pflichten der Menſchlichkeit ver—
laͤugnend, die ausgepluͤnderten Einwohner von Conſtan⸗
tinopel, von welchen fie niemals eine Beleidigung erfah—
ren hatten, dem ſchrecklichſten Hunger preisgaben, der
nothwendigſten Beduͤrfniſſe des Lebens beraubten, wie Vers
peſtete von jeder Gemeinſchaft mit ſich fern hielten und
jeden Griechen, welcher, durch die dringendſte Noth ge—
zwungen, es verſuchte, ihr Mitleiden in Anſpruch zu neh—
men, mit Haͤrte, Hohn und Verachtung von ſich ſtie⸗
ßen »); waͤhrend fie ſelbſt im Ueberfluſſe ſchwelgten,
manche mit ausgeſuchten und leckern Speiſen ſich labten,
andere ihre gewohnten und derben Lieblingsſpeiſen, das
Fleiſch von den Ruͤcken der Ochſen, welches in Keſſeln ge—
kocht wurde, geſalzenes Schweinefleiſch mit einem Brey
von gemahlenen Bohnen, Bruͤhen von Knoblauch, und
andere Gerichte von ſcharfem Geſchmacke *) im Ueber⸗
maße genoſſen. Nichts als Haͤrte, Unfreundlichkeit und
Gewaltthaͤtigkeit verkuͤndeten, ſagt eben dieſer Schriftſtel⸗
64) Nicet. S. 369. 977. Kut ꝙecò i
rie 00% Iv, ſagt er an der letztern
Stelle,
22 *
Evovrwy ud qͤo ole
apa opıoıy, ots r
re robe
Rxovras, ovrs uw ovuuldeks
orias / d orνοο , A vrevo-
a #ol auıkla war ue Uον
enayayr nal amöneuwıs.
65) ExuiuaLov re ai napari-
lovro nawmusgıoı, oi uw Pgu-
udruw "wayyarsiaıs nmooonslus-
vor, o Öl xal 77V margıov Aq
dy naparıdLusvos Smudsinvior,
iris iv voros Hosts ngsuv, dd
galvusvoe Mßncı zul rd Te-
Kayn rapıynpd , wuauoıs aArrois
ovrsipokeve, d nei TO En
oxopodwv erlußauue Ts, Kal 0UV-
Jena 2E khlmv yuudv dgıuvooor=
zwv 17V alsdnaw. Micctad S. 288.
312 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. X.
hn ler, der eherne Nacken der Kreuzfahrer, ihr prahlender
Sinn, ihre emporſtrebenden Augenbrauen, immer glatten
und jugendlich ſcheinenden Wangen, blutduͤrſtigen Haͤnde,
zornigen Naſen, hoffaͤrtigen Augen, unerſaͤttlichen Backen,
lieblofen Gemuͤther und ihre haſtige und faſt auf den Lips
pen tanzende Sprache °°), N
Nicetas haͤlt es nicht fuͤr angemeſſen ſeiner Wuͤrde,
von den Thaten der Kreuzfahrer nach der Eroberung von
Conſtantinopel vollſtaͤndig zu berichten, und der Nachwelt
die Graͤuelthaten einer aus zerſtreuten, meiſt veraͤchtlichen
und namenloſen abendlaͤndiſchen Voͤlkern zuſammengerot⸗
teten Raͤuberbande zu uͤberliefern ''); ſondern er bes
ſchraͤnkt ſich auf die Erzaͤhlung einzelner Ereigniſſe, und
auf gedehnte, mit aller Kunſt der damaligen Rednerey ver—
zierte Klagen über das damalige ungluͤckliche Schickſal der
ehemals reichen und maͤchtigen Stadt, welches er als ein,
durch die vielfaͤltigen Suͤnden und Laſter der Griechen her—
beygefuͤhrtes, goͤttliches Strafgericht betrachtet 8). Nur
von den Widerwaͤrtigkeiten, welche ihn ſelbſt und die
Seinigen damals trafen, giebt er eine ausfuͤhrliche Nach
richt, welche, obgleich uͤberladen mit redneriſcher Ziererey,
lebhafte Theilnahme in dem Gemuͤthe jedes Leſers er—
weckt *). Schon vor der Eroberung der Stadt durch
die Kreuzfahrer hatte Nicetas das Ungluͤck, daß in dem
zweyten großen Brande ſein ſchoͤnes und großes Haus
zerſtoͤrt wurde 7°), und ſpaͤter nahm ihm der Thronraͤu⸗
66) Nicetas S. 360. 6e) Nicet. S. 366, beſonders in der
67 Nicet. S. 372. 373. 377. Oin Klagrede, welche He vos vs no-
a doaiunv, ſagt er S. 372, Te Jes überfchrieben iſt, S. 370—374.
Beofaguv autos, o Eooiumv 69) Nicet. S. 378— 382.
nagartunuv Hr Eneıra noaseıs 70) Dieſes Haus lag in der Gegend,
nohsuınas, Ev ale um vine welche rd Ipmpaziov genannt wur:
EI. de, nach einem Eonful Sphora:
zw
Plünderung von Conſtantinopel. 313
ber Murtzuflos das Amt eines geheimen Canzlers, welches IE.
er in den letzten Zeiten der Regierung der Kaiſer aus
dem Hauſe der Angeli verwaltet hatte *). Nach der
Zerſtoͤrung feines ſchoͤnen und bequemen Hauſes bezog er
ein anderes Haus in der Nähe der guoßen Hauptkirche;
und da dieſes Haus durch eine Saͤulenhüllle bedeckt, der
Eingang deſſelben beſchwerlich und finſter war, und im
Falle der Noth die benachbarte Kirche Sicherheit darbot:
ſo fanden ſich an dem ſchrecklichen Tage, an welchem Con—
ſtantinopel in die Gewalt der Fremdlinge kam, bey Nice—
tas manche ſeiner Freunde ein, welche in ihren eigenen,
freyer liegenden Wohnungen der Gefahr noch mehr aus—
geſetzt zu ſeyn fuͤrchteten. Unter dieſen Freunden war auch
ein venetianiſcher Kaufmann; und dieſer vergalt die freund—
liche Aufnahme, welche er mit ſeiner Gattin und ſeinen
Habſeligkeiten im Hauſe des Nicetas fand, ſeinem Wohl—
thaͤter durch ſehr wichtige Dienſte. Er legte kriegeriſche
Ruͤſtung an, wehrte, fo lange nur die Leute des Mark
grafen von Montferrat im Beſitze dieſer Gegend der Stadt
waren, die Pluͤnderer ab, indem er vorgab, zu den Kreuz—
fahrern zu gehoͤren und dieſes Haus ſich angeeignet zu
haben; und als die Franzoſen in großer Menge vordran-
gen, welche feine Sprache nicht verſtanden und viel hof⸗
färtiger und uͤbermuͤthiger waren, als die uͤbrigen Kreuz—
fahrer 52): fo führte er den Nicetas und deſſen Familie
cius (im J. Chr. 412), welcher in
dieſer Gegend eine Kirche des heil.
Theodorus Tiro erbaut hatte. Dieſe
Gegend befand ſich in der vierten Re⸗
gion der Stadt, unfern vom Hippo⸗
dromus. S. Ducange Constantinop.
Christ. Lib. II. p. 178 und Lib. IV.
p. 159. edit. Paris.
71) Nicet. p. 563. Vgl. oben S. 274,
Anm. 82.
72) Oi godyyıozoı un rois d Mois
(nämlich der aus Italienern und deut:
ſchen Pilgern beſtehenden Schar des
Markgrafen Bonifaz) Ovres Tega-
nım00ı Kal Tas yvuuos zul ta
OWwuara, novov ÖL ToV oryavov
qed iE nourntalovres, un 4
opisiv Enırsowv. Nicet. S 378.
314 Geſchichte der Kreuzgzäge. Buch VI. Kap. X.
Ae und Freunde in ein anderes von Venetianern bewohntes
Haus; und Nicetas ſelbſt ſowohl als ſeine Begleiter achte⸗
ten es fuͤr nothwendig, ſich fuͤr Gefangene ihres Retters
auszugeben, und als ſolche mit demuͤthiger Gebehrde und
in ſchlechter Kleidung von ihm zu ihrem neuen Aufenthalt
ſich führen zu laſſen, um nicht die Raubſucht der Plüns
derer zu reizen. Auch in dieſer neuen Wohnung fanden
ſie nur fuͤr fuͤnf Tage Ruhe; und als dieſer Theil der
Stadt den Franzoſen zugetheilt wurde: ſo beſchloß Nice—
tas, die ungluͤckliche Stadt zu verlaffen, obgleich die Wits
terung noch immer ſtreng war, die Niederkunft ſeiner
Gattin bevorſtand, und er und ſeine ſchwangere Gattin
genöthigt waren, ihre noch unerwachſenen Kinder, unter
welchen Ein Knabe noch auf dem Arme getragen wurde,
muhſam auf ihren Schultern fortzuſchleppen. Nachdem
noch mehrere andere Ungluͤcksgenoſſen ihnen ſich angeſchloſ—
ſen hatten, begann dieſe ungluͤckliche Geſellſchaft ihre
17. April Reife am Sonnabende nach der Eroberung der Stadt;
alle hatten die ſchlechteſte Kleidung angelegt; diejenigen
unter ihnen, welche jugendliche Toͤchter mit ſich nahmen,
gebrauchten die Vorſicht, dieſe in der Mitte des Zuges
moͤglichſt zu verbergen, und deren bluͤhende Wangen durch
Schmutz und Koth zu verunſtalten. Auf ihrem Zuge
durch die Straßen der Stadt waren die Aus wanderer
noch Zeugen der aͤrgerlichſten Auftritte; ſie begegneten
uͤberall Kreuzfahrern, welche, ohne ordentliche Ruͤſtung,
nur lange Schwerter an ihren Seiten, und Dolche in
ihren Guͤrteln tragend, die Stadt durchritten, zum Theil
mit Beute ſchwer beladen, mit luͤſternen und wolluͤſtigen
Blicken die ihnen begegnenden Weiber von einiger Schoͤn—
heit betrachteten, nach Beute gierig forſchten und die
vorbeyziehenden Gefangenen durchſuchten, ob ſie in ihren
Plünderung von Conſtantinopel. 315
Kleidern noch Gold und Silber verborgen hielten, oder I. SD
mit ihrer ſchlechten Kleidung beſſere Gewaͤnder bedeckten.
Als die Auswanderer unter ſteter Angſt bis zu der Kirche
des heiligen Mocius gekommen waren, wurde ein junges,
ſchoͤnes Maͤdchen, die Tochter eines Richters, aus ihrer
Mitte durch einen ungeſtuͤmen Kreuzfahrer geraubt, was
einen herzzerreißenden Auftritt veranlaßte. Denn der Bas
ter des geraubten Maͤdchens, ein hochbetagter und durch
Krankheit geſchwaͤchter Greis, warf ſich in der heftigſten
Verzweiflung, als er ſeiner Pflegerin ſich beraubt ſah,
auf den Boden, im klaͤglichſten Tone jammernd, und alle,
vornehmlich den Nicetas um Huͤlfe und um die Rettung
ſeiner Tochter anflehend. Nicetas that gern, was er ver—
mochte; er verfolgte eiligſt die Spur des Raͤubers, wandte
ſich an die gerade vorbeygehenden Kreuzfahrer, bemuͤhte
ſich, ihnen kund zu thun, was geſchehen war, und bewog
wirklich einige rechtliche und mitleidige Kreuzfahrer, bis
zu dem Hauſe, wohin jener ungeſtuͤme Wolluͤſtling das
geraubte ungluͤckliche Maͤdchen gefuͤhrt hatte, ihn zu be—
gleiten. Der Räuber ſetzte zwar anfangs fi zur Wehr
und verweigerte hartnaͤckig die Auslieferung feines Raus
bes; Nicetas wurde aber nicht muͤde, die Kreuzfahrer,
welche ihren Beyſtand ihm zugeſagt hatten, zur Erfuͤllung
ihrer Pflicht als Chriſten und rechtliche Kriegsmaͤnner zu
ermahnen; er beſchwor fie bey dem Grabe Chriſti, Menſch—
lichkeit und Mitleid zu uͤben, und erinnerte ſie an das
ſtrenge Gebot ihrer Heerfuͤhrer, die Keuſchheit der Ehe—
weiber und Jungfrauen zu achten. Dieſe Vorſtellungen
blieben nicht ohne Wirkung; und als jene Kreuzfahrer,
aufgeregt durch die Bitten und Ermahnungen des bered—
ten Mannes, dem ſchamloſen Frevler mit dem Galgen als
wohlverdienter Strafe ernſtlich und nachdruͤcklich drohten:
J. Chr.
1204.
316 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. X.
ſo erhielt endlich die geraubte Jungfrau die Freyheit und
kehrte zuruͤck zu ihrem betruͤbten und der Verzweiflung
preisgegebenen Vater. Als die ungluͤckliche Geſell—
ſchaft nach ſolcher Widerwaͤrtigkeit aus dem goldenen
Thore ausgezogen war und außerhalb der Mauern ſich
befand: ſo erhoben viele die heftigſten Klagen uͤber ihr
ungluͤckliches Schickſal; Nicetas aber, ſelbſt im Ungluͤcke
ſeinem Hange zu ſchwuͤlſtiger Rednerey nachgebend, warf
ſich auf den Boden und richtete an die Mauern der
Stadt folgende Rede: Warum bleibt ihre allein gefuͤhllos
und ohne Thraͤnen, und warum ſteht ihr noch, da alles
dasjenige, zu deſſen Schutze man euch erbaute, durch
Feuer und Krieg zerſtoͤrt worden iſt? Was wollt ihr
fernerhin noch ſchirmen und ſchuͤtzen? Wollt ihr vielleicht
einſt, wegen des Verderbens, welches uͤber uns gekommen,
Rache uͤben an unſern Feinden, an dem Tage, an welchem
der Herr ſich erheben wird, diejenigen zu zermalmen, welche
auf ſolche Weiſe uns mißhandelt haben, und nach der
Weiſſagung des Koͤnigs David die Abendlaͤnder heimſuchen
wird? Nach dieſen Worten richtete er ſeine Rede an die
ehemals glaͤnzende Stadt, welche er in dem beklagungs—
werthen Zuſtande der furchtbarſten Verwuͤſtung verließ, und
ſprach in nicht minder gekuͤnſtelten Worten den Wunſch aus,
daß ihm baldige Nückkehr unter guͤnſtigern Umſtaͤnden vers
goͤnnt werden moͤchte. Das Gemuͤth des Redners wurde
nicht nur bewegt von der Sehnſucht, die herrliche Sophien⸗
kirche wieder zu ſchauen, welche er den Thron der Herr-
lichkeit Gottes und den Himmel auf Erden nennt, ſondern
er ſehnte ſich auch nach der Zeit, in welcher ihm vergoͤnnt
ſeyn wuͤrde, ſtatt der ſchlechten, aus Fellen zuſammen⸗
geſetzten und kaum den Leib bedeckenden Kleider, welche
er ſich gendthigt geſehen hatte, anzulegen, ſich wieder zu
Pluͤnderung von Conſtantinopel. 317
ſchmuͤcken mit bequemen und zierlichen Gewaͤndern von Id"
ſchoͤnem und glaͤnzendem Gewebe, wie er ſie in der Zeit
ſeines Gluͤckes und Wohlſtandes zu tragen pflegte.
Die Auswanderer trafen, als ſie ihren Weg fort—
ſetzten, zuſammen mit dem Patriarchen von Conſtantinopel,
welcher vor ihnen herzog, auf einem Eſel reitend und
ohne alle Zeichen feines heiligen Amtes 73); nachdem er
ebenfalls zur Auswanderung als dem einzigen Mittel,
noch groͤßerem Ungluͤcke zu entgehen, ſich entſchloſſen hatte.
Nichts aber war betruͤbender fuͤr die Auswanderer, als
daß auf ihrem Wege die Einwohner des Landes ihnen
keinesweges freundliche und mitleidige Theilnahme an
ihrem Ungluͤcke bewieſen, ſondern vielmehr wegen ihrer
Armuth und Duͤrftigkeit ſie verſpotteten und verhoͤhnten,
und ihre Freude daruͤber nicht verbargen, daß die ehe—
mals reichen und ſtolzen Bewohner der Hauptſtadt nun—
mehr waͤren gleich geſtellt worden dem uͤbrigen armen
Volke des Landes. Nicetas und ſeine Begleiter erreichten
endlich die Stadt Selybria, Gott dankend, daß ſie nicht,
wie manche ihrer Mitbuͤrger, von den uͤbermuͤthigen Fremd—
lingen waren in Feſſeln gelegt oder mit Schlägen miß⸗
handelt worden; und in jener Stadt beſchloſſen ſie den
Tag der Rettung und Befreyung ihres Vaterlandes zu
erwarten.
73) Mn nnpav gplgow, un Yovoov Em) Tv copiv , Ba 12
voavdahos, Nicet. S. 381.
318 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI.
Elftes Kapitel.
Ber Die Kreuzfahrer genoſſen des Ueberfluſſes aller Art,
welchen ſie zu Conſtantinopel gefunden hatten, waͤhrend
mehrerer Tage, in großen Freuden, frohlockten uͤber die
gewonnene unermeßliche Beute, wodurch mancher, wel—
cher zuvor in Armuth und Duͤrftigkeit ſchmachtete, reich
geworden war, ergoͤtzten ſich durch Wuͤrfelſpiel *) und
andere Beluſtigungen, unbekuͤmmert um das ſchreckliche
Elend, welches ſie in der zuvor reichen und uͤppigen
Stadt geſtiftet hatten, und feyerten den Palmſonntag
ſowohl als beſonders das Oſterfeſt mit großem Jubel 0.
Dieſe Froͤhlichkeit der Pilger wurde aber nicht wenig
geſtoͤrt, als nach dem Oſterfeſte der Markgraf Bonifaz
als Oberfeldherr des Heeres und der Doge von Venedig,
ſo wie die uͤbrigen Barone des Heeres, das Gebot aus—
rufen ließen, daß jeder Pilger, der fruͤhern durch Eides—
1) Der Leidenſchaftlichkeit, mit wel⸗
cher die Ritter dem Würfelſpiele er»
geben waren, erwähnt Nicetas S. 388,
und in dem von Banduri (Imperium
orientale T. I. Pars 3. p. 112) und
Fabriclus (Biblioth. gr. Vol. VI.
p. 414) mitgetheilten Bruchſtücke.
Vgl. Beil. 2.
2, Ensi firent la Pasque fleurie
(Palmſonntag) et la grant Pasque
aprez en cele honor et en cele joie
que Diex lor ot done. Villehard.
S. 103. Der Palmfonntag und Oſtern
werden zuſammen les deux Pasques
genannt, und die Woche vom Palm⸗
ſonntage bis zum Oſterſonntage heißt
daher la semaine des deux Pasques,
d. B. Villeh. S. 1. J. 8
Theilung der Beute. 319
ſchwur und Androhung des Banns bekraͤſtigten Satzung nr.
gemäß, jedes erbeutete Gut, von welcher Art es auch ſeyn
moͤchte, in Eine von drey beſtimmten Kirchen abliefern
und der Obhut der aus der Mitte der Franzoſen ſowohl
als der Venetianer ernannten Bevollmaͤchtigten uͤbergeben
ſollte. Die Obhut der erbeuteten Reliquien, welche
nicht minder als die uͤbrige Beute, in Gemaͤßheit des
vor dem Anfange der Belagerung zwiſchen den Kreuz—
fahrern und Venetianern geſchloſſenen Vertrags, getheilt
werden ſollten, wurde dem Bifchofe Werner von Troyes
anvertraut 8).
Obgleich die Verheimlichung erbeuteter Gegenſtaͤnde
gleichwie Diebſtahl mit der Strafe des Stranges an
vielen Pilgern geahndet wurde, und der Graf Hugo von
St. Paul ſogar einen ſeiner Ritter, welcher ſolcher Vers
untreuung uͤberfuͤhrt wurde, mit ſeinem Schilde am Halſe
aufhaͤngen ließ: ſo wurde gleichwohl ein betraͤchtlicher
Theil der Beute untergeſchlagen; nur ein Theil der Pilger
lieferte ehrlich und gewiſſenhaft den gewonnenen Raub
zur vertragsmaͤßigen Theilung; Andere verfuhren mit den
erbeuteten Koſtbarkeiten nicht anders, als der Abt Martin
mit den von ihm entwendeten Reliquien ). Ungeachtet
ſolcher Veruntreuung, betrug das jenige, was zur Theilung
kam, außer zehntauſend Reitpferden und Zugpferden,
vierhundert Tauſend Mark Silbers, wovon mit Inbegriff
von funfzig Tauſend Mark Silbers, welche die Franzoſen
als den Reſt ihrer Schuld den Venetianern bezahlten,
3) Histoire de la translation des tre mauvaisement, Villeh. S. 103.
Reliques de 8. Mames bey Ducauge Wegen ſolcher Begehrlichkeit (con-
zu Villeh. S. 251. voitise), fegt Villehardouin hinzu,
liebte Gott ſeit dieſer Zeit die Pilger
4) Li uns aporta bien, et U au- weniger.
320 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. XI.
3 den dreyhundert Touſend Mark auf den Antheil der letztern
fielen; hundert Tauſend Mark aber wurden unter die
Franzoſen alſo getheilt, daß ein Ritter ſo viel erhielt,
als zwey Knechte zu Pferde, und ein Knecht zu Pferde
fo viel als zwey Knechte zu Fuß ).
Die naͤchſte Sorge der Heerfuͤhrer war nunmehr, in
der eroberten Stadt eine aͤußere Ordnung der Dinge zu
beſtimmen, und zunaͤchſt einen Kaiſer zu waͤhlen; denn
die letzte Belagerung von Conſtantinopel war in der Ab—
ſicht unternommen worden, den alten Plan der normaͤn—
niſchen Herzoge in Itallen auszufuͤhren, die Herrſchaft
der Griechen alſo zu zertruͤmmern, und ein lateiniſches
Reich in Byzanz zu ſtiften. Wenn gleich das Schickſal
der abendlaͤndiſchen Herrſchaft in Syrien abmahnte von
der Stiftung eines Reichs, welches durch die Waffen
einer nur Lehensverbindlichkeiten anerkennenden Ritterſchaft
vertheidigt werden ſollte: ſo lag doch auf der andern
Seite ein ſtarker Reiz zur Eroberung in dem Reichthume,
der Fruchtbarkeit und dem milden Himmel der Laͤnder,
welche dem griechiſchen Reiche damals noch unterworfen
waren ). Dazu kam, daß die Ritter, welche Conſtan—
tinopel erobert hatten, als Kreuzfahrer, die Vortheile,
welche der Beſitz des griechiſchen Reichs in den Haͤnden
5) Deux serjanz à pie contre un
a cheval et deux serjanz à cheval
contre un chevalier, Villehard. S.
103 — 103. Nach der von Ducange in
den Text aufgenommenen Leſeart be—
trug die geſammte Beute 509,000 Mark
Silbers; die Ausgabe und Ueberſez—
zung von Vigenere giebt nur 400,000
Mark an.
6) Denique, ſchrieb der Kaiſer
Balduin in dem oft angeführten
Briefe (apud Godefr. Mon, p. 374),
divina justitia nostroque ministe-
rio digna ultione percussis et ex-
pulsis hostibus, Deus obedientibus
terram nobis dedit omnium bono-
rum copiis affluentem, frumento,
Vino et oleo stabilitam, fructibus
opulentam, nemoribus, aquis et
pascuis speciosam, et cui similem
orbis non continet adre temperatam,
Kaiſerwahl zu Conſtantinopel. 321
der abendlaͤndiſchen Ritterſchaft und die Eroberung der “,
fruchtbaren Laͤnder deſſelben, fuͤr die Wiedereroberung,
Vertheidigung und Behauptung des gelobten Landes dar⸗
bot, als ſehr wichtig betrachteten, und es insbeſondere
als einen ſehr erheblichen Gewinn anſahen, daß durch die
Begruͤndung eines lateiniſchen Reichs in Conſtantinopel
die Reiſe der Pilger zu den heiligen Oertern von Syrien
erleichtert wuͤrde ). Auch hatten die Griechen, ihre
Hauptſtadt ganz der lateiniſchen Ritterſchaft preisgegeben;
alle Einwohner von Conſtantinopel, welche durch Geburt
und Anſehen faͤhig waren, die Kaiſerkrone zu tragen,
waren entflohen oder ausgewandert, und nur des geringen
Volks war ein Theil zuruͤckgeblieben; die Griechen hatten
alſo ſelbſt es dahin gebracht, daß es nothwendig wurde,
ein Oberhaupt der eroberten Stadt aus der Mitte der
lateiniſchen Ritter zu erwaͤhlen. aaa lg
Als die Theilung der Beute vollendet war, ſo traten
der Doge von Venedig und die Grafen und Barone des
Pilgerheeres zuſammen zur Berathung uͤber die Wahl
eines Kaiſers, vernahmen auch die Meinung der übrigen
Ritterſchaft ), und beſtimmten, daß an einem andern
7) Hinc enim, sicut a sapientibus
evidenti ratione conjicitur, ad sub-
ventionem Terrae sanctae ostium
manifeste patebit et aditus. Non
solum U habituri sunt
a modo liberum per nos peregrini,
sed praeter vires nostras, quas per
Dei gratiam etiam in praesenti ha-
bemus non modicam (leg. modi-
cas) et quas omnino illi terrae de-
vovimus, victualium illis quoque
abundantiam ferax gratia ministra-
bit. Epist. Balduini ad Cameracen-
sem, Atrebatensem, Morinensem et
V. Band.
Tornacensem Episcopos, in Edm.
Martene et Urs, Durand Thesaurus
uovus anecdotorum T. I. p. 792.
8) Et requistrent li commun de
lost ce que il voloient faire. Die
Gemeine des Heeres beſtand ohne
Zweifel aus den Häuptern der Nitter:
ſchaft (li che vetaigne de lost) und
einem Ausſchuſſe der Ritter. Vgl.
oben Kap. 9, Anm. 12; übrigens iſt
die erwähnte Verſammlung wahr:
ſcheinlich die in der großen Kirche
der Apoſtel (ele z0v u£yıorov venv
*
Chr.
1204.
322 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Jg. Tage in Gemaͤßheit des mit den Venetianern geſchloſſenen
Vertrags zwoͤlf Wahlmaͤnner erwaͤhlt werden ſollten. Zu
Wahlmaͤnnern aber wurden erkohren von Seiten der
Pilger: die Biſchoͤfe von Soiſſons, Troyes, Halberſtadt,
Bethlehem und Ptolemals, und der Abt von Lucedio “);
und von Seiten der Venetianer: Vitalis Dandulo, Ad—
miral der venetianiſchen Flotte, Otto Quirini, Bertuccio
Contarini, Nicolaus Navajoſo, Pantaleon Barbo und
Joannes Baſilios oder nach Hi A Nachrichten Johannes
Michael ).
Die Wahl, welche jenen Wohl dert uͤbertragen
wurde, war nicht frey von Schwierigkeiten;
denn die
Kaiſerkrone reizte die Eitelkeit vieler *), und es war
rd onaò v rod Kgıorov) gehaltene,
deren Nicetas (S. 383) gedenkt; in
dieſer Verſammlung wurde, wie Wis
cetas erzählt, der Vorſchlag gemacht,
daß über die kaiſerliche Krone das
Loos entſcheiden möchte. Es ſollten
nämlich nach einer bey den Lateinern
gebräuchlichen Sitte (xard rı ud
zorov Edıuov) vier Kelche in eine
Reihe geſtellt werden, wovon einer
das Blut Chriſti enthalten, die drey
andern leer ſeyn ſollten; fo wie der
Name eines von vier Fürſten (wahr⸗
ſcheinlich dem Markgrafen Bonifaz
und den Grafen Balduin von Flan⸗
dern, Hugo von St. Paul und Lud⸗
wig von Blois) gerufen würde, ſoll—
ten die Geiſtlichen dem aufgerufenen
Fürſten einen Kelch überreichen, und
derjenige Fürſt ſollte Kaiſer werden,
welchem der Kelch mit dem Blute
Chriſti zufallen würde. Dieſer Bor:
ſchlag aber, deſſen kein anderer Schrift⸗
ſteller, außer Nicetas, erwähnt, wurde
verworfen, weil der Doge von Vene—
dig widerſprach und darauf beſtand,
daß die vertragsmäßige Wahl Statt
finden ſollte.
9) Balduini epist. apud Godefr,
mon. p. 373. Nach Ramnuſius (S. 136)
waren von Seiten der Pilger Wahl⸗
männer: die Biſchöfe von Troyes,
Soiſſons, Bethlehem und Ptolemais,
und zwei italienifche Ritter, Nicolaus
Picclolus und Jacob Malvicinus.
Nach Nicetas (a. a. O.) wurden von
den Franzoſen und Lombarden (Ex
rod rd Ppayyioxwv za: Aau-
nagdumv yEvovs) fünf Wahlherren
(vnpogögo:) und eben fo viele von
den Venetianern ernannt. Noch an⸗
dere Angaben finden ſich in d' Outre-
man Constantinop. belg. Lib. III.
P- 244. 245
10) Ramnus. I. o.
11) Et ne pooit estre que 4 &
grant honor, com de l’empire de
Constantinople, n'en ni aust (eut)
mult des habaanz (abbayans ou as-
pirans) et des envious, Villehard.
S. 105.
Kaiſerwahl zu Conſtantinopel. 323
ſehr zu beſorgen, daß demjenigen, für welchen alle oder 3 hr.
die Stimmen der meiſten Wahlherren ſich vereinigten,
die uͤbrigen Bewerber nicht willig ſich unterwerfen wuͤr—
den. Man gedachte der großen Schwierigkeiten, wodurch
zur Zeit der erſten Meerfahrt die Wahl eines Oberhaup—
tes des Koͤnigreichs Jeruſalem war erſchwert worden,
der Muͤhe, welche es gekoſtet hatte, dem Herzoge Gottfried
als erwaͤhltem Koͤnige den vollkommenen Beſitz ſeiner
Rechte zu verſchaffen, und der nachtheiligen Folgen, welche
aus der Widerſetzlichkeit des Grafen Raimund von Tous
louſe gegen den Herzog Gottfried fuͤr das ſo eben erſt
damals gewonnene heilige Land entſtanden waren; denn
jener unſeligen Partheyung vornehmlich war es zuzu—
ſchreiben, daß nach der Eroberung von Jeruſalem die meiſten
damaligen Pilger das gelobte Land verlaſſen und ſeinem
Schickſale preisgegeben hatten n). Da der Markgraf
Bonifaz und der Graf Balduin von Flandern die maͤch⸗
tigſten Fuͤrſten des Pilgerheeres waren, und es. vorher
zuſehen war, daß auf den Einen oder den Andern dieſer
beiden Fuͤrſten die Wahl fallen wuͤrde: ſo dachte man
darauf, fuͤr denjenigen von ihnen, welcher dem andern
wuͤrde weichen muͤſſen, eine Entſchaͤdigung auszumitteln,
und dadurch ſolchen Mißhelligkeiten, als im Koͤnigreiche
Jeruſalem zur Zeit ſeiner Stiftung eingetreten waren,
vorzubeugen. Es wurde alſo ein Vertrag zwiſchen dem
Markgrafen Bonifaz und dem Grafen Balduin von Flan—
dern zu Stande gebracht, nach welchem derjenige von
ihnen, auf welchen Gott die Wahl lenken wuͤrde, dem
andern alles griechiſche Land in Aſien nebſt der Inſel
Creta uͤberlaſſen, dieſer aber den erwaͤhlten Kaiſer als
feinen Lehensherrn anerkennen ſollte *3),
12) Villehard. S. 105. 106. 13) Villeh. S. 106.
E 2
324 Geſchichte der Kreugzäge Buch VI. Kap. XI.
JE Nach ſolchen Vorbereitungen wurde endlich der
9. Mal. Wahltag anberaumt. Am Sonntage Miſericordia **)
ſchwuren die Wahlherren uͤber den heil. Evangelien einen
feyerlichen Eid, durch welchen ſie gelobten, denjenigen
zum Kaiſer zu waͤhlen, welcher nach ihrem Dafuͤrhalten
der faͤhigſte waͤre, das Reich zu regieren, traten hierauf
zuſammen zur Wahl in eine zu dieſem Behufe reich ver⸗
zierte Kapelle des Palaſtes Bukoleon, in welchem der
Doge von Venedig feine Herberge genommen hatte *),
und begannen die Berathungen, nachdem ſie durch ein
Gebet dazu ſich vorbereitet hatten 5). Des Volkes aber
verſammelte ſich vor jenem Palaſte an dem Wahltage eine
unzählbare Menge, begierig, den Erfolg der Wahl zu
vernehmen *).
Die Biſchoͤfe von Soiſſons und Troyes machten in
der Wahlverſammlung zwar den Vorſchlag, daß man,
um allen Streit zu vermeiden, weder den Markgrafen
von Montferrat, noch den Grafen von Flandern auf
den kaiſerlichen Thron erheben, ſondern den ehrwuͤrdigen
und mit Weisheit und Erfahrung noch mehr, als jene
beiden Fuͤrſten, begabten Dogen von Venedig, Hein—
rich Dandulo, zum Kaifer des neuen lateiniſchen Reichs
waͤhlen moͤchte; ihnen aber widerſprach der venetianiſche
Wahlherr, Pantaleon Barbo. Er gab zwar zu, daß
14) Dominica Misericordia do-
mini. Epist. Bald. So iſt nämlich
zu verbinden, und nicht;,
den verſchiedenen Ausgaben dieſes
Briefes, ſelbſt in Epist. Innocentii
IIL ed. Brequigny et la Porte du
Theil T. II. p. 573 geſchehen iſt, nach
Dominica ein Comma zu fegen, 1005
durch dieſes Wort mit dem vorher
gehenden oratione (f Anm. 16) in
wie in
Verbindung gebracht wird. Vgl. Al-
berici Chron, ada. 1204. P. 437.
15) Un ior pris assemblerentä un
riche palais ou li Dux de Venise
ere à ostel, un des plus bials del
munde. Villeh. a. a. O.
16) Oratione praemissa, ut decuit.
Ep. Bald. J. c.
17) Villehard, a. a. O.
Kaiferwahl zu Conſtantinopel. 325
niemand faͤhiger wäre, Conſtantinopel zu behaupten, als. ‚Ei.
ein ſolcher, welcher durch die venetianiſche Seemacht
unterſtuͤtzt wuͤrde, daß uͤberhaupt eine zahlreiche und
wohlgeruͤſtete Flotte zur Vertheidigung dieſer Seeſtadt
nicht entbehrt werden koͤnnte, und daß, wenn uͤber das
neue Kaiſerthum Gefahr kaͤme, eine Flotte aus dem
adriatiſchen Meere ſchnellere und wirkſamere Huͤlfe brin—
gen koͤnnte, als die zahlreichſten Scharen von Rittern,
welche erſt aus den Ebenen der Lombardey oder von den
fernen Geſtaden der Niederlande herbeygerufen werden
muͤßten. Er bemerkte aber dagegen, daß die Wahl des
Dogen von Venedig zum Kaiſer den Neid der Franzoſen
und der uͤbrigen Kreuzfahrer auf das heftigſte aufregen
und ſicherlich die Trennung und Aufloͤſung des Heeres
zur unmittelbaren Folge haben wuͤrde; und er rieth daher,
einen der beiden Fuͤrſten zu waͤhlen, welche in der Mei⸗—
nung des Volks als die faͤhigſten und wuͤrdigſten gaͤlten,
das neue Reich zu regieren **). Es vereinigten ſich
17 Gr ’ 2 25 N 948
18) Daß die Biſchöfe von Soiſſons taleon Barbo aber ihnen zu bedenken
und Troyes die Wahl auf den Dogen
von Venedig zu lenken ſich bemühten,
erzählt Ramnuſius (S. 137) nach ve:
netianiſchen Jahrbüchern. Nach der
Chronik des Andreas Dandulus (S.
330) war es nur Einer der Franzoſen
(Gallorum unus), welcher den Do:
gen von Venedig in Vorſchlag brach:
te, aber einer der venetianiſchen Wahl⸗
herren (quidam Venetorum, nobilis
et Adelis sene empfahl dagegen mit
triftigen Gründen (satis probabili
oxatione usus) den Grafen von Flan—
dern. In der Ambroſtianiſchen Hand:
ſchrift dieſer Chronik wird am Rande
hinzugefügt, daß fünf vengtianifche
Wabhlherren zwar dem Dogen Hein:
rich Dandulo geneigt waren, Pan⸗
gab, daß die Wahl des Dogen von
Venedig zum Kaiſer ſicherlich nicht
die Billigung der transalpiniſchen
Pilger erhalten würde. Zufolge eben
dieſer Nachricht gönnten jedoch die
transalpiniſchen Pilger nach dem
Grafen von Flandern dle kalſerliche
Krone lieber dem Dogen zu Venedig,
als dem Grafen von Montferrat; auch
den Lombarden wäre ein Kaiſer aus
der Mitte der Venetianer angenehmer
geweſen, als ein transalpiniſcher / und
die Wahl des Grafen Balduin er—
folgte endlich auf den Rath des Bar:
bo (suadente Barbo). Nicetas berich:
tet (S. 383), es ſey allgemein bekannt
geweſen, daß die Wahl des Grafen
Balduin durch die NRänte-(nora
J. Chr.
1204.
326 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
endlich alle Stimmen fuͤr den Grafen Balduln von
Flandern “), deſſen Ritterſchaft die zahlreichſte war unter
den Ritterſchaften, welche zu dieſer Kreuzfahrt ſich ver⸗
ſammelt hatten 29). Erſt ſpaͤt in der Nacht kam dieſe
Wahl zu Stande, und um Mitternacht begaben ſich die
zwoͤlf Wahlherren ſaͤmmtlich in das Gemach des Palaſtes,
wo der Doge von Venedig und ſaͤmmtliche Grafen und
Barone des Pilgerheeres in geſpannter Erwartung ver;
ſammelt waren, und der Biſchof Nevelon von Soiſſons
machte im Namen der uͤbrigen Wahlherren die geſchehene
Wahl auf folgende Weiſe kund: „Wir ſind, edle Herren,
durch Gottes Gnade uͤber die Wahl eines Kaiſers einig
geworden; und da ihr durch einen Schwur gelobt habt,
denjenigen, welchen wir waͤhlen wuͤrden, als Kaiſer an—
zuerkennen und gegen jeden Widerſacher zu behaupten:
ſo nennen wir euch in dieſer feierlichen Stunde, in wel—
cher Gott der Herr geboren wurde 2 *), denjenigen, wel⸗
chen wir zum Kaiſer erkohren haben. Es iſt der Graf
Balduin von Flandern und Hennegau.“ Ein allgemeiner
Freudenruf erfolgte im ganzen Palaſte, als dieſe Nachricht
vernommen wurde; und der Markgraf Bonifaz ſowohl,
os Joy re zul mepivorav)) des Do: nostris meritis procul erat, unani-
gen von Venedig bewirkt worden ſey;
denn Dandulo, da er wegen ſeiner
Blindheit unfähig war, Kaiſer zu
werden, habe gewünſcht, das Kaifer:
thum an einen Fürſten zu bringen,
welcher leichter zu behandeln und
weniger herrſchſüchtig (To 7905 re
ihopurarov xal. un 7To:.ppoveiv
&oyex0rTEE0V) , auch wegen der Ent:
fernung feiner Länder den Benetia-
nern nicht fo furchtbar war, als der
Markgraf Bonifaz von Montferrat.
19) Personam nostram, quod a
miter ac solemniter elegerunt, di-
vinis laudibus clero ac vopulo ac-
Clamante, Epist. Bald.
20) Sic ferebatur, ut qui in Bel-
gio ‚bellicum, cecinisset, equestres
pedestresque copias velut e terra
nasci solere. Ramnus. p. 137.
21) Vous le nomerons en eure
que Diex fu nes, Villehard. S. 107.
D'Outreman (p. 247) fest hinzu: De⸗
buit igitur media nocte id fieri,
nisi fortasse secus quam passim
omnes de Christi natali sentirent.
827
als mit ihm mehrere andere Barone trugen ſofort auf 1289
einem Schilde den neu erwaͤhlten Kaiſer in die große
Kirche der goͤttlichen Weisheit, um ihn dem Volke zu
zeigen und Gott ihr Dankopfer darzubringen für die Wahl,
welche alle mit großer Freude erfuͤllte ). Zur Krönung
des Kaiſers wurde der zügen, Parusee Wee
(16. Mai) beſtimmt 25).
Ehe die Krönung des Kaiſers Balduin vor ſich ging /
ward noch ein Feſt anderer Art gefeyert, die Vermaͤhlung
des Markgrafen Bonifaz mit Margarethe, der Witwe
des Kaiſers Iſaak und Schweſter des Königs: von Uns
garn *), welche ſpaͤterhin dem griechiſchen Glaubens
bekenntniſſe, welches ſie als Gemahlin des Kaiſers Iſaak
angenommen hatte, wieder entſagte und zu der wapos⸗ i
ſchen Kirche zurückkehrte 2).
Die Freude, welcher die Pilger unter ſo glücklichen
Ereigniſſen ſich uͤberließen, wurde aber nicht wenig ge⸗
ſtoͤrt durch den Tod des Ritters Odo von Chamlite aus
der Champagne; nicht bloß ſein Bruder Wilhelm, ſondern
das ganze Heer der Pilger beklagte ſchmerzlich den Tod
des tapfern Waffengefaͤhrten, und ſein Leichnam wurde
mit großen Ehren in der Kirche der heiligen Apoſtel bey:
geſetzt 5).
Kroͤnung des Kaifers Balduin.
22) Villehard. a a. O.
23) Et fu li jors pris de son co
ronement à trois semaines de Pas-
ques. Villehard. a. a. O.
24) Villehard. S. 108.
25) Sie weigerte ſich zwar anfangs,
die griechiſche Kirche zu verlaſſen,
wurde aber hernach durch die Bitten
ihres Gemahls, des Markgrafen Bor
nifaz, und die Ermahnungen des ars
dinal⸗Legaten Suffried und des Ab:
tes pon Locedio bewogen (im J. 1203),
in den Schooß der römiſchen Kirche
zurückzukehren; und Innocenz wünfchs
te ihr zu dieſer Bekehrung Glück in
einem ſehr llebreichen Briefe. Epist.
Innoc, III, ed. Brequigny et La-
porte du Theil Lib, VIII. 234. T. II.
p- 770. 771.
20) Villeh. a. a. O.
J. Chr.
1203.
328 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Büch VI. Kap. XI.
Die Kroͤnung des Kaiſers Balduin geſchah an dem
beſtimmten Tage mit glaͤnzenden Feyerlichkelten in der
großen Kirche der goͤttlichen Weisheit; und als der Kaiſer
im feyerlichen Zuge nach dieſer Kirche zur Kroͤnung ſich
begab, ſo trugen vor ihm der Graf von St. Paul als
Marſchall das kaiſerliche Schwert, und der Markgraf
Bonifaz als Kämmerer das koſtbare Kroͤnungsgewand 27).
Die Biſchoͤfe des Pilgerheeres ſetzten ihm die kaiſerliche
Krone auf, es wurden ihm jenes mit Gold und Edelge—
ſteinen herrlich geſchmuͤckte Gewand und die kaiſerlichen
Pur purſtiefeln angelegt 28), und der Markgraf Bonifaz
und der Graf Ludwig von Blois ehrten ihn zuerſt als
ihren Herrn 2); die Ritter und andere Pilger hatten in
großer Zahl ſich eingefunden, geſchmuͤckt mit ſchoͤnen und
koſtbaren Kleidern, welche ſie zu dieſem Feſte ſich bereitet
hatten?); viele Chriſten aus dem gelobten Lande, ſowohl
geiſtlichen als weltlichen Standes, waren ebenfalls an—
weſend, die Gruͤndung eines lateiniſchen Reichs in Con⸗
ſtantinopel auch als ein für die chriſtliche Herrſchaft im
Morgenlande hoͤchſt erfreuliches Ereigniß betrachtend 3 *);
und die Griechen, ſo viele deren zuruͤck geblieben waren,
27) Alberici chron. add a. 1204. p. 437.
28) Vestibus aureis lapidibusque
pretiosis intextis, nec non caligis
rubeis secundum morem indutus.
Alberic. 1. c. Dieſer Umſtand wird
in dieſer Chronik nach einem Zwiſchen⸗
ſatze noch einmal alſo wiederholt: Con-
secrato data est vestis imperialis et
caligac, quae erant de corio rubeo,
cum lapidibus pretiosis.
20) Villehard. a. a. O.
30) Or poez savoir que mainte
riche robbe i ot faite por le coro-
nement et il orent bien de quoi.
Villehard. S. 107.
5ı) Aderant incolae terrae san-
ctae, ecclesiasticae militaresque
personae, quorum prae omnibus
erat inaestimabilis et gratulabunda
laetitir, exhibitumque Deo gratius
obsequium asserebant, quam si ci-
yitas sancta Christianis cultibus
esset Testituta: cum, ad confusio-
nem perpetuam inimicorum crucis,
sanctae Romanae ecclesiae (et) terrae
Jerosolymitanae sese regia civitas
devoveret, quae tam diu, tam po-
tenter adversaria stelit et contra-
dixit utrique, Epist. Bald.
Kroͤnung des Kaiſers Balduin. 329
ehrten ihren neuen Herrn, durch die Zurufungen, welche BEER
bey den Kroͤnungen ihrer Kaiſer üblich waren 82). Bal—
duin ſchoͤpfte die frohe Hoffnung einer begluͤckten und
ſegenvollen Regierung aus den Worten ſowohl der Epiſtel
als des Evangeliums, welche in der Meſſe an dieſem Tage
geleſen wurden: ſeyd unterthan dem Koͤnige, als dem
Oberſten, und niemand nimmt von euch eure Freude 33);
aber ſeine Hoffnung ging nicht in Erfuͤllung. Nach der
Krönung wurde der neue Kaiſer in feyerlichem und glaͤn—
zendem Zuge aus der Sophienkirche in den prächtigen Pas
laſt Bukoleon geführt *); und die Straßen der Stadt
waren an dieſem Tage mit koſtbaren Teppichen, Vor—
hängen und Gewaͤndern auf das Herrlichſte gefchmückt 3°),
So beſtieg der Graf Balduin von Flandern im zwey und
dreyßigſten Jahre ſeines Alters den Thron des Kaiſers
Conſtantin des Großen 5). e e
foris et theatris judi magnificentis-
simi eduntur; et, ne quid splen-
52) More suo applaudentibus
graecis, Epist. Bald.
35) Praecipiente Petro (1. Brief
Petri 2, 13.), Regem honorificari
eique obediri quasi praecellenti, et
Evangelio (Ev. Joh. 16, 22.) annun-
ciante: quod gaudium nostrum ne-
mo tollet a nobis. Epist. Bald.
34) Apres la grant joie del coro-
nement (' Empereres) en fu menez
a grant feste et à grant procession
el riche Palais de Bokelion, que
onques plus riches ne fu veuz.
Villeh. S. 108.
35) Civitas ornatur cortinis, pal-
liisque et vestibus pretiosis. Albe-
rici Chron. ad a. 1204. Ramnuſius
(p. 141) fügt noch folgende Nachricht,
vielleicht aus ungedruͤckten Quellen,
hinzu: Complures festi dies cele-
brantur, totaque urbe, omnibus
doris ac magnificentiae deesset, con-
stat etiam urbanos circos hippodro-
mosque coloratis sericis velis con-
textos Huisse, in quibus circenses
ludi singulari equo, bigis quadri-
gisve graeco more, itemque ad eque-
stris pugnae simulacrum (Galli et
Germani Torneum vocant) Franci
equites in aureis armis et militari-
bus ornamentis conspieui complu-
res dies jucundissime decurrerunt; .
spectaculum certe speciosius quam
scribi potest.
36) Nicetas S. 384. „Dieſer Mann,“
ſetzt Nicetas ebendaſelbſt hinzu, „war
übrigens, wie geſagt wurde, gottes—
fürchtig und enthaltſam (eine Hand:
ſchrift des Hieronymus Wolf ſetzt
noch Hinzu: auch nicht fo unbeſtän⸗
330 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VL Kap. XI.
So wie dem Reiche, eben ſo wurde auch der Kirche
von Conſtantinopel, welche von ihrem bisherigen Patri—
archen, Johannes Kamaterus, war verlaſſen worden, ein
Oberhaupt gegeben; und, da nach dem, vor Eroberung
der Stadt zwiſchen den Pilgern und den Venetianern
geſchloſſenen, Vertrage derjenigen Partey, aus welcher
der Kaiſer nicht wuͤrde gewaͤhlt werden, das Recht zus \
ſtand, die Geiſtlichkeit der Hauptkirche von Conſtantinopel
ſowohl als den Patriarchen zu ernennen: ſo beſtellten
die Venetianer einige Geiſtliche aus Venedig als Stifts—
herren zur Wartung des Gottesdienſtes in der Sophien—
kirche ), und dieſe Stiftsherren waͤhlten zum Patri⸗
J. Chr.
1204.
dig und unzuverläſſig als der Mark
graf Bonifacius, otros evusraßkn-
ros is d Bovugdrios) , und mied, fo
lange er von feiner Gemahlin ge
trennt war, ſelbſt in Blicken jeden
Verkehr mit Weibern; dagegen nahm
er gern Theil an Lobgeſängen zur
Ehre Gottes, half denen, welche in
Nöthen waren, und verſchmähte es
nicht, diejenigen anzuhören, welche
ihm widerſprachen. Was aber das
Größte war, Balduin ließ in jeder
Woche dreymal des Abends ausrufen,
daß keiner feiner Hausgenoſſen (7
oline), welcher feiner rechtmäßigen
Gattin (nämlich in dieſer Nacht) die
ebeliche Pflicht verſagen würde (
vouiuo yuvaızı ινοναοντνν ] im
Palaſte ſolle übernachten dürfen.“
Dieſer letzte Umſtand iſt ohne Zweifel
eine Fabel von der Art, wie damals
viele in Conſtantinopel erzählt wer⸗
den mochten. Balduin führte übri⸗
gens in ſeinen kaiſerlichen Urkunden
den Titel: Balduinus Dei gratia
&delissimus Imperator in Christo
Constantinopolitanus a Deo coro-
natus, Romaniae (oder Romanorum)
moderator et semper Augustus,
Flandrensis et_Haynoensis Comes
(f. Epist. Innoc. III. ed. Brequigny
et la Porte du Theil MI. 201, p. 61g
und Petri d' Outreman Constanti-
nop. belgica p. 250); oder er nannte
ſich auch nur, wie in einem Schreiben
an den Papſt Innocenz III. (Epist.
Innoc. III. Lib. VII. 153. p. 570):
B. dei gratia Constantinopolitanus
Imperator et semper Augustus,
Flandrensis et Hainoniae Comes.
37) Am 8. Mai 1205 ſchwuren drey⸗
zehn zu Stiftsherren an der Kirche
der göttlichen Weisheit ernannte
venetianiſche Geiſtliche in der Kirche
des heiligen Marcus zu Venedig in
Gegenwart von Rainer, dem Sohne
und Stellvertreter des Dogen Hein—
rich Dandulo, und acht Räthen (sa-
pientum consilii) folgenden Eid:
Juro ego t. ‚electus cauonicus san:
cte Sophye, quod non eligam ne-
que pro posse mo recipiam in
praefata eccolesia sancte Sophye
archidiaconum, archipresbyterum,
Prepositum, Decanum, Thesaura-
Wahl des Patriarchen zu Conſtantinopel. 331
archen den venetianiſchen Subdiakonus, Thomas Moro, 8g
rium, neque aliquem in alium ca-
nonicum, nisi vel natione Vene -
tum, vel talem, qui in aliqua ec-
clesia Venetorum institutionem ha-
buerit per decennium. Et a quo:
libet predictorum meo tempore
electo vel recepto post electionem
vel receptionem simile faciam ju-
ramentum praestari, nec umquam
operam dabo quod supra dicta in-
fringi debeant aut immutari. Dieſer
Eid wurde über der Urkunde (capi-
tulari), welche die Formel deſſelben
enthielt und auf dem Evangelien⸗
buche lag, geleiſtet, der Eid wurde
in das Staatsprotocoll eingetragen
(hoc juramentum in seriptis publi-
ois redigi debet) und auch den Pros
curatoren des heiligen Marcus zuge—
ſtellt. Späterhin leiſteten dieſen Eid
noch drey andere Stiftsherren der
heiligen Sophia nach einander in
den Jahren 1205, 1207 und 1208. Die
Protocolle dieſer Eidesleiſtungen fin:
den ſich in beglaubigten Abſchriften
in den, im kaiſerl. königl. Haus⸗
und Staatsarchive zu Wien aufbe⸗
wahrten Handſchriften, "Liber albus
und Liber pactorum (T. I. fol.
159 sd.) . Die Wahl eines lateiniſchen
Patriarchen von Conſtantinopel ge⸗
ſchah übrigens ſchon vor dem Januar
des Jahres 1205, wie aus dem Schrei⸗
ben des Papſtes vom 2x. Januar 1205
(XII. Kal. Febr.), in welchem der
erwählte Patriarch von Conſtanti⸗
nopel anerkannt wird, hervorgeht;
und es waren aſo ſchon früher einige
Stiftsherren an der Kirche der gött⸗
lichen Weisheit angeſtellt worden,
von welchen auch der Papſt in dem
erwähnten Briefe redet (cum qui-
dam Clerici Venetorum fuissent
Ecclesiae sanctae Sophiae servitio
deputati); aber noch am Ende des
Jahres 1204 (VII. Id. Decembris)
fand es Innocenz nöthig, in einem
Schreiben an die Bifchöfe und Aebte
des Heeres zu Conſtantinopel (Epist.
Innoc. III. ed. Brequigny et La-
porte du Theil Lib. VII. 164. p. 888)
darauf zu dringen, daß die Anſtel⸗
lung lateiniſcher Geiſtlichen bey den
Kirchen von Conſtantinopel (ut es-
sent, qui Latinorum populo ibi-
dem, dante Domino, perpetuo re-
mansuro, juxta suum ritum divina
rite celebrarent ofſicia et exhibe-
rent ecclesiastica sacramenta), und
die Wahl eines Patriarchen beſchleu⸗
nigt werden möchte, indem er die
Vollmacht ertheilte, denjenigen, auf
welchen die Wahl fallen würde, nö—
thigenfalls nach vorhergegangener Er⸗
mahnung durch kirchliche Strafe (per
censuram ecclesiasticam) zur Ans
nahme des Patriarchats zu nöthl⸗
gen. Die Venetianer erzwangen von
dem Patriarchen Thomas Moroſini,
als dieſer, nachdem er zu Rom die
Weihen empfangen hatte, nach Bes
nedig zurückkam, um von dort nach
Conſtantinopel ſich zu begeben, einen
Eid, wodurch er ſich ebenfaus ver⸗
biudlich machte, die den Stiftsherren
in der oben angeführten Eidesformel
aufgelegte Verpflichtung aufrecht zu
erhalten und dafür zu ſorgen, daß
kein anderer als ein Venetianer zum
Patriarchen erwählt würde. Außer:
dem verſprach der Patriarch, jedoch
ohne Eid, in ganz Romanien nur
Venetianer zu Erzbiſchöfen zu machen.
Innocenz erklärte aber dieſe Zuſagen
durch ein Schreiben an den Patriarchen
vom 21. Jun. (XI. Kal. Jul.) 1206 für
nichtig. Der Patriarch hatte übrigens
in der Eidesformel das Recht des apo⸗
332 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI.
es. ſini ve, welcher einem vornehmen venetlaniſchen Geſchlechte
angehoͤrte, durch Gelehrſamkeit und Bildung nicht minder
als durch Froͤmmigkeit einer ſo hohen Stelle wuͤrdig war,
und waͤhrend eines längern- Aufenthalts zu Rom. durch kluges
und verſtaͤndiges Benehmen und angenehme und gefaͤllige
Sitten das Vertrauen und die Zuneigung des Papſtes
Innocenz des Dritten gewonnen hatte “).
Der Kaiſer
Balduin aber erſuchte durch einen Brief ſowohl als durch
Botſchafter den Cardinal Peter, welcher damals im ge⸗
ſtoliſchen Stuhls verwahrt durch die
Clauſel: salvo tamen in omnibus
Apostolicae sedis jure, auctoritate,
reverentia et honore, obwohl dieſe
Clauſel in das ſchriftliche Protocol
nicht war aufgenommen worden (licet
haec conditio sic a te fuerit ad-
jecta, ut non sit in scriptis redacta).
Ep. Lib. IX. 130. p. 945. Ueber die
Streitigkeiten, welche die Selbſtſucht
der Venetianer in Beziehung auf die
kirchlichen Verhältniſſe der Kirche des
neuen Kaiferthums und insbeſondere
des Clerus der Sophienkirche zur
Folge hatte, iſt beſonders lehrreich
der Brief der drey lateiniſchen Bi⸗
ſchöfe von Selybria, Panedocia und
Gallipoli (J. Salembriensis, P. Pa-
nedocensis et J. Galiopolensis Epis-
copi) und der übrigen zu Conſtan⸗
tinopel ſich aufhaltenden Geiſtlichen
an Innocenz III. ſ. Epist: Innoc, III.
ed, Baluz, Lib. XII. 103. Tom, II.
p. 363 — 365.
38) Thomas Maurocenus. bl
Innocent. III. (ed. Brequigny et
Laporte du Theil) Iäb. VII. 233.
(vom 21. Januar, XII. Kal. Febr,
1205) P. 621. 622. Nach der Be
ſchreibung des Nicetas war Thomas
Moroſini ein Mann von mittler
Größe, aber wohlbeleibt, und für die
Griechen war es höchſt anſtößig, daß
der lateiniſche Patriarch ſowohl als
ſeine Geiſtlichkeit ihre Bärte ſchoren
und eng anſchließender Kleider ſich
bedienten; auch bemerkt es Nicetas
als auffallend, daß der Patriarch
einen Ring und lederne Fingerhand⸗
ſchuh trug. Nicet. p. 40t, und in
C. G. Heyne Commentatio II. de
interitu operum artis (in den Com-
mentationibus Societatis Scient.
Gotting. Vol. XII.) p. 307. Vgl.
f Beyl. II. A) 1
89) Licet de persona electa ex
mora diutina, quam apud Sedem
Apostolicam fecit olim, Nos et
Fratres. sufſicienter notitiam habe:
remus, utpote quam noyeramus
genere nobilem, honestam moribus,
providentia circumspectam et com-
petenter literis eruditam. Epist.
Innoc. cit. p. 622. Gegen dieſe
Wahl wurde zwar anfangs, wie In⸗
nocenz hinzufügt, von mehrern Sei—
ten Widerſpruch erhoben (a multis
extitit contradictum, et ab aliqui-
bus etiam appellatum), doch wurde
endlich dieſer Widerſpruch beſeitigt.
Ueber den ſpäter noch einmal erhobe—
nen Widerſpruch der fränkiſchen Geiſt⸗
lichen gegen die Rechtmäßigkeit der
Wabl dieſes Patriarchen, f. unten.
Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Innocenz. 333
lobten Lande war, baldigſt nach Conſtantinopel zu kommen 9.
und die neue Kirche zu ordnen, und der Legat folgte ſehr
bald nebſt ſeinem Mitlegaten, dem Cardinal Suffried,
obgleich wider den Willen des Papſtes, der kaiſerlichen
Einladung *°):
Nach dieſen Anordnungen dachten die Venetianer
ſowohl als die übrigen Pilger darauf, den Papſt Innos
cenz, wider deſſen Rath und Willen ſie gegen Zara und
Conſtantinopel ihre, dem Dienſte des Heilandes geweihten,
Waffen gekehrt hatten, zu verſoͤhnen; denn ſo lange der
paͤpſtliche Bann auf ihnen lag, und ihre Eroberung der
Billigung des apoſtoliſchen Vaters ermangelte, konnten
ſie nicht auf die Unterſtuͤtzung nachkommender Krieger aus
der Heimath rechnen, deren ſie zur Behauptung und Be—
feſtigung der neu gegruͤndeten Herrſchaft ſo ſehr bedurften.
Die Venetianer, welche ihre Widerſetzlichkeit gegen den
apoſtoliſchen Stuhl ſo lange fortgeſetzt hatten, als ſie
fuͤrchteten, daß deſſen Widerſpruch ihre Plaͤne vereiteln
konnte, hatten ſchon dann, als ihre Abſichten großen
Theils erreicht waren, und die Entwickelung der Ereig—
niſſe nicht mehr gehemmt werden konnte, Botſchafter zu
dem paͤpſtlichen Cardinal- Legaten, Peter von Capua,
welcher damals auf der Reiſe nach dem gelobten Lande
ſich befand, abgeordnet und dieſen Praͤlaten, welcher
fruͤher von ihnen auf hoͤchſt beleidigende Weiſe zuruͤck—
gewieſen worden war, um ſeine Vermittelung zur Auf—
hebung des über fie ausgeſprochenen Banns gebeten *)3
und der Legat, welcher es bedenklich achtete, reuigen
Suͤndern die Pforte der Gnade zu verſchließen ), ſandte
40) Gesta Innoc, III. c. 95: Vgl. claudos habere quam mortuos,
Buch VII. Kap. 1. praesertim ne ipsorum contagium
41) Gesta Innocentii III. c. go. Ceteros inquinaret. Gesta Iunoc.
42) Fecit eos absolvi, malens eos I. c.
334 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
— 4 von Cypern, wo er damals verweilte, den Schatzmeiſter
der Kirche von Nicoſia in das Lager der Kreuzfahrer bey
Pera, um von den Venetianern zuvoͤrderſt einen Eid zu
nehmen, durch welchen fie zum kuͤnftigen Gehorſam gegen
den apoſtoliſchen Stuhl und zur Erfuͤllung des Geluͤbdes
der Kreuzfahrt ſich verpflichten ſollten, und ſie nach Lei—
ſtung dieſes Eides vorlaͤufig von dem auf ihnen ruhenden
Banne loszuſprechen. Dieſe Los ſprechung war aber nicht
vollkommen guͤltig, ſo lange ihr noch die Anerkennung
und Beſtaͤtigung des Papſtes ſelbſt fehlte. Der Doge
ſandte daher zwey Botſchafter aus der Zahl der ihn be—
gleitenden Nobili von Conſtantinopel *?) nach Rom mit
einem Schreiben, worin er nicht nur dem Papſt anzeigte,
daß die Venetianer, genoͤthigt durch die Treuloſigkeit des
jungen Kaiſers Alexius Angelus (welcher, obgleich von
ihnen und ihren Bundesgenoſſen auf den kaiſerlichen Thron
geſetzt, ihre Flotte zu verbrennen und auf andere Weiſe
zu Waffer und zu Lande feine Wohlthaͤter zu beſchaͤdigen
verſucht hätte), Conſtantinopel zur Ehre Gottes und der
roͤmiſchen Kirche und zum Nutzen des heiligen Landes,
mit Zuſtimmung aller ihrer Mitpilger geiſtlichen und
weltlichen Standes und dem Beyſtande ihrer Bundes
genoſſen, erobert hatten; ſondern auch ſich entſchuldigte,
wegen der Unterjochung von Zara, indem er behauptete,
daß die venetianiſche Flotte durch den Eintritt des Win—
ters gezwungen bey dieſer Stadt angelegt und nur ge—
legentlich an derſelben wegen der vielfaͤltigen, von deren
Einwohnern gegen die Venetianer begangenen Feindfeligs
keit und Treuloſigkeit eine gerechte Rache vollzogen haͤtte.
Auch verſicherte der Doge in dieſem Schreiben, daß er
dem Vorgeben, als ob die Einwohner von Zara unter
43) Leonardus Naugajoſus, den Enkel des Dogen, und Andreas de Mulin.
Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Innocenz. 335
dem beſondern Schutze des Papſtes ſtaͤnden, keinen Glau- N he.
ben habe beymeſſen koͤnnen, weil es ihm nicht glaublich
geſchienen, daß der Nachfolger des heiligen Petrus ſolche,
welche das Zeichen des heiligen Kreuzes nur zum Scheine
naͤhmen, um als Kreuzfahrer ungeſtraft Verbrechen und
Gewaltthaͤtigkeiten zu üben und ohne die Abſicht, ihre
Geluͤbde zu erfuͤllen, ſeiner Gnade und ſeines Schutzes
wuͤrdig achten koͤnnte und duͤrfte; eben deshalb haͤtten
die Venetianer den über fie verhaͤngten Bann mit Ruhe
und Geduld ſo lange getragen, bis der Cardinal Peter
ihnen die Losſprechung gewaͤhrt haͤtte. Endlich gab
Heinrich Dandulo in dieſem Schreiben die Zuſicherung,
daß die Venetianer, wie bisher ſo auch in der Zukunft,
in allem ihtem Thun nur die Ehre Gottes, der roͤmiſchen
Kirche und des Papſtes zu befoͤrdern ſich bemühen wuͤr—
den ). Der Kaiſer Balduin meldete in einem demuͤ—
thigen Schreiben, welches Barochius, der Meiſter der
Templer in der Lombardey, uͤberbrachte **), dem Papſte
Innocenz die auf ihn gefallene Wahl zum erſten lateinis
ſchen Kaiſer von Conſtantinopel, und bat um die Beſtaͤ—
tigung des von den Pilgern mit den Venetianern ge—
ſchloſſenen Vertrags, indem
44) Epist. Innocentii III. Lib. VII.
202. p. 618. 619.
45) Epist. Innoc. III. Lib. VII.
152. p. 570—575. Denfelben Brief
fandte Balduin, jedoch mit Weglaſ—
ſung der Stellen, welche ſich auf den
Papſt bezogen, als Circular in das
Abendland. Arnold von Lübeck giebt
ihn daher mit der Ueberſchrift: uni-
versis Christi fidelibus, episcopis
et abbatibus, prioribus, praepositis,
decanis, caeterisque ecclesiarum
er die Venetianer als treue
praelatis ecclesiasticisque personis,
baronibus, militibus, Sarziantis
omnique populo Christiano, ad
quos praesens pagina pervenerit;
und bey dem Mönche Gottfrled findet
er ſich als ein Schreiben an den
Erzbiſchof Adolph von Cöln. Um die ,
Beſtätigung des mit den Denetiar
nern aufgerichteten Vertrags bat
Balduin noch in einem beſondern,
an den Papſt gerichteten Briefe; f.
Epist, Innoc, III. Lib. VII. goı,
P. 618.
J Chr.
1204.
336 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
und eifrige Bundesgenoſſen ruͤhmte, ohne deren fernern
Beyſtand das neue, zur Ehre Gottes und der roͤmiſchen
Kirche gegruͤndete Kaiſerthum Dauer und Feſtigkeit nicht
gewinnen koͤnnte. Der Kaiſer pries mit eben ſo großen
Lobeserhebungen die trefflichen Dienſte, welche die das
Heer begleitenden Biſchoͤfe und Aebte und die übrige ge
ringe Geiſtlichkeit des Heeres im Kampfe wider die Grie—
chen geleiſtet haͤtten. Er empfahl uͤberhaupt das neu ge—
gruͤndete Reich dem Schutze des apoſtoliſchen Vaters und
richtete an den Papſt die Bitte, daß er die abendlaͤndiſche
Chriſtenheit durch eindringliche Ermahnung zum Beyſtande
des lateiniſchen Kaiſerthums und zur Theilnahme an den
unermeßlichen zeitlichen und ewigen Reichthuͤmern, welche
daſſelbe darboͤte, auffordern und diejenigen, welche dieſer
Aufforderung folgen wuͤrden, des paͤpſtlichen Ablaſſes wie
die anderen Kreuzfahrer theilhaftig machen möchte, Vor—
nehmlich bat Balduin den Papſt, daß er Geiſtliche ver—
anlaſſen moͤchte, in großer Zahl nach Conſtantinopel ſich
zu begeben, und in dem herrlichen und uͤppigen Lande
nicht mehr im Blute, ſondern in Freyheit und Frieden
und im Ueberfluſſe aller Guͤter, die Kirche zu pflanzen.
Zuletzt ſprach der Kaiſer noch den Wunſch aus, daß In—
nocenz eine allgemeine Kirchenverſammlung nach Conſtan—
tinopel berufen und dieſelbe durch ſeine Gegenwart ver—
herrlichen möchte, *°). Auch machte Balduin aus der ihm
46) Canite, quaesumus, tuba sa- des Dritten, Johannes, Agapetus
cerdotali in Sion, amantisime und Andere, wegen viel weniger er⸗
Pater, vocate coetum, congregate heblicher Angelegenheiten nach Con⸗
populum, coadunate senes et su- ftantinopel in eigener Perſon gekom⸗
gentes ubera, sanetificate diem ac men wären, sicut in apostolicis
ceptabilem Domino, diem stabi- continetur archiviis, et invenietis
liendae unitatis et pacis. Epist, manifeste, si nos, qui asserunt se
Innoc. 1. c. Balduin fügt dann legisse, non fallunt.
hinzu, daß die Vorgänger Innocenz
Verſoͤhnung d. Atmung mit Innocenz. 337
zugefallenen Beute nicht nur dem Papſte herrliche Geſchenke; 7
ſondern auch den Tempelherren uͤberſandte er zwey Bilder,
wovon das eine drey Mark Gold und das andere zehn
Mark Silbers enthielt, ein Stuͤck des heiligen Kreuzes,
funfzig Mark Silbers, und andere Koſtbarkeiten. Dieſe
koſtbaren Geſchenke wurden zwar im Hafen von Modon
durch genueſiſche Seeraͤuber, welche dort mit ſieben Schiffen
waren, geraubt, die Genueſer aber ſpaͤter durch Bann und
Interdict gezwungen, den Raub zurückzugeben *7). Auch der
Markgraf Bonifaz und die Grafen von Blois und St. Paul
ſchrieben in demſelben Sinne wie der Kaiſer Balduin an
den Papſt Innocenz, und baten um ſeinen Schutz für das
neue Kaiſerthum und um Beſtaͤtigung der zu Conſtanti—
nopel von den Pilgern ſowohl als den Venetianern ges
machten kirchlichen und weltlichen Anordnungen *°).
Innocenz der Dritte hatte zwar, ſo lange von Alexius
Angelus dem Aelteren die Erfuͤllung der dem paͤpſtlichen
Stuhle gemachten Zuſicherungen erwartet werden konnte, ſich
bemuͤht, die Kreuzfahrer von Gewaltthaͤtigkeiten gegen das
griechiſche Reich durch jedes ihm zu Gebot ſtehende Mittel
abzuhalten; als aber Alexius auf eine feige und ſchimpf—
liche Weiſe das Reich verlaſſen hatte, und ſein Neffe, der
47) Dieſe Geſchenke zählt Innocenz
in einem, von Rainaldus (Annales
eccles. ed. Mansi, ad a. 1204. p. 181)
mitgetheilten, Briefe an den Erzbiſchof
von Genua alſo auf: carbunculum
unum emptum, ut asserit (Baldui-
nus Imperator), mille marchas ar-
genti, unum anulum pretiosum,
examita (Gewänder von Sammet)
quinque, palliumque peroptimum;
et ad opus templi: duas iconas,
unam habentem tres marchas auri
et aliam decem marchas argenti
V. Band.
cum ligno vivificae crucis et mul -
tis Iapidibus pretiosis, duas cruces
aureas, et inter topazios, smara-
gdos, rubinos paene ducentos unam
crystallinam ampullam, et duos
scyphos argenteos, unam scutellam
desuper auratam, duas capsellas et
unam ampullam argenteas, et in-
genti.
48) Epist. Innoe. III. Lib. VII.
208. p. 626,
9
super quinquaginta marchas ar-
*
338 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Neeber jüngere Alexius, durch die Pilger auf den byzantiniſchen
Kaiſerthron erhoben worden war, ſo war Innocenz zu
klug und vorſichtig, um einen unnuͤtzen Widerſpruch fort—
zuſetzen. Er bemuͤhte ſich aber, dem apoſtoliſchen Stuhle
die wirkliche Erlangung der Vortheile zu ſichern, welche
der aͤltere Alexius zugeſagt hatte, und in dieſer Abſicht
ermahnte er den jungen Kaiſer zur Erfuͤllung der Ver—
heißungen, welche dieſer waͤhrend ſeines Aufenthalts zu
Rom als ungluͤcklicher Fluͤchtling gegeben und nach ſeiner
Thronbeſteigung in einem Schreiben an den Papſt er—
neuert hatte ). Auch den Pilgern gebot er, ihrerſeits
mit redlichem Eifer dafuͤr zu ſorgen, daß der Kaiſer
Alexius ſowohl in einem offenen Briefe zum Gehorſam
gegen die roͤmiſche Kirche eidlich ſich verpflichte, als auch
den Patriarchen von Conſtantinopel zur Einholung des
Palliums von dem roͤmiſchen Stuhle anhalte, und durch
ſolchen Eifer zu beweiſen, daß die Verpflichtung, welche
von ihnen dem Kaiſer aufgelegt worden, den roͤmiſchen
Papſt als geiſtliches Oberhaupt anzuerkennen, nicht blos
zur Beſchoͤnigung ihres ſtraͤflichen Ungehorſams gegen den
apoſtoliſchen Stuhl dienen ſollte, ſondern ernſtlich gemeint
waͤre. Zugleich ermahnte der Papſt die Pilger, nunmehr
ihre Fahrt nach dem gelobten Lande nicht laͤnger zu ver—
ſchieben ). Die Unterwerfung der griechiſchen Kirche
unter den Gehorſam des apoſtoliſchen Stuhls betrachtete
aber Innocenz der Dritte als ein viel zu wichtiges und
ruͤhmliches Ereigniß, als daß er nicht auf das ſehnlichſte
gewuͤnſcht hätte, durch die Vollendung dieſes Werks feine
Regierung zu verherrlichen; und daher war er geneigt,
ſelbſt einen Aufſchub der von ihm ſonſt mit ſo großem
49) Epist. Innoc. Lib, VI. 229. 50) Ibidem, Lib. VI. 230. p. 427:
p. 426.
Verſoͤhnung d. Kreuzfahrer mit Snnocenz. 339
Eifer betriebenen Kreuzfahrt zu geſtatten, wenn ein ſolcher J.
Aufſchub die Vereinigung der Kirchen befördern konnte?).
Die Kreuzfahrer hatten ſich alſo nicht in der Hoff—
nung getaͤuſcht, in welcher fie, dem paͤpſtlichen Banne
trotzend, ihre Paniere auf den Mauern von Byzanz er—
richtet hatten; und Innocenz vernahm mit Freude die
Kunde von dem Gelingen ihrer Unternehmung. Er be—
willigte daher gern dem neuen Kaiſerthume den von den
Pilgerfuͤrſten gewuͤnſchten Schutz, gebot allen Erzbiſchoͤfen,
Biſchoͤfen und uͤbrigen Praͤlaten, ſo wie den Koͤnigen und
Fuͤrſten und allen Voͤlkern der Chriſtenheit, Freundſchaft
und Friede mit dem Kaiſerthum Conſtantinopel zu halten,
legte den Geiſtlichen ſowohl als den Laien, welche in dem
Heere des Kaiſers Balduin ſich befanden, die Verpflichtung
auf, die Herrſchaft der Lateiner in Byzanz, insbeſondere
wegen ihrer Wichtigkeit fuͤr die Wiedereroberung des heili—
gen Landes, mit aller Anſtrengung ihrer Kraͤfte zu behaupten,
und verſprach dem Kaiſer ausdruͤcklichen Beyſtand ſowohl
zur Behauptung der am Bosporus gemachten Eroberungen,
als zur Vollziehung des Kreuzzugs nach dem gelobten
Lande 2). Auch beſtaͤtigte er die von dem Cardinal Peter
verfuͤgte Loͤſung des uͤber die Venetianer ausgeſprochenen
Bannes 3), und verſagte zwar dem Dogen Heinrich Dan-
dulo die, wegen ſeines hohen Alters und der Gebrechlich—
keit ſeines Koͤrpers, nachgeſuchte Aufhebung feines Ge⸗
luͤbdes, geſtattete ihm aber, ſo lange in Conſtantinopel
zu bleiben, als das Heer der Pilger wegen der Befeſtigung
des neuen Kaiſerthums die Fahrt nach dem gelobten Lande
aufzuſchieben gedaͤchte. Zugleich verſicherte Innocenz, daß
er beſonders aus Ruͤckſicht auf die hohen Gaben, welche
51) Epist, Innoc, Lib. VII. 206. 32) Ib. Lib. VII. 188. p. 578 876.
(an den Dogen von Venedig) p. 623. 53) Ib. Lib. VII. 207. p. 625, 626
Y 2
340 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. KL
IE dem Dogen von Gott verliehen waͤren und dem heiligen
Lande hoͤchſt näßlich werden würden, es nicht uͤber ſich
nehmen koͤnnte, das Geluͤbde eines fo hochbegabten
Mannes aufzuheben; er ermahnte aber den Dogen, ſo
wie er bisher der Welt mit großem Ruhme gedient haͤtte, ſo
kuͤnftig Gott und nicht ſich ſelbſt zu dienen und die Kirche
und deren Diener zu beſchirmen, wofuͤr ihm die göttliche
Belohnung nicht entgehen würde ).
Mit den kirchlichen Anordnungen, welche zu Conftans
tinopel waren getroffen worden, war Innocenz der Dritte
ſehr unzufrieden. Er erklaͤrte die Verabredung, nach
welcher das Kirchengut im griechiſchen Reiche eben ſo gut
wie jedes andere Gut zur Theilung gebracht und nur fuͤr
einen anſtaͤndigen Unterhalt der Geiſtlichkeit geſorgt mer:
den ſollte, fuͤr durchaus verwerflich, als den anerkannten
Rechten der Kirche widerſprechend, befahl den Biſchoͤfen
und Aebten, welche im Heere der Pilger ſich befanden,
der Theilung der Kirchenguͤter im griechiſchen Reiche mit
allen kirchlichen Waffen ſich zu widerſetzen, und gebot
ernſtlich, dem Kaiſer ſowohl als dem Dogen von Venedig,
jene Verabredung ſofort zu vernichten, als unvertraͤglich
mit der Ehre der roͤmiſchen Kirche, welche die Pilger mit
allen Kräften aufrecht erhalten zu wollen fi ruͤhmten °°),
Auch die Wahl des Patriarchen ſchalt Innocenz uͤbereilt
und ungebuͤhrlich, weil die Stiftsherren, von welchen
dieſe Wahl geſchehen war, der paͤpſtlichen Anerkennung
und Beſtaͤtigung ermangelten, alſo auch nicht das Recht
haben koͤnnten, ſich ein Haupt zu waͤhlen, und weil uͤber—
haupt den Layen die Befugniß, uͤber geiſtliche Angelegen—
heiten und Aemter zu ſchalten, nicht zuſtaͤnde. Nichts⸗
24) Epist. Innoc. Lib. VII. 806. #5) Ibidem, Lib, VII. %6. 208.
p. 624. 625. p. 625. 626.
Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 341
deſtoweniger beſtaͤtigte er den erwaͤhlten Patriarchen Tho, J nr
mas, ſowohl aus Achtung fuͤr deſſen Perſon, als auch in der
Ruͤckſicht, daß die Kirche von Conſtantinopel nicht laͤnger
ohne Oberhaupt bleiben moͤchte, ertheilte ſelbſt dem neuen
Patriarchen zu Rom nicht nur die Weihen des Diakonats
und des Prieſterthums, ſondern auch die biſchoͤfliche Weihe,
übergab ihm das erzbiſchoͤfliche Palllum, verlieh ihm und
ſeinen Nachfolgern wichtige Rechte, und empfahl ihn
auf das Angelegentlichſte dem Kaiſer Balduin und allen
Anderen, welche in dem neuen Kaiſerthume Anſehen und
Einfluß beſaßen ). Als der Kaiſer Balduin in einem
56) Epist. Innoc. Lib. VII. 293.
20 4. P. 621, 622, Lib. VIII. go. p. 666.
Innocenz betrachtete, um dem Rechte
der römiſchen Kirche nichts zu ver:
geben, ſeine Beſtätigung als eine
neue Wahl: Eundem Subdiaconum
uostrum (Thomam), tamquam mem-
brum Apostolicae sedis, elegimus
et confirmavimus eidem (Constanti-
nopolitanae) Ecclesiae Patriarcham,
Lib. VII, 203. Doch erklärte der
Papſt in einer eigenen Urkunde
(Epist. L. VIII, 23. III. Kal, April
1204), daß dieſe von ihm verfügte
Wahl, wozu ihm das Recht des—
wegen zuſtände, weil nach der Erobe—
rung von Conſtantinopel durch die
Lateiner die dortige Kirche noch nicht
geordnet worden wäre, dem Wahlrechte
der Kirche von Conſtantinopel für die
Zukunft nicht nachthellig ſeyn ſollte.
Die Weihe des Thomas Moroſini als
Diakonus wurde von dem Papſte
Innocenz dem Dritten am Gonns
abende nach Quatember in den Fa⸗
ſten (Sabbato quatuor Temporum
Quadragesimae, 20. März 1204), Def:
ſen Weihe zum Prieſter aber am
Sonnabende nach Mitfaſten (3. April
1209) vollzogen; am folgenden Sonn:
tage (4. April 1204) erhielt der Pa:
triarch die biſchöfliche Weihe eben:
fals von den Händen des Papſtes in
St Peter, ſpäter auch, nachdem er
den gewöhnlichen Eid der Erzbifchüfe
geleiſtet hatte, das Pallium. Gesta
Innoc. III. o. 98. In der Urkunde,
womit Innocenz dem Patriarchen das
Pallium übergab (Epist. Lib. VII,
19.), beſtimmte er nach gewöhnlicher
Weiſe die Feſttage, an welchen der
Patriarch daßelbe überall, nur Rom
und den Ort, wo der Papſt ſelbſt
wäre, ausgenommen, tragen ſollte,
und verlieh ihm zugleich das Recht,
bey feyerlichen Zügen eines weißen
Hferdeg mit großer weißer Decke ſich
zu bedienen (usum nacci s. nacti,
vgl. Ducange Gloss, med, et ink.
latinit, v. nactum). Die übrigen
Rechte, welche Innocenz dem neuen
lateiniſchen Patriarchen von Conſtan⸗—
tinopel durch mehrere Urkunden (am
30. März 1204) verlieh, waren vor⸗
nehmlich: 1) diejenigen, welche wider
Geiſtliche oder andere in dem Schutze
der Kirche ſtehende Perſonen Gewalt⸗
thätigbeit geübt hätten, fo wie auch
342 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
2: h demuͤthigen Schreiben an den Papſt um die Zuſendung
von Miſſalien, Brevieren und andern zum Gottesdienſte
nach roͤmiſcher Weiſe nothwendigen und dienlichen Buͤchern
bat, wenigſtens um Abſchriften davon zu nehmen °7), und
zugleich den Wunſch aͤußerte, daß Weltgeiſtliche ſowohl als
Moͤnche, vornehmlich aus dem Orden der Ciſtercienſer und
den Kloͤſtern, welche die ſtrengere Zucht des Kloſters von
Clugny befolgten, in das Land der Griechen kommen und
dort den Gottesdienſt ordnen und beſorgen moͤchten: ſo
erließ Innocenz nicht nur an die franzoͤſiſchen Praͤlaten
ein Rundſchreiben, worin er ſie aufforderte, die Kirchen
des griechiſchen Kaiſerthums mit den zum Gottesdienſte
erforderlichen Buͤchern zu verſehen, und dem Wunſche
des Kaiſers gemaͤß gelehrte und rechtſchaffene Geiſtliche
aus ihren Sprengeln nach Conſtantinopel zu ſenden, um
die dort neugepflanzte Kirche zu pflegen; ſondern er for—
derte insbeſondere die Meiſter und Lehrlinge der hohen
Schule in Paris auf, nach Griechenland zu eilen und das
Studium der Wiſſenſchaften in dem Lande, wo der An—
Verfälſcher (falsarios), welche die
Siegel des Patriarchen oder der Un:
terthanen deſſelben nachgemacht hät⸗
ten, an des Papſtes Statt zu abſol—
viren, 2) die Salbung der Könige im
Reiche von Conſtantinopet auf ge:
ſchehene Aufforderung und mit Ge—
nehmigung des Kaiſers zu verrichten,
3) am Sonntage und andern Feyer:
tagen taugliche Männer zu Subdia⸗
konen zu erheben und überhaupt,
weil es der Kirche zu Conſtantinopel
noch an kanoniſch eingeſetzten Geift:
lichen mangele, über die dortigen
kirchlichen Aemter mit gehöriger Be:
rückſichtigung der dafür erforderlichen
Eigenſchaften und Fähigkeiten zu
verfügen, 4) über die Güter feiner
Kirche, nach eingeholtem Nathe ver:
ſtändiger Männer, wie es das Be
dürfnißs erfordere, und ohne aus:
drückliche Genehmigung des römiſchen
Stuhls für jeden beſondern Fall, zu
verfügen. Epist. Innoc. III. Lib. VIII,
20 — 24. a
57) Postulavit (Balduinus) Mis-
salia, Breviaria ceterosque libros,
in quibus Officium Ecclesiasticum
secundum instituta sanctae Roma-
nae Ecclesiae continetur, saltem
pro exemplaribus, ad partes illas
faceremus transmitti. Epist. Innoc.
TI. Läb. VIII, 70. p. 712 (vom
23. Mai, VIII. Kal. Junii, 1203).
-
Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 343
fang aller Kunſt und Wiſſenſchaft geweſen, wieder herzu— *
ſtellen ). Allein, obwohl der Papſt die Meiſter und
Lehrlinge zu Paris ermahnte, zu bedenken, wie viel Muͤhe
und Anſtrengung es ihren Vorfahren gekoſtet haͤtte, die
Kenntniſſe zu erlangen, welche dagegen ihnen ſelbſt mit
aller Bequemlichkeit dargeboten wuͤrden, und zugleich ihnen
die Zuſage gab, daß ihrer als Belohnung für die Unter
weiſung der Griechen in jenen Kenntniſſen nicht blos
himmliſcher und ewiger Gewinn, ſondern auch irdiſche
Vortheile aller Art in einem Lande warteten, welches mit
Gold, Silber und Edelſteinen angefuͤllt, mit Getreide,
Wein und Oel zum Ueberfluſſe verſehen und uͤberhaupt
mit allen zeitlichen Guͤtern geſegnet waͤre: ſo ſcheint jene
paͤpſtliche Aufforderung und Ermahnung doch auf der
hohen Schule zu Paris nicht von großer Wirkung gewe—
ſen zu ſeyn. Dagegen ſtiftete der Koͤnig Philipp Auguſt
von Frankreich damals zu Paris ein conſtantinopolitani⸗
ſches Collegium, in welchem junge Griechen nach franzoͤ⸗
ſiſcher Weiſe erzogen und beſonders in der lateiniſchen
Sprache unterrichtet werden ſollten, damit ſie, wenn ſie
in ihr Vaterland zuruͤckkehrten, als Vermittler zwiſchen
ihren Landsleuten und ihren lateiniſchen Beherrſchern
dienen und ein friedliches und vertrauliches Verhaͤltniß
derſelben befoͤrdern moͤchten; die Abſicht aber, in wel—
cher der Koͤnig dieſe Anſtalt ſtiftete, wurde durch das
Betragen der franzoͤſiſchen Ritter in Conſtantinopel
vereitelt“.
58) Quatenus ibi studeretis litte- 7 Nach elner von Duboulay
rarum studium reformare, unde (Hist. univexsitatis Paris. T. III.
noscitur exordium habuisse, Epist. P. 10) mitgetheilten Sage wurde der
Innoe, III. Lib. VIII, .. (Magistris König zur Anlegung dieſes Colle—
et scholaribus Pari; isibus, vom giums zu Paris am Ufer der Seine,
Jabre 1205) p. 713. nahe dem Platze Maubert (Forum
J. Chr.
1204,
344 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Der Patriarch Thomas, als er nach Conſtantinopel
kam, fand ungeachtet der paͤpſtlichen Empfehlung weder
liebreiche, noch ehrenvolle Aufnahme; denn die franzoͤſi—
ſchen Geiſtlichen leiſteten nicht nur ſeiner Aufforderung,
ihm entgegen zu kommen und ihn mit den uͤblichen und
ſchuldigen Ehrenbezeigungen zu empfangen, keine Folge,
ſondern erhoben ſelbſt bey dem paͤpſtlichen Legaten, dem
Cardinal Peter, eine feyerliche Appellation gegen die Wahl
und Ernennung des Thomas Moroſini; indem ſie behaup—
teten, daß er durch Verſchweigung der Wahrheit und
falſche Angaben die Wahl und Ernennung zum Patriar—
chen bey dem apoſtoliſchen Stuhle ſich erſchlichen haͤtte.
Auch trotzten die franzoͤſiſchen Geiſtlichen, da der paͤpſt—
liche Legat ihre Appellation annahm und als begruͤndet
anerkannte, dem Banne, welchen der Patriarch uͤber ſie
ausſprach, und verweigerten uͤberhaupt dem Patriarchen
den Gehorfam ). Da nun weder der Cardinal Peter,
noch der Cardinal Suffried, welche Innocenz mit der
Vollmacht, die Angelegenheiten des heiligen Landes zu
ordnen, ausgeſandt hatte, dazu angewieſen waren, in
die Verhaͤltniſſe des neuen Kaiſerthums ſich zu miſchen,
ſondern aus eigenem Antriebe aus Syrien nach Conſtan—
tinopel gekommen waren *): fo ſandte der Papſt den
Malberti), dadurch veranlaßt, daß
der Kaiſer Balduin eine große Zahl
junger Griechen zur Erziehung in
franzöſiſchen Sitten nach Paris ſandte
(misisse dicitur in Galliam quam
plurimos lectos pueros graecos Lu-
tetiae in artibus, moribus et exer-
citiis Christianis erudiendos), File:
fac, in der von Duboulay angeführ:
ten Stelle des Buchs de Statutis
Theologiae, äußert die Vermuthung,
daß die griechiſchen Knaben, welche
in jenem Collegium erzogen wurden,
als Geiſel für den Gehorſam und die
Unterwürfigkeit ihrer Eltern und Ber:
wandten betrachtet wurden.
60) Gesta Innoc. III c.. 100.
61) Occupationes assiduae, qui-
bus plus solito praegravamur, nos
ad eandem (Constantinop.) Eccle-
siam accedere personaliter non per-
mittunt, etsi audiverimus, illuc
dilectos filios, 8. tituli 8. Praxedis
et P. tituli S. Marcelli Presbyteros
4
’
| Kirchliche Anordnungen zu Conſtantinopel. 345
Cardinal Presbyter Benedictus von St. Suſanna als
ſeinen Legaten nach Conſtantinopel, um dem Patriarchen
Thomas die gebuͤhrende Anerkennung zu verſchaffen, die
Widerſpenſtigen zu ſtrafen und zum ſchuldigen Gehorſame
zu zwingen, und dadurch Eintracht in der dortigen Kirche
zu bewirken »). Der Cardinal Benedict erfüllte nicht
nur dieſen Auftrag mit Geſchicklichkeit, ſondern ſchloß
auch wegen der Einkuͤnfte der Kirche von Conſtantinopel
mit dem Grafen Heinrich von Flandern als damaligem
Reichsverweſer, den Baronen, Rittern und dem Volke
von Conſtantinopel einen Vertrag, welchen Innocenz der
Dritte durch feine, Genehmigung bekraͤftigte s). Seit
Cardinales, apostolicae Sedis Lega -
tos, de Hierosolymitanis partibus
accessisse; quia tamen super hoo
mandatum non habuerant speciale,
eto. Ep. Innoc. III. Lib. VIII, 55.
(an den Kaiſer von Conſtantinopel)
p. 701. 702.
62) Epist. Innoc. III. I. o.
63) Dieſer Vertrag, welcher zwi—
ſchen dem Cardinal Benedictus und
dem Patriarchen Thomas Moroſini
an der einen und dem Grafen Hein:
rich von Flandern, den Baronen,
Rittern und dem Volke (Barones et
Milites et Populus) des Kaiſerthums
an der andern Seite in der Kirche
der göttlichen Weisheit (apud san-
ctam Sophiam) zu Conſtantinopel am
17. März (XVI. Kal. Apr.) 1206 ab-
geſchloſſen wurde, enthielt folgende
Beſtimmungen: x) die Kirchen ſollen
von allen liegenden Gründen jeder
Art, fo wie von der Fiſcherey (pis-
cariarum in mari et aqua dulci),
den Salzwerken, den Zöllen und
allen übrigen Gefällen (passagiorum,
teloneorum terrae et maris) den
funfzehnten Theil erhalten; davon
ſollen jedoch ausgenommen ſeyn a) die
Münzhäuſer (casalia monetae), wo⸗
für auf andere Weiſe nach deren
Werthe die Kirchen entſchädigt wer:
den ſollen, ſo wie b) auch das Land,
welches an der Mauer von Conſtan—
tinopel, vom goldenen Thore bis zum
Blachernenthore, liegt und das Land
innerhalb der Mauer bis zum Meere,
und endlich noch c) die Abgaben,
welche von den verſchiedenen Gegen:
ſtänden des Handels im Namen oder
zum Vortheile der Stadt Conſtan—
tinopel (nomine civitatis) innerhalb
oder außerhalb derſelben erhoben
werden; wird aber in Conſtantinopel
J. Chr.
120.4.
oder an andern Orten eine ſolche Ab⸗
gabe für eine andere Stadt oder ir—
gend einen andern Ort erhoben, ſo
ſoll davon ebenfalls der funfzehnte
Theil der Kirche zufallen. 2) Einen
gleichen Theil ſollen die Kirchen von
der jährlichen Schatzung (annuus
census) erhalten, über welche der
Graf Heinrich etwa mit einer Land⸗
ſchaft, Stadt, Burg oder Inſel,
ih
—
346 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI.
2284 dieſer Zeit war ein freundfchaftliches Verhaͤltniß zwiſchen
dem Papſte und den Pilgern, welche Conſtantinopel er—
welche er nicht unterjochen kann,
einig werden ſollte; auch wenn er
einen Theil des Reichs als Lehen oder
Geſchenk vergeben oder auf andere
Weiſe veräußern will, fo ſoll davon
den Kirchen der ihnen gebührende
funfzehnte Theil ausdrücklich vorbe:
halten werden. 3) Die Theilung des
Landes ſoll in Folge dieſer Verab⸗
redung durch rechtſchaffene Männer
(bonos viros), welche binnen a“
Tagen nach Vollziehung der Urkunde
(post bullatum praesens instru-
mentum) von beiden Seiten erwählt
werden ſollen, geſchehen; dieſe Män⸗
ner ſollen nach geleiſtetem Eide und
mit Gewiſſenhaftigkeit von jedem
Grundſtücke (de possessione cuius-
libet terrae et aquac) funfzehn Theile
machen, wenn ſie nicht anders ſich
einigen können, eine Verlooſung an⸗
ordnen und den Kirchen zuweiſen,
was ihnen durch das Loos zufällt.
Die Vertheilung des Landes ſoll bis
zum nächſten Pfingſtfeſte vollendet
ſeyn. 4) Die Klöſter (Claustra)
innerhalb und außerhalb der Städte
ſollen frey der Kirche verbleiben (li-
bera erunt Ecclesiae) und nicht in
dieſe Theilung gezogen werden. Wenn
über den Umfang eines Kloſterlandes
(de quantitate claustrorum Streit
entſtehen ſollte, ſo ſoll binnen acht
Tagen nach erhobenem Streite von
jeder der beiden Parteyen ein taug⸗
licher Mann und von dieſen beiden
Schiedsrichtern noch ein dritter ge⸗
wählt werden; dieſe Schiedsrichter
ſollen binnen zwanzig Tagen den
Streit entſcheiden; und was ſie
nach geleiſtetem Eide entweder ein:
ſtimmig oder nach der Mehrheit
der Stimmen für billig und recht:
mäßig achten, ſoll für immer gültig
und rechtskräftig bleiben. Die Be:
feſtigung eines alten Kloſters, falls
ſie dringend nothwendig werden ſollte
(ei pro ardua necessitate terrae
antiqua claustra fuerint incastel-
landa), darf nicht anders, als mit
Bewilligung des Patriarchen dder
Diöceſanbiſchofs geſchehen; und wenn
darüber Streit entſtehen ſollte, fo ſoll
darüber auf die eben angegebene
Weiſe entſchieden werden. 8) Die
Zateiner ſollen von dem Getreide
(blada), den Hülſenfrüchten und an⸗
dern Früchten des Feldes und der
Weinberge, welche ſie bauen oder auf
ihre Koſten bauen laſſen werden,
eben ſo von den Früchten ihrer Bäu⸗
me und Gärten (quos pater fami-
lias in usus comedendi et munus-
culorum bona ſide convertet), ſo
wie von dem Futter des Viehs und
von Bienen und Wolle, den Zehnten
an die Kirchen entrichten; auch ſoll
es den Kirchen unverwehrt ſeyn, in
der Folge der Zeit auch die Griechen
durch Ermahnung und Zureden zur
Entrichtung des Zehnten zu bewegen.
6) Alle Geiſtliche und Kirchen und
deren Beſitzungen, ſo wie diejenigen,
welche auf dieſen Beſitzungen und in
den Kirchen wohnen, fo wie über:
haupt alle der Kirche angehörigen
Perſonen (xeligiosae personae), Grie⸗
chen ſowohl als Lateiner, und welche
mit ibnen zuſammen wohnen (mo-
rantes cum praedictis ), auch die
Klöſter (claustra Ecclesiarum) und
deren Bewohner und alle diejenigen,
welche ihre Zufucht zur Kirche neh⸗
men, ſollen frey ſeyn von jeder welt⸗
4
Fernere Eroberungen der Kreuzfahrer. 347
> obert hatten; und die Pilger richteten daher, als bal
nach ihrer Ausſoͤhnung mit dem paͤpſtlichen Stuhle ſchlimme
Gefahren und Bedraͤngniſſe uͤber das neue Kaiſerthum
kamen, und die Barone ſich genoͤthigt ſahen, ihre Waf—
fenbruͤder in der Heimath um Huͤlfe zu bitten, vertrauens—
voll auch an Innocenz den Dritten das Geſuch um ſeinen
Beiſtand ).
a Die Herrſchaft der Pilger am Bosporus und an der
Propontis erweiterte ſich im Anfange mit einer Schnellig—
keit und Leichtigkeit, welche alle Erwartung uͤberſtieg;
und es konnte daher mit Recht der Hoffnung Raum ge—
geben werden, daß mit einiger Unterſtuͤtzung aus der
Heimath es dem Pilgerheere moͤglich ſeyn wuͤrde, das
ganze damalige griechiſche Kaiſerthum zu erobern und
lichen Gerichtsbarkeit (ab omni Lai-
cali jurisdictione, secundum libe-
raliorem consuetudinem Franciae),
mit Vorbehalt aller Rechte und Vor:
züge der römiſchen Kirche und der
Kirche von Conſtantinopel, des Pa—
triarchen, des Kaiſers und des Rei⸗
ches. 7) Von jeder künftigen Er⸗
oberung ſoll die Kirche zuvor den
funfzehnten Theil erhalten, ehe irgend
einem Anderen etwas davon zuge—
theilt wird. Der Papſt beſtätigte die:
fen Vertrag zu Ferentino ams Auguft
(Nonis Augusti) 1206. Epist. Innoc.
III. Lib. IX, 142. p. 958 — 960.
Die Venetianer konnten feit dieſem
Vertrage nicht einmal das Patriar—
chat ausſchließend behaupten, und
von den ſieben Patriarchen, welche
die Kirche von Conſtantinopel wäh—
rend der Dauer des dortigen lateini—
ſchen Kaiſerthums regierten, war
außer Thomas Morofini nur der letzte,
Pantaleon Giuſtiniani, ein Venetia⸗
*
ner; ihn ernannte Innocenz IV. aus
Gefälligkeit gegen die Venetianer und
auf deren Empfehlung (à cause qu'ils
estoient presque les seuls qui sous-
tenoient le faix des affaires dans
l’Empire et qui en empe£choient
Ventiere decadence) zum Patriarchen
von Conſtantinopel und Legoten des
apoſtoliſchen Stuhls. Ducange His-
toire de Constantinople sous les
Emper. Franc. Liv. V, 3. p. 158.
64) Lors (im Jahre 1205, unmit:
telbar nach der unglücklichen Schlacht
bey Hadrlanopolis, in welcher der
Kaiſer Balduin in die Gefangenſchaft
der Bulgaren gerathen war) pris-
trent li Baron un conseil, que il
envoieront a I Apostoille de Rome
Innocent et en France et en Tlan-
dres et par les autres terres pour
conquerre secors; por ce secors fu
envoiez Novelons de Soissons et
Nicholes de Mailly (et) Johans de
Bliaus. Villehard. S. 180.
d J. Chr.
1204.
j
348 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. XI.
3 cr den Vertrag in Wirklichkeit zu ſetzen, durch welchen alle
Provinzen und Staͤdte jenes Kaiſerthums in Europa und
Aſien zwiſchen dem Kaiſer, der Republik Venedig und
den Pilgern getheilt wurden °°).
Sobald Balduin als Kaiſer war gekroͤnt worden, ſo
ertheilte er dem Markgrafen Bonifaz auf deſſen Begehren
und in Folge der, vor der Kaiſerwahl getroffenen, Ver—
abredung die Belehnung mit den Laͤndern jenſeit des Meeres;
der Markgraf aber, als er ſah, daß der Kaiſer Balduin
geneigt war, ſeine Wuͤnſche zu beruͤckſichtigen, erbat ſich
ſtatt der aſiatiſchen Länder, deren Beſitz nicht ohne Schwie;
rigkeit erlangt und behauptet werden konnte, die Stadt
Theſſalonich und das dazu gehoͤrige Land als ein Koͤnig—
thum, welches ihm wegen ſeines Verhaͤltniſſes zu dem
Koͤnige von Ungarn, mit deſſen Schweſter er ſich ſo eben
vermaͤhlt hatte, bequemer gelegen war und mit Huͤlfe
ſeines Schwagers leichter vertheidigt werden konnte, als
die Laͤnder jenſeit des Meeres. Dieſen Wunſch gewaͤhrte
der Kaiſer Balduin nach einiger Bedenklichkeit, der
Markgraf leiſtete ihm als Koͤnig von Theſſalonich den
Lehneid, und das ganze Heer war erfreut uͤber dieſen
Beweis der Eintracht des Kaiſers mit dem Markgrafen,
65) Die Theilung des Reichs (f.
Beyl. 1.) wurde im Oktober 1204 vers
abredet: Lors (nach der gegen das
Ende des Monats September erfolg—
ten Rückkehr des Kaiſers Balduin
von dem Zuge nach Theſſalonich)
commenga en les terres departir;
li Venisien orent la lor part et
host des Pelerins l'autre. Villeh.
S. 123. Günther (p. xvır) drückt
ſich ſehr unbeſtimmt über die Thei⸗
lung des Reichs alſo aus: Deinde
(nämlich nach der Krönung des Lak
ſers Balduin) minores possessiones,
veluti castella, villae et municipia,
et quae huiusmodi sunt alia, in
illas Personas, quae ad hoc magis
idoneae putabantur, distributae
sunt. Nicetas erwähnt (S. 383 und
400) der von einer geringen Schar
von Cateinern (oe Kaunavuv
var Aarivwv evovvonrros) gemach⸗
ten Thellung von Ländern, über dee
ren größten Theil ſie noch gar nicht
verfügen konnten, mit großem Uns
willen.
Fernere Eroberungen der Kreuzfahrer.
349
welcher von allen Pilgern wegen ſeiner Freygebigkeit
eben ſo ſehr geliebt, als wegen ſeiner ritterlichen Tapfer⸗
keit geachtet wurde °°).
Die Pilger erleichterten ſich die Eroberung einer be—
deutenden Zahl von Staͤdten dadurch, daß ſie, ſobald
die erſten nothwendigen Anordnungen in Conſtantinopel
beendigt waren, den Schrecken benutzten, welchen der
Fall der Hauptſtadt in den Provinzen verbreitet hatte.
Zur Beſchleunigung ihrer fernern Eroberungen wurden ſie
auch bewogen durch die Nachrichten, welche ihnen gebracht
wurden, daß Alexius Angelus ſich zu Moſynopolis, einer
Stadt am Gebirge Rhodope, aufhielt °7), und von dem
66) Villehard. S. 108. 109.
67) Der Stadt Moſynopolis (bey
Villehardouin Messinoples) wird
von den byzantiniſchen Schriftſtellern
oft erwähnt, ihre wahre Lage und
ihr gegenwärtiger Name ſind aber
zweifelhaft. Sie lag, wie Villehar—
douin (S. 113) andeutet, an einem
Fluſſe (vers Messinoples sor le
lum), auf dem Wege von Adrias
nopel nach Theſſalonich, unfern und
oberhalb von Kypſella (Villehard.
S. 205) , zwiſchen Kypſella und Ser—
rade (Villehard. S. 206), und in der
Nähe des Gebirges Rhodope, welches
daher von Villehardouin (S. 207) la
Montaigne de Messinople genannt
wird. Der von Villehardouin ange—
deutete Fluß kann kein anderer ſeyn,
als entweder der ſchon aus Herodot
(VII, 198.190) bekannte Fluß Melas (oder
Lariſſa, zoıwws „Aagıooa), welcher
nach Kypſella feinen Lauf nimmt (le
Hum, qui cort soz la Capesale,
Willeh. S. 205. Vgl. Meletii Geo-
graphia ed. Anthimus Gazes T. 3.
p. 63. 104), oder der Neſſus (Næoos).
Ducange ift (ad Villehard, S. 324)
der Meinung, daß Moſynopolis die
von Ammianus Marcellinus (XXVII,
4.), Conſtantinus Porphyrogennetus
(de thematibus Lib. II, praefectura
Thraciae) und andern Schriftſtellern
genannte Stadt Maximianopolis ſey.
Dieſer Meinung ſteht aber entgegen,
daß die Trümmer dieſer jetzt zerſtörten
Stadt in der Nähe des Sees Biſtonis
und nicht an einem Fluſſe liegen
(Meletii Geogr. 1. c. p. 103.) . Viel⸗
leicht iſt Moſynopolis die unfern von
Nikopolis am Fluſſe Neſſus gelegene
Stadt Drufipara, welche noch jetzt
in der gewöhnlichen Sprache Miſyni
genannt wird. Von dieſer Stadt
giebt Meletius Ca. a. O.) folgende
Nachricht: oνu·? a, to ſis or
us Voovov ’Enıoxomov uno Tov
"Adgıavovnolsus Mnroonokirnv,
znv ünoiav Alyovo vd sivaı 7
Mooxvounolıs, Koıwas tavov Mı-
ovvi. Soviel wir wiſſen, fo geſchieht
der Stadt Moſynopolis zuerſt Erwäh—
nung in dem Kriege des Kaiſers Ba—
J. Chr.
1204.
350 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
umliegenden Lande noch als Kaiſer anerkannt wuͤrde, Ale—
rius Murtzuflos aber der Stadt Tzurulos ??), welche in der
Theilung des griechiſchen Reichs dem Kaiſer Balduin war
zugewieſen worden, ſich bemaͤchtigt haͤtte, und einzelne
vornehme Griechen zu unabhaͤngigen Herren mehrerer
Staͤdte dieſſeit und jenſeit des Meeres ſich aufzuwerfen
anfingen. Nachdem im Kriegsrathe, wozu der Kaiſer
den Dogen von Venedig und die Barone des Heeres
berufen hatte, die Eroberung der uͤbrigen Staͤdte des
Landes Romanien beſchloſſen worden war: ſo zog
zuerſt der Graf Heinrich von Flandern mit hundert Rit—
tern aus; nicht nur alle kleine Staͤdte, vor welchen
er erſchien, ergaben ſich dieſen wenigen Rittern ohne
Widerſtand und huldigten dem lateiniſchen Kaiſer von
Byzanz, ſondern auch die volkreiche Stadt Adrianopel
oder Oreſtias oͤffnete ihnen die Thore; und Heinrich er—
wartete dort die Ankunft ſeines Bruders, des Kaiſers
Balduin, welcher mit dem Marſchall der Champagne,
Gottfried Villehardouin, den Rittern Milo aus Brabant,
Manaſſe von Lilles und vielen Anderen ihm folgte, waͤh—
rend der Doge von Venedig und Cono von Bethune in
den Paläften der Blachernen und Bukoleon geblieben
waren und Conſtantinopel huͤteten ?”); der Graf Ludwig
ſilius gegen die Bulgaren im Jahre
1014. ©. Cedreni historiarum com-
pendium (ed, Paris.) p. 708. 709.
68) Villehard. S. 109. 110. Die
Stadt Tzurutos (TLovgeviös), jetzt
Tſchorlu, welche am Fluſſe Bethy⸗
nios auf dem von Adrianopel nach
Conſtantinopel führenden Wege liegt
(Meletii Geogr. I. c. p. 103. 104),
wird von Villehardouin le Churlot,
auch le Curlot genannt, und iſt nach
feiner Angabe S. xꝗ4r. 160 drey Tage:
reiſen von Conſtantinopel entfernt
(ere à trois jornees de Constanti-
nople). Villehard. S. 112.
69) Damit Conſtantinopel, ſetzt
Villehardouin S. 110 hinzu, welches
erſt neuerlich erobert und von Gries
chen bevölkert war, ſicher ſeyn möge:
Le conseil si fu tels, qu'il s'accor-
derent qu'il (L' Empereor) issist
fors à tote s’ost (son armée) et por
vi N
Blendung des Alexius Murtzuflos. 351
von Chartres und Blois aber war noch immer krank und I,£h"
konnte auch an dieſen Unternehmungen nicht Theil nehmen.
Der Kaiſer und ſeine Ritterſchaft fanden nicht minder, als
zuvor der Graf Heinrich, in allen Staͤdten, in welche
ſie kamen, ehrenvolle Aufnahme, und Murtzuflos entwich
aus Tzurulos, als die Ritter ſich naͤherten, und floh
mit ſolcher Haſt, daß er den Rittern, welche ihm folgten,
immer um zwey oder drey Tagemaͤrſche voraus war. So
unterwarf ſich das ganze Land bis nach Adrianopel dem
Kaiſer Balduin 9).
Der Kaifer vernahm zu Adrianopel, daß Alexius
Murtzuflos, welcher in der Hoffnung, bey Alexius Angelus,
deſſen Tochter Eudocia ſeine Gemahlin geworden war,
einen ſichern Aufenthalt zu finden, nach Moſynopolis ſich
begeben und mit ſeiner Begleitung vor den Thoren dieſer
Stadt ſich gelagert hatte, zwar von ſeinem Schwieger—
vater mit dem Scheine von Freundlichkeit, empfangen,
bald aber, durch eine Einladung zum Mittagseſſen und zum
Bade in die Stadt und in die Wohnung des Kaiſers Ale us
Angelus gelockt, feiner Augen beraubt worden war 7*);
conquerre la terre et laissast Con- zum Vorſchein, kehrten dann aber mit
stantinople garnie, qui ere novel- feigem Muthe (deilavdgor) dahin zu:
lement conquise et ere poplee de gie, woher fie mit Trotz und Zuverſicht
Hex, ae 55 i (Ieaovzapdor) ausgezogen waren,“
aun durchſtreifte e Nicetas S. 886. Villehardouin er⸗
ciſchen Städte, legte in Oreſtias eine wähnt weder der Stadt Tanthia,
ung d erfuhr auf gleiche noch des oon Miert erzählten dort
Weiſe mit Didymoteichon aD Phi⸗ vorgefallenen Ereigniſſes.
lippopolis; als er aber nach Xanthia
kam, ſo legte man dort unter An— 71) Villehardouin S. 117. 118 und
führung eines gewiſſen Sennacherim in der Hauptſache übereinſtimmend
(Sanherib) dem Heere des Kaiſers Georg. Acxopolites p. 5 (der Legtere
einen Hinterhalt; diejenigen, welche mit Hinzufügung des Umſtandes, daß
ſich in den Hinterhalt gelegt hatten, auch Eudocia an dem Bade Theit
tamen zwar auf einen Augenblick nahm und, ats die Blendung ihres
a
352 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Ka p. IX.
2. und dieſe Kunde gab den Rittern Stoff zu mancherley
Betrachtungen 2). Balduin aber ließ zu Adrianopel auf
die Bitte der Einwohner den flandriſchen Ritter Euſtach
von Salebruit mit vierzig Rittern und hundert berittenen
Knappen zuruͤck, um die Stadt gegen die Feindſelig—
keiten des Koͤnigs Johann der Walachen und Bulgaren
zu beſchuͤtzen, legte in Didymoteichon und Philippopolis
ebenfalls Beſatzungen, und zog mit den uͤbrigen Rittern
und Knappen gegen Moſynopolis. Alexius Angelus er—
wartete aber nicht ſeine Ankunft, obgleich ſeine Partey
durch viele der Anhaͤnger des geblendeten Murtzuflos,
welche zu ihm uͤbergetreten waren, ſehr bedeutend war
verſtaͤrkt worden, ſondern nahm die Flucht, und die
Einwohner von Moſynopolis kamen dem Kaiſer Balduin
entgegen und uͤberreichten ihm die Schluͤſſel der Stadt 's).
Balduin wuͤnſchte, wie es der Lage des neuen
f Reiches ſehr angemeſſen war, daß alle fernere Unter—
nehmungen zur Befeſtigung des bisher erworbenen Be—
ſitzes ſowohl als zur Erweiterung der Eroberungen von
den Pilgern mit ungetheilten Kraͤften ausgefuͤhrt werden
möchten; und er beſchloß daher in Moſynopolis den Mark
grafen Bonifaz zu erwarten, welcher verheißen hatte, mit
Gemahls geſchah, nach der Verſiche⸗
rung ſolcher Perſonen, welche gegen:
wärtig waren, an der Thür des Bader
zimmers ſtehend, Schmähungen und
Verwünſchungen gegen ihren Vater
ausſprach, während dieſer wegen
ihrer Verbindung mit Alexius Mur⸗
tzufos ihr die heftigſten Vorwürfe
machte). Nicetas (S. 392) erzählt
dieſe in Conſtantinopel ſehr gewöhn:
liche Grauſamkeit alſo: „Alexius
Angelus (der Vater der Eudocia) ließ
den Mann (den Alexius Murtzuftos),
ich weiß nicht, aus welcher Veran⸗
laſſung (or o 6, r nadıw),
ergreifen und blenden.“ Vgl. Gun-
ther. p. XVII. XVIII.
72) Mult en fu grant parole
entr' aus (dem Kaiſer Balduin und
ſeinen Waffengefährten), et bien dis-
trent, que il wavoient droit en
terre tenir, que si desloialment
traitoit li uns l'autre. Villehard.
S. 112.
73) Villehard. S. 113.
x
Streit 970 K. Balduin mit dem Markgr. Bonifaz. 353
Ks
feiner Ei nachzuſetzen; denn Bonifaz konnte, weil ihn ll
ſeine Gemahlin begleitete, ſeinen Marſch nicht ſo ſehr
beſchleunigen als der Kaiſer. Der Markgraf erſchien
zwar zu Moſynopolis, aber nicht mit der Abſicht, dem
Kaiſer redlichen Beiſtand zu leiſten zur Ausfuͤhrung des
Plans, welcher im Kriegsrathe zu . war
genehmigt worden.
Nachdem der Markgraf Bonifaz an dem Stufe, an
welchem die Stadt Moſynopolis lag, feine Zelte errichtet
hatte, ſo kam er am andern Tage zu dem Kaiſer und hielt
folgende unerwartete Rede: Gnaͤdigſter Herr, ich habe ver—
nommen, daß das Volk von Theſſalonich mich als feinen
Beherrſcher anzunehmen geneigt iſt, und darum bitte ich
euch, als meinen Herrn, daß ihr mir verſtatten wollt,
dahin zu gehen; und wenn ich von dem Lande Beſtitz
genommen haben werde, ſo werde ich von dorther mit
Lebensmitteln euch verſorgen und überhaupt in allen
Dingen euch zu Willen ſeyn. Beſchaͤdigt aber nicht mit
eurem Heere das mir zugedachte Land, ſondern kehrt eure
Waffen gegen den Koͤnig Johann der Walachen und
Bulgaren, welcher einen großen Theil des Landes, das
nunmehr uns gehört, ſich angemaßt hat. Der Kaifer
Balduin wurde ſehr unwillig uͤber dieſe Rede und gab
zur Antwort, daß es ſein Wille waͤre, ſein Heer nach
Theſſalonich zu fuͤhren und dort zu verfuͤgen, was den
Umſtaͤnden gemäß waͤre; und Balduin aͤnderte nicht ſei—
nen Sinn, obwohl der Markgraf ſeine Bitte wiederholte N
und die Drohung hinzufuͤgte, daß, falls der Kaiſer, ben
jenem Entſchluſſe beharrend, fein Heer nach Theſſalonich
fuͤhren wuͤrde, was unmoͤglich in guter Abſicht geſchehen
konnte, er ſich von aller Pflicht und Treue, welche er
bisher dem Kaiſer gehalten, losſagen und mit ihm ferner
V. Band. 3
J. Chr.
1304.
*
7
7
u XI.
keine Gemeinſchaft unterhalten wuͤrde. Der Markgraf
Bonifaz war zu een, Schritte durch den Argwohn bes
wogen worden, als ob der Kaiſer Balduin nicht geſonnen
waͤre, den wegen Theſſalonich geſchloſſenen Vertrag zu
halten; er ſtiftete aber einen Zwieſpalt, welcher für das
neue Reich von ſehr ſchlimmen Folgen war ).
Bonifaz trennte ſich, wie er gedroht hatte, wirklich
von dem Kaiſer mit Jacob von Avesnes, Wilhelm von
Champlite, Hugo von Colemy, dem Grafen Berthold von
Katzenellenbogen und allen deutſchen, ſo wie den uͤbrigen
Pilgern, welche ſeinem Paniere folgten, bemaͤchtigte ſich
der Stadt Didymoteichon s) und fing an, die von kaiſer⸗
lichen Rittern beſetzte Stadt Adrianopel zu belagern 7°),
waͤhrend Balduin ſeinen Zug nach Theſſalonich fortſetzte
und auf dem Wege dahin eine Stadt nach der andern
und endlich auch die Stadt Theſſalonich ſich unterwarf! :).
—
354 Geſchichte der Kreuzzuͤge. B
74) Villehard. S. 113. 1143. Nach
der Erzählung des Nicetas (S. 386)
war dem Markgrafen von Vielen
(ropa mAelorow) berichtet worden,
daß der Kaiſer die Abſicht hätte,
Theſſalonich für ſich zu behalten.
75) Villehard. S. 113. Nicet. S. 38%.
Die Stadt Didymoteichon (un chas-
tel qui li Dimot ére appelle, mult
bel et mult fort et mult riche)
wurde nach Villehardouin durch einen
dort wohnenden Griechen (per un
Greu de la ville) übergeben.
76) Villehard. S. 116. Nach Nice⸗
tas (a. a. O.) zog der Markgraf vor
Adrianopel vorbey, weil dieſe Stadt
von Balduin mit einer anſehnlichen
Beſatzung verſehen war, brachte das
gegen andere thraciſche Städte in
Bewegung ı( arasteruv), trieb
Kriegsſteuern (So gors) ein und zog
die Römer an ſich, indem er vorgab,
alle Freundſchaft und Verbindung
mit ſeinen bisherigen Waffengefähr—
ten aufgeben zu wollen.
77) Die Städte, welche auf dem
Wege von Moſynopolis nach Theſſa⸗
lonich Balduin ſich unterwarf, waren
nach der Erzählung Villehardouin's
folgende: 1) Chriſtopolis (Christo-
pole, qui ere uns [chastel] des
plus fors du monde), eine macedo:
nifche, an der Küſte der Propontis
und an der Gränze von Thracien
(f. Ducange ad Villehard. p. 325)
gelegene, Stadt, deren gegenwärtigen
Namen wir nicht kennen. N
jetzt unbekannte Stadt, welche Ville⸗
hardouin la Blache nennt und als
ſehr ſtark und reich bezeichnet
3) Setre, ebenfalls eine reiche und
feſte Stadt, welche nicht mit Serrae
2) Eine
22
Streit des K. Balduin mit dem Markgr. Bonifaz. 355
J. Chr.
1204.
Auch benutzte der Markgraf das Anſehen feiner Gemahlin,
der ehemaligen Kaiſerin, um die griechiſchen Bewohner
des Landes fuͤr ſich zu gewinnen, und ernannte ſogar
Manuel, den erſtgebornen Sohn ſeiner Gemahlin Marie
aus ihrer Ehe mit dem Kaiſer Iſaak Angelus, zum
Kaiſer 72),
Dieſer Streit wurde jedoch durch die Bemuͤhungen
des Dogen von Venedig und der zu Conſtantinopel zus
ruͤckgebliebenen Barone ſehr bald geſchlichtet. Nachdem
ſie im Palaſte der Blachernen ſorgfaͤltig daruͤber Bera—
thung gehalten, wie die zwiſchen dem Kaiſer und dem
Markgrafen entſtandene Ungunſt verſoͤhnt werden koͤnnte:
ſo uͤbertrugen ſie die Vermittelung des Friedens dem
Marſchall Gottfried Villehardouin, welcher das Ver—
trauen des Markgrafen beſaß. Villehardouin begab ſich
mit dem Ritter Manaſſe von Lisle in das Lager des
Markgrafen vor Adrianopel, bewirkte nicht blos einen
Waffenſtillſtand fuͤr die Stadt, ſondern bewog auch den
Markgrafen, ſeine Sache der Entſcheidung des Dogen von
Venedig, des Grafen Ludwig von Blois und Chartres,
des Ritters Conon von Bethune und des Marſchalls der
Champagne, als Schiedsrichter, zu uͤberlaſſen. Der Doge
von Venedig und die übrigen Barone ſandten hierauf den
Ritter Begues von Franſures, aus dem Gefolge des
Grafen von Blois, einen ſehr verfiändigen und beredten
Mann, dem Kaiſer entgegen, als dieſer, mit heftigem Zorne
wider den Markgrafen erfuͤllt, von Theſſalonich zuruͤckkam,
(la Serre bey Villehardouin) zu ver:
wechſeln iſt. Ducange (a. a. O.) hält
die Stadt Setre für die jetzt Kro
genannte Stadt, welche im Alter⸗
thume unter dem Namen Pydna be—
rühmt war und nicht weit von der
1
Mündung des Fluſſes Hallakmon lag
(Meletii Geogr. ed. Anth. Gazes
T. 2. p. 459. 460). Balduin nahm
alſo ſeinen Weg längs der Küſte der
Propontis.
78) Nicetas S. 387.
3 2
356 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Asen und ließen ihm ihre Betruͤbniß kund thun über den Streit,
welcher ſich zwiſchen ihm und dem Markgrafen erhoben,
auch ihm melden, daß der Markgraf von ſeiner Seite die
Sache dem Austrage einiger Schiedsrichter uͤberlaſſen
haͤtte, und endlich bitten, daß der Kaiſer ein Gleiches thun
moͤchte. Unter denen, welche den Rath des Kaiſers bil—
deten, waren aber Einige, welche den Haß ihres Herrn
gegen den Markgrafen abſichtlich unterhielten und ſtaͤrkten,
und in der Berathung, welche er mit ihnen hielt, die
Botſchaft der Barone in Conſtantinopel für eine unge
buͤhrliche und die kaiſerlichen Rechte verletzende Anmaßung
erklaͤrten. Der Kaiſer ſcheute ſich zwar, den Dogen von
Venedig und feine übrigen Mitpilger durch eine unwill—
faͤhrige Antwort zu beleidigen; doch gab er den Ein—
fluͤſterungen ſeiner Rathgeber ſo viel nach, daß er der
Hauptſache ausweichend alſo antwortete: ich kann zwar
mich nicht verbindlich machen zur Annahme eines ſchieds—
richterlichen Austrags, doch werde ich ſchleunigſt nach
Conſtantinopel kommen, ohne den Markgrafen auf irgend
eine Weiſe zu beſchaͤdigen. Die Barone aber und die
uͤbrigen Pilger zogen aus Conſtantinopel dem Kaiſer ent—
gegen und fuͤhrten ihn mit großen Ehren in die Stadt;
und der Zuſpruch des Dogen von Venedig und des Gra—
fen Ludwig von Chartres und Blois bewirkte, daß Bal—
duin am vierten Tage nach ſeiner Ruͤckkehr ſich willig
erklaͤrte, nach dem Austrage der Schiedsrichter in ſeinem
Streite mit dem Markgrafen Bonifaz von Montferrat ſich
zu verhalten. Es zogen hierauf die Ritter Gervaſius von
Caſtel, Reinhard von Trit und der Marſchall Gottfried
von Villehardouin, und mit ihnen zwey venetianiſche
Edle, als Abgeordnete nach Didymoteichon und luden
den Markgrafen Bonifaz ein, mit ihnen zu kommen; und
Streit des K. Balduin mit dem Markgr. Sopifage, 307
der Marſchall Gottfried Villehardouin mahnte ihn noch an
befonders, fein früher gegebenes Wort zu erfuͤllen, indem
er die Zuſicherung gab, daß er und ſeine Mitbotſchafter
den Markgrafen und ſein Gefolge ungefaͤhrdet nach Con—
ſtantinopel führen und wieder zurück geleiten wuͤrden.
Obwohl mehrere Ritter des Raths, welchen der Markgraf
Bonifaz verſammelte, der Meinung waren, daß der
Markgraf ſolcher Einladung nicht Folge zu leiſten haͤtte:
ſo kam Bonifaz; gleichwohl mit etwa hundert Rittern nach
Conſtantinopel, und der Doge von Venedig, der Graf
Ludwig von Blois und Chartres und viele andere Pilger
zogen ihm entgegen und geleiteten ihn mit großen Ehren
in die Stadt. Der Friede zwiſchen dem Kaiſer Balduin
und dem Markgrafen Bonifaz kam nunmehr ohne Schwie⸗
rigkeit zu Stande unter der Bedingung, daß der Mark—
graf in den Beſitz von Theſſalonich geſetzt werden und
Didymoteichon in die Haͤnde des Marſchalls Gottfried
Villehardouin uͤbergeben, der Marſchall aber dieſe letztere
Stadt an den Kaiſer uͤberantworten ſollte, ſobald der
Markgraf in den Beſitz von Theſſalonich geſetzt ſeyn würde,
Bonifaz begab ſich hierauf unverzuͤglich nach Theſſalonich,
und es begleiteten ihn kaiſerliche Bevollmaͤchtigte, um die
Uebergabe der von dem Kaiſer beſetzten Staͤdte und dazu
gehoͤrigen Landſchaften, welche das Koͤnigreich Theſſalonich
bilden ſollten, an den Markgrafen zu bewirken “).
79) Villehard. S. 117123 Auch Tevuaoı, Mapıoxaldos Ju rakio-
Nicetas nennt (a. a. O.) den Dar:
ſchall Gottfried (von Villehardouin)
als den Vermittler des Streites zwi—
ſchen dem Kaiſer Balduin und dem
Markgrafen Bonifaz: ’Tope£vos (der
ka 6 avno, on dot oe aar H
vas 7 gem, röv Ilgwroorggroge,
Uebrigens verkaufte der Markgraf
Bonifaz am 12. Auguſt 1804 für
. 6 1 N tauſend Mark Silbers und für Be—
Genitiv von 'Togenv)... ulya nuga fisungen von zehntauſend goldenen
rote zuv dariverv Övvanivov orEu- Vuſantien (yperperorum) jährlichen
J. Ehr.
1804.
358 Geſchichte der Kreugzüge. Buch VI. Kap. XI.
Die ſchon ohnehin nicht ſehr bedeutende Macht der
Pilger, welchen durch ein wunderbares Zuſammentreffen
beguͤnſtigender Umſtaͤnde die Eroberung von Conſtantinopel
gelungen war, theilte ſich alſo auf eben ſolche Weiſe, wie
das Reich von Jeruſalem ſogleich bey ſeiner Entſtehung
in mehrere Herrſchaften zerfallen war. Der Markgraf
Bonifaz verfolgte nun fuͤr ſich ſeinen Weg und ſuchte
ſein Fuͤrſtenthum durch weitere Eroberungen zu befeſtigen,
und es gelang ihm auch, einen großen Theil des Pelo—
ponneſes ſich zinsbar zu machen 2), vornehmlich durch
den Beyſtand der vornehmen Griechen, welche ſich ihm
angeſchloſſen hatten, in der Hoffnung, daß er es redlich
Einkünften, welche in dem weſtlichen
Theile des griechiſchen Reichs (a parte
occidentis) ihm überlaſſen werden
ſollten, an die Venetianer nicht nur
die Inſel Ereta, welche ihm ſchon
Alexius Angelus der Jüngere zugeſagt
hatte, ſondern auch ſelbſt Theffalonich
und andere Anſprüche. (De insula
Crete, quae mihi data vel promissa
vel concessa fuit per Alexium Im-
peratorem, filium Ysachii, quon-
dam defuncti Imperatoris, et de
centum millibus ypporum (yper-
perorum), qui mihi fuerunt pro-
missi per praescriptum Imperato-
rem, et de toto feudo, quod et
Manuel, quondam defunctus Impe-
sator, dedit patri meo, et de toto,
quod addicendum habui vel ha-
beo per me vel per aliam perso-
nam hominum, de Thessalica civi-
tate et eius pertinentiis intus et
foris, nec non etiam de omnibus
spiritualibus et temporalibus, quas
ipsi habent vel habituri sunt de
cetero in Imperio Constantinopoli-
tano, tam a parte orientis, quam
a parte occidentis, et per omnia et
in omnibus de suprascriptis omni-
bus me foris facio cum omni juris-
dictione, et in vestra plenissima
potestate relinquo ad faciendum
inde quicquid vestrae fuerit vo-
Die Urkunde dieſes Vers
trags wurde ausgefertigt in einer
Vorſtadt von Adrianopel (in subur-
bio Andrinopolitanae civitatis), alſo
während der Markgraf dieſe Stadt
belagerte, und eine Abſchrift derſelben
findet ſich im Liber albus (fol. 72.)
und dem Liber pactorum I. (fol,
184. B.), Handſchriften des k. k. Ges
heimen Staatsarchivs zu Wien ; vgl.
Ramnus. p. 168—170, Marin Storia
del Commercio de’ Veneziani, Vol,
IV. p. 68. 69. u
80) Nicetas S. 388. Nach der Er:
zählung des Günther (Historia Con-
stantinop. p. xvrr) fuchte der Mark:
graf Bonifaz damals auch den Abt
Martin für ſich zu gewinnen, indem
er ihm ein Bisthum in ſeinem König⸗
reiche Theſſalonich verhies; der Abt
aber wies dieſen Antrag von fich,
luntatis.)
Eroberungen in Kleinaſien. 359
mit ihnen meinte; er fand aber bald einen ſchlimmen
Widerſacher an dem Griechen Leo Sgurus ®*), welcher
zum Herrn von Korinth und Nauplia ſich aufgeworfen
hatte und den Eroberungen des Markgrafen ein Ziel
ſtellte ??). ;
Da das Land von Romanien, welches die Pilger ſich
unterworfen hatten, im Herbſte dieſes Jahrs in vollem
Frieden, und die Verbindung ſelbſt mit der, zwoͤlf Tage—
reiſen von Conſtantinopel entfernten, Stadt Theſſalonich
ſo ſicher und ungeſtoͤrt war, daß die Reiſenden ohne alle
Gefahr auf dieſer Straße hin und herzogen 83): fo kam
der Kaiſer Balduin auf den Gedanken, auch das griechiſche
Land jenſeit des Meeres, wo der aus Conftantinopel ent
flohene Kaiſer Theodorus Laskaris großen Anhang ge—
funden hatte, dem lateinifchen Kaiſerthume zu unterwerfen,
und er gab in ſolcher Abſicht dieſes Land unter dem
Namen des Herzoͤgthums von Nicaca dem Grafen Ludwig
von Blois und Chartres zu Lehen s). Die Unterwerfung
mehrerer Staͤdte in Aſien gelang wirklich, der Hafen von
Pegae wurde von den Einwohnern lateiniſcher Abkunft
an Peter von Braiecuel und Paganus von Orleans,
welche der Graf Ludwig mit hundert und zwanzig Rittern
war, und eroberte, als die Velage—
rung von Athen ihm mißlungen war,
Theben. Nicetas S. 390 — 392.
81) Un grex halt hom, qui ere
appellez Leosgur (Leo 'Szur).
Villehardouin S. 124. Leo Sguros
(6 Zyoveos Ats) bemächtigte ſich
zuerſt, wahrſcheinlich unmittelbar
nach dem Falle von Conſtantinopel,
der Herrſchaft über feine Vaterſtadt
Nauplion, unterwarf ſich hierauf,
82) Villehard. a. a. O.
85) Et la terre de Constantinople
ere en si bone pais, que li che-
mins ere si seurs, que il pooient
bien aller qui aller i voloient; et
die damaligen Verwirrungen benuz:
zend, auch Argos und Korinth, be—
lagerte dann Athen, wo damals
Michael Chonjates, der Bruder des
Geſchichtsſchreibers Niretas, Biſchof
si avoit d’une cite A autre bien
Villehard.
douze jornees grauz,
S. 1238.
84) Villehard. S. 136.
J. Chr.
1204.
Oktober
1204.
J. Chr.
“1394.
360 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
im November d. J. 1204 bey Abydus nach Aſien uͤbergehen
ließ, übergeben '); und als bald hernach auch der Graf
Heinrich von Flandern mit eben ſo vielen Rittern nach
Kleinaſien kam und in den Beſitz von Abydus ſich ſetzte: ſo
fand er nicht geringe Unterſtuͤtzung bey den Armeniern, welche
an der Kuͤſte von Kleinaſten wohnten 86), Bald hernach
ſandte Balduin noch hundert Ritter unter der Anführung
des Ritters Makarius von St. Menehoult uͤber den Arm
des heil. Georg s:). Unter ſolchen Umſtaͤnden kamen nach
und nach die Pilger ohne große Schwierigkeit in den
Beſitz von Lopadion, Adramyttium, Nikomedien und an—
deren Städten !?) und gewannen mehr als Einen Sieg
85) „Il vindrent à Lespigal, une
cite qui sor mer siet et ère poplee
de Latins. Villeh. S. 126. Nach
Nicetas (S. 388) wurde Balduin zu
dieſem Verſuche, die aſtatiſchen Pro:
vinzen des römiſchen Reichs zu er
obern, aufgefordert durch die in
Pegae wohnenden Lateiner und durch
die im Lande von Troja anſäſſigen
Armenier (Tes r uv f EẽwC -
rio Aariαν, dv % Imyai
zerwvöueorar νt ov = ν,Hj
"Apusview). Vgl. Geſchichte der
Kreuzz. Th. IV. S. 103. 106, Anm. Iro.
Nach Nicetas geſchah der Uebergang
des Grafen Heinrich ſowohl als des
Peter Brajecuel (Ilrgos 0 en
Wiavröns) nach Aſien noch im Oktober
3204 (re uva pv)loyoor); nach
Villehardouin (S. 126. 128) unter:
nahm Peter Brajecuel die Ueberfahrt
am Feſte Allerheiligen (à la feste
Tossainz) und der Graf Heinrich am
St. Martinstage.
80) Nicetas S. 388.
87) Villehard. S. 120.
83) Petrus, ſagt Nicetas (a. a. O.),
zog von Pegae gegen Lopadion,
Theodorus Laskaris ſtellte ſich ihm
zwar (nach Villehardouin am 6. De:
cember 1204, le jor de la feste Mon-
seignor Sain Nicholas qui est de-
yant la nativite) bey Poemaninon
(.Horuarvıydv) mit römiſchen Trup⸗
pen entgegen, dieſe aber ertrugen
nicht den Angriff der Lateiner und
flohen (vgl, Villehard. S. 131. 133,
wo geſagt wird, daß von den 140
Rittern und ihren Knappen zu Pferde,
scpt vingt chevaliers sanz les Ser-
janz à cheval, der Sieg bey Poe⸗
maninon, Pumenienor, über die an
Zahl ihnen überlegenen Feinde nicht
ohne große Schwierigkeit errungen
wurde). Hierauf zog Petrus nach
Lopadion (Lupaire bey Villehard.
S. 132), traf niemanden an, welcher
mit ihm zu ſtreiten wagte, und fand
nur ſolche, welche ihn mit Kreuzen
und den heiligen Evangelien (Aer
HTavgıaWv oneluv nal zur j?
AV
Eroberungen in Kleinafien. 361
uͤber die Truppen, mit welchen Sheodorus Laskaris ihnen?
die gemachten Eroberungen kr zu a ſuchte;
gleichwohl behaupteten ſie ſich nur kurze Zeit in Kleinaſien,
und fie ſahen ſchon im Jahre 1207 ſich genoͤthigt, ihre
dortigen Beſitzungen aufzugeben, um Conſtantinopel und
ihre uͤbrigen Eroberungen an dem Bosporus und der
Propontis zu vertheidigen; denn der Kaiſer ſowohl als
die Barone des Reichs gelangten zu der Ueberzeugung,
wie Villehardouin ſelbſt ſagt, daß es ihnen nicht möglich
war, den Krieg zugleich in Aſien und Europa zu führen !?).
Zu eben der Zeit, als das Herzogthum Nicaea ent⸗
ſtand, gab der Kaiſer Balduin die Stadt Philippopolis zu
Lehen dem Ritter Reinhard von Trit, welcher mit hun—
dert und zwanzig Rittern von dieſer Stadt Beſitz nahm
und gern von den Einwohnern aufgenommen wurde, weil
Jovis) einpfingen und daher frey
blieben von jeder Beſchädigung.
Adramyttium (Argeuürreov) wurde
von dem Grafen Heinrich eingenom—
men (Nicet. a. a. O.), und Nikomedien
von der Schar des Makarius von
St. Menehoult, welchen auch die
Ritter Matthias von Valincourt und
Robert von Nongey begleiteten; fie
ſtellten hierauf die Befeſtigungen von
Nikomedien wieder her (Ia garnirent
et refermerent), und ſpäterhin um:
gab Dieterich von Loz, welchem die
Stadt Nikomedien als Lehen zuge—
theilt wurde, das dortige Münſter
der göttlichen Weisheit mit Verſchan—
zungen (kerma et horda le Moutier
Sainte Sophie, qui mult ere hals
et biels). Villehard. S. 189. 199. 201.
89) Ses homes distrent (als der
Kaiſer Heinrich ſie zur Berathung
verſammelt hatte), que il ne po-
oient les deux guerres soffrir en»
Villehard. S. 202, Die afıd:
tiſchen Croberungen wurden aufge—
geben in dem Waffenſtillſtande, wel—
chen der Kaiſer Heinrich im Jahre
1207 mit dem Kaiſer Theodorus Las:
karis (Toldre Lascres) ſchloß, als
Dietrich von Loz in deſſen Gefangen—
ſchaft gerathen war; wenigſtens wur—
den damals die Befeſtigungen von
Squiſe und dem Münſter von Niko—
medien zerſtört, und dieſe Plätze dem
Kaiſer Theodorus Laskaris überlaſſen;
Villeh. S. 200 - 203. Nach der Er:
zählung des Georgius Akropolites
(S. 13) blieb den Lateinern in dieſem
Vertrage das Gebirge Kaming mit
der an demſelben liegenden Stadt
Achyraus; aber auch dieſes kleine
Gebiet wurde, wie es ſcheint, nicht
behauptet, ſondern die Ritter ver:
ließen Aſien gänzlich, entweder ſchon
damals, oder doch bald bernach; und
semble,
362 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
5.895 fie eines kraͤftigen Schutzes gegen die Raͤubereyen des
Königs Johann der Walachen und Bulgaren bedurften“).
Waͤhrend die Ritter die in dem Vertrage wegen der
Theilung des Landes, welcher im Herbſte des Jahres 1204
war verabredet worden, ihnen zugefallenen Landſchaften
ſich unterwarfen, bemuͤhten ſich auch die Venetianer,
Herren der ihnen zugewieſenen Staͤdte und Bezirke zu
werden. Schon im Jahre 1205 waren fie in dem Beſitze
der Städte Rodoſto und Heraklea an der Propontis ?,
und zu eben dieſer Zeit hielten ſie auch die Staͤdte Adria—
nopel und Archadiopolis beſetzt, welche ihnen ebenfalls in
der Theilung zugefallen waren 2); fie hatten in jener
Theilung beſonders die Seeſtaͤdte ſich zuzueignen geſucht,
deren Beſitz ihnen fuͤr ihren Handel hoͤchſt wichtig war
und am leichteſten von ihren Flotten behauptet werden
konnte. Sie hatten überhaupt von den Eroberungen der
Kreuzfahrer in Nomanien und anderen Provinzen des
byzantiniſchen Reichs den groͤßten Vortheil; was zum Theil
die natürliche und nothwendige Folge der Verhaͤltniſſe war,
großen Theils aber als die Wirkung der wohlberechneten
Anſtalten und Anordnungen betrachtet werden muß, welche
von den Venetianern getroffen wurden. Fuͤr Frankreich und
Deutſchland entwickelte ſich aus der Herrſchaft der latei—
niſchen Ritter zu Conſtantinopel kaum irgend ein unmittel
barer Vortheil; und ſelbſt der wohlthaͤtige Einfluß, wel—
chen die byzantiniſchen Griechen ſeit den Zeiten Carl's des
Großen und vornehmlich waͤhrend der Kreuzzuͤge durch
ihre Bildung in Wiſſenſchaften und Kuͤnſten auf die
es findet fich kelne weitere Erwähnung 91) Villehard. S. 189. 172.
eines lateiniſchen Beſitthums in
Kleinaſien. 92) Villeh. S. 139. 140. Ducange
90) Villehard. S. 128. 129. zu Villehard. (§. 178.) S. 335.
Vortheile der Herrſchaft Über Conſtantinopel. 363
Abendlaͤnder und insbeſondere auf die Voͤlker deutſcher 7385.
Abſtammung gewonnen hatten, wurde durch die Eroberung
der Hauptſtadt des griechiſchen Reichs kund die ſchonungs—
loſe Zerſtoͤrung und Verwuͤſtung, welche die Kreuzfahrer
dort uͤbten, ſicherlich nicht befoͤrdert, ſondern vielmehr
unterbrochen und gehemmt. Wenn auch der Kaiſer Bal—
duin (von welchem berichtet wird, daß er noch vor ſeiner
Abreiſe zur Kreuzfahrt den Gelehrten ſeiner Laͤnder Flan—
dern und Hennegau auftrug, die Geſchichte der Nieder—
lande fleißig zu ſammeln und zu einem Ganzen zu ver⸗
arbeiten 3)) der Gelehrſamkeit nicht ganz abgeneigt war;
und wenn auch insbeſondere der Marſchall Villehardouin,
der treffliche Geſchichtſchreiber der Eroberung von Con—
ſtantinopel, nicht nur Gelehrſamkeit und Wiſſenſchaften
achtete, ſondern auch in mehreren Stellen ſeiner eben ſo
einfachen als anziehenden Erzaͤhlung des Kreuzzuges, an
welchem er Theil nahm, den Eindruck ſchildert, den die
Pracht und Schoͤnheit beſonders der Kirchen und anderer
Gebaͤude von Byzanz auf ſein Gemuͤth gemacht hatten: ſo
theilten doch ſehr wenige ihrer Waffengefaͤhrten eine ſolche
Empfaͤnglichkeit. Ohnehin, da faſt alle Griechen von
einiger Bildung ihre verwuͤſtete Hauptſtadt verließen,
konnte von einem Einfluffe griechiſcher Gelehrten oder
Kuͤnſtler auf die Kreuzfahrer keine Rede ſeyn. Hoͤchſtens
mochte der Anblick der koſtbaren Gewaͤnder, geſchmack—
vollen, zum Theil von Kuͤnſtlern des Alterthums verfer—
tigten Gefaͤße, zierlichen kirchlichen Geraͤthe, kunſtreich ge—
arbeiteten Kreuze und Reliquienkaſten, und anderer Bild—
werke, welche in großer Zahl von Geiſtlichen und Layen aus
Conſtantinopel nach Italien, Frankreich, den Niederlanden
93) D’Outreman Constantinopolis belg. Lib. IV. c. 13. p 376.
*
364 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
N
Jef und Deutſchland gebracht wurden %) „die Kuͤnſtler dieſer
Laͤnder zur Nachahmung auffordern; die Gemaͤlde aber,
womit die Kirchen von Conſtantinopel geſchmuͤckt waren,
ſcheinen die Aufmerkſamkeit der Kreuzfahrer wenig oder
gar nicht auf ſich gezogen zu haben, und außer dem
bekannten wunderthaͤtigen Bilde der heiligen Jungfrau
Maria, welches, von den Kreuzfahrern in einem Gefechte
erbeutet, der Gegenſtand frommer Verehrung in der Kirche
des heiligen Marcus zu Venedig wurde, und anderen
Gemaͤlden, welche die Venetianer in der Theilung der .
ebenfalls ſich zugeeignet haben follen ?°), finden wir
93) S. oben S. 305 bis zro.
95) Ueber die damals aus Eonitans
tinopel nach
Kunſtwerke und Koſtbarkeiten giebt
Ramnuſtus (Läb. III. p. 229) folgende
Nachricht: De mobilibus (Dandulo
obvenerunt) auri pondo ad decem
millia, argenti ad quinquaginta,
vestis stragulae ac sericae et supel-
lectilis magnus numerus, serici in-
fecti pondo infinitas, pellium item
quantivis pretii ingens copia, po-
culorum ex auro, argento, acre,
gemma et torenmatum, quae tot
Orientis imperatores ex immensa
illa opum amplitudine reliquerant,
vis maxima; vasa praeterea et cra-
teres ex auro et gemmis ad orna-
Nam
praeter innumerabilia, quae vete-
ris Sacrarii incendio MCCXXXVIII
Jacobi Theupoli Ducis tempore con-
mentum multorum abacorum.
Aagrarunt, hodie quoque quam
plurima atque
Murrhina, Cn. Pompeji de Begibus
Mithridate et Tigrane victoria et
triumpho nobilitata, inter sacros
thesauros spectantur, Scyphi prae-
in his nonnulla
Venedig gebrachten
ine
*
an
terea, calices phyalaeque justae
magnitudinis ex Callaide gemma, a
colore Turchinam hodie vocant,
Iaspide et purpureo Amethistino
lapide, illustrium axtiſicum scal-
pturis nobiles, fundo arabicis, ut
videre licet, caracteribus caelati,
Insuper complurium Augustarum
ornatus et gestamina, et ea auırca,
quae pectus amiciunt, ad pompam
gemmis mme unio-
Coronae solido ex
auro permultae margaritis distin-
nibus exornata.
ctae, quae nummario precio vix
extimari (aestimari possunt, Super
haec bullae et annuli, quorum in
palis gemmae et maximi pretii la-
pides inclusi; visantur enim prae»
grandes Smaragdi et eximii ponde-
zis Carbunculi pinnato fulgore ra-
diantes, qui in maxima Ara Mar-
ciana solennibus sacris vel um-
brante tecto sublati liquidioribus
flammis scintillant atque acriter
exardescunt. Saphiri praeterea mi-
rae magnitudinis, Topazii, Chry-
solithi et Hyacinthi, quarum re-
rum dactylothecam Augustorum ı1e-
Vortheile der Herrſchaft uͤber Conſtantinopel.
365
Erwaͤhnung eines anderen aus Conſtantinopel, nach der
damaligen Eroberung der Stadt, nach dem Abendlande
gebrachten Gemaͤldes.
In der Vertheilung der Staͤdte, Schloͤſſer, Doͤrfer
fertam victores compilarunt, Ho-
die meliori conditione A Mar-
cianae Procuratoribus cura deman-
data, Divi Marci Gazophylacio
(thesaurum vulgo appellant) dedi-
catae. Statuarum quoque, simula-
erorum et tabularum ingens nume-
zus. Es folgt hierauf eine Beſchrei⸗
bung der bekannten Quadrige. Vgl.
über das im Texte erwähnte wunder—
thätige Bild der Mutter Gottes oben
S. 270, 271. Anm. 74. Außer dem in
dem Gefechte mit Murtzuflos eroberten
Bilde der Mutter Gottes wird noch
eines andern Bildes derſelben erwähnt,
welches die Venetianer ſpäterhin mit
Gewalt aus der Sophienkirche raub—
ten und in die Kirche des Pantokra—
tor (Ecclesia, quae Graece Pan-
tocraton dieitur) brachten; auch
dieſes Bild war nach der Meinung
des Volks vom heiligen Lucas gemalt
(Icoua, in qua b. Lucas Evange-
lista imaginem beatae Virginis pro-
priis mauibus dicitur depinxisse);
und einige Griechen behaupteten, daß
auf demſelben der Geiſt der heiligen
Jungfrau ganz beſonders ruhte (qui-
dam Graeci aestimant, quod spiri-
tus beatae Mariae virginis in prae-
dieta imagine requiescat). Inno-
cenz, welcher überhaupt die zu Eon:
ſtantinopel geübte Plünderung von
Reliquien auf das höchſte mißbilligte
(pactionem de partiendis reliquiis
etaliis factis initam detestamur; vgl.
oben &.304, Anm. 53) und die erwähnte
Meinung der Griechen von der bis
ſondern Heiligkeit dieſes Bildes für
einen Aberglauben erklärt (opinio-
nem illam tanquam superstitiosam
minime approbamus), beſtätigte den
Dann, welcher von dem Patriarchen
von Conſtantinopel über den venetia—
niſchen Podeſta und deſſen Räthe, ſo
wie über alle, welche an dieſem neuen
Kirchenraube (sacrilegium) Theil ge:
nommen hatten, war ausgeſprochen
worden. Epist. Innoc. III. (ed. Bre-
quigny et Laporte du Theil) Lib,
IX, 243 an den Patriarchen von Cou—
ſtantinopel, vom 18. Januar 1200.
Ob dieſe Plünderung der Kirchen—
ſchätze in der Hauptſtadt des griechi—
ſchen Reichs wirklich mittelbar oder
unmittelbar die Wiederbelebung der
bildenden Künſte in Italien förderte,
iſt eine Frage, welche nähere Unter:
ſuchung verdient. Vgl. C. F. von
Rumohr italien. Forſchungen Th. I.
S. 348 —- 350. Nach der griechiſchen
Chronik des Dorotheus (Metropoliten
von Monembafıa) Venet, 1778. 4.
P. 307. 398, wo eine große Zahl von
koſtbaren Gegenſtänden, welche aus
der Sophienkirche zu Conſtantinopel
im J. 1204 geraubt und nach Venedig
gebrächt wurden, bezeichnet wird,
verdankte übrigens die Kirche des
heiligen Markus ihren ganzen Reich—
thum an Kunſtwerken der Plünderung
jenes reichen e zo Xad6-
kov, sir Let © dyios Maos,
elvaı rie dylas ooplas. Vgl.
F. C. Alter philologifch,> kritiſche
Miscellaneen (Wien 1790. 8.) ©. 236.
Von Handſchriften, welche damals
366 Geſchichte der Kreuzzüge Buch VI. Kap. XI.
Jer und Landſchaften als Lehen an einzelne Ritter, welchen
die Eroberung und Behauptung derſelben uͤberlaſſen wurde,
gingen den Venetianern zwar ſchon der Kaiſer Balduin
und die Grafen des Pilgerheeres mit ihrem Beyſpiele
voran; und dieſe Einrichtung war auch den Verhaͤltniſſen
der damaligen Zeit ſehr angemeſſen. Die Venetianer
aber verſtanden es beſſer als die e ihre Lehens—
maͤnner im Gehorſam zu erhalten; und ohne Koſten und
Gefahren zu theilen, eignete die Republik alle Vortheile
ſich zu, welche die Eroberungen der Nobili insbeſondere
fuͤr den Handel und Verkehr von Venedig darboten.
Die franzoͤſiſchen, deutſchen und flandriſchen Ritter da—
gegen hatten ſelbſt durch die Erfahrungen, welche ihnen
Syrien und Palaͤſtina ſeit länger als einem Jahrhunderte
darboten, es nicht gelernt, Voͤlker zu beherrſchen, deren
Sprachen, Sitten und Gebräuche ihnen fremd waren?“);
noch weniger verſtanden fie es, eine ſolche Herrſchaft ſich
oder ihrem Vaterlande nützlich zu machen, und daher
ſtand das, was die Ritter errangen, nicht in Verhaͤltniß
mit der bewundernswuͤrdigen Tapferkeit, womit ſie ihre
Feinde in Schlachten und
aus Conſtantinopel nach dem Abend—
lande gebracht wurden, finden wir
keine andere Ueberlieferung, als die
Nachricht des Mönchs Albericus (ad
a. 1209. P. 453) , daß eine griechiſche
Handſchrift der Metaphyſik des Ari-
ſtoteles aus Conſtantinopel nach Paxis
gebracht und lateiniſch überfegt, her⸗
nach aber, weil dieſes Buch ketzeriſche
Lehrmeinungen begünftigte, nebit der
Ueberſetzung verbrannt wurde.
06) Die Urtheile des Nicetas über
die Lateiner ſind zwar nicht ganz frey
von Leidenſchaftlichkeit, aber es iſt
wohl gewiß, daß den Rittern im All⸗
Gefechten bekaͤmpften; ihre
gemeinen nichts daran gelegen war,
ſich den Griechen angenehm zu machen;
und daher fest Nicetas (S. 388), als
er berichtet hat, daß die Städte von
Kleinaſien, welche ſich dem Ritter
Peter von Braiecuel ohne Wider:
ſtand unterwarfen, mit Schonung
behandelt wurden, hinzu: „obgleich
ein Lateiner ein Ding iſt, ſchlimm zu
behandeln, die Sprache den Griechen
unverſtändlich, der Sinn geldgierig,
das Auge ungezügelt, der Magen
unerſättlich, der Geiſt jähzornig und
rauh iſt, und die Hand das Schwert.
überall ſucht.“ 7
Pr
uni,
Innere Einrichtungen des neuen lat. Kaiſerthums. 367
Unternehmungen wurden niemals nach einem feſten Plane
geleitet, wie es uͤberhaupt die Weiſe der Ritter des
Mittelalters war, und eben deswegen wurden ihre Unter—
nehmungen auch nicht mit Beharrlichkeit von ihnen
durchgeführt “?).
Wir ſind uͤber die inneren Einrichtungen und Anord—
nungen, welche die Ritter des Kreuzes in dem neuen
Kaiſerthume trafen, ſehr wenig unterrichtet; Villehar—
douin ſchweigt davon gaͤnzlich, andere Schriftſteller geben
nur duͤrftige Nachrichten, und der Urkunden oder anderen
Verhandlungen, aus welchen ſich die Verfaſſung jenes
Reiches erkennen ließe, ſind nur ſehr wenige auf unſere
Zeiten gekommen. Es iſt hoͤchſt wahrſcheinlich, daß im
Allgemeinen in der Einrichtung des lateiniſchen Kaiſer—
thums von CLonſtantinopel die Verfaſſung des Reichs
Jeruſalem als Muſter befolgt wurde?), und daher war
auch ſowohl die Hofhaltung der flandriſchen Kaiſer zu
Conſtantinopel als die damit verbundene Reichsregierung,
wenigſtens ihrem Aeußern nach, ſehr aͤhnlich der Einrich⸗
tung des Hofes der Koͤnige von Jeruſalem, welcher dem
Hofe der Koͤnige von Frankreich war nachgebildet worden.
Der Kaiſer Balduin ernannte den Ritter Dietrich de Los
zum Seneſchall, Dietrich von Tendremonde zum Connetable,
Hund Gottfried von Villehardouin zum Marſchall des
Reichs 9°); andere Ritter wurden durch die Würden von
97) Von den Griechen wurde die
Planloſigkeit und Unbeſtändigkeit der
Lateiner ſehr wohl bemerkt, und ſehr
gegründet iſt der Vorwurf, welchen
Georgius Akropolites (S. 13) ihnen
macht, nachdem er berichtet hat, daß
der lateiniſche Kaiſer Heinrich die er:
rungenen Vortheile in Aſien aufgab:
o yap Ayav xuprsginov to Aa-
Tıvınov pvhovy Ev Tais uayaıs .
HVEOTNHEe
98) Sie betrachteten fich noch im⸗
mer als Kreuzfahrer; und in dieſer
Anſicht lag auch der Grund der An—
nahme des Rechts von Jeruſalem;
s. unten.
99) Vgl. Villehard. S. 166. 179. 189
und andere Stellen.
J. Chr.
1204.
368 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
3,0 Truchſeſſen, Mundſchenken, Oberkuͤchenmeiſtern, Kammer
herren und Buttlern geehrt *°°); und es iſt merkwuͤrdig,
daß von den Wuͤrden und Aemtern des ehemaligen by—
zantiniſchen Hofes nur die Wuͤrde des Deſpoten, welche
die nächte Würde nach der kaiſerlichen war, und das
Amt des Protoveſtiarius oder Oberaufſehers der kaiſer—
lichen Kleiderkammer als von den Lateinern beybehalten
erwaͤhnt werden.
Die Wuͤrde des Deſpoten und die da—
mit verbundene Auszeichnung durch Purpurſtiefeln erhielt
der Doge Heinrich Dandulo von Venedig), und das
100) Ramnuſius erzählt (S. 133),
jedoch ohne ſeine Quelle anzuführen,
daß der Kaiſer Balduin auch die
Würde eines Megas Domeſtikus und
die damit verbundene Statthalter—
ſchaft von Attica, ſo wie die Würde
eines Großprimicerius, wozu die
Statthalierſchaft von Boeotien ge:
hörte, und mehrere andere byzanti⸗
niſche Hofwürden an verſchiedene
Ritter verliehen habe; was er von
der Verleihung von Würden in dem
neuen lateiniſchen Kaiſerthume aus
urkundlichen Nachrichten (S. 144)
berichtet, findet ſich in den Unterſchrif—
ten der in der Beylage 1. mitgetheil:
ten Urkunde beſtätigt.
u )
101) Tov òe HJounòs Beverlus de-
oh afwinarı Tıumdivtos.
Georg. Acropol. p.6. Ex priscis
autem Graecis aulae magistratibus
imprimis Dandulum, Venetiarum
principem, ut ei honorem pracci-
puum haberet, Imperii Despotam
seu principem, qui primus secun-
dum Imperatorem titulus est, et a
Constantinopolitanis Imperätoribus
cum Peloponnesi feudo, Morca
dicitur, Imperatorum liberis tradi
solebat, creavit, et purpureos cal-
ccos, Augustorum insigne, ceteris
vetitos, honoris causa utendum
fruendum concessit, Ramuus. p. 142.
143. Eben daſelbſt wird berichtet,
daß der Kaiſer Balduin auch den
Patriciern, welche den Rath des
Dogen bildeten, Auszeichnungen und
Ehrenämter (militiae munera atque
honores), und dem Schiffshaupt⸗
manne (Trierarcha) Johannes Baſi⸗
lius insbeſondere als Wappenzeichen
eine goldene Kaiſerkrone im blauen
Felde verliehen habe. Das Geſchlecht
des Johannes Baſtilius gab ſeit dieſer
Zeit ſein altes Wappen auf, und
führte nur das dem Johannes ver—
liehene neue Wappenzeichen. Uebri⸗
gens iſt es ie daß feit der Their
lung des griechifchen Reichs die Der
gen von Venedig ihrem frühern Titel
(Dei gratia Venetiarum, Dalmatiae
aique Croatiae Dux) den Zufag
beyfügten: totius quaxtae partis et
dimidiae imperii Romaniae domi-
nator. Dieſen Titel führten ſechszehn
Dogen von Venedig während hundert
und zehn Jahre, und erſt der Doge
Delphinus legte ihn wieder ab.
Ramnus. Lib. IV. p. 214.
Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 369
Amt des Protoveſtiarius wurde dem Ritter Conon von chr
Bethune verliehen 2). Wie in allen damaligen abend»
laͤndiſchen Reichen, ebenſo dienten auch in dem lateiniſchen
Kaiſerthume von Byzanz dieſe Wuͤrden nicht nur zur
Erhoͤhung des Glanzes der Hofhaltung, ſondern die Hoͤf—
linge bildeten auch zugleich den Reichsrath, welcher den
Kaiſer in der Verwaltung der Regierung unterſtuͤtzte.
Die Verfaſſung des neuen Kaiſerthums und deſſen
innere Verhaͤltniſſe geſtalteten ſich gleich im Anfange auf
eine ſolche Art, daß eine lange Dauer des neuen Reichs
unmoͤglich ſich hoffen ließ. Schon war es ſicherlich ein
großer Nachtheil, daß die Stadt Conſtantinopel eben ſo
wie das uͤbrige Reich getheilt wurde, und die Venetianer
davon eben ſowohl anderthalb Viertheile ſich zueigneten,
als von dem uͤbrigen Reiche. Wie war bey einer ſolchen
Theilung eine einmuͤthige und kraͤftige Vertheidigung die—
ſer von ſo vielen Seiten bedrohten Stadt moͤglich? Die
Macht des Kaiſers war außerdem viel zu ſehr beſchraͤnkt;
es wurde ihm bey der Theilung nur der vierte Theil der
Eroberungen zugewieſen, den Baronen dagegen wurden,
wie den Venetianern, anderthalb Viertheile zugeſtanden;
und die Wirkſamkeit des Kaiſers für die Anordnung,
Regierung und Befeſtigung des Reichs wurde uͤberhaupt
durch die hemmenden Formen des Lehenweſens beengt.
Von noch ſchlimmerer Wirkung war die Weiſe, welche die
Venetianer ſowohl als die Barone der Pilger in der
Behandlung der Griechen befolgten. Mit ihren griechi—
ſchen Unterthanen ſetzten ſich die Kreuzfahrer niemals in
102) S. Beylage 1. Auch der Fürſt nehmſten Hofdiener (Officiali) waren.
von Achaja hatte feinen Protoveſtia- S. Liber Consuetudinum imperii
rius, welcher nebſt dem Schatzmelſter Romaniae cap. 169. (in Canciani
(Tesauirier) und dem Capitaine d'ar- Leges Barbarorum T. 3. p. 523.)
mes (Capetanio d'arme) ſeine vor⸗
V. Band. A a
*
.
370 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
9 8 —
22. ein freundliches Verhaͤltniß, und ſie behandelten dieſelben
nur als dienſtbare Knechte, uͤber deren Leben und Eigen—
thum ſie ſchalten koͤnnten nach ihrem Gefallen; die Grie—
chen betrachteten daher mit Recht die Kreuzfahrer als
grauſame und uͤbermuͤthige Zwingherren, und erwarteten
mit ungeduldiger Sehnſucht die Gelegenheit, einer ſolchen
eben ſo druͤckenden als ſchimpflichen Knechtſchaft ſich zu
entziehen ). Die vornehmeren Griechen, welche, durch
Noth gezwungen oder durch Ehrgeiz oder andere eigen—
nuͤtzige Abſichten getrieben, den Lateinern ſich anzuſchlie⸗
ßen wuͤnſchten, wurden meiſtens mit Hohn und Verach—
tung zuruͤckgewieſen *°*); nur der Markgraf Bonifaz bes
muͤhte ſich anfangs, die Zuneigung der Griechen zu ge—
winnen, und viele, beſonders vornehme Griechen traten
daher in ſeinen Dienſt und erleichterten ihm ſeine Erobe—
rungen in Macedonien und Theſſalien *°°); als er aber
in den Beſitz von Theſſalonich gekommen war, ſo ent—
fernte er ſie aus ſeinem Dienſte, indem er ihnen eroͤffnete,
daß er keiner roͤmiſchen Soldaten beduͤrfe, und behandelte
103) Die Belege für dieſe Schilde - führern der Soldaten und den Grafen
rung finden ſich auf jeder Seite des gebilligt worden.“ Nicetas S. 386.
legten Buchs der Geſchichte des Ni:
cetas; und die merkwürdigſten Aeu⸗
ßerungen dieſes Schriftſtellers find in
mehreren der vorhergehenden An:
merkungen mitgetheilt worden.
104) „Balduin hatte keinen Römer,
weder aus dem bürgerlichen, noch
dem Soldaten: Stande (£x rov oroa-
Tıwrırov TE Hal nolırızod owvrd-
ywaros),‚ivgend eines Amtes würdig
geachtet (zurmäızer), ſondern er
ſtieß alle von ſich ohne Unterſchied
(e νανντνν; und dieſes Ver⸗
fahren war auch von den andern An⸗
Gleichwohl berichtet dieſer Schriftſtel⸗
ler (S. 413), daß der Logothetes Dromi
Konſtantinus Tornices, alſo ein
Grieche, welchen hernach der König
Johann der Bulgaren tödten ließ,
nach der Eroberung von Eonftantis
nopel feine Zuflucht, aber allerdings
nur ſehr ungern (exovzl zo n)£ov),
zu dem Kaiſer Balduin genommen
hatte. Alle Griechen ohne Unterſchied
wurden alſo doch nicht zurückgewieſen,
wenn auch die obige Bemerkung des
Nicetas in Hinſicht der meiſten Fälle ge:
gründet und der Wahrheit gemäß war.
105) Nicetgs S. 389. 2
Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 371
feine griechiſchen Unterthanen zu Theſſalonich mit ſo 84“
weniger Schonung, daß er nicht nur druͤckende Steuern
von ihnen erpreßte, ſondern ihnen auch die ſchoͤnſten
Haͤuſer nahm und dieſe an ſeine Ritter und Knappen
vertheilte rode). Erſt als durch die Gewaltthaͤtigkeiten
und Willkuͤhrlichkeiten, welche nicht nur die Ritter in
allen von ihnen beſetzten Städten und Landſchaften, fons
dern auch die Venetianer in Adrianopel übten *97), ein
allgemeiner Aufſtand der Griechen veranlaßt wurde, die
in Aufruhr begriffenen Griechen einen maͤchtigen Beſchuͤtzer
an dem Koͤnige Johann von Walachien und Bulgarien
gewannen, und das lateiniſche Kaiſerthum auf wenige
Staͤdte beſchraͤnkt wurde: erſt dann fand Heinrich, der
Bruder und Nachfolger des Kaiſers Balduin, es noths
wendig, die Griechen dadurch zu beruhigen, daß er den
Griechen Theodorus Branas, aus einem ſehr angefehenen
Geſchlechte, welcher mit Agnes, der Schweſter des Koͤnigs
Philipp Auguſt von Frankreich und Wittwe zweyer Kaiſer
von Byzanz, vermaͤhlt war, mit Adrianopel und Didy—
moteichon belehnte *°®). Unter ſolchen Umſtaͤnden konnte
ein vertrauliches Verhaͤltniß der Lateiner und Griechen
106) Nicet. S. 387. 304. Die von
Bonifaz entlaſſenen Griechen, als fie
auch bey dem Kaiſer Balduin kein
Unterkommen fanden, rächten ſich
dadurch, daß ſie überall die Griechen
aufwiegelten.
167) Et quant chascun fot (fut)
asseure A sa terre, la convoitise del
monde, qui tant aura mal fait, nes
(ne les) laissa estre en pais; ains
commenqa chascuns à faire mal en
sa terre,
moins, et li Grieu les commencié-
rent à hair et à porter malvais
li uns plus et li autre
cuer. Villehard. S. 123. 126. II ad-
vint que les Venitiens eurent la
cite d’Andrinople pour leur part.
Quand ils furent dedans et Sei-
gneurs de la ville, moult mesmene-
rent (maltraiterent) les citoyens,
de leurs femmes et de leurs ſilles.
Chronique de Flandres chap. XI.
bey Ducange zu Villeh. §. 178. S. 335.
108) A Vernäs .., fu octroie An-
drenople et le Dimot et totes lor
apertenenges,'et il en feroit le ser-
vise a l’Empereor, Villehard. S. 175.
Yaz
J. Chr.
1204.
372 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
nicht ſich bilden, aber eben deswegen war auch die innere
Begründung und Befeſtigung des lateiniſchen Kaiſerthums
in Byzanz unmoͤglich. Als ſpaͤterhin der Kaiſer Heinrich
in dieſer Hinſicht andere Grundſaͤtze zu befolgen anfing,
die vornehmen Griechen hervorzog und auf mancherley
Weiſe auszeichnete und auch das geringe Volk glimpf—
licher behandelte *°?): fo waren durch das vorhergegan—
gene Verfahren der lateiniſchen Ritter die Gemuͤther der
Griechen ſchon zu ſehr erbittert worden, als daß ſie durch
jene Milde wieder gewonnen werden konnten.
Es iſt indeß keinem Zweifel unterworfen, daß die
Kreuzfahrer, ſo weit das von ihnen angenommene Syſtem
der Erpreſſung es zuließ, die Rechte und Gewohnheiten
ihrer griechiſchen Unterthanen ungeaͤndert ließen; es
blieb alſo die innere Verwaltung der Staͤdte in Romanien
im allgemeinen ſowohl als insbeſondere die Verfaſſung
der Gerichte unveraͤndert, und die Griechen lebten unter
eigenen Richtern, deren Ernennung und Einſetzung jedoch
die lateiniſchen Beherrſcher ſicherlich ſich vorbehalten hat-
ten, und nach roͤmiſchen Geſetzen. Es iſt ausdruͤcklich
die Nachricht überliefert worden, daß die Kreuzfahrer
ſowohl in Conſtantinopel als in den Provinzen alle Ge—
ſetze und Rechte und andere loͤbliche Einrichtungen, welche
dort von Alters her beſtanden, nicht aufhoben oder aͤn—
derten, und nur ſolche Einrichtungen, welche ihnen ver—
werflich zu ſeyn ſchienen, beſſerten oder gaͤnzlich unters
druͤcktenn ); und wir wiſſen auch, daß den Einwohnern
209) Georg. Acropol, cap. 16. p. 18. biles habebantur, ita ut prius fue-
rant, consistere permissae sunt;
110) Leges et jura et caeterde in- quae vero reprobabiles videbantur,
stitutiones, quae ab antiquo tam velcorrectae in melius vel penitus
in urbe quam in provincia lauda- immutatae. Gunther p. vii.
Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 373
der Staͤdte Setre und Theſſalonich, als ſie ihre Thore
den Kreuzfahrern oͤffneten, vertragsmaͤßig die Beybehal—
tung ihrer Verfaſſung und Geſetze zugeſtanden wurde '?*).
Die neuen Einrichtungen, welche gemacht wurden, be—
zogen ſich nur auf die Verhaͤltniſſe der Kreuzfahrer ſelbſt,
welche Conſtantinopel und andere Städte von Romanien
und Griechenland erobert hatten, und der ſpaͤtern Ankoͤmm—⸗
linge aus den abendlaͤndiſchen Reichen. So wurde von
den Venetianern eine nach dem Muſter des venetianiſchen
Raths gebildete Behörde zu Conſtantinopel errichtet; als
deren Oberhaupt wurde nach dem Tode des Dogen Hein—
rich Dandulo von allen zu Conſtantinopel anweſenden
Venetlanern Marino Zeno unter dem Titel eines Podeſta
gewaͤhlt, und außer ihm beſtand jener Rath aus mehreren
Richtern, Näthen und Kaͤmmerern, fo wie einem Avo—
cator, einem Coneſtabulo und einigen geiſtlichen Beyſitzern
und Notarien; und von dieſen Gliedern des Raths zu
Conſtantinopel wurden wenigſtens die wichtigern von dem
Podeſta ausgeſtellten Urkunden unterzeichnet und bekraͤf—
tigt *). Daß übrigens dieſer venetianiſche Senat zu
gen ſeines Streites mit dem Mark:
grafen Bonifaz ihm viel daran lag,
bald in den Beſitz der Stadt zu kom—
men, eine mit rother Dinte unter
ſchriebene Urkunde, durch welche er
alle ihre Rechte und Gewohnheiten
beſtätigte (yoauua dοονοννεν
rdονν Tois e αον, s moi To
IT) Die Einwohner von Setre,
worunter Ducange nicht Serrae
(bey Villehardouin cap. 206. p. 161
la Serre), fondern die Stadt Kitros
verſtehen wil, übergaben ihre Stadt
nach Villehardouin (S. 116) unter
der Bedingung, daß der Kaiſer
Balduin ſie bey den Gebräuchen
und Gewohnheiten, welche ihnen
der griechiſche Kaiſer zugeſtanden, er—
halten ſollte (por tel convenant,
que il les tendroit às us et às cos-
Eunesdov yapıkuusvor).
112) Eine Urkunde (im Liber albus
und im Liber pactorum, I. fol. 132
tumes, que li Empereor Grieu les
avoit tenuz). Den Einwohnern von
Theſſalonich gewährte Balduin, nach
Nicetas (S. 387), weil damals we—
B., Handſchriften des k. k. Haus⸗
und Staatsarchios zu Wien), in
welcher die von dem Podeſta Marino
Zend gemachte Vertheilung der Lehen
J. Chr.
1204.
* .
J. Chr.
1204.
374 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Conſtantinopel und die ihm aͤhnlichen Behoͤrden, welche
auf den der Republik Venedig unterworfenen Inſeln, ſo wie
in den andern ihr zugefallenen Städten des griechiſchen
Reichs errichtet wurden, wenn ihnen auch zunaͤchſt die
Verwaltung der Angelegenheiten der Venetianer und an—
derer Lateiner oblag, gleichwohl nicht ohne Gewalt waren
uͤber die unterjochten Griechen, duͤrfen wir zwar wohl
vorausſetzen; uͤber die Bedingungen aber, unter welchen
ſie eine ſolche Gewalt uͤbten, laͤßt ſich nichts beſtimmen.
Da die Grafen und Barone, welche Conſtantinopel er—
obert hatten, noch immer als Kreuzfahrer ſich betrach—
teten *): fo war es naturlich, daß die unter völlig
beſtätigt und verordnet wird, daß
ein venetlaniſches Lehen in Romanien,
innerhalb und außerhalb Conſtanti⸗
nopel, an keinen Anderen, als an
einen Venetianer ſoll veräußert wer⸗
den dürfen (de hiis quod datum
habemus vel daretur, nullus homo
audeat alienandum, nisi in Vene-
rico), iſt unterfchrieben von dem
Podeſta, fünf Richtern, drey Räthen,
einem Camerarius, einem Avocator,
dem Coneſtabulo, mehreren Geiſtlichen
und einem Notarius. Eine andere
Urkunde in denſelben Handſchriften
iſt nur von dem Podeſta, zwey Rich:
tern, zwey Räthen, dem Camerarius
Leonardus Campulo und dem Cone—
ſtabulo Bartholomaeus Aldibrando
unterzeichnet. Nach Ramnuſtus (Lib.
3. P. 215); „Zenus ipso Praeturae
ingressu cosdem Magistratus sibi
habuit, quos pridem Dandulus in
morem Venetum instituisset, Judi-
ces sex, Consiliarios quatuor, Ca-
merarios duos et cum Conestabili
Adyocatores communes.“ Auch
führte der Podeſta den Titel Despotes
und trug Purpurſtiefeln, wie zuvor
der Doge. Ducange (Histoire de
Constantinople sous les Empereurs
Frangois, Liv. I. ch. 137.) giebt die
Zahl der Avocatoren zu zwey an,
indem er die angeführte Stetle des
Rhamnuſius alſo überſetzt: „Les Po-
destats ayoient en cette qualité six
Juges,
Cameriers, un Connetable et deux
Advocats fiscaux.‘‘ Der Podeſta
Marino Zeno nannte ſich übrigens
in feinen Urkunden: Venetorum po-
testas in Romania et totius quartae
partis et dimidiae eiusdem imperii
dominator. Vgl. Liber pactorum I,
fol, 157.
quatre Conseillers, deux
113) Daher war der Schlachtruf,
mit welchem die Ritter ihre Feinde
angriffen: Saint Sepulcre, z. B. in
der Schlacht bey Philippopolis gegen
die Walachen und Comanen. Chro-
nique de Henri de Valenciennes
(in Buchon Collection des Chroni-
ques nationales frangaises Tom. III.
p. 909.)
Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 375
gleichen Verhaͤltniſſen entſtandenen Affifen des Königreichs J..
Jeruſalem, wahrſcheinlich mit einigen durch die Umſtaͤnde
und Verhaͤltniſſe gebotenen Abaͤnderungen, als guͤltiges
Recht fuͤr die lateiniſchen Einwohner des neuen Kaiſer—
thums, angenommen wurden **), und auch die Vene—
tianer fanden es zweckmaͤßig, dieſes Recht in ihren grie⸗
chiſchen Beſitzungen einzuführen ***).
114) In der Vorrede zu dem Liber
Consuetudinum Bomaniae, in wel⸗
chem die in dem lateiniſchen Kaiſer—
thume geltenden Lehensgewohnheiten
und Beſtimmungen über die Der:
hältniſſe der Gutsherren zu ihren
Unterthanen (villani), vornehmlich in
Bezug auf das Fürſtenthum Achaja,
geſammelt find, wird folgende Nach:
richt mitgethellt, welche zu fehr das
Gepräge dieſer Zeit trägt, als daß
ihre Wahrheit bezwelfelt werden
könnte: Als im Jahre 1195 (1203)
Conſtantinopel erobert und der Graf
Balduin zum Kaiſer erwählt worden
war, fo wurde, weil die Stadt Con-
ſtantinopel von vielen nicht nach rö—
miſchem Rechte lebenden Leuten (de
zente, che non son obedienti a la
leze de Roma) umgeben war, und die
Verhältniſſe der Eroberer ſelbſt neue
Anordnungen erforderten, beſchloſſen,
an den König und den Patriarchen
von Jeruſalem eine Botſchaft zu fen:
den und ſie zu bitten um die Zuſen—
dung ihrer Gebräuche und Aſſtſen (le
sue usanze et assisse); als dieſe Aſ—
ſiſen angekommen waren, ſo wurden
fie in Gegenwart aller Barone vor:
geleſen; es wurde hierauf beſchloſſen,
ſich nach ihnen und beſonders den
Capiteln, welche für den Frieden des
Reichs am nothwendigſten wären,
zu richten, und von dem Kaiſer (fo
wie wahrſcheinlich auch von den Ba⸗
ronen) wurde die Aufrechthaltung
der Aſſiſen im ganzen Katſerthume
beſchworen. Dieſe in dem Fürſten⸗
thume Achaja geltenden Gewohn⸗
heiten wurden im Jahre 1421 von
der Regierung (Kegimen) zu Negro—
ponte mit Zuziehung von zwölf Bür—
gern dieſer Stadt einer Unterſuchung
und Prüfung unterworfen, die Ne:
gierung fandte die vollſtändigſte und
genaueſte Sammlung derſelben (in
327 Eapitein) nach Venedig, und der
Doge Francesco Foscari beſtätigte
durch eine Urkunde vom 4. April 1453
210 Capitel dieſer Gewohnheiten.
(HReliqua, quae se extendunt circa
modos servandos in praeliis, d. I.
den Gerichtskämpfen, et circa alia
impertinentia et extra propositum,
sint omnino cassanda et delenda.)
Dieſe 219 beſtätigten Artikel finden
ſich nebſt der Vorrede in italieniſcher
und der erwähnten Beſtätigungsur—
kunde in lateiniſcher Sprache unter
dem Titel: Liber Consuetudinum
Imperii Romaniae in Canciani Bar-
barorum Leges antiquae T. III.
v. 493 — 629. Vgl. den Aufſatz: über
die Aſſiſen von Jeruſalem, von K. E.
Schmidt, in der Zeitſchrift: Hermes
B. 30. (Keipz. 1828.) S. 341.
115) Daher iſt auch eine neugrie⸗
chiſche Ueberſetzung (oder vielmehr
Umarbeitung) der Aſſiſen von Jeru—
ſalem vorhanden, aus welcher Du⸗
J. Chr.
1204.
376 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI.
Nach dem Lehenrechte, welches in den Aſſiſen von
Jeruſalem enthalten war, wurden alſo auch die Verbind—
lichkeiten der Lehensmaͤnner des Kaiſerthums von Con—
ſtantinopel geordnet; man fand es aber ſpaͤter noͤthig,
die Verhaͤltniſſe der Vaſallen uͤberhaupt und insbeſondere
ihre Verpflichtung zum Kriegsdienſte durch einen Vertrag
zu beſtimmen, welchen der Graf Heinrich von Flandern
als Reichsverweſer, nachdem der Kaiſer Balduin in Ge
fangenſchaft gerathen war, und der venetianiſche Podeſta
von Conſtantinopel, Marino Zeno, errichteten. Durch
dieſen Vertrag wurde die fruͤher verabredete Theilung des
Reichs von neuem anerkannt und befeſtigt, und zugleich
die frühere Beſtimmung des Kalferd Balduin, welche
nach gehaltener Berathung mit dem venetianiſchen Podeſta
und deſſen Rathe, ſo wie mit den franzoͤſiſchen Baronen
war gegeben worden, dahin erneuert, daß die venetiani—
ſchen Lehentraͤger ſowohl als die franzoͤſiſchen, erſtere in
Folge einer Mahnung des venetianiſchen Raths zu Con—
ſtantinopel, gehalten ſeyn follten, dem Kaiſer auf feinen
Heerzuͤgen zur Vertheidigung des Reichs in jedem Som—
mer vom Tage Johannis des Taͤufers an bis zum Mi—
chaelistage zu folgen; doch ſollte von denjenigen Rittern,
deren Lehen in der Naͤhe der Feinde belegen waͤren, jedes
Mal nur die Haͤlfte verpflichtet ſeyn, den Heerdienſt zu
leiſten, und in ſolchen Jahren, in welchen die Graͤnzen
von den Feinden bedroht oder beunruhigt wuͤrden, die
cange in dem Glossarium mediae et
infimae graecitatis hin und wieder
einzelne Stellen anführt, z. B. bey
den Wörtern :/ayarıyrızn), dydpum,
£umpöhalos (praelocutor, Für:
ſprecher), Aayzva. So viel nach
den von Ducange angeführten Stel⸗
len ſich urtheilen läßt, ſo iſt dieſe
bis jetzt ungedruckte griechiſche Bears
beitung der Aſſiſen eben ſo wenig mit
den uns ſonſt bekannten Affıfen von
Jeruſalem übereinſtimmend, als der
in der vorigen Anmerkung angeführ⸗
te Liber Consuetudinum Impexii
Romaniae.
*
Verfaſſung des neuen Kaiſerthums. 377
Verpflichtung aller dieſer Ritter zum Dienfte im Heere sn.
des Kaiſers wegfallen. Dem Kalfer wurde die Verbin-
lichkeit auferlegt; alle Anordnungen und Koſten, welche
die Handhabung und Vertheidigung des Reichs erfordern
würde, zu übernehmen, und was ihm fein aus den ans
geſehenſten Rittern gebildeter Rath als heilſam und noths
wendig fuͤr die Wohlfahrt des Reichs an die Hand geben
wuͤrde, in Vollziehung zu bringen. Fuͤr den Fall, wenn
zwiſchen dem Kaiſer und den Baronen Unfrieden und Miß—
helligkeit ſich erhoͤbe, wurde feſtgeſetzt, daß weder der Kaiſer,
noch die Barone wider einander willkuͤhrliche Gewalt uͤben,
ſondern ihren Streit den ordentlichen, ſowohl von Seiten
der Venetianer als der Franzoſen boſtellten Richtern über;
laſſen und nach deren Ausſpruche und Urtheile ſich ver—
halten ſollten. So wie die Venetianer in allen andern
Vertraͤgen, welche ſie mit den Kreuzfahrern ſchloſſen,
die fruͤhern in Conſtantinopel und allen andern Orten
des griechiſchen Reichs ihnen zugeſtandenen Rechte aner—
kennen und beſtaͤtigen ließen: ſo geſchah es auch in die—
ſem Vertrage, zu deſſen gewiſſenhafter Erfuͤllung ſowohl
der Kaiſer als die Ritter durch einen feyerlichen Eid ſich
verpflichteten **).
K Durch eine ſolche beſchraͤnkende Beſtimmung der
Verbindlichkeit des Heerdienſtes war es dem Kaiſer un—
moͤglich gemacht, mit Erfolg ein Reich zu vertheidigen,
welches nur mit den Waffen und durch die ununter—
brochene Wachſamkeit und Thaͤtigkeit eines Immer ſchlag—
fertigen Heeres behauptet werden konnte.
Der Kaiſer Balduin ſowohl als die uͤbrigen Barone
des Heeres der Pilger rechneten anfangs mit Sicherheit
auf bedeutende Verſtaͤrkung ihrer Macht durch nachkom⸗
110) S. Beylage 1.
378 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
3. Chr. mende waffenfaͤhige Männer aus ihrer Heimath; und die
Wahl des Kaiſers Balduin war großen Theils bewirkt
worden durch die Hoffnung, daß die zahlreiche flandriſche
Ritterſchaft, deren Tapferkeit und Kampfluſt beruͤhmt war,
es nicht verſaͤumen wuͤrde, ihren auf den Faiferlichen
Thron erhobenen Grafen mit Nachdruck zu unterſtuͤtzen n ““).
Dieſe Hoffnung aber wurde getaͤuſcht. Balduin ließ je—
doch nichts unverſucht, um die Mittel zur Vertheidigung
ſeines Kaiſerthums zu vermehren; er belohnte ſeine Waf—
fengefaͤhrten, um ſich ihre Zuneigung und Treue fuͤr die
Zukunft zu ſichern, ſo reichlich als er es vermochte, mit
Geld und Lehen; und diejenigen Kreuzfahrer, welche von
Conſtantinopel in ihre Heimath zuruͤckkehrten, prieſen ſo—
wohl die Freygebigkeit des neuen Kaiſers, als die Ergie—
bigkeit der Einkuͤnfte ſeines Reichs, welche ihm uner—
ſchoͤpfliche Mittel zu fernerer Freygebigkeit darboͤten, in
Schilderungen, welche geeignet waren, Ritter und Volk
zur Fahrt nach Byzanz und zur Theilnahme an der Ver—
theidigung des neuen dortigen lateiniſchen Kaiſerthums
zu ermuntern *). Indem Balduin durch das koſtbare
Geſchenk zweyer herrlicher mit Gold und Edelſteinen ge—
117) S. oben S. 325, Anm. oo.
118) „Imperator Balduinus statim
tertiam partem imperialis Thesauri
inter principes et exercitum Lati-
norum magnifice distribuit, quae
tertia pars continebat XVIII cen-
tena millia marcarım argenti; quae
infinita pecunia apud nos, sicut et
cetera, quae de Graecorum divitiis
et constructione praedictae civita-
tis et Agiae Sophiae narrantur, in-
credibilia esse videntur. Denique
dicunt redeuntes, quod quotidia-
nus reditus Imperatoris continet
XXX millia perpres (hyperperi);
perpre vero est nummus aureus et
valet tres solidos argenti. Dignita-
tes autem et honores et multa prae-
clara. Xenia principibus et aliis, qui
erant cum eo, magnifice largitus
est. Regi Philippo, domino suo,
transmisit quandam carbunculam,
lapidem pretiosissimum, qui ruti-
lanti fulgore totum palatium potest
illuminare, et duo indumenta rega-
lia auro et lapidibus pretiosis mi-
rabiliter intexta.‘“ Badulfi de Cog-
gesh, Chron. Anglic. p. 101.
Schwäche des neuen Kaiſerthums. 379
zierter kaiſerlicher Kleider und eines Edelſteins von unge—
woͤhnlicher Schoͤnheit dem Koͤnige Philipp von Frankreich,
ſeinem ehemaligen Lehensherrn, ſeine Anhaͤnglichkeit be—
wies, ſuchte er zugleich durch dieſes Geſchenk deſſen Gunſt
und Schutz fuͤr ſich und ſein Kaiſerthum zu gewinnen;
und die Freundſchaft und Zuneigung anderer angeſehener
Fuͤrſten ſuchte er ebenfalls durch Geſchenke von Reliquien
ſich und feinem Reiche zu erhalten ***). Auch bat er in
J. Chr.
1204.
einem eigenen Schreiben die Ritterſchaften aller katholi⸗
ſchen Reiche auf das angelegentlichſte, dem neu gegruͤn—
deten Kaiſerthume bald zu Huͤlfe zu kommen, indem er
ihnen mit lockenden Farben die Annehmlichkeiten und
Vortheile ſchilderte, welche ihrer in dem ſchoͤnen Lande
warteten, und das Verſprechen gab, Jedem, welcher ſeiner
Einladung folgen wuͤrde, nach ſeinem Stande und ſeiner
Geburt, mit eintraͤglichen Lehen zu verſorgen. An den
Papſt ſowohl als alle übrigen Erzbiſchoͤfe und Biſchoͤfe
der katholiſchen Kirche richtete Balduin das Geſuch,
durch ihre geiſtliche Ermahnung die Laien zur Fahrt
nach Conſtantinopel und zur Theilnahme an dem zeitlichen
und ewigen Gewinne, welcher dort durch redlichen Kampf
fuͤr die wahre Kirche eben ſo ſicher als im gelobten Lande
durch den Krieg wider die Heiden erlangt werden koͤnnte,
anzuhalten *). Innocenz ließ dieſes Geſuch nicht uner—
fuͤllt; denn er betrachtete nunmehr den Beſitz von Con—
ſtantinopel als eine erhebliche Erleichterung der Eroberung
des heiligen Landes. Er unterſtuͤtzte daher die Aufforde—
rung, welche der Kaifer Balduin an die Praͤlaten und
219) Der Herzog Leopold von Oeſt- ſchenkte. Calles Ann, Aust. P. 2.
reich z. B. erhielt im Jahre 1205 von p. 172.
dem Kaiſer Balduin ein Stück des
heiligen Kreuzes, welches der Herzog 120) Epist, Innocentii Lib. VII,
im Jahre 1219 dem Kloſter Lilienfeld 132. p. 574.
380 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
N €. Laien erlaſſen hatte, durch ſeine Ermahnung; machte die—
jenigen, welche durch die eifrige Vertheidigung von Con—
ſtantinopel mittelbar fuͤr die Wohlfahrt des heiligen Lan—
des thaͤtig ſeyn wuͤrden, auf gleiche Weiſe, wie die
uͤbrigen Kreuzfahrer, der Vergebung der Suͤnden theil—
haftig *); verſtattete manchem der Pilger, welche zur
Wallfahrt nach dem heiligen Lande durch ein Geluͤbde ſich
verpflichtet hatten, ſich nach Conſtantinopel zu begeben,
durch die Vertheidigung des neuen Kaiſerthums wider
deſſen Feinde ſich verdient zu machen um das heilige
Land, und dadurch ihr Geluͤbde zu löfen 522); und übers
haupt nahm Innocenz der Dritte waͤhrend ſeines ganzen
uͤbrigen Lebens des lateiniſchen Kaiſerthums zu Byzanz
mit großem Eifer ſich an. Gleichwohl wiſſen wir nicht,
daß, außer den Pilgern, welche nicht lange nach der Er—
oberung der Kaiſerſtadt, und zu der Zeit, in welcher
nach dem Tode des Koͤnigs Amalrich von Jeruſalem ſo—
wohl der damalige verwirrte Zuſtand des gelobten Landes
als der fortdauernde Friede mit den Unglaͤubigen dort
keine Gelegenheit zu verdienſtlichen oder vortheilhaften
Waffenthaten hoffen ließ, ihr Geluͤbde aufgaben und in
den Dienſt des Kaiſers Balduin traten 28), und der
bedeutenden Zahl von Rittern und anderen Pilgern, welche
die Ermahnung des Biſchofs Nevelon von Soiſſons
bewog, im Jahre 1207 nach Conſtantinopel ſich zu be—
geben 29), die Macht der dortigen Ritter ſeit der Er—
121) Epist. Innoc. III. Lib. VIII, berti de Monte im Recueil des his-
69. Pp. 710 - 712. Vgl. Lib. VIII. tor. de la France T. XVIII. p. 342.
epist. 130. Lib. IX. epist. 43. 134) Episcopus Suessonum cum
122) Z. B. dem Grafen von Namur multa multitudine Gonstantinopo-
und deſſen Mitpilgern, im Jahre 1206. lim adiir. Robertus de Monte ap-
Epist. Innoc. III. Lib. IX, epist. 45. pend. ad Chron, Sigeberti Gemblaci
123) Anonymi Continuatio RO- ad a. 1207. (in Pistorii Script. rer.
Schwäche des neuen Kaiſerthums. 381
oberung der Stadt irgend eine erhebliche Verſtaͤrkung 2
erhielt. Die Venetianer verſchafften ſich einige Verftär,
kung ihrer Macht in den ihnen unterworfenen Laͤndern
des griechiſchen Kaiſerthums nur durch Liſt oder Gewalt—
thaͤtigkeit, indem fie die Pilger, welche für die Fahrt
nach dem gelobten Lande ſich ihren Schiffen anvertrauten,
taͤuſchten und fie nach Griechenland oder Creta
brachten 25).
Auch bemuͤhten ſich der Kaiſer Balduin und die
Barone des neuen Kaiſerthums, den Beyſtand der
Pilger, welche fruͤher von ihnen ſich getrennt hatten und
damals noch im gelobten Lande waren, ſich zu verſchaffen;
und ſie ſandten in dieſer Abſicht als einladende Sieges—
zeichen die Thore von Conſtantinopel und ein Stuͤck der
geſprengten Hafenkette nach
Germ. ed. Struve T. I.) p. 942. Der
Biſchof kam aber ſelbſt nicht zurück
nach Conſtantinopel, fondern ſtarb
auf der Reiſe in Apulien und wurde
zu Vari in der Kirche des heiligen
Nicolaus begraben. Alberici Chron,
ad a. 1205. p. 441. Auf die von dem
Biſchofe Nevelon von Soiſſons ver—
ſammelte Ritterſchaft bezieht ſich das
am 9. Julius 1207 erlaſſene Schreiben
des Papſtes Innocenz des Dritten
(Epist. VIII, 74.) an den Erzbiſchof
von Tours, aus welchem hervorgeht,
daß der Biſchof Nevelon, weil er den
Glauben hegte, daß die Turniere die
Theilnahme an den Angelegenheiten
des heiligen Landes hinderten, über
die Ritter, welche auf den Turnieren
zu Montdor und Laon geweſen was
ren, den Bann ausgeſprochen hatte;
als aber dieſer Bannſpruch die Wir:
kung bervorbrachte, daß die Ritter
ſich weder für dad heilige Grab be
Ptolemais 12); gleichwohl
waffnen, noch Geldbeyträge nach dem
gelobten Lande ſenden wollten: ſo
nahm der Biſchof den Bann zurück,
was von guten Folgen war und auch
von dem Papſte gebilligt wurde.
125) Innocenz gab daher in einem
Schreiben vom 27. Februar 1209 dem
Patriarchen von Aquileja und dem
Biſchofe von Padua den Auftrag, die
Venetianer von fernern Gewaltthätig⸗
keiten dieſer Art abzumahnen, Epist.
Innoc. III. Lib. XII, 2.
126) Huus xis nolews nal E=
uoxos 175 aAvosws, 7 dıaradEsioa
ovveiys TOV Vavoraduov, Tois &v
Zvele ouoyevioı era nAsiorwv
nAoluv MEnöupeos Hal dıapnnav
ayythovs anavray7 , F eie
nöhsws Örargavuoovras & ννν⁰.
Nicet. S. 383. Nach der Erzählung
des Mönchs Albericus (ad a, 1205 in
ar Chr.
1204.
1
382 Geſchichte der Kreuzzuͤge Buch VI. Kap. XI.
berichtet Villehardouin nur von einer einzigen Geſellſchaft
von ſyriſchen Pilgern, welche den Eroberern des griechiſchen
Kaiſerthums ſich anſchloß. Nach dem Feſte des heil. Mar—
tinus im J. 1204 kamen naͤmlich mehrere der Kreuzfahrer,
welche von ihren Mitpilgern, als dieſe nach Venedig zogen,
ſich getrennt und aus anderen Haͤfen unmittelbar nach dem
gelobten Lande ſich begeben hatten, nach Conſtantinopel;
unter dieſen Pilgern waren Stephan von Perche und Rein—
hard von Montmirail, Vettern des Grafen Ludwig von
Chartres und Blois, beide reiche und tapfere Herren, Dietrich
von Tenremond, und mehrere andere angeſehene Ritter.
Auch Hugo von Tiberias und deſſen Bruder Rudolph kamen
mit dieſen Pilgern und brachten mit ſich viele andere
Ritter aus dem gelobten Lande, ſo wie zahlreiche Scharen
von Turcopulen und anderem Fußvolke. Obgleich dieſe
Ritter mit großen Ehren zu Conſtantinopel empfangen
wurden, und Stephan von Perche das Herzogthum Phila—
delphia von dem Kaiſer Balduin als Lehen erhielt *?7),
fo fand ihr Beyſpiel doch keine Nachfolger. Im folgen
den Jahre, als das Kaiſerthum nach der ungluͤcklichen
Schlacht bey Adrianopel in großer Gefahr ſchwebte, kamen
fuͤnf große und ſchoͤne venetianiſche Schiffe, auf welchen
ſiebentauſend aus dem gelobten Lande heimkehrende be—
waffnete Pilger ſich befanden, unter ihnen Wilhelm, Vogt
von Bethune, Balduin von Aubigny, Johann von Virſin
und wohl hundert andere Ritter, in den Hafen von Con⸗
8
x
Leibnitii accessionib, histor. p. 427) lich diejenigen, welche der Kaiſer
wurde die ganze Kette nach Ptolemais
gefandt: ipsam catenam ruperunt,
quae postea apud Acram fuit missa,
127) Biftehard. S. 130. Die Schiffe,
auf welchen dieſe Ritter nach Con⸗
ſtantinopel kamen, waren wahrſchein⸗
Balduin nach Ptolemais geſandt
hatte, um ſeine Gemahlin Maria
abzuholen. Vgl. D'Outreman Con-
stantinopolis Belgica Lib. IV. c. 3.
P. 270 und Geſchichte der Kreuzzüge
Buch VII. Kap. .
Schwaͤche des neuen Kaiſerthums. 383
ſtantinopel; Conon von Bethune, welcher damals Befehls—
haber der Beſatzung dieſer Hauptſtadt war, Milo aus
Brabant und mehrere andere tapfere Ritter, auch der
damals dort anweſende paͤpſtliche Legat, Cardinal Peter
von Capua, begaben ſich zu dieſen Pilgern und baten ſie
flehentlich und mit Thraͤnen, ſich ihrer bedraͤngten Mit—
chriſten anzunehmen und in Lonſtantinopel zu bleiben.
Die Pilger aber verſchloſſen ſolchen Bitten ihre Ohren
und verließen den Hafen. Als ſie hierauf durch widrigen
Wind in den Hafen von Rodoſto getrieben wurden: fo
richteten an ſie dieſelbe Bitte der Doge von Venedig, der
Marſchall Gottfried von Villehardouin und die uͤbrigen
Ritter, welche von Adrianopel zuruͤckkehrten, und am
Tage zuvor nach Rodoſto gekommen waren. Die Pilger
verſprachen zwar, ſich deshalb mit einander zu bereden
und am andern Tage ihren Beſchluß kund zu thun; in
der Nacht aber nahm Johann von Virſin, ein Ritter aus
dem Lande des Grafen von Blois, zu ſich auf ſein Schiff
den Ritter Peter von Froiville, welcher, ebenfalls zur
Ritterſchaft des Grafen von Blois gehoͤrend, an der
Schlacht bey Adrianopel Theil genommen hatte, nunmehr
aber auf ſchimpfliche Weiſe mit Zuruͤcklaſſung ſeines
ganzen Heergeraͤths von ſeinen ungluͤcklichen Waffen—
gefaͤhrten entwich; und als der Morgen anbrach, fo
ſpannten die Pilger ihre Segel und fuhren davon, ohne
die verſprochene Antwort dem Dogen von Venedig und
dem Marſchall Villehardouin zu geben 28).
J Chr.
1204.
128) Villehardouin, nachdem er de Froeville plus grant que tuit li
(S. 184-136) das im Texte erzählte autre; et porce dit hom (on), que
Betragen jener Pilger berichtet hat, mult fait mal, qui por paor (peur)
fügt hinzu: Mult en regurent grant de mort fait chose qui li est re-
blasme en cel pais ou il allerent et provee A toz iorz,
en celui dontil partirent, et Pierre
Che.
3
384 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. JI.
Unter ſolchen Umſtaͤnden minderte ſich die Zahl der
Vertheidiger des neuen Kaiſerthums bald ſehr bedeutend.
Wenn auch die Zahl der Kreuzfahrer, welche ihren Aufent⸗
halt in Conſtantinopel verlängerten, nicht unbetraͤchtlich
war, nachdem der paͤpſtliche Legat, Cardinal Peter, bald
nach ſeiner Ankunft aus Syrien auf eine elgenmaͤchtige
und von dem Papſte ſehr gemißbilligte Weiſe alle die
jenigen Pilger, welche ſich zur Leiſtung des Heerdienſtes in
Conſtantinopel fuͤr die Dauer eines Jahres verpflichteten,
von dem Geluͤbde der Wallfahrt nach dem gelobten Lande
entbunden hatte 25): fo war gleichwohl von dem unun—
terbrochenen Kriege eine ſchnelle Verminderung des Heeres
die natuͤrliche Folge; und nicht nur in den haͤufigen Ge—
fechten fand mancher Kaͤmpfer ſeinen Tod, ſondern viele
unterlagen auch den Anſtrengungen eines beſchwerlichen
Kriegsdienſtes in einem Klima, an welches ſie nicht ge—
woͤhnt waren **). Selbſt die vornehmſten Anführer des
Heeres genoſſen nur kurze Zeit die Fruͤchte ihrer Siege.
Der Graf Hugo von St. Paul, welchem in der erſten
allgemeinen Theilung des Reichs die Stadt Didymoteichon
zugefallen war, erkrankte ſehr bald nach der Eroberung
129) Epist. Innoc. III. Lib. VIII.
123. 126. In dem letzteren Briefe
klagt der Papſt: quod crucesignati,
relicto peregrinationis proposito,
absoluti ad propria revertantur, et
qui pracdictum imperium spolia-
rant, illo immunito relicto, referti
spoliis terga vertant. Die Maßregel
des Cardinals war alfo nicht einmal
von großem Nutzen für das neue
Kaiſetthum.
130) So erkrankten z. B. auf der
Rückkehr des Kaiſers Balduin von
Theffatonich ſehr viele der ihn beglel⸗
tenden Krieger und blieben entweder
in den am Wege liegenden Städten
und Buͤrgen zurück, oder ließen ſich in
Sänften dem Heere nachtragen; von
den damals erkrankten Pilgern ſtar⸗
ben vierzig Ritter, unter ihnen Peter
von Amiens, des Grafen von St.
Paul Vetter (cousins germains),
Girard de Machicourt und Aegidius
von Aunoy; auch Meiſter Johann
von Noyon, des Kaiſers Kanzler,
ſtarb damals zu Setre. Villehard.
S. 120.
Tod d. Dogen Dandulo u. mehrerer Barone. 385
von Conſtantinopel an heftiger Gicht in den Knien und N
Beinen, und ſtarb im Anfange des Jahres 1205 131);
der Graf Ludwig von Chartres und Blois fand in dem—
ſelben Jahre in der Schlacht, in welcher der Kaiſer Balduin
in Gefangenſchaft gerieth, einen ruͤhmlichen Tod „
der Doge Heinrich Dandulo uͤberlebte nur kurze Zeit ſeine
tapfern Waffengefaͤhrten und ſtarb um Pfingſten deſſelben
Jahres, ſieben und neunzig Jahre alt 133); und der
Markgraf Bonifaz von Montferrat wurde, unfern von
Moſynopolis, im Gebirge Rhodope, auf einem Streifzuge
gegen die Bulgaren, welche dort ſich feſtgeſetzt hatten,
im Jahre 1207 erſchlagen "?*),
131) Sein Leichnam wurde in der
Kirche des heiligen Georgs von Man:
gana (Sain George de la Mange;
Villehard. S. 238, ogl. S. 130) und
nach Nicetas (S. 303) in dem in die⸗
ſer Kirche befindtichen Grabmahle der
Kaiserin Skleräna, der bekannten
Geliebten des Kaiſers Constantinus
Monomachus (zard tyv horn’ rav
Ma yavım, ev 1c 7756 oedaorne
ns Iulmgairns Wemweri) beyge⸗
fegt, ſoll aber ſpäter nach der Abıey
Cercamp in Artois gebracht worden
ſeyn. Vgl. Ducange zu Villehard.
S. 338. a
133) Villehard. S. 148. Irres
wol 6 III Kouns Aoköinos.
Nicet. S. 397.
1230 Er farb am u, Junius an ei⸗
ner Krankheit und wurde mit großen
Ehren in der Sophienkirche (in atrio
ecclesiae S. Sophiae) begraben. Audr.
Danduli Chron. p. 333. Villehard.
S. 160. Sein Grabmahl fand ſich
noch dert, als die Türken Conſtanti⸗
nopel eroberten, und wurde erſt da⸗
V. Band.
U
mals zerſtört; den Panzer, Helm,
die Sporen und das ſehr verroſtete
Schwert des Dogen, welche ſich in
dem Grabmahle fanden, brachte der
venetianiſche Maler Gentile Belino,
welcher ſich einige Zeit bey dem Sul⸗
t Mahomet dem Zweiten aufgehal⸗
ten hatte, nach Venedig und übergab
dieſe Ueberbleibſel den Nachkommen
des Heinrich Dandulo (ad Dandulos
Divi Lucae Henrici Gentiles detu-
lit). Ramnus. p. 214. 215; vgl. Du⸗
cange zu Villehard. S. 340.
134 Nachdem er zuvor bey Moſy—
nopolis eine Zuſammenkunft mit dem
Kaiſer Heinrich, ſeinem Schwieger—
ſohne, gehalten, demſelben den Lehens—
eid geleiſtet und mit ihm für den
nächſten Oktober eine gemeinſchaft⸗
liche Unternehmung gegen den König
Johann verabredet hatte. Bey Ge—
legenheit dieſer Unterredung bot Bo—
nifaz dem Marſchall Gottfried Ville—
hardouin als Lehn entweder Mo ſy—
nopolis oder Serrae an, die Wahl
ihm überlaſſend (Lors dona li Max-
chis Bonifaces a Geoffroi de Ville -
B b
J. Chr.
1204.
75
386 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Da die geringe Zahl der Krieger, welche dem Kalſer
von Conſtantinopel und ſeinen Baronen zu Gebote ſtan—
den, ſich eher verminderte als vermehrte, die Feinde des
neuen Kaiſerthums aber mit jedem Tage zahlreicher wur—
den und von allen Seiten die Herrſchaft der Lateiner
bedraͤngten oder bedrohten: ſo konnte die Ritterſchaft
von Conſtantinopel in der Theilung ihrer Kraͤfte, welche
die von allen Seiten drohende Gefahr nothwendig machte,
nirgends mit großem Nachdrucke handeln *3°), und die
glänzende Tapferkeit, welche fie in vielen Gefechten bewies,
erregte zwar Bewunderung, brachte aber nur geringen
Nutzen. Niemals konnten zu Einer Unternehmung mehr
als hoͤchſtens hundert und zwanzig Ritter mit ihren
Knappen aufgeboten werden, und die Vertheidigung der
Hauptſtadt und anderer wichtigen Plaͤtze mußte gewoͤhn—
lich einer noch geringeren Zahl uͤberlaſſen werden );
die Ritter waren daher mehr als einmal der Verzweifelung
nahe, indem ſie das eroberte Land ſchon fuͤr verloren
achteten :). Die Herrſchaft der Kreuzfahrer in Con—
ſtantinopel wuͤrde ſicherlich nicht ein halbes Jahrhundert
ſich erhalten haben, wenn unter den Griechen ein Mann
geweſen waͤre, welcher es vermocht haͤtte, Zutrauen ſich
Hardoin, le Mareschal de Romenie
et deChampaigne, la cite de Messi-
nople ä totes ses apertenances, ou
celi de la Serre, laquelle que il
ameroit mielz, et cil en fu ses hom
liges, sauve la fealte P’Empereor de
Constantinople). Villehard. S. 209.
Uebrigens ſchließt Villehardouin ſein
Werk mit dem Tode des Markgrafen
Bonifaz, ſo wie Nicetas ſeine Er⸗
zählung endigt mit dem Zuge des
Kaiſers Heinrich nach Adrianopel,
welcher kurz vor dem Tode des Mark⸗
grafen Statt fand, und von Vitle⸗
hardouin S. 203 — 208 erzählt wird;
der Kaiſer begab ſich von Adrianopel
unmittelbar nach Moſynopolis zur Un⸗
terredung mit ſeinem Schwiegervater.
133) Por ce que il estoient espars
en tant de leus (lieux). Villebard.
S. 191. a
136) Vgl. Villehard. S. 141. 170.
174. 100 und an andern Stellen.
137) Car la terre se perdoit tote.
Villehard. S. 141, vgl. S. 170 und
an andern Stellen.
Tod der Kaiſer Angelus und Ducas. 387
zu erwerben, die Kräfts feines Volks zu vereinigen und?
eine planmäßige Bekaͤmpfung der Lateiner zu ordnen und
zu leiten.
Die beyden Kaiſer, Alexius Wibelus und Alexius
Ducas, welche vor der Eroberung der Stadt durch die
Kreuzfahrer fluͤchtig geworden waren, hatten nicht die
Eigenſchaften, welche ihnen nothwendig geweſen waͤren,
um ihr Reich wieder zu erobern; und beyde endigten ihr
Leben auf eine hoͤchſt unruͤhmliche Weiſe. Alexius Ducas,
| welcher, wie bereits oben berichtet worden iſt, von ſei—
nem Schwiegervater, dem Kaiſer Alexius Angelus, der
Augen war beraubt worden, fiel im Herbſte des Jahres
1204, als er es verſuchte, mit wenigen Begleitern uͤber
die Meerenge des heiligen Georg nach Aſien zu entfliehen,
in die Gewalt des Ritters Dietrich von Los und wurde
nach Conſtantinopel geführt ss). In der Rathsverſamm—
lung, in welcher der Kaiſer Balduin mit ſeinen Baronen
uͤber das Verfahren, welches gegen den Gefangenen an—
zuwenden waͤre, ſich beſprach, waren alle der Meinung,
daß ein Mann, welcher ſeinen Kaiſer und Herrn, den
jüngern Alexius, ermordet hätte, eine ſchwere Strafe
verwirkt habe; es wurde in dieſer Rathsverſammlung,
nachdem verſchiedene Vorſchlaͤge waren gemacht und ver
worfen worden *), endlich beſchloſſen, ihn von der
138) Villehard. S. 126; vgl. Nicet.
S. 392, Gunther p. xvıı, Nach
Georgius Akropolites wurde Alexius
von den Italienern bey Moſynopolis
gefunden.
159) Cumque de morte ipsius cer-
ta omnium esset sententia, de ge-
nere tamen mortis multa erat inter
eos disceptatio, quibusdam censen-
tibus, eum laqueo suffocari, quem -
admodum ipse dominum suum per-
emerat, aliis vero vivum flammis
immitti, vel saxo alligato pelago
immergi, vel terrae infodi, vel
detracta pelle totius corporis vis-
cera denudari, vel truncari omni-
bus membris, vel si quid aliud atro-
cioris poenae in hominem scelera-
tum posset ab aliquo reperiri. Quid
putas misero tunc animi fuisse, cum
B b 2
J. Chr.
1204.
388 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
hohen Saͤule, welche auf dem Forum des Theodoſius
ſtand, herabzuſtuͤrzen, und dieſe Strafe wurde bald her—
nach unter großem Zulaufe des Volks vollzogen ).
audliret eos de morte sua tam subti-
liter disputantes, nisi; quod dolor
luminis amissi mortis vicinae for-
midinem leniebat, Guuth, p. xvııı,
Villehardouin bemerkt (S. 127) blos,
daß der Kaiſer Balduin ſich mit ſei⸗
nen Baronen darüber berathen habe
(en prist conseil à ses homes), was
mit einem Manne anzufangen wäre,
welcher ſeinen Herrn ermordet hätte.
Nach der Erzählung des Nicetas
(a. a. O.) ſuchte Murtzuflos bey den
räther ſeines Vaterlandes geweſen
und habe alſo nur die verdiente
Strafe erlitten, und ſeine Ermordung
ſey überhaupt die gemeinſchaftliche
That ſeiner Verwandten geweſen.
140) Eis yd riv νεαν ννοονν avd-
tre ziova, o Tavoog 7 oe,
“rw Baklovon Georg. Acropol,
P. 5. Dieſe Säule (qui ere une des
plus haltes et des mielz ovrées de
marbre, qui onques fu veue d’oeil,
Villehard.) bie alfo Taurus, und
daher erhielt der theodoſiſche Markt
(jeßt Tauk basari oder Hühnermarkt,
ſ. Joſ. v. Hammer Conſtantinopolis
und der Bosporus Th. I. S. 170.171)
auch den Namen Markt des Taurus.
(o ados, vgl, Ducangii Constan-
tinop. Christ. Lib. II. 7. p. 76 sq.)
Dieſe Säule war eines von den Denk:
mãhlern/ welche die Griechen ororysı-
bo (tatidica) nannten, weil fie
Weiſſagungen zukünftiger Ereigniſſe
enthalten ſollten. Nach der Erzählung
Villehardouin's war auf dieſer Säule,
unter vielen andern in Marmor ge⸗
arbeiteten Bildern, das unglückliche
Ende des Murtzuſtos prophetiſch dar⸗
geftelit durch das Bild eines Kaiſers,
welcher herabfiel (si chait outre val),
und man deutete auch ſchon feit lan»
ger Zeit dieſe Darſtellung als Weiſſa⸗
gung von dem Schickſale eines Kai⸗
ſers, welcher von dieſer Säule herab⸗
geſtürzt werden ſollte. Der Mönch
Günther, welcher (a. a. O.) eine aus⸗
führliche Beſchreibung der Säule mit⸗
theilt und auch der an derſelben be—
findlichen prophetiſchen Darſtellungen,
beſonders der Darſtellung der Ein⸗
nahme einer Stadt durch eine feind⸗
liche Flotte, erwähnt, behauptet, daß
die dem Murtzuftos zuerkannte Todes⸗
art als die am wenigſten ſchimpfliche
gewählt worden ſey. „Placuit tan-
dem principibus, pro eo, quod li-
cet homo nefarius alti tamen san-
guinis erat, eum super alt issimam
pyramidem duci et inde longo as-
scri alligatum. praecipitem jaculan-
do dari, ut qui de alto regni statu
subita dejectione corruerat, nihi-
lominus ab alto cadens,
miserrimam quidem, sed non tur-
mortem
pissimam inveniret. Quod ubi fa-
ctum est, toto corpore conquassa-
tus, cum dolore et miseria infeli-
cem spiritum exhalavit.““ Villehar⸗
douin beſchreibt (S. 127) alſo den
Tod des Murtzuflos: Ensi fu menez
a la colonne l’Empereor Morchu«
flex et fu menez sus, et toz li
pueples de la citez acorrut por veoir
m
171
F
Tod der Kaiſer a und Ducas. 389
Nicht lange zuvor war Alexius Angelus der aͤltere, nebſt
ſeiner Gemahlin Euphroſyne, Gefangener des Markgrafen
Bonifaz geworden, welcher ihn nach Montferrat fuͤhren
ließ und ſeine Purpurſtiefeln * kaiſerlichen Ge
wande dem Kaiſer Balduin uͤberf
la merveille: lor fu botez à val et
chai de si halt, que quant il vint
A terre, que il fu toz esmicz (Fra-
cassé). Nicetas berichtet (a. a. O.)
ſogar ſehr genau die Richtung des
Falles; zuerſt waren die Füße wäh:
rend einer Weile niederwarrs gerich—
tet, hierauf drehte ſich der Körper,
ſo daß der Kopf niederwärts gerichtet
war, endlich fiel Murtzufios ſchräg
auf die Seite und wurde derſchmettert
(6 o m nous ulygı Tıvös narıwv,
era avarganeis fdr »0ga, ü
uerd Boay) zoragoaysis Öoyuıos
dıtöönser oirgörara zw wuyV).
Uebrigens war das Herabſtürzen von
Höhen eine im Mittelalter (beſonders
bey den Franzoſen) nicht ungewöhnliche
Art der Todesftrafe, welche besonders
gegen Verbrecher von höherem Stande
in Anwendung gebracht wurde, wie
Ducange (zu Villehard. Kap. 163.
S. 330 mit Anführung einiger Bey—
ſpiele bemerkt. Auch bey den Griechen
war dieſe Art der Todesſtrafe gebräuch»
lich; denn Leo Sgurus, Tyrann von
Corinth, ließ nach der Erzählung des
Nicetas (S. 410) den Erzbiſchof von
Corinth, nachdem er ihn hatte blen⸗
den laſſen, von einem Felſen herab—
werfen.
it) Villehard. S. 127. 128. Nice⸗
phorus Gregoras, welcher ausführlich
die weitern Schickſale und das Ende
des Alexius erzählt (Lib. I. o. 2 3,
dte **); Alexius kam
p. 9-12), ſagt ebenfalls, daß der
flüchtige Kaiſer von dem Markgrafen
gefangen worden ſey (Ec A v auros
2 Movrnopsgavrov nagpxsoiw),
fegt dann aber hinzu, daß er, nad
dem man ihn ſeiner Schäge beraubt
habe, freygelaſſen worden und hier—
auf längere Zeit in Achaja und dem
Peloponnes herumgeirrt ſey. Nach
der Erzählung des Nicetas (S. 394)
ergab ſich Alexius Ducas freywillig
dem Markgrafen, bedung ſich gewiſſe
Einkünfte (-D usronToV zal #0-
rue #tvaowa) und wurde ‚nach
der Stadt Halmyros verwieſen. Nach
Georgius Akropolites, welcher eben:
falls die fernern Schickſale des Ale⸗
xius Angelus berichtet, verdankte der
flüchtige Kaiſer die gute Aufnahme in
Theſſalonich der Gemahlin des Mark—
grafen Bonifaz, der ehemaligen Ge—
mahlin des Kaiſers Iſaak Angelus.
Daß übrigens der Kaiſer Alexius
Angelus von dem Markgrafen Bonir
faz, wie Villehardouin erzählt, wirk—
lich nach Montferrat geſandt wurde,
bezeugt eine merkwürdige Urkunde,
welche mitgetheilt worden iſt in Gio
seffantguio Molinari Storia d Incisa
e del gia celebre suo marchisato
(Asti 1810. 2 Voll. g.) Vol. I. p. 196
— 199, und aus derſelben in Michaud
Hist. des Crois, T. 3. p. 6371. Nach
dieſer Urkunde, welche am 5. Auguſt
1204 ausgeſtellt wurde, kamen zwey
Ritter des Markgrafen Bonifaz (ambo
J. Chr
1994.
J. Chr.
1204.
14
390 Geſchichte der a8
uͤge. Buch FI. Kap. XI.
ſpaͤter noch einmal wieder in Freyheit, verſuchte es, mit
Huͤlfe der Tuͤrken ſeinen Eidam Theodorus Laskaris aus
dem Beſitze des Landes, welches dieſer fich unterworfen hatte,
zu verdraͤngen, fiel
endigte ſein Leben in
er in deſſen Gefangenſchaft und
em aſiatiſchen Kloſter.
Theodorus Laskaris beſchraͤnkte ſeine Herrſchaft auf
Nicaea und einige benachbarte Staͤdte und Inſeln *);
und er fand auch in der
eapitanei equitum serenissimi Boni-
facii Marchionis Montisferrati et
supremi Ducis omnium Christiana-
rum potentiarum), Jacobus Alberti,
aus dem Geſchlechte der Markgrafen
von Inciſa, und Antoniellus Molinari,
welche den Kaiſer Alexius als Gefan—
genen und deſſen Gemahlin und Töch—
ter von Theſſalonich nach Caſale in
Montferrat geführt hatten (declara-
verunt, se contulisse militando cum
Serenissimo Bonifacio, eorum duce,
ad magnam Constantinopoli civita-
tem (capiendam), et’illa capta ab
ipso Serenissimo Duce redivisse una
cum gloriosissimo ejus filio Gu-
lielmo ad Civitatem Casalis Montis-
ferrati et in eam Alexium Impera-
torem illum victum et captum cum
uxore et filiis ejus traduxisse), nach
Inciſa und überreichten in der dorti—
gen Pfarrkirche St. Johannis des
Täufers dem Markgrafen Heinrich
von Inciſa und deſſen verſammeltem
Rath ein von ihnen zu Conſtantinopel
erbeutetes, anderthalb Palmen hohes,
oben und unten mit einem gefchnitte:
nen Edelſteine (gemma una) ge
ſchmücktes ſilbernes Kreuz, in deſſen
Mitte ein anderes kleines, aus dem
Holze des wahren Kreuzes verfertig⸗
tes Kreuz befeſtigt war, ſo wie einen
Beutel mit Mais, einer bis dahin in
Vertheidigung dieſes kleinen
jener Gegend unbekannten Frucht,
welche ſie auf einem Streifzuge in
Natolien gefunden hatten und des
Anbaues in ihrem Vaterlande fähig
hielten. Donaverunt eorum patriae
bursam unam capacitatis octavae
partis stadii unius de hac mensura
plenam de semine seu granis de
colore aureo et partim albo, non
amplius antea visis in regionibus
nostris, qui dixerunt detulisse ab
una provincia Asiae Natolia dicta,
per quam cum equitibus suis in-
cursiones exsecuti erant tempore
eircumvallationis magnae illius ci
vitatis Constantinopoli, et vocari
Meliga (melica), quae tractu tem-
poris magnum redditum et subsi-
dium patriae compararet. Der Mark
graf Heinrich und feine Rathsherren
(consules) nahmen dieſes Geſchenk
mit großer Dankbarkeit an, legten
den mit Mais gefüllten Beutel in das
Nathsarchio (pro seminatione et
collectione promissi fructus ad hu-
ius populi utilitatem, si terrae qua-
litas, aëx et cultura favebunt, uti
sperant), und ließen zum Andenken
ſolcher Schenkung eine eigene Ur—
kunde abfaffen und von Zeugen und
Notarius unterſchreiben.
142) Nicet. S. 410.
Die Griechen in Kleinafien. 391
Reiches hinlaͤngliche. Beſchaͤftigung, da feine Herrſchaft
anfaͤnglich von den Lateinern ihm ſtreitig gemacht und
bald auch von andern Seiten bedroht wurde. Außer
andern Griechen, welche neben dem Kaifer Theodorus es
verſuchten, in einzelnen kleinaſtatiſchen Landſchaften und
Staͤdten unabhängige Fuͤrſtenthuͤmer zu gruͤnden, errichtete
Alexius der Comnene, Enkel des ungluͤcklichen Kaiſers
Andronikus, mit Huͤlfe ſeines thaͤtigen Bruders David
einen neuen kaiſerlichen Thron in Trapezunt, und vers
ſchaffte ſich die Unterſtuͤtzung der lateiniſchen Ritter von
Romanien, welche David dagegen mit Lebensmitteln ver⸗
J. Chr.
1204.
85). So wie die Griechen, welche in Kleinaſien auf
den Trümmern des roͤmiſchen Kaiſerthums neue Reiche
und Fuͤrſtenthuͤmer gründeten, unter fich ſelbſt in beſtaͤn⸗
digem Streite waren: eben ſo ſtanden ſie in ſchlechtem
Vernehmen mit Leo Sgurus, Fuͤrſten von Corinth und
Nauplia, Michael von Epirus und den uͤbrigen, welche
in den europaͤiſchen Provinzen des griechiſchen Kaiſer—
thums Fuͤrſtenthuͤmer und Herrſchaften ſich angemaßt
hatten *). Dieſem Mangel an Eintracht unter den
Griechen, ſo wie der Vertheilung der Truͤmmer des grie⸗
chiſchen Kaiſerthums unter eine nicht geringe Zahl von
Emporkoͤmmlingen verdankten vornehmlich die Lateiner
die Verlaͤngerung der Dauer ihres auf einem ſonſt un-
haltbaren Boden gegruͤndeten Reiches; und die meiſten
jener Emporkoͤmmlinge übten an ihren Unterthanen ſchlim—
mere oder wenigſtens eben ſo harte Erpreſſungen und
Kaiſers Andronikus, und die Grün:
133) Er verſah die Lateiner nach
Nicetas (S. 412) mit geſalzenem
Schweinefleiſch (zodaoım i ν Ta-
C,,). Ueber die Brüder Alexlus
und David, Söhne des Manuel
Comnenus, des älteſten Sohns des
dung des Reichs von Trapezunt, ſ.
Jak. Ph. Fallmerayer Geſchichte des
Kaiſerthums von Trapezunt (Mün—
chen 1827. 4.) S. 41 folg.
144) Nicet. S. 402. 303. 410.
J. Chr.
N
J. Chr.
1205,
392 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Bedrückungen, als die lateiniſchen Barone in ihren Herr, 1
ſchaften ſich erlaubten **), in
In größere Gefahr aber, als durch die Griechen,
wurde das lateiniſche Kaiſerthum ſehr bald nach ſeiner
Gruͤndung gebracht durch Johann, Fuͤrſten der Walachen
und Bulgaren, den Nachfolger feiner. beyden aͤlteren
Bruͤder, Aſan und Peter, welche die Bulgarey der grie⸗
chiſchen Herrſchaft entzogen und in derſelben ein unabs
haͤngiges Reich gegruͤndet hatten ). Johann hatte,
ſobald er ſeinem Bruder Peter als Beherrſcher der Bas,
lachen und Bulgaren gefolgt war, ſich und ſein Rei
der kirchlichen Hoheit des roͤmiſchen Biſchofs unterworfen,
war dafuͤr von Innocenz dem Dritten mit dem koͤniglichen
Titel, Zepter, Diadem und einem Panier zum Gebrauche
im Kampfe wider die Feinde des Glaubens belohnt, und
von dem Cardinale Leo, welcher jene Geſchenke uͤberbrachte,
als König der Walachen und Bulgaren geſalbt und ge
kroͤnt worden **). Johann beſchraͤnkte aber nicht feine
Herrſchaft auf die Laͤnder der Walachen und Bulgaren,
ſondern er ſetzte ſich auch in den Beſitz mehrerer Staͤdte
und feſter Platze jenſeit des Haͤmus, vornehmlich mit
Huͤlfe zahlloſer Horden von Comanen 18), indem er
145) Die härteſte Bedrückung unter dem Innocenz ihn als König aner:
allen übte Leo Sgurus. Nicet. S. 310. kannt hatte (c. 108): Rex Bulgaro-
rum et Blacorum. Villehardouin
nennt ihn (3. B. c. 206. p. 161): Jo-
hannis le Roy de Blakie et de
147) Im Jahre 1204; ſ. Gesta In- Bougrie.
nocentii III. c. 63 - 77 und die dar 143) Die Comanen (Li Commain
ſelbſt angeführten Briefe des Papſtes oder Comain bey Villehardouin z. B.
Innocenz. Der König Johann heißt = 187. 244. p. 146. 197) waren
dort c. 70): Johannitius sive Calo- ein nomadiſches, den Petſchenegen
johannes, dominus Blacorum et (arbendazais bey den Byzantinern)
Bulgarorum, und ebendaſelbſt, nach- verwandtes, alſo tatariſches Volk,
146) Zur Zeit des Iſaak Angelus
um das Jahr 1183. Nicet. S. 236 folg.
393
die damalige Verwirrung und Schwaͤche des griechiſchen I, Chr.
Kaiſerthums benutzte. Als die Lateiner Conſtantinopel 5
erobert hatten, ſandte er zu ihnen Botſchafter und ließ .
ihnen Freundſchaft und Buͤndniß antragen; ſein Antrag
wurde aber mit Stolz und Verachtung zuruͤckgewieſen .
Hierauf ruͤſtete er ſich zum Kriege wider die ſtolzen Ritter,
und ſandte die Griechen, welche zu ihm kamen und feinen
Schutz ſuchten, zuruͤck mit der Anweiſung, die von den
Lateinern beſetzten Staͤdte von Romanien zum Aufſtande
und zur Empörung wider ihre Zwingherren zu reizen ).
Dieſe Maßregel hatte den Erfolg, daß die Kreuzfahrer
ſehr bald ſich genoͤthigt ſahen, faſt alle ihre Eroberungen
in Romanien bis auf Conftantinopel und menige andere
Städte und ſpaͤterhin auch die in Kleinaſten beſetzten
Plaͤtze zu verlaſſen.
Der Kampf gegen die Walachen und Bulgaren und
gegen die zahlloſen comaniſchen Horden, mit welchen der
Koͤnig Johann das neue Kaiſerthum angriff, war den
abendlaͤndiſchen Rittern nicht weniger gefaͤhrlich, als im
Krieg gegen die Walachen u. Bulgaren.
welches auch dieſelbe Sprache wie die
Petſchenegen redete. Vgl. Annae
Comn. Alexias Lib. VIII. p. 232. Es
geſchieht der Comanen zuerſt Erwäh—
welches von ſeinen Vorfahren ſchon
beſeſſen worden, wieder an ſich ge—
nommen hätte, und, da er außerdem
von dem Papſte als König anerkannt
nung auf Veranlaſſung ihrer Plün⸗
derung von Adrianopel im Jahre
1078. Vgl. Stritter Memoriae po-
pulorum T. III. P. II. p. 951.
140) Sie gaben ihm zur Antwort,
daß ſie nicht anders Frieden mit ihm
halten würden, als wenn er das
zum Kaiſerthume von Conſtantinopet
gehörige Land, welches er ungerech—
ter Weiſe an ſich gebracht hätte, zu⸗
rückgäbe; worauf der König Johann
erwiederte, daß er nur das Land,
worden ſey, ſein Land mit größerem
Rechte beſäße, als die Lateiner Con⸗
ſtantinopel und der Graf Balduin die
kaiſerliche Krone (ipse, qui se appel-
labat Constautinopolitanum Basi-
leum, coronam Imperii temere
usurpaverat a se ipso), er würde
alfo mit dem Paniere des heil. Petrus
vertrauensvoll gegen diejenigen Fame
pfen, welche falſche Kreuze auf ihren
Schultern trügen. Gesta Innoc. III.
C. 108.
150) Nlcet. S. 394
J. Chr.
1205,
394 Geſchichte der Kreuzzuͤge. Buch VI. Kap. XI.
Morgenlande der Kampf wider die Tuͤrken. Wenn auch
die geharniſchten Ritter mit ihren Lanzen und Schlacht⸗
ſchwertern und durch die gewaltige Kraft ihrer Schlacht;
roſſe im erſten Angriffe ihre leichtbewaffneten Feinde zu
Boden warfen: ſo hatten dieſe dagegen, wenn der Kampf
ſich verlängerte, großen Vortheil durch, ihre leichteren
Waffen. und ihre behenderen Pferden). Selbſt die Ge⸗
ſchicklichkeit der franzoͤſiſchen. Bogenſchuͤtzen vermochte
wenig gegen ein Reitervolk, welches niemals in geſchloſ—
ſenen Scharen kaͤmpfte; und die Tapferkeit der Ritter
und ihrer Knappen ermuͤdete doch auch endlich in dem
beſchwerlichen Kampfe gegen die unermeßliche Zahl vor⸗
nehmlich der comaniſchen Hordenz, welche / auch wenn fe.
beſiegt wurden, ihre Angriffe ſtets wieder erneuten —
4146
„N N.
181) Villehardouin macht (S. 160),
indem er das im Jahre 1206 vorge
fallene Gefecht der Ritter bey Ruſtum
gegen die Walachen, Bulgaren und
Eomanen beſchreibt, aufmerkſam auf
dieſen Umſtand: cil (nämlich die
Ritter) furent pesament arme et cil
legierement, lor anemi; auch Nice:
tas (S. 396) leitet ſowohl von dleſem
Umftande, als von den behenden
Pferden und der überlegenen Zahl
der Scharen des Königs Johann den
für den Kaiſer Balduin fo unglück—
lichen Ausgang der Schlacht bey
Adrianopel her. Vgl. Georg. Akro—
pol. S. 12, und Nicephorus Gregoras
Lib, I. & 2. p. 8, welche ebenfalls
von dem Nachtheile reden, in wel:
chem die ſchwer bewaffneten Lateiner
gegen die leicht bewaffneten Coma⸗
nen (Zaha) und Bulgaren ſich
befanden. Die serjans a cheval,
welche die Ritter begleiteten, waren
allerdings wohl leichter bewaffnet,
als die Ritter; aber doch in dieſer
Hinſicht nicht vergleichbar den Scha⸗
ren des Königs Johann. Wir bemer⸗
ken gelegentlich, daß die Abtheilungen
dieſer Serjans Rotten genannt wurden
(3. B. bey Villehardouin c. 187.
P. 45: une rote de serians Acheval),
und diefes Namens erwähnt auch
Nicetas (S. 399): Cora, uorga 100
orgaTsvugrog; eine Rotte von ser-
jans, welche bey Villehardouin (0. 216.
P. 17) vorkommt, zählte 2000 Mann
(bien deux mil), In dem Kriege
gegen den König Johann gebrauchten
die Ritter auch Turcopulen, ebenfalls
eine leichtere Miliz und Armbruſt—
ſchützen zu Pferde (Turcoples et ar-
balestriers a cheval); Truppen dieſer
beyden Arten ſtanden damals unter
dem Befehle des Marſchalls Gottfried
von Villehardouin. Villeh. Kap. 229.
S. 181.
Krieg gegen die Walachen u. Bulgaren. 395
wie die Tuͤrken, viel furchtbarer waren, wenn ſie flohen, LE:
als wenn ſie zum Kampfe ihren Feinden ſich entgegen
ſtellten. Die Unkunde der Kreuzfahrer in dem Kampfe mit
einem ſolchen Volke hatte den ungluͤcklichen Ausgang der
Schlacht bey Adrianopel zur Folge, in welcher der Kaiſer
Balduin, als er mit einer allzugeringen Zahl von Rittern
die, von dem Koͤnige der Bulgaren und Walachen mit
zahlreichen Truppen beſetzte, Stadt Adrianopel zu belagern
verſuchte, am Donnerstage nach Oſtern des Jahres 1203 mit
in Gefangenſchaft gerieth, der Graf Ludwig von Chartres
und Blois, und viele andere tapfere Ritter derſchlagst
wurden *).
Der König Johann verſtand es aber nicht / die B Vor⸗
theile des gewonnenen Sieges zu verfolgen.
Zwar vertrieb
er die lateiniſchen Ritter nach und nach faſt aus allen
Staͤdten,
hatten HN auch ſtreiften
welche fie in dem Lande Romanien erobert
die Walachen und Comanen
mehrere Male bis an die Thore von Confantinppel, das
Land auf das ſchrecklichſte verwuſtend, und die Comanen
uͤberwaͤltigten ſogar das Thor des heiligen Romanus
und erſchlugen diejenigen, welche fie dort antrafen );
152) Ueber dieſe Schlacht f. Ville⸗
hardouin €. 183 192. p. 143 149.
Literae Henrici, fratris Imperatoris
(Balduini) ad Innoc, III. in Epist.
In noc. III. Lib, VIII. 131. p. 765 sd.
Nicetas S. 303. 306. Georg. Akrop.
S. 11.12, Nicephorus Gregoras Lib. I.
0. 2. p. g. Hugo Plagon S. 669 - 67.
153) Im Jahre 1206 beſaßen die
Ritter außer Conſtantinopel nur die
Städte Bizya (Versoi), wo Anſelm
von Eahteu mit 120 Rittern war, und
Selybria (Salembrie), welche Maka⸗
rius von St. Menehoult mit 50 Rit⸗
tern beſetzt hielt. Villehard. Kap. 220.
S. 174.
154) Li Comain orent coru (um:
mittelbar nach der Schlacht bey
Adrianopel) trosque deyant Con-
stantinople, Villehard. Kap. 20g.
S. 158.159. Lors (nachdem der König
Zohann im Jahre 1206 die Stadt
Tzurulum überwältigt hatte (corru—
rent li Commain et li Blac devant
396 Geſchichte der Kreuzzüge. Buch VI. Kap. XI.
FR aber Johann machte niemals einen Verſuch, Conſtanti—
nopel zu erobern, und die ſchrecklichen Verwuͤſtungen,
welche ſeine unbaͤndigen und durch keine Zucht gezuͤgelten
Scharen ohne Unterſchied in dem Lande der Freunde und
Feinde uͤbten, machten ſeine Herrſchaft den Griechen
bald nicht minder verhaßt, als ihnen die Herrſchaft der
lateiniſchen Ritter geweſen war **); fo daß die Gewalt
des bulgariſchen Koͤnigs in Romanien keine Feſtigkeit
gewann *). Auch war die Ausführung planmaͤßiger Unter—
nehmungen fuͤr ihn ſehr ſchwierig, weil die Comanen,
deren Beiſtand ihm ſeine Eroberungen moͤglich machte, ihrer
Gewohnheit treu blieben, im Sommer in ihre Heimath
zuruͤckzukehren und dort zu ruhen, und jeder Unternehmung
abgeneigt waren, welche nicht unmittelbar und mit Sicher;
heit eine reiche Beute erwarten ließ! ).
Sobald die Kreuzfahrer die ſichere Kunde erhalten
hatten, daß der Kaiſer Balduin in der Gefangenſchaft
geſtorben war 238); ſo wurde fein Bruder Heinrich,
les portes de Constantinople, ou
Henris li Bals de Il' Empire ere a
tant de gent com il avoit, mult
dolenz et iriez, perce que il ne
pooit avoir tant de gent qwil peust
sa terre deffendre; et en pristrent
li Comain les proies de la terre et
homes et fames et enfanz, et abati-
zent les citez et les chastiax, et
firent si gränt essil (degat), que
onques nus hom n’oi parler de si
grant. Villehard. Kap. 210. S. 173.
Vgl. Kap. 241. S. 191. Kap. 244. S. 107.
155) Nicetas S. 305.
130) Nicetas S. 408. 400.
157) Johan li Rois de Blakie et de
Bougrie ne pot plus ses Comaius
tenir en la terre, que il ne poent
plus hostier por l’este ; ainz reparic-
rent en lor pais, Villeh. Kap. 204.
S. 260; vgl. Kap. 244. S. 197.
138) Die Barone erhielten die ſichere
Nachricht von dem Tode des Kaiſers
Balduin erſt im Sommer des Jahres
1206 durch Reinhard (Reniers) von
Trit, welcher in der Burg Stenima:
chus (Stanimac) in der Eparchie von
Philippopolis (vgl. Nicetas S. 334)
eingeſchloſſen war, als ſie jene Burg
entſetzten; bis dahin hatten ſie wohl
von dem Tode des Naiſers gehört, aber
a
Kroͤnung des Kater Denn
welcher bis zu dieſer Zelt als Reichs verweſer WMehbdas
397
Kaiſerthum verwaltet hatte, als Kaiſer gekroͤnt “e), und
der neue Kaiſer eilte, die Gunſt des Markgrafen Bonifaz
von Montferrat dadurch ſich zu verſchaffen,
deſſen Tochter Agnes zur Gemahlin nahm ).
nicht daran geglaubt. Villeh. Kap. 230.
S. 182. Die verſchiedenen Nachrichten
von dem Schickſale des Kaiſers Bal⸗
duin ſ. in Petri d'Outreman Con-
stantinop. belg. Lib. IV. c. 15.
P. 366 s.; vgl. Fr. von Naumer’s
Geſch. der Hohenſtaufen Th. 3. S. 237,
wo zu den, in der Anmerkung ».
angeführten, Momenten noch beyzu—
fügen iſt, daß Heinrich, der Bruder
des unglücklichen Kaiſers, ſelbſt am
5. Junius (Nouis Junii) 1205 aus
dem Blachernenpalaſte an den Papſt
Innocenz III. ſchrieb: Accepimus ab
exploratoribus nostris certissimis et
fama veridica, quod dominus meus
Imperator teneatur et vivus, qui
ab codem Johannitio satis, ut asse-
un tempore honorabiliter
Epist. Innoc, III. Lib.
VIII. 13T. p. 766.
159) Bals oder Bauls (d. i. Bajulus
oder Baillivus
Villehardouin;
welche er als
ſtellte, nannte er ſich:
Imperatoris Constantinopolitani et
moderator Imperii. S. den ange:
führten Brief an den Papſt Innocenz
und Liber pactorum I. fol, 157.
160) Die Krönung des Kaiſers
Heinrich geſchah am Sonntage nach
Mariä Himmelfahrt (le Dimenche
apıes la feste Madame Sainte Marie
en Aost) 21. Auguſt 1205. Villehard.
Kap. 231. S. 183. Nicetas (S. 413)
macht es als ein ſehr löbliches Ver⸗
fahren bemerklich, daß die Lateiner
*
ee
de I Empire bey
in den Urkunden,
Reichsverweſer aus—
Frater domini
daß er
Ob⸗
den Thron von Conſtantinopel ſechs⸗
zehn Monate unbeſetzt ließen und
nicht eher die Krönung und Sal—
bung eines andern Kaiſers geitattes
ten, als nachdem fie die ſichere Nach—
richt von dem Tode des Kaiſers Bal⸗
duin erhalten hatten. Er fügt dann
hinzu als Nutzanwendung: „Mögen
ſolches die Römer hören, welche einen
Kaiſer ſalben und zugleich auch ſchon
an den denken, welcher den eben
geſalbten bald wieder ſtürzen ſoll“
("Anovirwoov taita o Pu d tot,
o yolovrss νE v Tov did xd-
vors KaFaLONOOVTa TOV ygLöusvov
zo vo ovAhlaußavovrss).
161) Villehard. Kap. 235. S. 186.
Villehardouin und Milo aus Brabant
wurden der Prinzeſſin Agnes (qui
mult ere et bone et belle), als fie
in einer Galeere nach Abydus kam,
entgegengeſchickt, um ſie zu empfan—
gen und im Namen des Kaiſers zu
begrüßen, worauf am Sonntage nach
Lichtmeſſen (le Dimanche aprés la
feste Madame Sainte Marie Chan-
dellor), den 5. Februar 1206, in der
Kirche der göttlichen Weisheit die
Trauung und im Palaſt Bukoleon
die Hochzeit und das Beylager (les
noces haltes et planieres) gefeyert
wurde. Villeh. Kap. 239. S. 180. 190.
Die Prinzeſſin wurde erſt, als der
Kaiſer um ſie warb, von ihrem Vater,
dem Markgrafen Bonifaz, aus der
Lombardey nach Theſſalonich gerufen.
Villehard. S. 186.
398 Geſch. d. Kreuzz. B. VI. K. XI. Kroͤn. d. Kaiſers Heinrich.
2285 gleich Heinrich ein tapferer und kuͤhner Ritter war, fo
zwangen ihn doch die Verhaͤltniſſe, ſeine Thaͤtigkeit auf
die Vertheidigung von Conſtantinopel und den uͤbrigen
wenigen Staͤdten in Romanien, welche ihm geblieben
waren, zu befhranfen; das lateiniſche Kaiſerthum er—
hielt weder unter ihm, noch ſeinen Nachfolgern eine feſte
innere Begruͤndung und ging vielmehr dem Untergange
entgegen.
| 1
| DEN DENE m.
N 11 *
Geſchichte der Kreuzzuͤge.
VRR |
Se ſch ſteus Bud.
f ,
„
.. al Ta ei
A A A Te Fi
1.
Verträge der Kreuzfahrer und Venetianer, in Beziehung
auf ihre Eroberungen in den Laͤndern des griechiſchen
Kaiſerthums.
A.
Theilung der Länder *)
1. Haec est pars terrarum demini Ducis et com-
munis Fenetiae:. Civitas Archadiopli ), Missini (Mosy-
nopolis), Bulgarifigo, pertinentia Putis 2) et Nicodemi 3),
civitas Yraclee, pertinentia Challcidos *) cum civitate Ro-
desto et Panedo cum omnibus, quae sub ipsis, et ei-
vitas Adrianopoli cum omnibus, quae sub ipsa, pertinentia
Gani°), Casali (casalia) Chortocopi 7), Casalia Chotriki 8),
) Nach den Abfchriften dieſes Vertrags, welche in folgenden Handſchriften
des k. k. Haus- und Staatsarchivs zu Wien ſich befinden: dem Liber
albus und dem Liber I und II pactorum. Der von uns mitgetheilte
Text iſt der im Liber albus enthaltene. Die beiden andern Hand:
ſchriften find in den folgenden Varianten mit Lp. x und 2, und der von
Murgtori (zu Andreae Danduli Chronicon, in den Scriptoribus rer.
Ital. T. XII. p. 359. 330) nach einem Codex Ambrosianus mitgetheilte
Abdruck iſt mit M bezeichnet worden. Die in dem Liber II pactorum
enthaltene Abſchrift ſtimmt übrigens faſt überall mit dem Texte des
Liber albus überein.
1) Lp. 1. und M. Archadiopolis, 2) Lp. 1. pertinentiam Piacis. M.
pertinentia Pictis. 3) Lp. 1. Meodimi, 4) Ep. 1. Chalkidos, bey
M. ausgelaſſen. 5) Lp. 1. Rodosto, 6) Steht bey M. an einer andern
Stelle. 7) Lp. x. und M. Cortocopi. 8) Lp. 1. Cotriki; M. Corici
vel Coltrichi, °
a 2
4 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc.
Kerisia *), Miriofitum, pertinentia Pistafi 2), pertinentia
Brachioli, Casalia de Raulatis et Examili ?), emborium
(emporium) Sagudai *), pertinentia Gallipoli Lacu et
Lactu °), pertinentia de Muntumanis °) et Sigopotamo
cum omnibus, quae sub ipsis.
2. Haec est de parte secunda domini nostri Ducis
et communis Venetiae: Provincia Lakedemonie, micra et
megali epikepsis ?), id est, parva et magna pertinentia
Kalobrita®), Ostrouos ), Oreos, Caristos, Antrus (Andros),
Egina (Aegina) et Culuris *°), Zichintus **) et Kefalinia 2),
provincia Colonie 3), Conchilari 2), Canisia #5), per-
tinentia Lopadi ), Oprium *?), Patro '®) et Methonis )
cum omnibus suis scilicet pertinentiis de Brana, pertinentia
de Catacozino (Cantacuzeno) 2, et cum villis Kyre Herinis
(Kyrae Irenes) 2), filiae Imperatoris Kyri Alexii, cum
villis de Molineti 22), de Pantocratora 23), et de ceteris
monasteriorum sive 2) quibusdam villis, quae sunt in
ipsis ?°), scilicet de miera et megali episkepsi i. e. de par va
et magna pertinentia Nicopalla (Nicopolis) 2%, cum per-
1) Lp. 1. Kerasia, fehlt bey M. 2) Lp. 1. richtiger Peristaf, M. Peristatus.
3) Ep. 1. Cyamili, M. Examilli. 4) M. von emporium getrennt und
Sageedei vel Saguelai. 5) Lp. 1. Lazu et Lactu, M. Lazua et Lactu.
6) Lp. 1. pertinentia demum Timanis, M. de Muntimanis. 7) M.
Epicephis, und getrennt von der nachfolgenden dazu gehörigen Erklä⸗
rung. 8) Lp. 1. Lialobrita, M. Calobries vel Calobrita, 9) M.
Ostrones vel Ostrovos. 10) M. Calirus vel Culuris. 11) Z. wird im
Liber albus durch € ausgedrückt. Lp. 1. Zichintus, M. Zacinthus,
12) M. Caephalonia, 13) Ly 1. Collonie, M. Colonis. 14) M. Conci-
lani vel Conchi Latica, 13) Lp. 1. Canisu, M. Cavisia vel Nisia,
16) M. Lapadi. 17) M. Oprium vel Orili, 18) M. Patre. 19) Lp. 1.
Medanus. 20) Lp. z. Catagino, M. de Catacha Gomo. 21) M. Chyre
Hermis. Der Liber albus ſchreibt dieſen Namen ſowohl als den fol—
genden Kyros Alexius als Ein Wort: Kyreherinis (Lp. z. Kircherimis),
Kyrialexii, 22) Lp. 2. Moliueti. 23) fehlt bey M.; IP. x. Depaniatota,
24) M. sub, 25) M. quae sunt Imperatoris. 26) M. epicepsi, scilicet
Parya et magna provincia Ricopalla vel Nicopolla,
Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc. 5
tinentiis de Arta, de Achello (Achialo) *), de Anatolico,
de Lesianis 2) et de ceteris 8) Archondorum ) et Mona-
steriorum. Provincia Dirachii et Arbani, Conchartolaroto °)
cum Glavinica €), de Bagenetia ?) provincia, de Gianina
(Janina) 8) Provincia, Drinopoli provincia, provincia
Achridi “), Leucas *°) et Coripho.
3. Haec est de prima parte domini Imperatoris:
A porta aurea et Blachernali et occidentali Steno usque ad
midiam (micram) ) et Agathopoli *?) similiter, et ab
ipsa civitate Vizoi (Bizya) ) usque ad Zurlo et Theo-
doropoli.
4. Haec est de secunda parte domini Imperatoris:
Provincia Optimati (Thema Optimatum), provincia Nico-
midiae, provincia Tharsiae (Tarsi), Plusiadae -) et Meta
nobis (est) **) cum succoriis *°) et cum omnibus, quae
sub ipsis; provincia Peflagoniae (Paphlagoniae) et Nucel-
larii 17), provincia Deneasmopii (de Nea Sinopii) "®) et
Pabrei, Mitilini, Limni cum Skiro *) et quae ?°) sunt
infra Avidum (Abydum), insulae scilicet Priconiso (Proe-
coneso s. Proconeso) ?*) et cetera, Ico 22), Istrovilla,
1) Lp. I. Deichello, M. Bohello. 2) Lp. 2. Delesiarus, M. de Lesconis,
3) Lp. 1. de certis. 4) iſt von Muratori ausgelaſſen und die Stelle
des Worts als Lücke bezeichnet. Das Wort archondum iſt ohne Zweifel
mit apzovragsior und apXovragixıov (Palaſt) verwandt. 5) Ep. 1.
Concatolaroto, M. cum Cartolaratis. 6) Lp. 1. Claviniza, M. Clo-
minissa vel Clavinissa. 7) Lp. 1. Dehagtnetia, Lp. 2. Debagenatja.
M. De Vagnetia, 8) M. De Granina. g) M. Acridis. 10) Lp. 1.
Loutas. II) M. Michram, 12) M. Agatzopolim. 13) M. Vezei.
14) M. Pulsiadae. 16) Lp. 1. vobis est, das letztere Wort fehlt im
Liber albus, Lp. 2. Metauobis et Metanobis. 16) Succorium be
deutet eine Zuckerpflanzung. Lp. 1. Sochoriis, M. cum successibus,
17) Lp. 1. Uucellarii. M. Micellarii. 18) Lp. 1. Deneasinopii. M.
Provincia de Nealinopu et Babriti vel Pauriti. 19) M. Limine
cum Straer vel Limni cum Schiro. 20) M. aquae 81) M. Praeconiso,
220) Lp. z. für et cetera, ico, was auch im Liber albus, Lp. 2. und
6 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer c.
’
Samos ) et Tinos (Tenos) cum Samandrakio (Samotbrace) 2),
Provincia de Pilon (Pylon), de Pithion (Pythia), de
Keramon 3), provincia Mallagini ), provincia Achirai 5),
provincia Alramitii (Adramyttii) e), de Chilariis (Chilaria) 7)
et de Pergamis, provincia Neocastri, provincia Milasi ®)
et Milamedi (Mileti?) “), provincia Eaodikie *) et Me-
andri, cum pertinentia Sampson (Lampsacus?) et Samakrii
(Samachii) *), cum Contostephenatis Contostephanatis) * 2),
cum Camizatis ) et ceteris atque * Chio.
5. Haec est de prima parte peregrinorum: Provincia
Macri (Micra) et Megali Brissi *°), pertinentia Gehenna 9,
eivitas Panfili cum omnibus, quae sub ipsa, pertinentia
Tuli ), civitas Apri cum omnibus, quae sub ipsa; Di-
dymochium (Didymoteichon) cum omnibus, quae sub ipsa;
pertinentia de Kipsalis 8), pertinentia de Garelli, perti-
nentia de Lobuecho (Lobizo?) *“), pertinentia de Bira ?°),
pertinentia de Macri (Macra) ?*) et Trajanopoli cum casalio
de Brachon 22), pertinentia Scifis et Pagadi 23) cum omni-
bus, quae sub ipsa; pertinentia Maditi cum omnibus, quae
sub ipsa; Icalotichas 2 cum omnibus, quae sub ipsa, id
est Anafartus ?°), Tinsaccos 25), Iplagia (Hiplagia), Po-
tamia (Pathmus?) et Aacros 27) cum omnibus, quae sub
bey Muratori fteht: et Centaico, wofür Ramnuſius (de bello Constant.
Lib. IV. p. 163.) Cetracon fegt. 1) Lp. 1. Istrovillasamos in Einem
Worte, M. Istrobidatmos. 2) M. Tybos cum Samandrachio. 3) M.
Geramon, 4) M. Malagini. 5) M. Achirari. 6) M. Atramini,
7) Lp. I. Dechliarus, M. de Chilaris. 8) M. Milassi. 9) Ip. x.
Melanidoi. M. Melachmundi. 10) Lp. 1. Laodikis. 1) M. Sma-
cliicum. 12) M. Cogtoste Phanasis. 13) M. Canuzatis, 14) M. abs-
que. 15) Lp. . Megalibriffi, M. Megali brisci. 16) M. Geenua,
17) Lp. 1. Culi, M. Tulbi. 17g) M. Cypsalis. 19) Lp. 1. Lebuccho,
M. Tetucito. 20) M. Hera. 21) M. Macri de Garelli. 22) Lp. .
Debtacho, M. de Bracho vel Brato, 23) M. Pagandi. 24) M. Icha-
loticha. 25) M. Anafartur. 26) Lp. 1. Tuisaccos, M. Tynsatos.
27) Lp. I. Aatios. M. Acros.
Vertrage d. Kreuzfahrer u. Venetianer 2c. 7
ipsa; pertinentia de Phitoto (Plitotho) *), pertinentia de
Galanatoni (Glavatone) 2), Molinoto (Molivoto) ), per-
tinentia de Jalo (Hyalo) castelli ), pertinentia Sirolefkri 9,
Catepanikium ) de Eno (Aeno) cum apothikis, Catepani-
kium de Russa cum omnibus, quae sub ipso, et pertinentia
de Agrionviario ?).
6. De secunda parte peregrinorum : Provincia
Vardarii, provincia Verye (Berrhoeae) ®) cum car-
tullaratis Tandobrochubisti, quae et Sthlaniza ?), perti-
nentia Girocomioce *), pertinentia Platomonas, pro-
vincia Moliscii 15 et Meglenon 12), provincia Prilapi et
Pelagoniae cum Stano, provincia Presepe et Dodecanisus,
Orium Larissae 3), provincia Blachiae ) cum persona-
libus et monasterialibus in ea existentibus; provincia Ser-
vion, provincia Castoriae *°), et provincia de Anoleos 6).
7. Pertinentia Imperatrieis *?), scilicet: Vesla *®),
Fersala 1) (Pharsala), Domotos 20), Niuctudua 22), Alme-
ricum, Demetriad 22), pertinentia Neopaton 23), provincia
) Lp. 1. Deplitoto, M. de Phitoro, 2) Lp. 1. Degalauaton, M. de Ga-
lavato, 3) Lp. 1. Moliuoto, M. Milinoro, 4) M. de Gallocastelli.
5) Lp. 1 et 2. Sirolefki, M. Sitoleuchi. 6) d. i. der Sprengel eines
Katepano oder Statthalters. Lp. 1. Catepamchium und nachher Cate-
panchium. M. Carepanichiu und nachher Catepanicium. 7) Lp. 1
Agriouiuario. M. Agrionibario. 8) Lp. 1. Veriae. M. Voriae,
9) M. cum cartulatis, tamen. . . . Clavizza est Panica. Ramnuſius
(de bello Constant. Lib. IV. p. 168): tam de Brochubisti quam de
Flecaniza. Lp. 1. Tamdrobocubisti quae et Sclaniza. 10) Lp. 1.
Gyrocomice, M. Giro Comio. 11) Lp. 1. Moliscu, M. Molistis.
12) Lp. I. Mezclenon, 13) M. Orium Larille. 14) M. Oladriae.
15) M. Castoreae. 16) Lp. 1. Auoleos. M. Aucleos. 17) Muratori
hat dieſe Worte als Name einer Provinz angeſehen und Provincia In-
peranicis drucken laſſen. Die folgende Nachricht ift im Liber albus
von einer fpätern Hand hinzugefügt worden, und fehlt im Liber pa-
ctorum II gänzlich. 18) Lp. 1. Vescena, fehlt bey M. 19) M. Fersalla.
20) M. Doniochos. 21) Pp. 1. Reucitadia; M. Revos, Tadria,
22) Lp. Demetriadha. M. Almericon de Metriadimo. 23) Lp. 1.
Meopatron, M. Neopatron.
8 Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer. ic.
Velechatiue ), pertinentia Petrton (Petrion) 2), Vicls ?),
Dipotamos ), Calacon, Pazi et Vadouisidon °) et ortus
(hortus) Athenarum °) cum pertinentia Megaton ?},
| B.
Confirmatio partitionis per dominum Henri-
cum et per dominum Marinum ).
Noscant omnes tam praesentes quam futuri. Quod
nos Henricus, frater domini Imperatoris Constantinopoli-
tani et moderator Imperii, Et Markus Genus, Venetorum
potestas in Romania et totius quartae partis et dimidiae
ejusdem imperii dominator: Quod omnem ordinationem,
partitionem et examinationem factam per partitores, qui
fuerunt constituti per dominum B. (Balduinum), memorati
imperii imperatorem, et dominum H.(Henricum) Dandulum,
quondam ducem Venetorum, ac dominum Bonifacium, mar-
chionem Montisferrati, ceterosque barones pelegrinos ac
omne commune totius exercitus, qui Constantinopolitanum
imperium acquisierunt, inrevocabiliter confirmamus, Sei-
licet in tempore illo, cum dominus imperator per pote-
statem Venetorum et ejus conscilium (consilium) et per
magnates Francigenarum in unum se concordaverint: Quod
dominus imperator ad expeditionem et acquisitionem et
defensionem imperii procedere debet. Tunc omnes milites
1) Lp. 1. Velechataiae, M. Velicati, mit Angabe einer Lücke. 2) Lp. 2.
Petron, M. Penion. 3) Muratori ſetzt für dieſes Wort: videlicet,
Lp. . Viels. Vielleicht iſt die Abkürzung des Liber albus nicht ganz
genau von mir copirt worden. 4) M. de Potamo, 6) Lp. 1. Calacum,
Pacima et Rodovisidum, M. Calaneo pagii et Raduisedim. 6) Lp. I.
horum Athenarum. M. portus Athenarum. 7) Lp. Megatoii. M.
Megaron,
) Aus dem Liber albus, Handſchrift des k. k. öſtreichiſchen Haus: und
Staatsarchios zu Wien.
— un m
ui ee - -
1
Vertrage d. Kreuzfahrer u. Venetianer ꝛc. 9
imperii, tam Francigenae quam Veneti, moniti per supra
notatum consilium, sequi debent dominum imperatorem
in expeditione illa, a Kalenda Junii usque ad festum
S. Michaelis primo venturum. Tali vero ordine, quod
milites illi, qui propinquiores erunt inimicis, ne forte
detrimentum incurrant, nonnisi medietas illorum teneatur
sequi dominum imperatorem, Et si graviter ab inimicis
fuerint infestati, nemo eorum teneatur accedere ad expe-
ditionem. Et si aliqua principalis persona cum exercitu
campestri intraverit imperium, ad destructionem ejusdem
imperii faciendam, tunc omnes milites tanto plus moram
praedicti termini cum domino imperatore facere debent,
quanto eisiper supradictum consilium fuerit injunctum.
Statutum si quidem fuit quod omnes milites, qui posses-
nen et feudum habent in imperio, tam de Francigenis,
quam de Venetis, hoc totum, quod supra scriptum est, ad
observandum firmare debent juramento; dominus vero
imperator omnes alias necessarias res et expensas ad defen-
dendum et manutenendum imperium statim omni tempore
facere debet. Insuper etiam quidquid eidem domino im-
peratori per supra dictum consilium fuerit consultum ad
defendendum et manutenendum imperium, facere debet.
Quia ad hoc perſiciendum concessa est ei pars quarta totius
imperii Romaniae. Quodsi totum, quod supra dictum est,
tam per milites, quam per dominum imperatorem non
fuerit observatum, non hac occasione debet dominus im-
perator aliquem militem exspoliare a possessione sua, nee
milites dominum imperatorem; sed coram judicibus, qui
tempore illo, tam per Francigenas, quam per Venetos erunt
constituti, debet causa ventilari, et secundum quod ipsi
judices judicaverint, debet ab utraque parte observari.
Dominus si quidem imperator nemini contra justitiam ali-
2
10 Vertraͤge d. Kreuzfahrer u. Venetianer ic.
quo tempore facere debet, et si, quod absit, fecerit, ad
admonitionem memorati consilii coram supradietis judicibus
in praesentia sua satisfacere debet. Debent namque omnes
Veneti, veniendo, stando, eundo et redeundo per totum
imperium Romaniae et eorum res esse absque omni contra-
rietate et absque ulla dactione (datione); omnes etiam pos-
sessiones et honorificentiae, quas homines Venetiae habue-
rint et habuerunt in tempore Graecorum per totum impe-
rium Romaniae, tam cum scripto quam sine scripto, et
habent ad praesens et habere contingerint (contigerint), tam
in spiritualibus quam temporalibus, firme eis et illibate
permaneant. Nullus homo habens guerram cum communi
Venetiae debet esse receptus nec morari in imperio, donec
ipsa guerra fuerit pacificata.
EI
3
Confirmamus insuper totum scriptum pacti, quod BT
ctum fuit et juratum per memoratum dominum imperato-
rem, tunc comitem Flandrensem, et dominum ducem Ve-
netorum, et dominum marchionem Montis Ferrati, cete-
rosque barones cum omni communi exercitus memorati.
Dominus imperator haec omnia juramento aflirmare debet.
Testes sunt omnium supra scriptorum: Gaufredus, ma-
rescaleus imperii, Marinus Geno *), qui fuerunt de supra
scriptis partitoribus et examinatoribus, qui haec omnia
suprascripta cum aliis partitoribus ordinaverunt.
Actum est hoc Constantinopoli in palatio Blacherna-
rum. Coram his testibus: Johanne Faletro, Johanne Mau-
receno, Marco Dandulo, Johanne Barastro, Marino Bala-
resse, et Andrea Danvilino, Venetis; Conone de Betunia,
protovestiario, Petro de Brachiolo, Manassi de Insula,
majore coco, Macario de Sancta Manuil **), panetario, et
Milone Bravano, buticulario, Francigenis.
*) Zeno. ) Makarius von St. Menehoud.
Verträge d. Kreuzfahrer u. Venetianer w. 11
+ Ego Nicholaus Tinto, plebanus Sancti Nicholai
et notarius, vidi in autenticho, superscriptorum domini
Henrici et domini Marini Geno litteris graecis rubeis
subscripto, continentibus in eis mense Octubri nonae In-
dictionis et ipsorum dominorum sigillis, et Gaufredi ma-
rescalci ejusdem imperii impresso, testis sum in filia *).
+ Ego Constantinus, presbyter et notarius, vidi in
authenticum istorum domini Henrici et domini Marini
Geno etc.
j Ego Bartholomeus Caput, diaconus et notarius,
vidi in authenticum istorum etc.
+ Ego Dominicus Superantius, diaconus et notarius,
vidi in authenticum super scriptorum domini Henrici et
domini Marini Geno literis graecis rubeis etc.
*) Der Ausdruck in filia bezeichnet wahrſcheinlich die genaue Prüfung der
Urkunde, wie noch jetzt im Italieniſchen Kliexa.
#
12 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
II.
Zerftorung der Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
Die nachfolgende Beſchreibung der von den Kreuzfahrern
zu Conſtantinopel zerſtoͤrten Kunſtwerke befindet ſich in
einer Handſchrift der Bodlejaniſchen Bibliothek zu Oxford,
welche außer verſchiedenen andern theologiſchen und juri—
ſtiſchen Werken den Thesaurus orthodoxae ſidei (Imoaugog
500 ooͤo lag) des Nicetas Choniates und deſſen Nachricht
von der Eroberung von Conſtantinopel durch die Franken
enthalt. Die letztere Nachricht iſt zwar in Hinſicht der
Erzaͤhlung und des hiſtoriſchen Inhalts meiſtens uͤberein—
ſtimmend mit der Darſtellung dieſer Begebenheit in dem
vollſtaͤndigen Werke des Nicetas, und nur hier und da
abweichend im Ausdrucke, enthaͤlt aber doch einige Zu—
ſaͤtze, unter welchen der erheblichſte die Beſchreibung der
von den Kreuzfahrern zerſtoͤrten Kunſtwerke iſt, welche
nach einer genauen Vergleichung der Handſchrift, aus
welcher die bisherigen Abdruͤcke gefloſſen ſind, hier mit—
getheilt wird. Die Handſchrift gehoͤrt zu den von Thomas
Roe im Jahre 1628 der Bodlejaniſchen Bibliothek ges
ſchenkten Manuſcripten, iſt unter denſelben mit No. 22.
bezeichnet, und auf ſtarkes Pergament im Laufe des vier—
zehnten Jahrhunderts geſchrieben ). Die Nachricht uͤber
e) Eine fleißig gearbeitete Beſchreibung dieſes Coder findet ſich in dem von
Gerhard Langbaine verfaßten Verzeichniſſe von griechiſchen Manuſcripten
der Bodlejaniſchen Bibliothek, welches nur handſchriftlich vorhanden
iſt, und von Herrn Dr. Bandinell, Oberbibliothekar der Bodlejaniſchen
Bibliothek, während meines Aufenthalts zu Oxford mir mitgetheilt
wurde.
Zerſtörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 13
die Eroberung von Conſtantinopel ſchließt ſich ohne Ueber⸗ g
ſchrift (auf fol. 423. A.) dem Thesaurus orthodoxae ‚fidei
an, beginnt mit den Worten, welche in dem vollſtaͤndigen
Werke des Nicetas den Anfang von F. 8. des dritten
Buchs der Geſchichte des Alexius Comnenus bilden (ed.
Paris. p. 345): AAA u£yge , In) roνντον eb gνοε iu o
d yog x. r. J., und iſt in zwey Bücher eingetheilt, wovon
das zweyte (auf fol. 436. B.) nach der Rubrik: 168 dev-
regog mit den Worten anfaͤngt, Eye her odr zavra xui
mn Kovorarıivov Kakkinokıs x. r. 1. Dieſe Worte ſtehen
in dem gedruckten Werke in dem Abſchnitte ra nerd vi
A οο’ατννfi nadel gegen das Ende von § 1. (ed.
Paris. p. 377. A.) Das Werk, fo wie es in der Bodle—
janiſchen Handſchrift ſich findet, iſt offenbar eine ſpaͤtere
Bearbeitung des ſchon in dem größeren Werke von Nicetas
behandelten Gegenſtandes, in welcher der Verfaſſer ſeine
fruͤhere Erzaͤhlung meiſtens abkuͤrzte und nur an einigen
Stellen durch Zuſaͤtze erweiterte; und eine ſolche Er—
weiterung hat beſonders die Nachricht von den durch
die Franken zu Conſtantinopel zerſtoͤrten Kunſtwerken er—
halten. Auch wird in dem kuͤrzern Werke die Zer—
ſtoͤrung der Kunſtwerke aus einem ganz andern Beweg—
grunde als in dem groͤßern Werke abgeleitet. In dem
letztern (ed. Paris. p. 413. 414.) behauptet Nicetas, daß
die Lateiner vornehmlich diejenigen Kunſtwerke zerſtoͤrt
haͤtten, welche eine ihnen nachtheilige Deutung zuließen,
oder von ſchlimmer Vorbedeutung fuͤr die kurze Dauer
ihrer Herrſchaft waren, um durch die Vernichtung dieſer
Denkmaͤhler den Beſitz der eroberten Stadt ſich zu ſichern;
in dem kuͤrzeren Werke dagegen ſtellt er dieſe Zerſtoͤrung
als die Folge ſowohl der Unempfindlichkeit der abends
laͤndiſchen Barbaren für die Schoͤnheit der vernichteten
14 Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
Kunſtwerke, als ihrer Geldgier und Habſucht dar. In
einer Vatikaniſchen Handſchrift hat ſich ebenfalls aus dieſem
fürzern Werke die Nachricht über den Patriarchen Thomas
und der Anfang der Beſchreibung der zerſtoͤrten Denk—
maͤhler erhalten.
Die Nachricht über den erſten lateiniſchen Patriarchen von
Conſtantinopel und die ausfuͤhrliche Beſchreibung der von
den Kreuzfahrern zertruͤmmerten Denkmaͤhler iſt der Schluß
des in der vorhin näher bezeichneten Bodlejaniſchen Hands
ſchrift enthaltenen hiſtoriſchen Werks, und ſteht daſelbſt
fol. 447 — 450. Die Nachricht über den Patriarchen Tho—
mas iſt zuerſt von Heyne aus einem in der Univerſitaͤtsbi—
bliothek zu Goͤttingen befindlichen Apographon des erwaͤhn—
ten Vatikaniſchen Codex mitgetheilt worden, in den Com-
menlationibus Societatis Scientiarum Regiae Gottingensis
ad a. 1793 et 1794. Vol. XII. Class. hist. et philol. p. 307.
Die Beſchreibung der zerfiörten Kunſtwerke wurde, nach—
dem Lambecius in ſeinen Anmerkungen zu Georgii Codivi
excerptis de antiquitatibus Constantinopolitanis drey Bruch⸗
ftücfe derſelben aus der Vatikaniſchen Handſchrift bekannt
gemacht hatte, vollſtaͤndig nebſt lateiniſcher Ueberſetzung
mitgetheilt in Anselmi Banduri Imperium orientale T. I.
Pars 3. p. 107— 11), und in Fabricii Bibliotheca graeca
(alte Ausg.) Lib. V. cap. 5. p. 405 — 418. Obgleich dieſe
beyden Abdruͤcke auf Abſchriften des Bodlejaniſchen Codex
beruhen ), fo weichen fie gleichwohl in vielen Stellen
von einander ab; und weder der Banduri'ſche Abdruck,
noch der von Fabricius gegebene Text ſind vollkommen
) Banduri beſorgte den von ihm gemachten Abdruck nach einer Abſchrift
des Johann Ernſt Grabe, welche ihm von Johann Boivin war mitge—
theilt worden (praef, ad Imp. Or. p. &); Fabricius benutzte eine
Abſchrift, welche Johann Chriſtoph Wolf aus den Adverſarien des
Gerhard Langbaine genommen hatte.
Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel 15
richtig und genau. Während meines Aufenthalts zu Dr
ford im Mal 1829 habe ich mit aller mir erreichbaren
Genauigkeit die Bodlejaniſche Handſchrift mit den erwaͤhn—
ten beiden Abdruͤcken verglichen. Auch hat Herr Hofrath
Reuß zu Göttingen die Gefaͤlligkeit gehabt, das eben er—
waͤhnte und in der dortigen Univerſitaͤts- Bibliothek auf,
bewahrte Apographon, welches, nach der Schrift zu ur—
theilen, von einem Griechen verfertigt worden iſt, zur
Benutzung mir mitzutheilen ).
Die merkwuͤrdige Nachricht des Nicetas uͤber die von
den Kreuzfahrern zu Conſtantinopel vernichteten Kunſt—
werke hat zwar die Aufmerkſamkeit mehrerer Gelehrten
auf ſich gezogen, iſt aber gleichwohl bis jetzt noch nicht
mit der Sorgfalt behandelt worden, deren ſie wegen ihrer
Wichtigkeit für die Geſchichte der alten Kunſt- ſicherlich
würdig iſt. James Harris gab davon in feinen philo-
logical inquiries, London 1781. 8. Part. J. ch. 5. S. 301
— 321 einen Auszug; Gibbon nahm ſeine Nachricht von
den zu Conſtantinopel im J. 1204 vernichteten Denk
maͤhlern (Hist. of the decline and fall of the Roman em-
pire, ch. 60. Quartausg. Vol. 6. S. 170 — 173) ebenfalls
aus unſerm Bruchſtuͤcke; Heyne hat ſeinen Abhandlungen:
Priscae artis opera quae Constantinopoli extitisse memo-
rantur, Sectio I et II. (in den Commentationibus Socie-
tatis Regiae Scientiarum Gottingensis ad a. 1791 et 1792.
Vol. XI. Class. hist. et philol. p. 11 8d.) die Beſchreibun—
gen des Nicetas im Auszuge und mit einzelnen Erlaͤu⸗
*) In den Anmerkungen unter dem nachfolgenden Abdrucke des griechifchen
Textes find der Bodlejaniſche Codex mit C. B., der Vaticaniſche (nach
der Mittheilung von Lambecius) mit C. V., das Apographon der
Univerſitätsbibliothek zu Göttingen mit A. G., der Banduri'ſche Abs
druck mit B., und der von Fabricius gegebene Text mit F. bezeichnet
worden.
16 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
terungen einverleibt, und neuerlich iſt in Buchon Collec-
tion des chroniques nationales francaises T. III. (Paris
1828. 8.) S. 325 — 338 eine nicht überall getreue und
richtige Ueberſetzung des ganzen Bruchſtuͤckes mitgetheilt
worden.
Wir geben hier zuerſt den Text:
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neger ꝙοονννο evlors *?) de zul rd Eu dH zig q unf
dieoqiou,i]i zov Eονν puhanımgıa Tregineiuevog. Niro de
7 m £ * .
a, TO hαο MÜTOV HαονννiVν Fed oVoryua nu umv Fungov
1) Diefe Ueberſchrift findet fih in A. G. 2) A. G. Tie Ö’ yusrloas.
3) A. G. sie Doayalonovs. 4) A. G. zugwdsions. 5) A. G.
Oecs. 6) A. G. Owuas. 7) Die ſes in den Woͤrterbüchern nicht vor⸗
kommende Wort findet ſich in C. B. ſowohl, als A. G. und iſt aus
Idunos (lacus) gebildet; Amxiveov fol in der fpätern Gräcität ein
Schwein, vielleicht ein gemäſtetes, bedeuten. Ducange glossar. gr. v.
Lan, 8) A. G. tüv moooomwv, 9) C. B. ⁊d rod vνο.
10) A. G. vor@diovs. 11) A. G. aum. oe or. 12) A. G.
ud or. 15) Alſo A. G.; zvwre in C. B. und den Ausgaben.
zerfiörung d. Kunſtwerke zu Conftantinopel, 17
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Gragukuuavrov Freoı ?), 10 eU ögadEV Ev Iavuarı &derıo,
zov ds vergorapinv ovusvovv '?) obo“ OAwg ameoyovro ).
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cerane Tuo eig uuglag A ) moAAuxız agyvgov uväs *?) d-
Be. - *
Hovusvov zul zourov Ößguloregov ο navzög, aul eig H j
yovon muralöusvor.
1) za dlaırav, welches in A. G. ſteht, fehlt in C. B. 2) A. G.
Sa. 3) F. o russ. 4) A. G. önooww. 5) F. Lmoòv-
rovvraı. 6) A. G. und B. navedeuirws, C. B. und F. nav de
alros. 7) A. G. govosıos, C. B. und B. 20, F. yovosos, wie
unten gpvosov in C. B. und A. G. 8) A. G. ôe zov. . F. Zreowr.
10) Alſo die Handſchriften; F. Odkevovv. B. Or usv ow. 11) B.
antyovro. 12) So C. B. und A. G.; B. ue. F. un. 15) F. yeνοεανν.
14) C. B. adıayogiov ri. 15) C. B. dr. A. G. ö. 16) A. G. vooo.
17) F. &is wvoias. 18) C. B. uvas. 19) Nach der trefflichen Ders
beſſerung des Herrn Prof. Lachmann; anlangend den adjectiven Gebrauch
von ö gpbos, fo wie das Vorkommen des Comparativs OßgvLorsgos bey
ſpaͤtern Schriftſtellern, ſ. die in Ducangii gloss. gr. (v. s H ν) ge⸗
ſammelten Beyſpiele. A. G. svpoiLoregov ohne Accent. C. B. und F.
evporlorsgov. B. eugoißörsgov.
V. Band. b
18 Zerſtöͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
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Tu 687) vergankeugov yakxodv unyarıua uesiogov avaßaivor,
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yennorov 2oyu, A wvAoi al yavkoi **), ul nooßarov
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Pimymuere, v, agvav oxıgımuara 2 EEsxorıoro* d-
nAwto *3) zul Imharzıov mehayos, v verodwv u 0
Hoodveo, 00 uEv Imyooumsvos, o ds Ta Öiatum TVoRVVoVVrEg
ao ua HU H H Gverug Peoousvor‘ os d' Eowreg **)
o ab ovrrosig #3) ], avdondulousvor, yuuvoi
regißAnunzov, Eßakhoyro unkos r ZBahhov, yAuxei re-
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Boasoousvor *°) yeknrı. Tod de Toivrov rergarrkeupov £ig
EV oyiun ? zora nugnuide*®) vehsvrüvrog, annoeno*?)
u 7 ” m *
a YUVOLKOUOEPOV EIRLOUG, al rag m ονẽ]g ry
1) B. #600» orı d. F. nde ars di. 2) F. Zoaoı, A. G. Loyoıv.
3) C. B. His o e. 4) F. Koworovrvsia. 5) Vielleicht
nopadtdoren 6) A. G. ss 21. 7) A. G. J de ye. 8) F. 26
to vwos, 0) A. G. Enıßallow. 10) F. Edavuuoe.. 11) Kai
vai fehlt bey F. 12) F.oxıgrojuara. 13) F. igryniwro, 14) A.
G. or o Zowrss. 15) A. G. o0v dio zal oiv roeis. 16 F. ne-
eıßgaooausvo. 17) F. zuuu. 18) Nach A. G.; in C. B. und
bey B. nugauidas. F. mugauidos. 19) C. B. annugsrw. F.
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Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 19
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1) Wie in Nicetae Annalibus p. 215. D. A. G. avsuodovlsıov. F.
Are òonlov. 2) Die Worte von IAyv alla bis zu dum ud mrebos
gYsgöuevos find von Lambecius (ad Codinum p. 165) aus der Vatikaniſchen
Handſchrift mitgetheilt worden. 3) C. B. megıxaldorarov ; ebendaſelbſt
*
hernach yoovevrois. 4) A. G. noptöuoar (sic). F. map£dooer.
5) C. V. und A. G. jon vy nos Övorw nogsiav, ohne &yöusvov,
6) C. V. und A. G. oiov. 7) A. G. Enırarrovra. 8) C. V., A. G. und
F. ed osx 9) C. V., A. G. und B. laſſen dieſes K aus. Die
Worte von A zul qi unñũ mehaiparos bis zu: ru xaL Tovro
ert gανõm find aus dem Vatikaniſchen Codex ebenfalls von Lambecius mit:
getheilt worden, ad Codin. p. 165. 166. 10) C. B. 2 rw Zungo-
oHiw Tov innov rov o u. T. J. C. V. und A. G. &v 77 sινõj
roc imnov rodqs. Für rod dm hat B.: &v 77, und F.: void.
11) F. 2 ro zav Beveriwv yEvovs zivaı. 12) A. G. de srëοο.
13) A. G. 7 zivaı Boviyaguw e 14) C. B. Erenoimaw
b 2
20 Zerſtörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
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C. V. eren. F. eren. 1) A. G. & rd navım F. sis
70 navra. 2) Nach A. G. und C. V.; C. B. und die Ausgaben
Evdodev. 3) F. nagansupdvros ro mugi. 4) C. B. ro cn oni.
5) C. B. und B. megaouivov. 6) C. B. innyao. Die Stelle von:
A ołòs rd e r burn bis zu: xu re odAos ift von Lambe⸗
cius aus dem Vatikaniſchen Coder mitgetheilt worden, ad Codin. p. 167.
7) C. V., A. G. und B. r. 8) Alſo die Handſchriften und ger
druckten Ausgaben; vielleicht iſt Karngngsınto zu leſen. Vgl. jedoch
Buttmann's ausführliche gr. Sprachlehre I. S. 336. Böckh, Corpus
inscript. T. I. p. 651. N. 1330. vs. 22. 9) Nach C. V. und A. G.;
C. B. od. 10) C. V. und A. G. Tolsomf⁰,e. 11) F. v οννονπν
uevns. 12) C. B. Bovynuov. F. Bevzasuov. 13) B. duadgeoVons-
14) F. a aurmw, 15) A. G. 20% . C. B. und C. V. rv de.
16) C. V. und A. G. sc yovv,
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 2.
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yo, obs &v Anriq Esınse Kuloug 6 Auyouorog, u Eorw 9)
ng "Ehhada Ninöonohs, mine vurrög ua zb ud Avıw-
yiov #uraordıyaoduı org@revum, dvò ei Ereruyev 0voV ela
voyıv, A0 Vdöuerog Vor el Hu ED rrogeveras,
Nuovo wg #ahovuaı Nixwv zul © &uog 6709 Ninavögos,
‚ügızyoüuas **) de mög ry od Kuioagog orgauav.
1) A. G. rodro ro Aoınov. C. V. wie C. B. 20 Aoınöv. F. Asinov.
2) A. G. yoäua. 3) A. G. ro adlous. 4) C. B. rij rονs.
5) Die Handſchriften ſopohl als die Ausgaben ſchreiben gvoonuevos. _
6) Hier endigt ſich nach e (ad Codinum p. 167) das Vatika⸗
niſche Fragment, fo wie auch das Goͤttingiſche Apographam. 7) B. As-
yedovs. 8) F. & 6oov. 9) F. (uach einer Verbeſſerung) Auormnos.
10) F. 20% 11) F. 2s. 12) B. zb owölow. 15) Vgl. C. B.
er ad Niceph. Phoc. de velit, bell. p. 265 ‚ed. Boun, p. 514).
. dior ute. 14) F. Evi.
*
22 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
6. Odoͤe a) xis v ale te x Avxaivng ag et gg
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1) B. e. F. Ovös ui 775 volvns ovö. 2) B. Pyuos. 3) C. B.
osuvorara. Vermuthlich Ta maraı oeuvorara. Bekker. 4) B. un.
5) F. zov innov aov. 6) F. anwwdwuivos. 7) F. tavgov re
8) B. vmtguabov. 9) C. B. Zunadwvzes. 10) C. B. und die Aus-
gaben yalzos. 11) F. uayyavwue. 1) F. Ösiyuera. 13) C. B.
demowveyicıs. 14) C. B. und F. 500: rourwv. 15) C. B. &avrov.
B. und F. deròv nach seiner Verbeſſerung. 16) B. vr τ, (durch
einen Druckſehler). ö
Zerfißrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 23
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»odshovca Tooiav, ex ds rute mooowxeiluon Ne, xu-
ner he d eig i, ra Aaawvov Errovahvoao@ y90v105 ;
1) C. B. und F. Önexe. B. die. 2) F. Aoßovusvos. 5) B. und
F. &yyoiuntwv. 4) F. nregväw. 5) eiduw. F. eidow. 6) B.
rd nor avrov, F. zuv nad" avrov. 7) C. B. et F. rais yoeias.
B. rais zsipous. 8) F. xo zo. 9?) F. T1 0’ m 10) F.& 707.
24 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
ag eue ige tobe òuoueiiurougs; d S de robg auömeo-
Poovas; ob umv ) ob ovd& dg 2) rorodrY zu dsa br
7 navıa Hearyy zo ade bovAuyoyıjoacn, aue Sr
uE) Deargınag, v doo ons ou av zo x,
r üygawoueyn 7005 &0wıa v yuavı, q xd e⁰tͤ, TA
orepayn zul zo mÄoyu Tüv zoıyar. O nv gb àgά⏑̈lꝛ
dentro regog iy 10 de darò deo Enavensıo ) m d dicdes
70 ) uErwnov ygvood jd Tıualpav Ada d moe
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HEvov myeuuaoıw Öniodin Ösousvunzı S) megueopiyyev Eng
vH Exreıvousrov. Hy de zul rd yellm aahurov oͤlenx
oeh%[ napuvoryousvau, Gg xu doxeiv Ayızva, ον]ũův. To Ö8
zd, usıdiaue cudEng ii Koi yaguovng ıurAav
70V Feuusvov, zul To Tod Bhluumrog yagomov, nal Tag
Onyidag ray Öpeloy, zul TrV Aoımıv ed jm ˖ Tod oli og,
ob 7v Onoia mv dayoaıaı Aöyar Ku ͤ ανE,Zͥjoα Toig EE.
A d Tuvdagis Elern, ad avrodev zuhov, Er
uooyevua, Aqꝙgoòͤlrns rnuelοννuůe, navagıorov ꝙο⁰νeοe db
enuo, Towov zul E, Poußevum, Tod c To vnnevdtg
c xuscv andre EH Yapuanoy, 6 Gs ?) co
nagaxoırıg Eyagioaro; Tod ds T& Guaya pikzou; müs ob
&yon0cw Tovzas wg Tale vol wür; A oinai 000 Toig
Koieoıg nEnEWTL TA Tod mUVp0g dnonecerv sr,, umd sv
einovı Tavauusınv Gvaxalisıy Tov; oowvrag eig sri, ).
Einoy d av ws xal Ayzinowe tod ınv Tooiav Zdahlwoda **)
vor, als cat oe, gYouszeudivre gıhornow, or
1) B. uiv. 2) B. orò oAws. 3) B. Zoroluouevn. 4) So ift am
Rande des C. B. verbeſſert, im Texte ſteht mit Puncten bezeichnet: we-
erexeıro, was B. und F. aufgenommen haben. 5) B. duedeire ue
zumov. 6) B. To de vie aouns u. T. J. 7) F. aSααοονν oν.
8) B. Öioxsuuarı. 9) F. Ouvov v0. 10) B. laßt eis Eowras aus.
F. & &gwras. 11) F. a
*
0
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 25
Aiveısdau,!) oörou rugi oe ) aurergwav 2). A ob 2&*)
ue To yovoouavig av dvò gv duavonoaodas Ti TOL0VTov xab
PIEyEaodaı, ü ob r onavın mavrayod xol vc) A
Aura Zoya navıshei Oyavıoud mageneupdnoev ©)" ener
oe sub zb rg Saur yuvoixag OH uergioy nohhuxıs
Gmodıdova al kronäumeoda, zul malAoy zu Tg00RVEYoVOL
zn Asia?) a MgO0TETIRROL METToig TTarnuEguoL, I ab TTQOG
ou wAoyov ai umwon, od um ®) avdgsiav Zupgovs
or” ühlmkav Evdovowor, a wmv "dgeog ?) oxeuNW nei
Heyıaı, zig vine mgonıdevreg d nayra T& TEO00VT«
opioıw, wurdg Tag xovgıdiovg aA, EE wu mazegss i,
x08100V 1ERVoP, Fu de TO uE Yονẽỹn ro c Övg-
2 € *
nagt, TV W⁰]¾/.ͥ]ꝙnͥ;i, x mg Evena Ta Mayr TEQLOTOV-
dad Avdowrnor. Akkus e nod 1°) rag’ dνοανν ur olg
r * ’ E 7 BEN RAR, * —
Puopapoıs xui TE)Eov üvahyoßnroıs Ex ονεe al yYooız
hr > _\ N < 2 323 0
1 Enmi 000 EayaondErroy EH ον Eırov
O vlusoıs, Towas nal Eunvnudas Axutods
Torf &ugl *?) yovaını (moAiv xg0vov 1?)) aAyso maoyew*’
Ade adavdınaı Osais sis una koınev.
— — m r
9. Aoreov hol Eueivo zu L. Avtueıro Eni ormAng
ves e mv bayıy yuvamov, avıo ng Inn ayov TO yagı-
7 8 13 2 Miet, * 7 > 7 3
20rarov *?), eig Touniow MV x0uNV ⅝ ui e], ir” du
po reg r HETWTTOU OUVEOTERUNEINV, ob d nem bEAð y,
> > 2 c * 57 m > Ar * - > 7
u WG Omıov gun Tolg sg avro Tag ysıoag EXTEivoudi.
1) F. Aiwesicösu. 2) C. B. und B. laſſen os aus, was bey F. richtig
einge ſchoben iſt. 3) F. xursugıwov, 4) F. ss. 5) C. B. und B.
*, 6) F. nagsntupdsiav, 7) C. B. Ala ohne Iota subser.,
welches überall in dieſer Handſchrift fehlt. 8) B. o um. 09) B.
Aess und F. Aocws. 10) C. B. Aldws zE mov. 11) F. 204%
dhα 12) Die Worte ro xeovov, welche F. mit Recht einſchaltet,
ſtehen weder in C. B. noch ben B. 13) F. auro To vie M,˖ö d
To gapıdorarov.
26 Zerſtoͤrung d Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
— — 7 « * 4
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> ’ 7 * > I < 7 * ER!
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’ > — c 28 7 ’ er 1
nahauus Gveiysv, mg obo OxUP0V xEgKouarog Eregog. Hy
G 6 ner d oygıyav v oDua, gourzousrog owuarı ),
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xynuioı To mods mregiotshlousvog, “ Aνεναν̃ moAsuon"
6 oͤe imnog Wwiorn ?) co oͤg we no om. ö unos rd
avyeva *), tag oweıg ÖQıuvg, nd Tov e r Huuod oo oon
noogeirwv r Opduhuols‘ vi os nooͤes Gvepigorro aegvos
zo mohsuınov Emsınvuvreg oakevug.
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yocunara oss torHE¹%% yovovoyyi dq in ν,ꝗꝛ ri) d ge
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rv αιναιν rr Öponkaraıs rrageyyvousvor =), g yon TToOG-
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Avansıgaoud TOVS InmoVg xul ve. A οο), ore, -
oda Tu) uvorı, Orog reοðHEMνον Ye VLONg &yousvon?),
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r Vorarov eνν H auv Inmovs q οmñονν,ẽjꝶCs ννννε] )
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Davuaoıwzegov Buoıs 79 Jıdivn, za En’ avımg vu
#nharov SO, ug Tooovroy '°) ovx Graupnouozov *)
1) B. nopgaueros. 2) Vielleicht Cuwarı. Bekker. Es iſt mir nicht
unwahrſcheinlich, daß oWuarı ein bloßer Schreibfehler fir Sc ift.
5) B. d. 4) C. B. und F. dynlös Trasyivo. 5) B. rov
Pvßiov. 6) B. avsornAövro. 7) B. Beosı. 8) F. nageyyvousvor.
9) In C. B. und den Ausgaben £göueva. 10) B. oοσεατοατ. 11) B.
1% Ev megiodov (megiodw). -12) Vielleicht YYαν 15) F. ogwru.
14) In C. B. und den gedruckten Ausgaben arraidsvros. 15) F. 79009 Loe:.
16) F. rouoirov. 17) C. B dvagigiorov ; B. und F. avagugıoror.
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 27
er 7 7 * m
Body eixovilor, rag’ 0009 Pouyunegxov Tv, und hadert
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5) B. & rar. 6) Verbeſſerung von Bekker. C. B. und die Ausgaben
reluaros. 7) B. d Borgagsıov. 8) Vielleicht dur νẽe Bekker.
28 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
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UÜeberſetzung.
1. Nachdem durch das Strafgericht, welches dem Herrn,
dem Baumeiſter und Lenker dieſes Weltſchiffs, am beſten
bekannt iſt, unſer Kaiſerthum an die Franken war verſpielt,
und das Patriarchat den Venetianern zugetheilt worden: ſo
kam als Patriarch von Conſtantinopel ein gewiſſer Thomas
mit Namen aus Venedig, von mittlerer Geſtalt, aber,
ſo viel ſeine koͤrperliche Bildung betraf, wohlgenaͤhrter
als ein Maſtſchwein. Sein Geſicht war aber, nach der
Sitte dieſes Volks, mit einem Schermeſſer glatt geſchoren,
und die Haare der Bruſt waren, vollſtaͤndiger als ver—
mittelſt einer Pechhaube, ausgeriſſen; er trug ein Kleid,
1) Die Worte 4 — duuve fehlen bey B. 2) B. de rere 3) F.
drt. 4) F. Z eαιν. 5) F. Zmworgarevos. 6) B. und F. yovoryıa
aal ar’ alınlaw. 7) B. d zei ros mehluovs,
0 /
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 29
welches faſt mit der Haut (ſeines Koͤrpers) zuſammen—
gewebt und am Handgelenke mit Nadeln zugeſteckt war.
Auch trug er einen Ring an ſeiner Hand und zuweilen
lederne, nach den Fingern getheilte Handſchuhe. Die
ihn umgebende, Gott geheiligte und den Altar bedienende
Genoſſenſchaft war ganz von derſelben Beſchaffenheit und
ihrem Oberhaupte voͤllig aͤhnlich in Kleidung und Lebens—
weiſe, fo wie dem Abſchneiden des Bartes ).
2. Mit dem erſten Anlaufe, wie man zu ſagen pflegt,
zeigten (die Lateiner) die rohen Voͤlkern eigenthuͤmliche
Goldgier; und fie erfanden eine Weiſe der Pluͤnderey,
welche neu und allen denen, welche die Kaiſerſtadt pluͤn—
derten, noch entgangen war. Sie öffneten nämlich die
Grabmaͤhler der Kaiſer, welche in dem, an der großen Kirche
der Apoſtel errichteten, kaiſerlichen Familienbegraͤbniſſe ſich
befinden, und pluͤnderten ſie aus in der Nacht, indem
ſie auf frevelhafte Weiſe raubten, was von goldenem
Schmucke, Perlenkronen, glänzend durchſichtigen und Foft
baren Steinen noch unverſehrt in den Graͤbern vorhanden
war. Als ſie den Leichnam des Kaiſers Juſtinianus nach
ſo langen Jahren noch unzerſtoͤrt fanden, ſo erſtaunten
ſie zwar uͤber einen ſolchen Anblick, ließen aber gleichwohl
nicht ab von der Beraubung der Begraͤbniſſe; und übers
haupt ſchonten die Abendlaͤnder weder der Lebenden noch
der Todten, ſondern ſie uͤbten, indem ſie mit Gott und
deſſen Dienern anfingen, gegen Jeden Geringſchaͤtzung und
Gottloſigkeit aller Art. Bald hernach riſſen ſie auch den
Vorhang der Hauptkirche ab, welcher oftmals zu zehn
Tauſend Minen Silbers geſchaͤtzt wurde, und zwar des
*) Vgl. Geſchichte der Kreuzz. Buch VI. Kap. 1r. S. 332, Anm. 38.
30 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
allerreinſten Silbers *), und durch und durch mit dichtem
Gold durchwirkt war.
3. Als ſie aber einer ſo reichen Beute ungeachtet
Mangel an Geld litten, — denn ſolche Barbaren kennen
keine Saͤttigung ihrer Gier nach Reichthuͤmern — ſo
richteten ſie ihre Augen auf die ehernen Standbilder und
uͤbergaben dieſelben dem Feuer. Die auf dem Conſtan—
tiniſchen Markte ſtehende, aus einer großen Maſſe von
Erz verfertigte Juno wurde alſo zerſchlagen, um Münzen
daraus zu praͤgen, und dem Schmelzofen uͤbergeben; ihr
Kopf aber konnte kaum von einem mit vier Ochſen
befpannten Wagen nach dem großen Palaſte gebracht
werden 2). Außer derſelben wurde auch der Paris Alex—
ander, welcher mit der Aphrodite zuſammen ſtand und
ihr den goldenen Zankapfel überreichte ?), von feinen
Geſtelle geworfen. 1.
Wer aber bewunderte nicht, wenn er die Augen
darauf richtete, wegen ſeiner Mannichfaltigkeit jenes
vierſeitige, hoch ſich erhebende eherne Kunſtwerk,
welches an Hoͤhe faſt mit den groͤßern der an vielen
Orten der Stadt errichteten Saͤulen wetteiferte? Auf
demſelben war jeder Singvogel abgebildet, fein Fruͤh—⸗
lingslied ſingend; die Werke der Feldarbeiter, Floͤten,
Milcheimer, das Bloͤken der Schafe und das Huͤpfen der
Laͤmmer waren ebenfalls dargeſtellt; auch das weite Meer
breitete ſich aus, in welchem man Heerden von Fiſchen
ſah, deren einige gefangen wurden, andere die Netze
1) Alſo iſt in Folge der aufgenommenen Verbeſſerung überfegt worden.
Das verdorbene zupoulörsgov oder eugosLorsgov wird von Fabricius:
promtissimum ad direptiionem, und von Banduri: ditius (reicher)
uͤberſetzt.
2) Vgl. Heyne in der Abhandlung: Priscae artis opera etc, p. 26.
3) Vgl. Heyne g. a. O. S. 16.
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 31
uͤberwaͤltigten und munter wiederum die Tiefe des Meeres
gewannen; Liebesgoͤtter kaͤmpften mit einander, je zwey
und drey, warfen ſich, von Kleidung entbloͤßt, mit Aepfeln
und wurden von lieblichem Lachen geſchuͤttelt ). Auf
der Hoͤhe dieſes Vierecks, welches wie eine Pyramide in
eine Spitze ſich endigte, ſchwebte die Geſtalt eines Weibes,
welche von den erſten Bewegungen der Winde herumge—
trieben und daher Anemodulion (ventorum ministra) ge
nannt wurde 2); auch dieſes ſchoͤne Werk uͤbergaben ſie
den Schmelzern, ſo wie auch das Standbild eines Mannes
zu Pferde, welches auf dem Taurus auf einem tiſchaͤhn—
lichen Geſtelle ſtand, von heroiſcher Geſtalt und bewun—
dernswuͤrdiger Groͤße. Einige behaupteten, daß dieſes
Standbild den Joſua, Sohn des Nun, darſtellte, indem
ſie dieſes folgerten aus der Ausſtreckung der Hand dieſes
Mannes gegen die im Untergehen begriffene Sonne, als
ob er ihr geboͤte, bey Gibeon ſtill zu ſtehen; die meiſten
aber hielten es fuͤr den im Peloponneſe geborenen und
erzogenen Bellerophon, welcher auf dem Pegaſus ſaß ?).
Denn das Pferd war ohne Zuͤgel, wie der Pegaſus nach
1) In feinem größern Werke (Andronicus Comn. Lib. II. ed. Paris.
P. 213) beſchreibt Nicetas dieſes Kunſtwerk alſo: „das hohe eherne
vierſeitige Bildwerk, auf welchem nackte Amors einander mit Aepfeln
warfen (TO xανiανν werdwgov Tergunksupov, x ν yvuvol
negıBhmuaruw umhoßolovcw ahlylovs oi Eure, 6 'Avsuodov-
dio aeninraı).“
) Vgl. über das Anemodulion, welches zu den Zeiten des Kaiſers Leo
des Iſauriers, zum Theil aus Statuen, welche aus Dyrrachium waren
gebracht worden, von dem Aſtronomen Heliodorus errichtet wurde,
Anon. de antiquitatibus Constantinop. in Banduri Imperium orien-
tale T. I. Pars 3. p. 17. Codinus de antiquitatibus Constant. (ed. Par.)
P. 54 und Lambec, ad h. 1. Heyne a. a. O. S. 32
3) Die Statue des Bellerophon war aus Antiochien nach Conftantinopet
gebracht worden; ogl. die von Banduri (Commentarii de antiquitatibus
Constant. Lib. I. p. 481) angeführten Stellen. Heyne a. a. O. S. 13.
32 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
der Ueberlieferung ſeyn ſoll, wild den Boden ſtampfend,
jeden Reiter ſeiner unwuͤrdig achtend und eben ſo ſchnell
als Vogel, wie als Renner. Es war aber eine alte,
auch uns uͤberlieferte, Sage in aller Mund, daß in dem
Hufe des linken Vorderfußes dieſes Pferdes das Bildniß
eines Mannes verborgen waͤre, welches nach der Ueber—
lieferung einiger Perſonen einen Venetianer, nach andern
einen Mann aus irgend einem anderen mit den Roͤmern
nicht befreundeten abendlaͤndiſchen Volke oder einen Bul⸗
garen darſtellen ſollte. Man hatte aber durch oͤftere Nach
huͤlfe dieſen Huf auf eine ſolche Weiſe verwahrt, daß
man zu demjenigen, welches, wie man wußte, darin
verborgen war, auf keine Weiſe gelangen konnte. Als
nun das Pferd zertruͤmmert und mit dem Reiter dem
Feuer uͤbergeben wurde, ſo fand man auch das in dem
Hufe des Roſſes begrabene eherne Bild, bekleidet mit
einem Gewande von Schafwolle; da aber die Lateiner
um das, was darauf angedeutet war, wenig ſich kuͤm⸗
merten, ſo warfen ſie dieſes Bild ebenfalls ins Feuer.
4. Dieſe Barbaren, welche ohne alle Liebe des
Schoͤnen waren, unterließen es nicht, auch die Bildſaͤulen,
welche auf der Rennbahn errichtet waren, und verſchiedene
andere bewundernswuͤrdige Werke, niederzuwerfen; fie
zerſchlugen alſo auch dieſe, um Geld daraus zu praͤgen,
tauſchten gegen Geringes das Herrliche, und opferten,
was mit großen Koſten hervorgebracht war, gegen arm—
ſelige Muͤnze.
Es wurde alſo der große und großartig auf einem Korbe*)
) Ueber die Aufſtellung des Herkules auf einem Korbe hat mir Herr Hof⸗
rath Böttiger folgende ſchätzbare Belehrung mitgetheilt: „Die Der
ſchreibung des ſitzenden koloſſalen Herkules im Hippodrom bey Nicetad
Choniates in Fabricius Bibl. Graeca Vol, VI. p. 409 gehört zu den
merkwürdigſten Nachrichten über antike Herkules ſtatuen, und die Idee
Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 33
aufgeſtellte dreynaͤchtige Herkules *) niedergeriſſen. Ober⸗
71
verräth ein Denkmahl aus den Zeiten des Lyſippus. Es iſt der Halbgott
in tiefer Trauer über ſeine Erniedrigung. Die tiefſte Stufe derſelben iſt
die ihm vom Euryſtheus aufgelegte Ausmiſtung des Augiasſtalls, und
dieſe wird dadurch ſehr geiſtreich angedeutet, daß er Aeαννε usyalwori
vopivo Eviögvulvos dargeſtellt war. Unter den mannichfachen Weber:
lieferungen, wie Herkules den Stall geſäubert habe, war auch die, daß
er gensthigt geweſen, den Miſt in Koͤrben fortzutragen, ‚Aiyeiao oe
aongdy, wie es in einem griechiſchen Sinngedichte heißt. Auf einer großen
marmornen Schale in der Villa Albani mit den Arbeiten des Herkutes
in Zoega's Bassi Rilievi tav. LXIII. iſt Herkules mit dieſem Korbe, vor
dem Flußgotte Alpheus ſtehend, abgebildet, wie es auch ſchon Viscont!
und Andere erklärt haben. Allein Zoega deutet dieſen Korb als ein
Schöpfgefäß, um die Ableitung des Miſtes durch die von Herkules her⸗
beygeführten Kanäle zu bezeichnen (T. II. p. 79), welches gewiß ein
Mißverſtand if. Hätte er die Stelle des Nicetas gekannt, würde er
anders geurtheilt haben. Allein auch Heyne kann in feiner erſten Vor
leſung in den Commentationibus Societatis Gottingensis Tom. IX,
welche überſchrieben ift; Priscae artis opera Constantinopoli extantia
ect. I. P. 11 mit dieſem xo@ıvos des Nicetas nicht fertig werden: non
intelligo, qua vi dictum sit. Er erinnert ſich alſo nicht an die Säu⸗
berung des Augiasſtauls. Beſondere Aufmerkſamkeit verdient der umſtand,
daß auf den Reliefs eines alten kapitoliniſchen Altars im Vorſaale
des kapitoliniſchen Muſeums, von welchem Visconti Museo Pio - Cle-
mentino T. IV. p. 83. Anm. e mit großer Bewunderung ſpricht, und
wovon er in der tavola aggiunta A. zu dieſem Theil n. 7. eine treue Abs
bildung gegeben hat (vgl. die Erklärung p. 102), Herkules zur Bezeichnung
dieſer Arbeit der Stallſäuberung gerade ſo auf dem Korbe ſitzend, auf wel⸗
chem die Löwenhaut liegt, abgebildet iſt, wie Nicetas Choniates den Koloß
im Hippodrom ſchildert, ſo daß das Denkmahl die Stelle des Nicetas
aufs ſchönſte erläutert. Dieſer Ausmiſtungskorb ſpielt überhaupt in den
5 7 Alles kommt darauf an, das Denkmaht ſelbſt zu prüfen, wo das, was
Denkmähtern des Herkules eine weit größere Rolle, als unſere Archäo—
logen ſeit Winckelmann vermuthet haben. Man ſehe z. B. das bis jetzt
allein von Millin in der Gallerie mythologique pl. CXVII. n. 433,
nach einem vom Cardinal Borgia publicirten Kupferſtich, mitgetheilte
Relief mit den zwölf Arbeiten, die den Herkules mit der Omphale
in der Mitte umringen, wo unten neben Vogen und Köcher auch ein
Korb zu ſehen iſt. Man könnte es freilich auch für einen Kalathiskus
it Wolle halten, wozu die darunter liegende Spindel paſſen würde.
über den Korb hervorragt, durch den Augenſchein zu beſtimmen
wäre.“ Heyne bemerkt bloß (a. a. O. S. 1): „ Nicetas sedem appel -
lat corbem #0gıvov, quod non intelligo qua vi dictum sit; sane
in vasis vulgo Etruscis dictis vidi talia passim sedilia corbis for-
mam referentia,‘“ Vgl. über dieſes berühmte Kunſtwerk des Lyſippus:
Nicetas in Alexio Comn. Lib. III. p. 335, wo er den Meiſter eben ſo,
wie hier, durch einen Gedächtnißfehler Lyſimachus nennt, Lambec. ad
Codin, p. 167. Sillig, Catalogus artificum p. 259. 260.
Heaulijs ri, ¹ ? Dieſer wunderliche Beiname, welchen Nicetas dem
V. Band. c
34 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
halb war uͤber ihm die Loͤwenhaut ausgebreitet, welche
ſelbſt im Erze furchtbar blickte, faſt ein Loͤwengebruͤll von
ſich gab und das umſtehende muͤßige Volk verjagte. Er
ſaß aber weder mit dem Koͤcher angethan, noch den
Bogen in den Händen haltend, noch mit der Keule bes
waffnet, ſondern den rechten Fuß, ſo wie auch die rechte
Hand ſo weit, als es moͤglich war, ausſtreckend, den
linken Fuß nach dem Knie biegend, die linke Hand mit
dem Ellbogen ſtuͤtzend, uͤbrigens die Hand in die Hoͤhe
ſtreckend und voll Verdruß den Kopf ein wenig auf die
flache & Hand herabbiegend, als ob er ſein Ungluͤck beklagte
und unwillig waͤre uͤber die Arbeiten welche ihm Eury⸗
ſtheus nicht wegen irgend eines Zwecks ſondern aus
Neid und im Uebermuthe⸗ uͤber das ihn beguͤnſtigende
Gluͤck aufgegeben hatte. Er hatte eine weite Bruſt, breite
Schultern, krauſe Haare, ein derbes Geſaͤß, kraͤftige
Arme, und erhob ſich zu eben der bedeutenden Groͤße, welche
das Urbild hatte nach der Vermuthung des Lyſimachus
(Lyſippus), welcher dieſes erſte und letzte herrlichſte Werk
ſeiner Haͤnde aus Erz verfertigte; er war uͤberhaupt ſo
groß, daß ein um ſeinen Daum geſpannter Faden den
Umfang. des Guͤrtels eines Mannes und fein Schenkel
Houalije avanavousvog oder avazeiuevog beylegt, findet ſich bey Ly⸗
kophron (Cass. 38.) und Tzetzes berichtet von dieſem Beinamen Folgendes:
Ore Augırgiwv Zu Tyheßoas Zorgkrevoev Eudαu˙οα Hehwv To
y3vov ruv adelpuv Ale x Tov H, narpos, Zeig xete
2 Eomlgas eis ulav usraßahuv owvsnadevds 17 Ai. Kara
os r avınv dontgav nal Augırpiwv rakıroorzoas, ovyradevdsı
2 ywvaızi. H oͤs oͤrol uorvs ard as e, e ud Ai, HU,
en d Augeroiumos Igır)y. Aid rot ro Telsome o- avröv .
Weiter unten erklärt Tzetzes jenen Beinamen von dem dreytägigen
Aufenthalte des Hertules im Bauche des Meerungeheuers (dia To e Ta
ats r ius bas aoiñoue as tome dale dd To d r-
or Kai οονενν Eva 71V yaorlpw rov Impiov),
Zerfißrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 35
die Hoͤhe eines Mannes hatte. Obgleich nun dieſer Her⸗
kules ein fo herrliches Werk war, fo ließen ihn gleich,
wohl diejenigen nicht unzerſtoͤrt, welche die Tapferkeit
vor allen andern Tugenden zu ſchaͤtzen behaupteten, ſie
als einen ihnen eigenthuͤmlichen Vorzug betrachteten, und
in dieſer Tugend einen großen Ruhm ſuchten.
5. Mit dieſem Herkules zugleich zerſtoͤrten fie auch
den bepackten und mit Bruͤllen fortſchreitenden Eſel und
den ihm folgenden Eſeltreiber, welche Caͤſar Auguſtus zu
Actium (die Griechen nennen dieſe Stadt Nikopolis) auf
ſtellen ließ, als er lin der Nacht, in welcher er ausgezogen
war, um uͤber das Heer des Antonius Erkundigungen
einzuziehen, einen Mann, welcher einen Eſel fuͤhrte, ans
traf, und auf die Frage, wer er waͤre und wohin er
ginge, die Worte vernahm: ich heiße Nikon, mein Eſel
Nikander, und ich gehe zu dem Heere des Caͤſar *).
6. Auch hielten ſie nicht die Haͤnde fern von der
Hyaͤne und Woͤlfin, von welchen Remus und Romulus
geſaͤugt wurden 2); vielmehr gaben fie auch dieſe alten
hoͤchſt ehrwuͤrdigen Volksdenkmaͤler dahin für geringe Müns
zen und zwar von Erz, und brachten ſie in den Schmelz—
ofen. Eben ſo auch den Mann, welcher mit einem Loͤwen
kaͤmpfte, das Nilpferd, welches nach hinten in einen mit
Schuppen beſtachelten Schwanz ausging, und den Ele—
phanten mit beweglichem Ruͤſſel; desgleichen auch die
Sphinxe, welche vorn wohlgeſtaltet wie Weiber, hinten
ſchrecklich wie wilde Thiere, auch dadurch noch merk—
wuͤrdiger waren, daß ſie, obgleich zu Fuß einherſchreitend,
doch behende vermittelſt eines Fittigs ſich bewegten, und
1) Bol. Heynela. a. O. S. 37. Ueber die Fabel f. Sueton, Aug. c. 96.
2) Heyne g. a. O.
c 2
36 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
darin mit großbefluͤgelten Voͤgeln es aufnahmen, ſo wie
auch das wilde Roß, welches die Ohren ſpitzte und
wieherte; den ruhig vorwaͤrts ſchreitenden Stier und das
alte Ungeheuer, die Scylla, welches bis zur Huͤfte die
Geſtalt eines Weibes, aber lang geſtreckt, mit uͤberſtarken
Bruͤſten und voll Wildheit darbet, weiterhin aber in
Thiere ſich ſpaltete, welche in das Schiff des Ulyſſes
ſpringend viele ſeine Gefaͤhrten verſchlangen.
7. Auch war auf der Rennbahn ein eherner Adler
aufgeſtellt *), ein wunderbares Kunſtwerk des Apollonius
von Tyana und ein prachtvolles Werkzeug ſeiner Zauber—
fünfte, Als er naͤmlich einſtens nach Byzanz kam, ſo
ward er gebeten, den Biſſen der Schlangen, von welchen
damals die Einwohner der Stadt gequaͤlt wurden, ein Ende
zu machen; er aber nahm ſogleich die geheimen Kuͤnſte zu
Huͤlfe, deren Lehrer die Geiſter und diejenigen ſind,
welche mit deren geheimem Dienſte ſich beſchaͤftigen, und
ſtellte einen Adler auf eine Saͤule, als ein Bild, welches
den Gemuͤthern Freude einfloͤßte und diejenigen, welche
an der Beſchauung deſſelben Wohlgefallen fanden, ſo
anzog, daß ſie dabey verweilten, gleich denen, welche den
unwiderſtehlich lockenden Geſaͤngen der Sirenen ihr Ohr
leihen. Der Adler breitete ſeine Fittige aus, wie zum
Fluge, und eine Schlange, welche unter ſeinen Fuͤßen
lag und in Windungen ſich bog, hinderte ihn, ſich zu
erheben, indem ſie mit dem obern Theile des Koͤrpers
an ſeine Fittige ſich draͤngte, als ob ſie ihn beißen wollte;
aber die Anſtrengungen des giftigen Thiers waren ver—
geblich. Denn von den Spitzen der Klauen des Adlers
durchbohrt, verlor es ſeine Kraft und ſchien eher in
) Vgl. Heyne a. a. O. S. 38 und die daſelbſt angeführten Schriftſteller.
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel 37
Schlaf zu ſinken als, zur Bekaͤmpfung des Vogels, deſſen
Fittlige zu umſchlingen; und indem die Schlange den
Zn
+ 2
3
letzten Athem ſchoͤpfte, erſtarb auch mit ihr das Gift.
Der Adler aber mit ſtolzem Blicke, und man moͤchte ſagen,
ein Siegeslied kraͤchzend, war im Begriffe, die Schlange
in die Hoͤhe zu heben und mit ihr in dle Luft ſich zu
ſchwingen; was er durch die Wildheit ſeines Auges und
die Toͤdtung der Schlange andeutete. Wer die Schlange
ſah, der dachte wohl, daß fie von Windungen und toͤdt—
lichen Biſſen nichts mehr wußte, und die uͤbrigen Schlangen
zu Byzanz durch ihr Beyſpiel verſcheuchte und ihnen rieth,
auf ihre Rettung zu denken und ſich zu verkriechen. Es
war aber dieſes Bildniß eines Adlers nicht blos wegen
der von uns bisher angegebenen Umſtaͤnde merkwuͤrdlg,
ſondern auch deswegen, weil durch Linien, zwolf an der
Zahl, welche an den Fluͤgeln eingegraben waren, die
Stundentheile des Tages auf das deutlichſte bezeichnet
waren fuͤr diejenigen, welche mit Verſtand darauf ihren
Blick richteten, wenn nicht die Strahlen der Sonne durch
Wolken verfinſtert waren.
8. Nun aber die weißarmige Helena ), mit ſchoͤnen
Ferſen und geſtrecktem Halſe, welche das geſammte grie—
chiſche Volk vor Troja verſammelte und an der Zerſtoͤrung
dieſer Stadt ſchuld war, ſpaͤterhin nach dem Nil ver—
ſchlagen wurde, und nach langer Zeit in die lacedaͤmo—
niſche Heimath zuruͤckkehrte; konute fie auf Leute wirken,
welche fuͤr milde Gefuͤhle nicht zugaͤnglich waren, und
konnte ſie Menſchen erweichen von eiſernem Sinne?
Solches vermochte diejenige nicht, welche jeden andern
Beſchauer durch ihre Schoͤnheit ſich dienſtbar machte, ob—
*) Vgl. Heyne a. a. O. S. 31.
38 Zexrſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. |
wohl fie wie für die Bühne bekleidet und lieblich, wie
der Thau, anzuſchauen war, ſelbſt im Erze, und zur
Liebe lockte durch das Gewand, die Kopfbinde, die Krone
und das Geflecht der Haare. Denn das Gewand war
zarter als Spinngewebe; die Binde, welche ihr Haupt
umgab, war kuͤnſtlich gearbeitet; die Krone, welche die
Stirn ſchmuͤckte, ahmte den Schimmer des Goldes und
koſtbarer Steine nach; und das hingegoſſene und von den
Winden auseinander getriebene Haar war nach hinten
von einem Bande umſchlungen und hing herab bis zu
den Waden. Die Lippen öffneten ſich gemach wie Blumen;
kelche, als waͤren ſie im Begriffe, einen Laut von ſich
zu geben. Das liebliche, ſogleich entgegen kommende
Laͤcheln, welches den Beſchauer mit Freude erfuͤllte, das
Bezaubernde des Blicks, die Woͤlbungen der Augenbrauen
und die uͤbrige ſchoͤne Bildung des Koͤrpers, laſſen ſich
nicht mit Worten beſchreiben und der Nachwelt anſchau—
lich machen. Aber, o Helena, Tochter des Tyndarus,
Schönheit durch ſich ſelbſt ſchoͤn, Sproͤßling der Liebes—
goͤtter, Pflegling der Aphrodite, allherrlichſtes Geſchenk
der Natur, Siegespreis fuͤr Troer und Hellenen, wo
ließeſt du jenes trauerſtillende und jedes Kummers Ge—
daͤchtniß tilgende Zaubermittel, welches des Thon's Ge—
mahlin (Polydamne) dir gab, wo jene unuͤberwindlichen
Liebestraͤnke? Warum wandteſt du ſie nicht an, ſo wie
vor Zeiten, alſo auch jetzt? Aber es war dir, wie ich
meine, durch die Goͤttinnen des Schickſals beſchieden,
daß du, obwohl auch im Bilde nicht aufhoͤrend, die
Beſchauer zur Liebe zu entzuͤnden, von der Gewalt des
Feuers zerſtoͤrt werden ſollteſt. Faſt moͤchte ich ſagen,
daß zur Strafe wegen der Zerſtoͤrung von Troja durch
das Feuer, welches durch deine ungluͤckſeligen Liebſchaften
Zerftörung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 39
war entzuͤndet worden, dieſe Nachkommen des Aeneas zum
Feuer dich verurtheilten; aber die ungeſtuͤme Goldgier, mit
welcher dieſe Leute die uͤberall ſeltenen und ſchoͤnſten unter
den ſchoͤnen Werken ohne Schonung vernichteten, geſtattet
mir nicht, ſolches zu denken oder auszuſprechen. Viel⸗
mehr kann man ſagen, daß ſie ihre Weiber fuͤr wenige
Oboli verkaufen und von ſich ſtoßen, vornehmlich, wenn
fie dem Raube nachgehen und ganze Tage mit Würfel;
ſpiel verbringen, oder wider einander zu unſinniger und
raſender Wuth, nicht zu vernünftiger Tapferkeit, ſich ers
hitzen und, die Ruͤſtung des Kriegsgottes anlegend, ihr
ganzes Vermoͤgen, ihre jugendlichen Gattinnen, welchen
ſie es verdanken „Vaͤter von Kindern zu heißen, ja ſelbſt/
was alle andere Menſchen für ein großes und unveraͤu—
ßerliches Gut und werth jeder Anſtrengung achten, das
Leben zum Kampfpreiſe machen. Wo haͤtten uͤbrigens
ſolche Barbaren, welchen jede Wiſſenſchaft, ja ſelbſt die
Kenntniß der Buchſtaben vollkommen fremd war, die von
dem Rhapſoden *) zu deinem Lobe geſungenen Verſe leſen
oder vernehmen koͤnnen:
Tadelt nicht die Troer und hellumſchienten Achaler,
Die um ein ſolches Weib ſo lang' ausharren im Elend!
Einer unſterblichen Göttin fürwahr gleicht jene von Anſehn!
9. Auch Folgendes darf ich nicht unerwaͤhnt laſſen.
Auf einer Saͤule ſtand eine weibliche Geſtalt von jugend—
licher Bildung ?) und im ſchoͤnſten Lebensalter; das Haar
derſelben war an beiden Seiten der Stirn zuſammen—
geflochten und ruͤckwaͤrts aufgebunden; ſie ſtand nicht
ſehr hoch, ſondern ſo, daß ſie von denen, welche die
1) Homeri IIiad. III. 186 — 18g.
2) Nämlich eine Darfielung der Fortuna urbis. Vgl. Heyne g. g. O.
S. 28. 29.
2
40 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
Haͤnde nach ihr ausſtreckten, beruͤhrt werden konnte.
Die rechte Hand dieſes Bildes hielt, ohne irgend eine
Stuͤtze, einen Mann zu Pferde, an einem Fuße des
Roſſes, mit einer Leichtigkeit, wie ein anderer nicht
einen Becher mit Getraͤnk haͤlt. Der Koͤrper des Reiters
war ſtrotzend von Kraft und mit einem Panzer geruͤſtet,
ſeine Beine waren mit Schienen verwahrt, und er athmete
nichts als Krieg. Das Roß ſpitzte die Ohren, als ver
naͤhme es die Kriegstrompete, hatte einen hohen Hals
und feurigen Blick, und verkuͤndigte mit den Augen einen
muthigen Lauf; die Fuͤße erhoben ſich in die Luft, den
Anſprung zum Kampfe andeutend. n
10. Nach dieſem Bilde waren fängt in der Nähe
des oͤſtlichen Wendepunkts der vierſeitigen Rennbahn,
welcher der rothe hieß (nach der Farbe der Einen der
vier Partheyen des Circus), die Bilvfäulen von Wagens
lenkern als Muſter der Geſchicklichkeit im Rennen aufge
ſtellt, durch die Richtung ihrer Haͤnde faſt wie durch
Rede verſtaͤndlich, die Wagenlenker ermahnend, nicht,
wenn fie dem Wendepunkte ſich naͤherten, die Zügel nach—
zulaſſen, ſondern durch Anziehen derſelben die Pferde
umzulenken, und ohne Unterlaß und mit noch mehr
Nachdruck ſie anzutreiben, damit ſie, ſo nahe als moͤglich
am Wendepunkte umbiegend, den ſich anſchließenden
Nebenbuhler in einem Umkreiſe herumzufahren und zu—
ruͤckzubleiben noͤthigten, auch wenn dieſer mit ſchnellern
Roſſen fuͤhre, und der Kunſt des Wettrennens vollkommen
kundig waͤre.
11. Noch Eines will ich zu dem Geſagten hinzu
fügen, obwohl es meine Abſicht nicht iſt, alles zu bu -
richten. Lieblich anzuſchauen und in Hinſicht der kuͤnſt⸗
leriſchen Ausfuͤhrung faſt bewundernswuͤrdiger als alles
1
—
Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel. 41
Andere, war ein Untergeſtell von Stein und das auf
demſelben ſtehende, aus Erz getriebene Thier, welches in
ſofern nicht unzweifelhaft einen Ochſen darſtellte, als es
einen kurzen Schweif, und dem Anſcheine nach einen
nicht ſo tiefen Schlund hatte, als die aͤgyptiſchen Ochſen
zu haben pflegen, auch nicht mit Klauen verſehen war.
Es hielt aber dieſes Thier zwiſchen ſeinen Kinnladen ein
anderes, welches von ihm bis zum Erſticken zuſammen⸗
gedruͤckt wurde, und am ganzen Leibe mit ſo ſcharfen
Schuppen gepanzert war, daß ſie ſelbſt im Erze diejeni⸗
gen, welche ſie beruͤhrten, verwundeten. Man hielt jenes
große Thier fuͤr einen Baſilisk, und das Thier, welches
von deſſen Maule gepackt wurde, für, eine Aspis; obs
wohl viele der Meinung waren, daß jenes einen Nils
ochſen, und dieſes einen Krokodil darſtellte ). Mir liegt
nichts an ſolcher Verſchiedenheit der Meinungen, und ich
beſchraͤnke mich darauf, anzugeben, daß beide Thiere mit
einander einen ganz eigenthuͤmlichen Kampf beſtanden, in⸗
dem beide abwechſelnd Leides eines dem andern zufuͤgten
und von einander erfuhren, zerſtoͤrten und zerſtoͤrt wur;
den, zugleich bezwangen und bezwungen wurden, beide
ſiegten und von einander uͤberwaͤltigt wurden. Das
Thier, welches für einen Baſilisk ausgegeben wurde, war
am ganzen Leibe, vom Kopfe bis zu der Spitze der Fuͤße,
geſchwollen, und deſſen Koͤrper, durch und durch vergiftet,
war gelblicher, als die Farbe des Froſches, indem das
Gift den ganzen Gliederbau des Thieres durchdrungen
hatte und ihm die Farbe des Todes gab. Es ſank alſo
nieder auf das Knie, und das Auge war erloſchen, in—
dem die Lebenskraft zerſtoͤrt war. Auch konnte es die
Beſchauer zu der Meinung veranlaſſen, daß es ſchon
) Vgl. Heyne a. a. O. S. 38.
42 Zerſtoͤrung d. Kunſtwerke zu Conſtantinopel.
Tangft getoͤdtet und niedergeworfen waͤre, wenn nicht die
Fuͤße es noch geſtuͤtzt und zum Stehen aufrecht erhalten
haͤtten. Das andere Thier, welches von den Kinnladen
des Baſiliskes gefaßt war, zappelte zwar gleichfalls nur
ein wenig mit dem Schweife, ſperrte aber ſeinen Rachen
weit auf, indem es durch die Zuſammenpreſſung der
Zaͤhne erſtickt wurde. Es ſchien aber ſich anzuſtrengen und
zu verſuchen, ob es nicht aus den Zaͤhnen des Ungeheuers
ſich losmachen und aus dem Maule deſſelben ſich retten
koͤnnte; aber es war vergeblich, weil alles von den
Schultern an, ſo wie die Vorderfuͤße und die Theile des
Koͤrpers, welche mit dem Schweife zuſammenhingen, in
der Oeffnung des Rachens eingeklemmt und zwiſchen den
Kinnladen aufgeſpießt waren. Alſo toͤdteten ſich dieſe
Thiere einander; gemeinſchaftlich war der Kampf beider,
gemeinſchaftlich die Vertheidigung ' gleichmaͤßig der Sieg,
und gleichzeitig der Tod.
Mir faͤllt dabey ein, zu bemerken, daß alles Schlimme
und Unheilbringende, und was verderblich iſt fuͤr die
eenſchen, wie es ſich gegenſeitig zerſtoͤrt und mit ein—
ander dem Tode ſich zufuͤhrt, nicht blos in Bildniſſen
geſchildert wird oder bey den ſtarken unter den Thieren
vorkommt, ſondern auch oftmals bey den Voͤlkern ſich alſo
darſtellt, welche gegen uns Roͤmer ihre Waffen kehrten,
aber mordluſtig wider einander ſelbſt ſind, und ihren Unter—
gang finden durch die Macht Chriſti, welcher die Voͤlker,
die nur den Krieg wollen, zerſtreut und kein Wohlgefallen
findet am Blutvergießen, den Gerechten aber auf Otter
und Baſilisk. einherſchreiten, und auf Löwe und Drachen
treten laßt.
1
Verbeſſer ungen.
Im ſechsten Buche (Band V.).
2 Z. 8 und überall ſtatt Aziz l. Aſis.
82 — 88 iſt die oben am Rande der Columne befindliche Jahreszahl 1198
in 1199 zu verbeffern,
97 Anm. 7, 8. 1 für C. c. lies I. e.
116 3. 22 für Dandluo l. Dandulo.
127 Z. 10 för 1202 l. 1201.
192 3. 6 und 7 ſtatt vor der alten Stadt Spalatro oder Salona, lies
vor der alten Stadt Salona und Spalatro.
216 Anm. 66 8. 11 ſtatt dgouemes, lies oed he.
296 Anm. 38 Sp. 2 3. 7 für L lies Sc.
Beylagen (Band V.“.
. 29 Z. 11 ſtatt Pluͤnderey, l. Pluͤnderung.
Im fuͤnften Buche (Band IV.).
140 Z. 5 iſt mit zu ſtreichen.
440 Z. 20 für ſetzte l. ſetze. ei
471 Anm. 17 und fonft überall für Newbridge l. Newbery.
518 Anm. 50. Z. 2 iſt das Zeichen der Parentheſe vor cyclades zu tilgen
und nach dieſem Worte zu ſetzen.
568 letzte Z. fuͤr dem l. den.
598. Anm. 2 Spalte 2 Z. 13 für sinana I. Ginana.
600 3. 21 für Erdburg l. Erdberg.
601 Anm. 10 iſt für Otton. u. ſ. w. zu ſetzen: Matthaeus Paris ad
a. 1192.
604 iſt im Anfange der fünften Zeile das Wort wichtigen zu loͤſchen.
618 Anm. 51 iſt nach den Citaten im Anfange hinzuzuſetzen: Epist.
Innocentii III. ed. Baluz. Lib. I. epist. 230. 236. 242,
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